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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.07.2008
Aktenzeichen: 8 Sa 632/08
Rechtsgebiete: BGB, KSchG, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
BetrVG § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 11.03.2008 - 3 Ca 1658/07 O - abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 09.11.2007 nicht beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung als Maschinenbediener weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung bezieht.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit seiner Klage wendet sich der seit dem Jahre 1999 im Betrieb der Beklagten als Maschinenbediener beschäftigte Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch fristlose und vorsorglich fristgerechte Kündigung vom 09.11.2007. Ferner verlangt der Kläger die arbeitsvertragsgemäße Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits sowie die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Die angegriffene Kündigung stützt die Beklagte auf den Vorwurf, der Kläger habe, nachdem ihm der Schichtführer W1 eine schriftliche Abmahnung wegen einer vorangehenden Arbeitsverweigerung erteilt habe, diesen als "Rassistenarschloch" bezeichnet. Zwar habe sich der Kläger später für seine Äußerung entschuldigt, was Herr W1 persönlich auch akzeptiert habe. Da indessen kein anderer Schichtführer zu einer Zusammenarbeit mit dem Kläger bereit gewesen sei, sei die vom Betriebsrat angeregte Umsetzung des Klägers gescheitert. Im Interesse der Betriebsdisziplin und unter Berücksichtigung der Schwere der Beleidigung sei danach die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist unzumutbar. Demgegenüber hat der Kläger sowohl die Berechtigung der erteilten Abmahnung als auch die behauptete grundlose Beleidigung bestritten. Nachdem er - der Kläger - sich gegenüber dem Vorwurf der Arbeitsverweigerung verteidigt habe, habe Herr W1 ihn am Arm gepackt und geäußert: "Kein Juffe hat mir in 28 Jahren widersprochen, nimm sofort deine Sachen und verpiss Dich." Ein weiterer Mangel der Kündigung liege in der unzureichenden Unterrichtung des Betriebsrats. Jedenfalls nachdem aber Herr W1 seine nachträgliche Entschuldigung angenommen habe, könne eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht angenommen werden.

Durch Urteil vom 11.03.2008 (Bl. 85 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Klageanträge Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht nach uneidlicher Vernehmung des Zeugen W1 die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger den Zeugen W1 ohne Anlass aufs Schwerste beleidigt habe. Trotz der langjährigen unbeanstandeten Beschäftigung und der sozialen Situation des Klägers sei der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten. Allein der Umstand, dass sich der Kläger nachträglich beim Zeugen W1 entschuldigt habe, falle nicht entscheidend ins Gewicht. Im Gegenteil habe sich der Kläger noch im Prozess uneinsichtig gezeigt, weswegen die Beklagte davon ausgehen müsse, ähnliche Vorfälle seien auch in der Zukunft nicht ausgeschlossen.

Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens gegen die Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils. Bereits in formeller Hinsicht scheitere die Kündigung an der fehlenden Kündigungsberechtigung des Werkleiters P1, welcher unstreitig allein Gesamtprokura besitze. Ein weiterer Mangel der Kündigung liege in der unzureichenden Unterrichtung des Betriebsrats. Diesem sei allein der Kündigungsvorwurf der Beleidigung, nicht hingegen die Tatsache mitgeteilt worden, dass sich der Kläger bei Herrn W1 entschuldigt und dieser die Entschuldigung angenommen habe. Schließlich müsse die Kündigung auch als unverhältnismäßige Reaktion angesehen werden. Letztlich handele es sich um einen einmaligen Vorfall ohne Wiederholungsgefahr, so dass der Ausspruch einer Abmahnung als ausreichend angesehen werden müsse.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 11.03.2008 - 3 Ca 1658/07 O - abzuändern und demnach

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 09.11.2007 nicht zum 09.11.2007 oder zum 29.02.2008 beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Maschinenbediener bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den vorstehenden Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung bezieht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens als zutreffend. Zur Kündigungsbefugnis des Werkleiters P1 behauptet die Beklagte, dieser sei grundsätzlich zum Ausspruch von Kündigungen bevollmächtigt, was im Übrigen auch aus seiner Funktion als Werkleiter folge. Soweit es die Betriebsratsanhörung betreffe, sei der Betriebsrat vollständig unterrichtet worden. Im Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung und auch noch im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung sei der Beklagten eine Entschuldigung des Klägers gegenüber dem Zeugen W1 nicht bekannt gewesen. In der Sache selbst komme der nachträglichen Entschuldigung des Klägers wie auch der Erklärung des Zeugen W1, für ihn persönlich sei die Angelegenheit damit geklärt, keine entscheidende Bedeutung zu. Ersichtlich sei der Kläger nur unter dem Druck der Kündigung und auf Veranlassung des Betriebsrats zu einer Entschuldigung bereit gewesen. Diese habe Herr W1 allein persönlich, nicht jedoch in Bezug auf seine berufliche Stellung als Vorgesetzter akzeptiert. Gegenüber der Beklagten selbst sei demgegenüber zu keinem Zeitpunkt ein Bedauern des Klägers erkennbar geworden, im Gegenteil belege noch das Verhalten des Klägers im Prozess, dass es ihm nach wie vor an der erforderlichen Einsicht fehle. Von einer einmaligen Entgleisung ohne Wiederholungsgefahr könne unter diesen Umständen nicht ausgegangen werden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Sie führt unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils zur antragsgemäßen Feststellung, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden ist. Weiter kann der Kläger seine Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits sowie das begehrte Zwischenzeugnisses beanspruchen.

I

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden.

1. Entgegen dem Standpunkt des Klägers scheitert die angegriffene Kündigung allerdings nicht an dem behaupteten Vollmachtsmangel.

Auch wenn man den Vortrag des Klägers als wahr unterstellt, dass der Werkleiter P1 zum Ausspruch einer Kündigung nicht bevollmächtigt war, sondern als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat, liegt doch schon im Antrag auf Klageabweisung und der Verteidigung der Kündigung als rechtswirksam zumindest hilfsweise eine entsprechende Genehmigung des angeblich vollmachtlosen Handelns (§ 177 BGB). Soweit der Kläger eine solche Genehmigung unter Hinweis auf die Vorschrift des § 180 Satz 1 BGB für ausgeschlossen hält, greift dieser Einwand nicht durch. Richtig ist zwar, dass bei einem einseitigen Rechtsgeschäft eine Vertretung ohne Vertretungsmacht an sich unzulässig ist. Wie sich indessen aus § 180 Satz 2 BGB ergibt, finden die Vorschriften über Verträge - und damit auch die Vorschrift des § 177 BGB - auch auf einseitige Rechtsgeschäfte Anwendung, wenn die vom Vertreter behauptete Vertretungsmacht "bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet" worden ist. So liegt es hier. Das vorprozessuale Schreiben des Klägervertreters vom 19.11.2007 stellt weder eine Beanstandung wegen Fehlens der Vertretungsmacht dar, noch wäre in Anbetracht der persönlichen Aushändigung des Kündigungsschreibens eine Beanstandung zu diesem Zeitpunkt für die Anwendung des § 180 Satz 2 BGB noch von Belang.

2. Ob der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung vollständig angehört worden ist, erscheint nicht unzweifelhaft, bedarf aber aus den nachfolgenden Gründen zu Ziffer 3) keiner abschließenden Entscheidung.

a) Abweichend vom Standpunkt der Beklagten ist im Grundsatz festzuhalten, dass zur vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats über den Kündigungsgrund unter den vorliegenden Umständen auch die Tatsache gehörte, dass sich der Kläger beim Schichtführer W1 entschuldigt und dieser persönlich die Entschuldigung auch akzeptiert hatte. Unabhängig davon, ob dieser Umstand letztlich die Beklagte von ihrem Kündigungsentschluss abbringen konnte, gehörte dessen Erwähnung doch zur vollständigen Darstellung des Sachverhalts gegenüber dem Betriebsrat. Der Grundsatz der "subjektiven Determination" der Kündigungsgründe gibt dem Arbeitgeber allein das Recht, unter verschiedenen möglichen Kündigungsgründen auszuwählen und dem Betriebsrat nur denjenigen Kündigungssachverhalt vorzutragen, auf welchen die Kündigung gestützt werden soll. Nicht hingegen folgt aus der so umschriebenen Auswahlberechtigung die Möglichkeit, bei einem einheitlichen Kündigungsgeschehen Entlastungstatsachen zu verschweigen, welche zwar aus Sicht des Arbeitgebers letztlich unerheblich sind, für die Willensbildung des Betriebsrats hingegen durchaus von Belang sein können.

b) Eine entsprechend vollständige Information des Betriebsrats war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil bei Einleitung der Betriebsratsanhörung die Entschuldigung des Klägers noch gar nicht vorlag und die Beklagte bei Eingang der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats von der zwischenzeitlich erfolgten Entschuldigung des Klägers noch keine Kenntnis hatte. Wie die informatorische Anhörung des Zeugen W1 in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht ergeben hat, muss davon ausgegangen werden, dass der Beklagten bzw. dem kündigungsbefugten Werkleiter P1 im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs (09.11.2007) die zwischenzeitlich erfolgte Entschuldigung des Klägers bekannt gewesen ist, nachdem diese in der Besprechung vom 08.11.2007 unter Teilnahme des Schichtführers W1 und des Werkleiters P1 zur Sprache gekommen war. Ergibt sich aber zwischen Durchführung der Betriebsratsanhörung und dem Ausspruch der Kündigung für den Arbeitgeber ein neuer Erkenntnisstand, so bedarf es ggfls. einer ergänzenden Anhörung des Betriebsrats, wenn der Arbeitgeber auch auf der Grundlage der nachträglich eingetretenen oder bekanntgewordenen Umstände am Kündigungsentschluss festhalten will (vgl. KR-Etzel, 8. Aufl., § 102 BetrVG Rn 80 m.w.N.).

c) An der Besprechung vom 08.11.2007 hat allerdings auch der Betriebsratsvorsitzende teilgenommen. Aus dessen Sicht war mangels gegenteiliger Gesichtspunkte der Ablauf der Besprechung vom 08.11.2007 im Zweifel in dem Sinne zu verstehen, die Beklagte halte auch in Kenntnis der Entschuldigung des Klägers an ihrem Kündigungsentschluss fest. Auch ohne Einhaltung von Förmlichkeiten lässt sich danach die Besprechung vom 08.11.2007 als erneute Einleitung der Betriebsratsanhörung auffassen, ohne dass jedoch der Betriebsratsvorsitzende allein zu einer abschließenden Stellungnahme namens des Betriebsratsgremiums berechtigt war. Ob neben dem Betriebsratsvorsitzenden auch die weiteren Mitglieder des Betriebsrats an der Besprechung vom 08.11.2007 teilgenommen haben, lässt sich auf der Grundlage des Parteivorbringens nicht abschließend beurteilen; im Protokoll vom 09.11.2007 heißt es insoweit, die Besprechung sei u.a. "mit dem Betriebsrat" geführt worden. Für diesen Fall käme ggfls. eine abschließende Stellungnahme des Betriebsratsgremiums noch in der Besprechung vom 08.11.2007 in Betracht. Andernfalls müsste hingegen davon ausgegangen werden, dass im Zeitpunkt der Übergabe des Kündigungsschreibens das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG noch nicht abgeschlossen war. Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es indessen aus den nachfolgenden Gründen nicht.

3. In der Sache vermag die Kammer dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils, die von der Beklagten vorgetragene und in der Beweisaufnahme bestätigte schwere Beleidigung des Schichtführers W1 stelle einen wichtigen Grund i. S. des § 626 Abs. 1 BGB dar, welche die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist unzumutbar mache, unter den vorliegenden Umständen nicht zu folgen. Trotz der Schwere der Pflichtverletzung handelt es sich hier nach Auffassung der Kammer um eine einmalige, situationsbedingte Entgleisung, welche in Anbetracht des bisherigen unbeanstandeten Verhaltens des Klägers nicht die Annahme rechtfertigt, der Kläger werde auch künftig in einem Konfliktfall in entsprechender Weise auffällig werden. Allein die Tatsache, dass sich der Kläger im Prozess gegen den erhobenen Vorwurf zur Wehr gesetzt und - im Ergebnis zu Unrecht - die behauptete Beleidigung abgestritten hat, kann nicht als Ausdruck einer unbehebbaren Uneinsichtigkeit gewürdigt werden. Auch der Gesichtspunkt der Wahrung der Autorität des Vorgesetzten fordert nicht zwingend die Entfernung des Klägers aus dem Betrieb.

a) In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil hält auch die Kammer auf der Grundlage der Aussage des Zeugen W1 für bewiesen, dass der Kläger auf die Aushändigung des Abmahnungsschreibens in der Weise reagiert hat, dass er Herrn W1 beim Verlassen des Büros als "Rassistenarschloch" beleidigt und diese Beleidigung auf Rückfrage sogar noch einmal wiederholt hat. Die Kammer folgt des Weiteren auch der Einschätzung des Arbeitsgerichts, dass es sich bei der genannten Äußerung um eine Beleidigung von gesteigertem Gewicht handelt, mit welcher nicht allein ein allgemeines Unwerturteil über die Person des Beleidigten zum Ausdruck gebracht, sondern dieser zugleich - ohne realen Anhaltspunkt - eine rassistische Motivation unterstellt wird. Dementsprechend ist auch aus der Sicht der Kammer nicht zweifelhaft, dass eine Beleidigung der vorliegenden Art "an sich" durchaus geeignet ist, einen wichtigen Grund i. S. des § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.

b) Bei der erforderlichen Beurteilung des Einzelfalls und der gebotenen Interessenabwägung sind indessen zunächst diejenigen Umstände in die Betrachtung einzubeziehen, welche den Kläger zu seiner Reaktion veranlasst haben.

(1) Auch wenn man zu Gunsten der Beklagten davon ausgeht, dass die dem Kläger erteilte Abmahnung in der Sache berechtigt war, weil der Schichtführer W1 im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens die Entscheidung getroffen hatte, auf den Personalausfall in der Nachtschicht vom 29./30.11.2007 mit der Umorganisation der Arbeit und einer vertretbaren Mehrbelastung der Beschäftigten zu reagieren, so erscheint andererseits die abweichende Sichtweise des Klägers nicht von vornherein als völlig unverständlich und als Ausdruck mangelnder Arbeitsmoral. In Anbetracht der Tatsache, dass die bei der Beklagten tätigen Schichtführer - wie der Zeuge W1 bestätigt hat - auf einen Personalausfall jeweils unterschiedlich reagieren und ggfls. Maschinen abstellten, der Schichtführer W1 demgegenüber hier eine Mehrbelastung der Beschäftigten für vertretbar hielt und aus Sicht des Klägers zunächst der Eindruck entstanden war, er allein solle die zusätzlichen Maschinen bedienen, war die Weigerung des Klägers zwar in der Sache unberechtigt. Andererseits führte jedoch die vom Schichtleiter W1 gewählte Vorgehensweise, dem Kläger in der folgenden Nachtschicht eine Abmahnung zu erteilen, zum einen dazu, dass sich der Kläger um die an sich vorgesehene Möglichkeit einer innerbetrieblichen Klärung mit dem Werkleiter gebracht sah. Wie der Kläger mit Schriftsatz vom 23.01.2008 unwidersprochen vorgetragen hat, war es bereits in der Vergangenheit zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Maschinenbedienern und Vorgesetzten gekommen, worauf der Werkleiter P1 zum Ausdruck gebracht hatte, in einem solchen Fall solle jeweils der nächsthöhere Vorgesetzte angesprochen werden, ggfls. bis zu ihm selbst. Zum anderen war - wie sich aus der Stellungnahme des Betriebsrats zur Kündigung ergibt - zwischen Betriebsrat und der Beklagten vereinbart, dass die Erteilung einer Abmahnung jeweils im Beisein eines Betriebsratsmitglieds erfolgen sollte. Wenn der Schichtleiter W1 hiervon abweichend auf die Weigerungshaltung des Klägers vom Vortage mit der Aushändigung einer schriftlichen Abmahnung reagierte, ohne dass dem Kläger die Möglichkeit einer internen Klärung verblieb und auch die vorgesehene Beteiligung eines Betriebsratsmitgliedes bei Ausspruch der Abmahnung unterblieb, so muss, ohne dass hierdurch die Arbeitsverweigerung und die schwere Beleidigung als gerechtfertigt angesehen werden sollen, doch die Überlegung berücksichtigt werden, dass die eingetretene emotionale Zuspitzung voraussichtlich bei Beachtung der betrieblich vorgesehenen Modalitäten hätte vermieden werden können. Ohne Zweifel hat das Empfinden des Klägers, er sei gleichsam hilflos dem Handeln seines Vorgesetzten ausgesetzt, dazu beigetragen, dass sich der Kläger zu der schweren Beleidigung des Vorgesetzten hat hinreißen lassen. Bei der Bewertung, inwiefern das Verhalten des Klägers Ausdruck einer nicht behebbaren Uneinsichtigkeit ist, kann dieser Umstand nicht unberücksichtigt bleiben.

(2) Auch die Tatsache, dass der Vorgesetzte W1 die Entschuldigung des Klägers, auch wenn sie erst zeitlich verzögert und nach Rücksprache mit dem Betriebsrat erfolgt ist, persönlich akzeptiert hat, stützt die Einschätzung, dass jedenfalls aus der persönlichen Sicht des Schichtleiters keine Grundlage für die Annahme bestanden hat, der Kläger neige charakterlich zur Unbeherrschtheit, so dass alsbald neue Konflikte zwischen dem Kläger und dem Schichtleiter W1 zu befürchten seien. Allein die Tatsache, dass der Schichtleiter W1 zugleich betont hat, die Annahme der Entschuldigung betreffe nur seine Person, es sei Sache der Geschäftsleitung, eine Entscheidung im Hinblick auf die Vorgesetztenstellung zu treffen, bedeutet allein, dass Herr W1 einer rechtlichen Bewertung durch die Beklagte nicht vorgreifen wollte. Nicht hingegen kann aus dieser Einschränkung etwa hergeleitet werden, Herr W1 nehme dem Kläger die Ernsthaftigkeit seiner Entschuldigung nicht ab und sei auf weitere vergleichbare Verhaltensweisen des Klägers gefasst.

Richtig ist zwar, dass sich der Kläger nicht spontan - noch am Tage der Beleidigung -, sondern erst einige Tage später beim Schichtführer W1 entschuldigt hat. Ob dies - wie die Beklagte meint - erst auf Veranlassung des Betriebsrats hin erfolgt ist oder ob - wie der Kläger vorträgt - er sich aus eigener Initiative um ein Gespräch mit Herrn W1 bemüht hat und die Verzögerung auf dem erteilten Hausverbot beruht, bedarf letztlich keiner Entscheidung. Dafür, dass die Entschuldigung des Klägers allein taktisch motiviert sein könnte, liegen jedenfalls keine Anhaltspunkte vor. Anderenfalls wäre auch nicht verständlich, dass der betroffene Schichtleiter W1 die Entschuldigung des Klägers als ernst gemeint akzeptiert hat.

(3) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Ernsthaftigkeit der Entschuldigung auch nicht mit der Erwägung in Zweifel gezogen werden, der Kläger habe noch im Zuge des Prozesses die Berechtigung des Kündigungsvorwurfs bestritten und durch sein Leugnen den Vorgesetzten W1 gleichsam als Lügner hingestellt. Abgesehen davon, dass es sich bei dem Prozessverhalten des Klägers um solche Umstände handelt, welche erst zeitlich nach Ausspruch der Kündigung aufgetreten sind, bestehen auch in der Sache Bedenken gegen die Annahme, ein Arbeitnehmer, der im Kündigungsschutzprozess die ihm zur Last gelegte Verfehlung bestreite, bringe damit zugleich zum Ausdruck, das ihm zur Last gelegte Verhalten stelle gar keine Vertragsverletzung dar, weswegen er sich eine Wiederholung des beanstandeten Verhaltens vorbehalte. Ebenso wenig kann aus der Tatsache, dass der Arbeitnehmer im Zuge des Kündigungsschutzprozesses die Bedeutsamkeit der Pflichtverletzung durch Behauptung von Entlastungstatsachen oder abschwächende Bewertungen zu relativieren sucht, ganz allgemein zur Grundlage für die Einschätzung genommen werden, dem Arbeitnehmer fehle es von vornherein an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit, weswegen die Erteilung einer Abmahnung ohnehin aussichtslos sei. Zuverlässige Anhaltspunkte für eine fehlende Einsichtsfähigkeit lassen sich vielmehr in der Regel allein aus den Verhalten des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung herleiten.

Für die rechtliche Einschätzung, inwiefern es sich bei dem Fehlverhalten des Arbeitnehmers um eine einmalige Entgleisung handelt oder aber eine entsprechende Wiederholungsgefahr besteht, kommt dem bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses eine maßgebliche Bedeutung zu. Richtig ist zwar, dass das Verhalten des Klägers in der Vergangenheit nicht vollständig unbeanstandet geblieben ist, im Gegenteil knüpft die vom Kläger begangene schwere Beleidigung gerade an die vorangehende Arbeitsverweigerung und die deswegen erteilte Abmahnung an, deren sachliche Berechtigung nicht infrage zu stellen ist. Abgesehen von der abgemahnten Pflichtverletzung hat es aber ersichtlich keine weiteren Probleme mit dem Kläger gegeben, erst recht ist es in keinem Fall zu verbalen Ausfällen oder gar vergleichbar schweren Beleidigungen gekommen, wie dies auf den Kündigungsvorwurf selbst zutrifft. Während bei einem Arbeitnehmer, welcher durch ständige Aufsässigkeit, einen aggressiven Umgangston und laufende Konflikte mit Kollegen und Vorgesetzten in Erscheinung getreten ist, die Einschätzung nahe liegt, auch durch Erteilung einer förmlichen Abmahnung werde sich am unbeherrschten Verhalten des Arbeitnehmers nichts ändern, fehlt es im vorliegenden Fall an jedwedem Anhaltspunkt für eine solche negative Prognose.

(4) Entgegen der Einschätzung der Beklagten kommt auch der Tatsache, dass es sich vorliegend nicht um einen Konflikt unter Kollegen, sondern um eine schwere Beleidigung gegenüber dem Vorgesetzten handelt, keine derart ausschlaggebende Bedeutung zu, dass schon aus diesem Grunde der Ausspruch einer Kündigung unverzichtbar erscheint. Richtig ist zwar, dass der Beleidigung gegenüber Vorgesetzten von vornherein eine deutlich erhöhte Kündigungsrelevanz beizumessen ist, als dies für verbale Konflikte unter Arbeitskollegen zutrifft. Andererseits ist für die Frage, inwiefern das Verhalten des Arbeitnehmers die betriebliche Autorität der Vorgesetzten infrage gestellt ist, nicht allein die Schwere der Beleidigung von Belang. Neben den weiteren, bereits angesprochenen Umständen kommt vielmehr insbesondere dem Umstand Bedeutung zu, inwiefern der ehrverletzende Angriff unter vier Augen oder aber vor der Belegschaft selbst stattgefunden hat. Es leuchtet ein, dass das Ansehen des Vorgesetzten in der Belegschaft und die notwendige Autorität durch eine in der Betriebsöffentlichkeit ausgesprochene Beleidigung nachhaltig beeinträchtigt werden; allein die nachträgliche Entschuldigung und der Umstand, dass der betroffene Vorgesetzte die Entschuldigung persönlich akzeptiert, kann die Gefahr eines Autoritätsverlustes nicht vollständig beseitigen. Dementsprechend wird bei einer bloßstellenden Beleidigung des Vorgesetzten auch durch Erteilung einer Abmahnung vielfach die betriebliche Ordnung nicht wiederherzustellen sein.

Der vorliegende Fall ist demgegenüber durch den Umstand gekennzeichnet, dass der Kläger seinen Vorgesetzten nicht in der Betriebsöffentlichkeit, sondern ohne das Beisein von Zeugen geäußert hat. Der bei dem Abmahnungsgespräch anwesende Mitarbeiter Stumpf war zu dem Zeitpunkt, als sich der Kläger beleidigend geäußert hat, von den Gesprächsbeteiligten jedenfalls soweit entfernt, dass er die zweifach geäußerte Beleidigung nicht gehört hat. Nach der Aussage des Zeugen W1 hat der Kläger seine Äußerung zwar im scharfen Ton, jedoch nicht besonders laut geäußert. Davon, dass es der Kläger darauf angelegt hätte, den Schichtführer W1 bloßzustellen oder jedenfalls den Umständen nach eine solche Bloßstellung unvermeidlich erschien, kann danach nicht ausgegangen werden. Die Tatsache, dass der Vorgang alsdann doch in der Betriebsöffentlichkeit bekannt geworden ist, beruht damit nicht etwa auf einer vom Kläger angestrebten oder hingenommenen breiten Äußerungswirkung, sondern darauf, dass der Schichtführer W1 - verständlicherweise - den Vorgang der Werksleitung gemeldet hat. Sowohl durch die Information des Betriebsrats als auch durch die Besprechung mit den übrigen Schichtleitern zwecks Klärung der Frage, inwiefern eine Umsetzung des Klägers in eine andere Schicht in Betracht käme, ist der Vorgang zwar anschließend einem größeren Personenkreis bekannt geworden. Anders als bei einer Beleidigung des Vorgesetzten vor der Belegschaft folgt hieraus indessen keine Vertiefung der Ehrenkränkung. Indem die Beklagte weder die Sachgerechtigkeit der Arbeitseinteilung durch den Schichtleiter W1 noch die Angemessenheit der erteilten Abmahnung in Zweifel gezogen, sondern ersichtlich dem Schichtführer W1 "den Rücken gestärkt" hat, hat sie in ausreichender Weise gegenüber dem informierten Personenkreis verdeutlicht, dass ihr Vertrauen in die Vorgesetztenrolle des Herrn W1 uneingeschränkt fortbesteht. Dann tritt aber der Gesichtspunkt der "Wahrung der Autorität der Vorgesetzten" im Zuge der erforderlichen Interessenabwägung zurück. Davon, dass allein durch die konsequente Entfernung des Klägers aus dem Betrieb die betriebliche Ordnung aufrechterhalten werden könne, kann unter den vorliegenden Umständen keine Rede sein.

c) Unter diesen Umständen war nach Auffassung der Kammer - trotz der Schwere der Pflichtverletzung - die Erteilung einer Abmahnung ausreichend, um zum einen - im Verhältnis zum Kläger - einer Wiederholung derartiger Pflichtverletzungen mit Nachdruck entgegenzuwirken und zum anderen - im Verhältnis zur Betriebsöffentlichkeit - zu verdeutlichen, dass die Beklagte ein derartiges Verhalten nicht toleriert. Neben der Erteilung der Abmahnung kam - der Anregung des Betriebsrats entsprechend - ggfls. auch eine Umsetzung des Klägers in eine andere Schicht in Betracht. Allein der Umstand, dass die übrigen Schichtführer in der Besprechung vom 08.11.2007 eine derartige Umbesetzung abgelehnt hatten, steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Soweit es hierzu in der Gesprächsnotiz vom 09.11.2007 heißt, Schichtführer und Spritzereileiter hätten eine Umbesetzung mit der Begründung abgelehnt, sie befürchteten Probleme mit dem Kläger, welcher sich nur auf seine Kollegen verlasse und keine Ordnung halte, kann dieser subjektiven Einschätzung keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Inwiefern der Kläger in der Vergangenheit bei einem Einsatz unter anderen Schichtführern durch irgendwelche Probleme auffällig geworden ist, welche die Schlussfolgerungen rechtfertigen, der Kläger sei ohnehin nicht bereit oder außerstande, sich in die betriebliche Ordnung einzufügen, lässt sich dem Prozessvortrag der Beklagten auch nicht ansatzweise entnehmen.

4. Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich zugleich auch die fehlende soziale Rechtfertigung der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. Auch insoweit greift die Einschätzung durch, dass anstelle einer Kündigung die Erteilung einer Abmahnung als ausreichend anzusehen war.

II

Aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergibt sich die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits arbeitsvertragsgemäß weiterzubeschäftigen.

III

Ebenso steht dem Kläger im Hinblick auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses zu. Soweit die Beklagte in Bezug auf dieses Begehren eine eigenständige Berufungsbegründung vermisst und hieraus möglicherweise eine teilweise Unzulässigkeit der Berufung herleiten will, überzeugt dies nicht. Nachdem das Arbeitsgericht den diesbezüglichen Klageantrag unter Ziffer 3) der Urteilsgründe ausdrücklich mit der Erwägung abgewiesen hat, wegen der Abweisung des Kündigungsfeststellungsantrages könne der Kläger auch kein Zwischenzeugnis verlangen, bedurfte es einer eigenständigen Berufungsbegründung hinsichtlich dieses Streitgegenstandes nicht.

IV

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen, da sie unterlegen ist.

V

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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