Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.01.2004
Aktenzeichen: 8 Sa 907/03
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 72
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 25.02.2003 - 7 Ca 4507/02 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, welche die Beklagte auf Leistungs- oder Eignungsmängel stützt.

Die Beklagte befasst sich mit dem Telefonvertrieb von Lotto-Tipp-Systemen. Aufgabe des Klägers, der seit dem 10.12.2001 als Call-Center-Agent für die Beklagte gegen eine Stundenvergütung von zuletzt 15,23 EUR brutto und einer regelmäßigen Arbeitszeit von 20 Stunden/Woche tätig war, erhielt zu diesem Zweck Datensätze mit Telefonnummern potentieller Kunden ausgehändigt, zu welchen er telefonisch Kontakt aufzunehmen hatte. Bei Interesse wurden dem Kunden entsprechende Vertragsunterlagen zugeschickt, worauf es von der Entscheidung des Kunden abhing, den Vertragsschluss zeitnah zu widerrufen oder bis zu einer Kündigung des Vertrages am vereinbarten Lotto-Tipp-System teilzunehmen.

Da der Kläger - wie die Beklagte behauptet - unterdurchschnittliche Leistungen zeigte, insbesondere die erwartete Leistung von einem Vertragsschluss je Stunde nicht erreichte und eine überdurchschnittlich hohe Stornoquote von 67% aufzuweisen hatte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 22.07.2002 (Bl. 3 d.A.) das Arbeitsverhältnis zum 05.08.2002. Insoweit besteht unter den Parteien Einigkeit, dass die Kündigung frühestens zum 31.08.2002 Wirksamkeit entfalten kann.

Durch Urteil vom 25.02.2003 (Bl. 53 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden ist; ferner ist die Beklagte zur arbeitsvertragsgemäßen Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits verurteilt worden. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, die behaupteten Schlechtleistungen könnten als wahr unterstellt werden, da es jedenfalls am Erfordernis einer Abmahnung fehle. Allein die Tatsache, dass dem Kläger bei Beginn des Arbeitsverhältnisses mitgeteilt worden sei, welche Leistung von ihm erwartet werde, mache eine Abmahnung nicht entbehrlich. Soweit die Beklagte hilfsweise vortrage, dem Kläger fehle die erforderliche Eignung, handele es sich um eine bloße Vermutung.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens gegen den Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils und trägt vor:

Bereits von Beginn des Arbeitsverhältnisses an, ferner im Verlauf einer Schulungsveranstaltung sowie auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses sei den Mitarbeitern - so auch dem Kläger - mitgeteilt worden, dass mindestens ein Kunde pro Arbeitsstunde akquiriert werden müsse. Anders als der Kläger erreichten die durchschnittlichen Mitarbeiter der Beklagten die vorgegebene Quote. Setze man diese mit der Durchschnittsziffer 1 an, so habe der Kläger demgegenüber lediglich folgende Durchschnittswerte erreicht

März 2002 0,62

April 2002 0,44

Mai 2002 0,57

Juni 2002 0,84

Juli 2002 0,66

Wie sich weiterhin aus der bereits im ersten Rechtszug vorgelegten Stornoliste (Bl.38 ff.) ergebe, seien allein im Zeitraum Januar bis Juli 2002 von 312 Kunden die Verträge wieder storniert worden. Damit liege der Kläger erheblich über dem Durchschnitt. Abweichend vom erstinstanzlichen Vorbringen, welches auf einem Informationsversehen beruhe, sei der Kläger sehr wohl vor Ausspruch der Kündigung abgemahnt worden, und zwar Anfang Juli 2002. In diesem Gespräch habe die Prokuristin Frau M2xxxxx den Kläger darauf hingewiesen, dass er im Falle einer Nichtverbesserung der Abschlussquote mit negativen Auswirkungen für sein Arbeitsverhältnis zu rechnen habe. Unabhängig hiervon belege im Übrigen die Tatsache, dass der Kläger im Laufe des Arbeitsverhältnisses keine Leistungssteigerung aufgewiesen habe, sondern seine Stornoquote in den letzten vier Monaten des Arbeitsverhältnisses kontinuierlich überdurchschnittlich hoch gewesen sei, die fehlende Eignung des Klägers zur Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung. In einem solchen Fall sei der Ausspruch einer Abmahnung ohnehin entbehrlich.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Dortmund vom 25.02.2003 - 7 Ca 4507/02 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und führt aus, die von der Beklagten als Vorgabe genannte Stornoquote 0% könne schon deswegen nicht zutreffen, weil nicht zu erwarten sei, dass einmal geworbene Kunden zeitlich unbegrenzt am Lottospiel teilnähmen; dementsprechend würden irgendwann alle Verträge einmal beendet. Ebenso wenig treffe die Behauptung der Beklagten zu, ein durchschnittlicher Mitarbeiter der Beklagten erreiche vier Abschlüsse pro Schicht. Selbst wenn andere Mitarbeiter eine entsprechende Leistung erreichten, belege dies weder, dass der Kläger von seinem individuellen Leistungsvermögen abweiche, noch könne überhaupt davon ausgegangen werden, dass die erreichte Abschlussquote ausschließlich vom Einsatz des Call-Agenten abhängig sei. Es müsse nämlich berücksichtigt werden, dass es Unterschiede bei den übergebenen Datensätzen gebe. Bei Kunden, welche in der Vergangenheit bereits schon einmal Interesse an einem Vertragsabschluss gezeigt hätten, sei eine höhere Abschlussquote zu erreichen als bei Neukunden oder gar bei solchen Personen, welche in der Vergangenheit bereits ihr Desinteresse an einem Vertragsschluss geäußert hätten. Zur Begründung der behaupteten Leistungsmängel seien damit die vorgetragenen Zahlen ohnehin nicht geeignet. Davon abgesehen fehle es am Erfordernis einer Abmahnung. Weder sei der Kläger von Frau M2xxxxx Anfang Juli 2002 auf "negative Auswirkungen" für sein Arbeitsverhältnis hingewiesen worden, noch erfülle ein solches Gespräch die Voraussetzungen einer Abmahnung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I

Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ausgesprochene Kündigung nicht beendet worden ist.

Die Kammer folgt den zutreffenden Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils und sieht sich allein im Hinblick auf das zweitinstanzliche Vorbringen der Beklagten zu folgenden Ergänzungen veranlasst:

1. Kennzeichnend für die verhaltensbedingte Kündigung ist das Vorliegen einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung (vgl. zuletzt Hunold BB 2003,2345 m.w.N.). Die arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers sind handlungs- nicht erfolgsbezogen. Dementsprechend setzt der schlüssige Vortrag einer Pflichtverletzung die Angabe voraus, welche konkrete Verhaltenspflicht der Arbeitnehmer zu erfüllen hatte und inwiefern sein Verhalten - gemessen an der bestehenden Verpflichtung - als rechtswidrige und schuldhafte Pflichtverletzung anzusehen ist. Dass der Kläger - entgegen den bestehenden Verpflichtungen - die ihm aufgetragenen Anrufe gar nicht getätigt hat, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Ebenso wenig lässt sich erkennen, inwiefern der Kläger bei Durchführung der Telefonate von den bestehenden Vorgaben, wie sie in dem vom Kläger erwähnten Leitfaden enthalten sind, abgewichen ist. Die - als wahr unterstellte - Tatsache, dass der Kläger bei seinen Telefonaten weniger erfolgreich war als andere Mitarbeiter, muss keineswegs Ausdruck eines vorwerfbaren Verhaltens sein, für den Erfolg eines Verkäufers sind vielmehr auch weitere, vom Verkäufer nicht zu beeinflussende Umstände maßgeblich. Hierauf hat der Kläger zutreffend in der Berufungserwiderung hingewiesen, indem er ausführt, dass Kunden, welche bereits in der Vergangenheit schon einmal Interesse an einem Vertragsschluss bekundet haben, bessere Verkaufschancen bieten als solche, welche schon in der Vergangenheit einen Vertragsschluss abgelehnt haben.

Aber auch wenn man hiervon absieht und zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass sämtliche Agenten mit gleichartigen Datensätzen zu arbeiten hatten, so dass in der behaupteten unterdurchschnittlichen Erfolgsquote des Klägers ein Indiz im Sinne eines Beweisanzeichens für eine dem Kläger als Vertragspflichtverletzung zuzurechnende Minderleistung zu sehen wäre, fehlt es jedenfalls, und zwar auch auf der Grundlage des zweitinstanzlichen Vorbringens der Beklagten, sowohl an der Darlegung, worin konkret das behauptete Fehlverhalten des Klägers liegt - um dies vortragen zu können hätte die Beklagte ggfls. das Telefonverhalten des Klägers beobachten und entsprechende Mängel (mangelnde Höflichkeit, ungelenke Ausdrucksweise, Argumentationsdefizite o. ä.) aufdecken müssen -, ferner am Erfordernis einer Abmahnung.

Unabhängig davon, ob es dem Abmahnungserfordernis entspricht, dem Arbeitnehmer für den Fall erneuter Pflichtverletzungen allgemein "Konsequenzen" anzudrohen - hiermit muss nicht notwendig eine Kündigung gemeint sein -, erfordert die Abmahnung nämlich eine konkrete Bezeichnung der als vertragswidrig angesehenen Verhaltensweisen. Allein die Beanstandung der "Erfolglosigkeit" ist nämlich nicht geeignet, dem Arbeitnehmer zu verdeutlichen, worin die angeblich verletzte Verhaltenspflicht liegen soll und welche Verhaltensweisen er künftig an den Tag legen muss, um der angedrohten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu entgehen. Nicht anders als der gesamte Prozessvortrag der Beklagten zur Pflichtverletzung des Klägers leidet aber auch der Vortrag zur Abmahnung an dem Mangel, dass auch nicht ansatzweise erkennbar wird, welche konkrete Verhaltenspflichtverletzung im Abmahnungsgespräch beanstandet worden ist und welche Verhaltensänderung vom Kläger erwartet wurde, um den angedrohten Konsequenzen bzw. einer verhaltensbedingten Kündigung zu entgehen.

2. Die Beklagte kann die ausgesprochene Kündigung auch nicht erfolgreich auf den Gesichtspunkt eines "Eignungsmangels" im Sinne einer personenbedingten Kündigung stützen. Auch für diesen Kündigungsgrund genügt es nämlich nicht, dass der Kläger die behauptete Zielvorgabe der Beklagten von einer Kundenakquisition je Stunde nicht erreicht hat. Vielmehr gehört es zur schlüssigen Darlegung eines Eignungsmangels, die maßgeblichen Arbeitsplatzanforderungen und diejenigen Umstände, welche einen Eignungsmangel des Arbeitnehmers begründen sollen, so konkret darzustellen, dass nachvollzogen und gegebenenfalls bewiesen werden kann, dass die Ursache für die festgestellte Diskrepanz auf einem unbehebbaren Defizit an Eignungsmerkmalen beruht. Kann hingegen der Arbeitnehmer die fehlende Qualifikation bei entsprechenden Bemühungen noch erwerben, so ist zuvor dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, seine Arbeitsweise den Anforderungen anzupassen. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht in der bekannten Entscheidung vom 29.07.1976 (3 AZR 50/75 - AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung) ausgeführt, dass selbst bei herausgehobenen Qualifikationsmerkmalen wie den Führungseigenschaften eines Konzertmeisters Defizite nicht notwendig auf einer persönlichen Veranlagung im Sinne eines unbehebbaren Eignungsmangels beruhen müssen, sondern zunächst einmal von der Entwicklungsfähigkeit des Arbeitnehmers auszugehen ist. Erst wenn der Arbeitnehmer - trotz konkreter Beanstandungen seiner Arbeitsweise - sein Verhalten nicht ändert, kann von einem unbehebbaren Eignungsmangel ausgegangen werden.

Diesen Anforderungen wird der Beklagtenvortrag nicht gerecht. Weder ist - mangels näherer Darlegung der handlungsbezogenen Arbeitsanforderungen - erkennbar, in welcher Hinsicht der Kläger mit seiner individuellen persönlichen Eignung hinter den geforderten persönlichen Eignungsmerkmalen zurückbleibt, noch ist dem Kläger in dem behaupteten Gespräch aus Juli 2002 in ausreichender Weise Gelegenheit gegeben worden, sein Verhalten an die bestehenden Anforderungen anzupassen und sich um die Überwindung bestehender Defizite zu bemühen. Schon der kurze Zeitraum vom behaupteten Abmahnungsgespräch Anfang Juli bis zur Kündigung vom 22.07.2002 steht im Übrigen der Annahme entgegen, dem Kläger sei ausreichend Gelegenheit zur Verbesserung seiner Fähigkeiten eingeräumt worden.

II

Aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergibt sich die Verpflichtung der Beklagten zur arbeitsvertraglichen Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits.

III

Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.

IV

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück