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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: 8 Sa 366/04
Rechtsgebiete: ZPO, KSchG


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 07.01.2004 - 2 Ca 1332/03 - teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 27.10.2003 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des ersten Rechtszuges, die Kosten des zweiten Rechtszuges werden gemäß § 97 Abs. 2 ZPO dem Kläger auferlegt.

Tatbestand: Mit seiner Klage hat sich der Kläger im ersten Rechtszuge gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitgeberseitige Kündigungen vom 03.07.2003 und 27.10.2003 gewandt, welche die Beklagte jeweils auf verhaltensbedingte Gründe und insbesondere auf den Vorwurf wiederholter Unpünktlichkeit gestützt hat. Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Nachdem das Arbeitsgericht durch Urteil vom 07.01.2004 die Kündigung vom 03.07.2003 für unwirksam erklärt, hingegen die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 27.10.2003 abgewiesen und allein der Kläger gegen das arbeitsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt hat, steht unter den Parteien im Berufungsrechtszuge allein die Wirksamkeit der Kündigung vom 27.10.2003 im Streit. Das Arbeitsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe sich nach wiederholten Verspätungen in der Vergangenheit und entsprechender Abmahnung vom 05.06.2003 (Bl. 10 d.A.) - ausgehändigt am 24.06.2003 - erneut eine gleichartige Pflichtverletzung zuschulden kommen lassen, indem er am 06.07.2003 nicht zum regulären Schichtbeginn um 22.00 Uhr, sondern unstreitig erst um 23.30 Uhr zur Arbeit erschienen sei. Die Darstellung des Klägers, am besagten Tage habe er aufgrund entsprechender Vereinbarung erst um 24.00 Uhr die Arbeit aufnehmen müssen, sei als unsubstantiiert anzusehen. Nachdem nämlich der Kläger zunächst angegeben habe, er sei am 06.07.2003 zum ordnungsgemäßen Beginn seiner Schicht erschienen, habe er sich erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht darauf berufen, eine abweichende Vereinbarung über den Arbeitsbeginn getroffen zu haben. Hierbei habe er jedoch nicht angeben können, zu welchem genauen Zeitpunkt er mit wem die angebliche Vereinbarung getroffen habe. Unter diesen Umständen sei der Beklagten eine substantiierte Erwiderung nebst Beweisantritt unmöglich. In Anbetracht der vorangehenden abgemahnten Verhaltensweisen könne nach alledem die Entscheidung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus verhaltensbedingten Gründen zu beenden, nicht beanstandet werden. Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich der Kläger gegen den Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils, er habe am 06.07.2003 die Arbeit verspätet aufgenommen. Da er - unstreitig - am Sonntag, dem 06.07.2003 nicht regulär zur Arbeit eingeteilt gewesen sei, habe der als Einrichter bei der Beklagten beschäftigte Herr K4xxxx ihn - den Kläger - wie auch verschiedene andere Arbeitnehmer angesprochen, ob sie bereit seien, zusätzlich in der Nachtschicht am Sonntag zu arbeiten. Dies habe er - der Kläger - bejaht, gleichzeitig jedoch erklärt, er könne mit der Zusatzschicht nicht pünktlich beginnen, in jedem Fall sei er jedoch spätestens um 24.00 Uhr im Betrieb. Hiermit habe sich Herr K4xxxx einverstanden erklärt. Die Tatsache, dass der Kläger um 23.30 Uhr zur Arbeit erschienen sei, lasse danach keine Pflichtverletzung erkennen. Der Kläger beantragt, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Paderborn - 2 Ca 1332/03 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 27.10.2003 zum 30.11.2003 nicht aufgelöst worden ist. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung als zutreffend und hält unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens daran fest, der Kläger habe erneut am 06.07.2003 verspätet die Arbeit aufgenommen. Soweit sich der Kläger nunmehr im zweiten Rechtszuge für seine Sachdarstellung auf den Zeugen K4xxxx berufe, sei dies vollkommen unglaubwürdig. Nachdem nämlich der Kläger zunächst vorgetragen habe, am 06.07.2003 sei er nicht verspätet, sondern zum ordnungsgemäßen Beginn seiner Schicht erschienen, habe er erstmals im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht überraschend behauptet, einen abweichenden Schichtbeginn mit dem Schichteinrichter vereinbart zu haben, ohne jedoch dessen Person zu benennen. Erstmals mit der Berufung behaupte der Kläger nun, dies sei der Zeuge K4xxxx gewesen. Aus welchem Grunde indessen Herr K4xxxx sich überhaupt noch an einen derartigen Vorgang erinnern könne, sei in keiner Weise nachvollziehbar, vielmehr sei die Beklagte davon überzeugt, dass auch Herr K4xxxx dem Kläger keine Genehmigung zum verspäteten Arbeitsbeginn gegeben habe. Unabhängig hiervon sei zu beachten, dass Herr K4xxxx ohnehin nicht berechtigt gewesen sei, mit dem Kläger einen abweichenden Schichtbeginn zu vereinbaren. Soweit es ausnahmsweise überhaupt zu einer entsprechenden Abweichung vom regulären Schichtbeginn komme, sei hierzu eine ausdrückliche Absprache mit dem vorgesetzten Meister oder Schichtkoordinator erforderlich (Beweis: K5xxx). Im Übrigen wiederholt die Beklagte ihre erstinstanzliche Behauptung, der Kläger habe am Folgetage, dem 07.07.2003, unentschuldigt die Nachtschicht versäumt und statt dessen am 08.07.2003 die Frühschicht geleistet. Schon die Tatsache, dass der Kläger sich trotz entsprechender Aufforderung nicht um nachträgliche Klärung der Angelegenheit bemüht habe, belege, dass er offenbar ein schlechtes Gewissen gehabt und gewusst habe, dass er am 07.07.2003 unentschuldigt gefehlt habe. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben über die widerstreitenden Behauptungen der Parteien zur Schichteinteilung am 06.07.2003 durch uneidliche Vernehmung des Zeugen K4xxxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 08.07.2004 (Bl. 89 ff. d.A.) Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die Berufung des Klägers ist begründet. I Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch durch die Kündigung der Beklagten vom 27.10.2003 nicht beendet worden. 1. Die Beweisaufnahme hat die Behauptung der Beklagten nicht bestätigt, der Kläger habe am 06.07.2003 erst verspätet seine Schicht aufgenommen. Im Gegenteil hat der vernommene Zeuge K4xxxx glaubhaft bestätigt, dass mit dem Kläger von Anfang an vereinbart war, dass dieser spätestens bis 24.00 Uhr seine Arbeit aufnehmen werde. a) Soweit die Beklagte hierzu in der Berufungserwiderung eingewandt hat, zu einer solchen Vereinbarung habe Herrn K4xxxx ohnehin die Kompetenz gefehlt, greift dieser Einwand nicht durch. Der Einsatz des Klägers am 06.07.2003 fand nämlich außerhalb der regulären Arbeitsverpflichtung statt. Wenn der Einrichter K4xxxx dann nach Mitarbeitern suchte, welche zu einer zusätzlichen Schicht bereit waren und der Kläger dies nur mit der Einschränkung zusagte, er werde spätestens bis 24.00 Uhr erscheinen, so geht es bei der mit Herrn K4xxxx getroffenen Vereinbarung nicht um eine Beschränkung der vertraglich vereinbarten Arbeitspflicht, vielmehr ist eine Arbeitspflicht für den 06.07.2003 nur nach Maßgabe der Bereitschaftserklärung des Klägers entstanden. b) Die Beweislast dafür, dass mit dem Kläger eine Arbeitsaufnahme ab 22.00 Uhr vereinbart war, der Kläger also mit dem Arbeitsantritt um 23.30 Uhr seine Arbeitspflicht verletzt hat, liegt nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG bei der Beklagten. Unter den vorliegenden Umständen gehört es schon zu den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Verletzung der Arbeitspflicht, dass mit dem Kläger für die Sonderschicht am 06.07.2003 ein Arbeitsbeginn um 22.00 Uhr vereinbart war. Nichts anderes gilt aber auch, wenn man die Grundsätze anwendet, welche für das Merkmal der "unentschuldigten" Arbeitsversäumnis - also das Fehlen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen - gelten. Der Arbeitnehmer hat insoweit allein substantiiert vorzutragen, aus welchem Grunde sein Fehlen nicht unentschuldigt sein soll. Den Nachweis für das Fehlen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen hat hingegen der Arbeitgeber zu führen (BAG, Urteil vom 12.08.1976 - 2 AZR 237/75 - AP § 1 KSchG 1969 Nr. 3; BAG, Urteil vom 18.10.1990 - RzK I 10 n Nr. 30; KR-Etzel, 6. Aufl., § 1 KSchG Rz. 262). c) Soweit also die Beklagte die Aussage des Zeugen K4xxxx für unglaubwürdig hält und geltend macht, es sei in keiner Weise plausibel, warum sich der Zeuge nach so langer Zeit noch an die damaligen Vorgänge erinnern könne, mag hiermit allenfalls der Wert der Zeugenaussage erschüttert werden; den Nachweis des unentschuldigten Fehlens kann die Beklagte jedoch nicht dadurch führen, dass sie den von ihr selbst benannten Zeugen für unglaubwürdig erklärt. Anders wäre es allein, wenn der Zeuge eine derart unrealistische Darstellung gegeben hätte, dass allein schon hieraus die Richtigkeit des Gegenteils - also eine reguläre Diensteinteilung ab 22.00 Uhr auch für den Kläger - gefolgert werden könnte. Es erscheint aber keineswegs als ungewöhnlich, dass bei Anberaumung einer Sonderschicht einzelne Arbeitnehmer sich nur mit Einschränkungen zur Arbeit bereit erklären und der für die Zusammenstellung der Schicht zuständige Mitarbeiter es vorzieht, sich auf einen entsprechenden Sonderwunsch einzulassen, anstatt auf den Einsatz des Arbeitnehmers zu verzichten. Anders wäre es möglicherweise, wenn ohnehin mehr Arbeitnehmer als benötigt den Einsatz in einer Sonderschicht - etwa wegen der Zuschläge zur Arbeitsvergütung - begehren und Interessenten zurückgewiesen werden müssen. Das trägt die Beklagte indessen selbst nicht vor. Auch der Umstand, dass der Kläger erst im Kammertermin beim Arbeitsgericht sich auf eine entsprechende Sondervereinbarung bezogen hat, nachdem er zunächst eine Verspätung überhaupt in Abrede gestellt hat, kann nicht genügen, um das Vorbringen des Klägers insgesamt als unglaubwürdig abzutun und von einer wahrheitswidrigen Aussage des Zeugen K4xxxx auszugehen. Dass der Kläger zunächst in Bezug auf den hier relevanten Vorgang angegeben hat, er sei "zum ordnungsgemäßen Beginn seiner Schicht" erschienen, erweckt zwar mangels weiterer Angaben den Eindruck, er wolle einen Arbeitsbeginn zum regulären Zeitpunkt (22.00 Uhr) behaupten; andererseits wird - unter Einbeziehung des späteren Sachvortrages - von der genannten Formulierung auch die Behauptung umfasst, er sei nach Maßgabe der für ihn persönlich zutreffenden Schichteinteilung rechtzeitig erschienen. Von einem widersprüchlichen, wechselhaften und somit von vornherein unglaubwürdigen Sachvortrag kann danach nicht ausgegangen werden, vielmehr trifft den Kläger allein ein Verspätungsvorwurf. Die weitere Tatsache, dass der Kläger den für die Arbeitseinteilung zuständigen Schichtleiter erst in der Berufungsbegründung namhaft gemacht hat, hat er plausibel damit erklärt, dass ihm dessen voller Name nicht bekannt gewesen sei, da dieser - unstreitig - nicht in der Schicht des Klägers tätig ist. Unter diesen Umständen beschränken sich die Folgen des zögerlichen Prozessvortrags des Klägers allein auf die Kostenfolge des § 97 Abs. 2 ZPO. Nicht hingegen kann von einer erst nachträglich erfundenen "Ausrede" des Klägers und einer vorsätzlichen Falschaussage des Zeugen K4xxxx ausgegangen werden. Etwa verbleibende Zweifel gehen gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG zu Lasten der Beklagten. 2. Soweit die Beklagte die ausgesprochene Kündigung weiter auf ein unentschuldigtes Fehlen des Klägers am 07.07.2003 stützen will, ist in Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil davon auszugehen, dass entsprechende Unklarheiten der Schichteinteilung nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen sind. Insbesondere läge bei einer eindeutigen Schichteinteilung nahe, dass der Kläger, als er - anstelle zur Nachtschicht vom 07.07.2003 am 08.07.2003 zur Frühschicht antrat, zumindest gerügt oder gar wegen fehlender Einteilung zur Arbeit nach Hause geschickt worden wäre. Auch insoweit gehen verbleibende Unklarheiten zu Lasten der Beklagten. 3. Soweit schließlich die Beklagte in der Berufungsbegründung auch diejenigen Vorwürfe gegenüber dem Kläger wiederholt, welche zeitlich vor Ausspruch der ersten, vom Arbeitsgericht für unwirksam erachteten Kündigung liegen und welche vom Arbeitsgericht bereits sachlich gewürdigt worden sind, kann hierauf die Kündigung vom 27.10.2003 schon aus Gründen der Präklusion nicht gestützt werden (BAG, Urteil vom 26.08.1993 - 2 AZR 159/93 - AP § 626 BGB Nr.113; KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz 272). II Die Kostenentscheidung folgt aus § 91, 97 Abs. 2 ZPO. III Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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