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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 15.09.2005
Aktenzeichen: 11 (12) TaBV 27/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr .10 BetrVG (betriebliche Lohngestaltung) ist nach ständiger Rechtsprechung zwischen dem mitbestimmungsfreien "ob" und dem mitbe-stimmungspflichtigen "wie" zu unterscheiden. Die Entscheidung darüber, die vom Ar-beitgeber für einen bestimmten Zweck zur Verfügung gestellten Mittel ganz, nur teil-weise oder (noch) gar nicht an die Arbeitnehmer zu verteilen, betrifft das mitbestim-mungspflichtige "wie".
Tenor:

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 18.03.2003 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln - 7 BV 72/02 - vom 20.01.2003 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit freiwilliger Leistungen des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer ohne Zustimmung des Gesamtbetriebsrats. Der Antragsteller ist der für das Bodenpersonal zuständige Gesamtbetriebsrat im Unternehmen der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin informierte den Antragsteller im Rahmen einer Gesamtbetriebsratssitzung vom 04./05.12.2001 darüber, dass sie beabsichtige, den Mitarbeitern der Leitungsebene III - unstreitig keine leitende Angestellten - einmal jährlich einen zu 90 % ermäßigten "Führungskräfteflug" zu ermöglichen. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Leistung der Antragsgegnerin. Zur Gewährung dieser freiwilligen Leistung existieren konzernweite Regelungen, die aber im einzelnen streitig sind. Jedenfalls bestanden diese Regelungen schon lange bevor die Antragsgegnerin den Führungskräfteflug bei ihr einführen wollte. Mit Schreiben vom 12.12.2001 reklamierte der Antragsteller ein Mitbestimmungsrecht in dieser Angelegenheit und begründete seine ablehnende Haltung in einer weiteren Sitzung vom 08.01.2002 unter Hinweis darauf, dass er eine Schlechterstellung anderer langjährig beschäftigter Mitarbeiter sehe. Zu einer Einigung kam es nicht. Die Antragsgegnerin erklärte, die Angelegenheit sei nicht mitbestimmungspflichtig und führte die Möglichkeit des genannten Freifluges mit sofortiger Wirkung ein. Mit seinem am 16.04.2002 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Antrag hat der Antragsteller beantragt,

1. der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Antragstellers bzw. einen die Zustimmung ersetzenden Spruch der Einigungsstelle den Mitarbeitern der Leitungsebene III einmal jährlich einen kostenfreien "Führungskräfteflug" zu ermöglichen;

2. der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung entsprechend dem Antrag zu 1. ein Ordnungsgeld, das in Höhe in das Ermessen des Gerichts gesetzt wird, anzudrohen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass ein Mitbestimmungsrecht nicht bestehe. Mitbestimmungsfrei sei nämlich zunächst die Entscheidung des Arbeitgebers, ob und in welchem Umfang er finanzielle Mittel für zusätzliche Leistungen einsetzen wolle. Mit dieser Entscheidung hänge die weitere Entscheidung eng zusammen, welchen Zweck der Arbeitgeber mit der Leistung verfolgen wolle. Hiervon wiederum hänge der Personenkreis ab, für den die geplante Leistung gedacht sei. Mit Beschluss vom 29.01.2003 hat das Arbeitsgericht den Anträgen des antragstellenden Gesamtbetriebsrats stattgegeben, mit der Begründung, dem Gesamtbetriebsrat stehe ein Mitbestimmungsrecht im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu. Zwar könne der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, ob er überhaupt freiwillige Leistungen erbringen wolle und in welchem Umfang er die Leistung anbiete. Die Zweckbestimmung könne auch zur Folge haben, dass damit zugleich der Personenkreis bestimmt sei, dem eine solche Leistung zugute kommen solle, so dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eine "leere Hülle" sei. Voraussetzung dafür sei aber, dass die gewährte Leistung von der Zweckbestimmung her zwingend und untrennbar mit einem bestimmten Personenkreis verbunden sei. Dies sei hier nicht der Fall, jedenfalls sei es der Antragsgegnerin nicht gelungen, eine entsprechende Zweckbestimmung zu verdeutlichen. Gegen den ihr am 24.02.2003 zugestellten erstinstanzlichen Beschluss hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt, die am 23.04.2003 begründet worden ist. Sie hält weiterhin an ihrer Rechtsauffassung fest, dem Antragsteller stehe im Hinblick auf den Führungskräfteflug keinerlei Mitbestimmungsrecht zu. Die Antragsgegnerin könne mitbestimmungsfrei auch über den begünstigten Personenkreis bestimmen, soweit sie dies abstrakt tue. Dies sei hier durch die Entscheidung geschehen, den Mitarbeitern der Leitungsebene III die freiwillige Leistung zu gewähren. Der Antragsteller habe sich in der außergerichtlichen Korrespondenz aber gerade gegen diese abstrakte Entscheidung gewandt. Die Zweckbestimmung und die Festlegung des begünstigten Personenkreises sei konzernübergreifend. Selbst wenn ein Mitbestimmungsrecht bestünde, sei ihrer Auffassung nach der Konzernbetriebsrat zuständig. Ihr fehle auch jeglicher Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Fragen, welchem Personenkreis sie die freiwillige Leistung zu welchen Bedingungen gewähre, da der finanzielle Umfang, der Personenkreis, die Zweckbestimmung sowie die Ausgestaltung der Vergünstigung vom Konzern vorgegeben seien. Jedenfalls liege aber aufgrund der beschriebenen Konzernvorgaben eine Ermessensbindung vor, die das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers entfallen lasse, weil auch sie selbst keinen Entscheidungsspielraum mehr habe. Die Antragsgegnerin beantragt, Den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 29.01.2003 - 7 BV 72/02 - aufzuheben und die Anträge des Beteiligten zu 1) zurückzuweisen. Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Vertiefung seines Vortrages aus erster Instanz. Nach der erstinstanzlichen Entscheidung vom 29.01.2003 und der Erhebung der hier zu entscheidenden Beschwerde durch die Antragsgegnerin ist das Verfahren auf Antrag beider Parteien zum Ruhen gebracht worden. Die Antragsgegnerin hat die Führungskräfteflüge ihren Mitarbeitern in dieser Zeit nicht mehr angeboten und es wurde ein freiwilliges Einigungsstellenverfahren durchgeführt. Der Spruch dieser Einigungsstelle ist aber durch ein weiteres Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht Köln angefochten worden. Die dort stattgebende Entscheidung ist vom Landesarbeitsgericht Köln bestätigt worden - 7 TaBV 74/04. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und ihre Anlagen. II. 1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG), frist- sowie formgerecht erhoben (§§ 89 Abs. 1, 2; 87 Abs. 2 i. V. m. § 66 Abs. 1 ArbGG) und auch ausreichend im Sinne des § 89 Abs. 2 ArbGG begründet worden ist. 2. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Anträgen stattgegeben. a) Die Antragsgegnerin muss das Angebot von Führungskräfteflügen unterlassen, wenn hierzu nicht die Zustimmung des Antragstellers oder der Spruch der Einigungsstelle vorliegt. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 87 Abs. 2 Nr. 7 BetrVG i. V. m. § 2 BetrVG und den vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätzen zum allgemeinen Unterlassungsanspruch (BAG, Beschluss vom 03.05.1994 - 1 ABR 24/93 - AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG, B III 1. der Gründe). (1) Das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Konzernbetriebsrat ausschließlich zuständig wäre. Gemäß § 58 Abs. 1 BetrVG ist der Konzernbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden können. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zunächst ist festzustellen, dass die Antragsgegnerin trotz wiederholter Rüge durch den Antragsteller bis zuletzt die von ihr behaupteten Konzernvorgaben weder im einzelnen bestimmt noch in Kopie vorgelegt hat. Dass es sich hier nicht um eine Angelegenheit handelt, die nur konzernweit geregelt werden kann, zeigt sich jedenfalls in der Tatsache, dass die Antragsgegnerin unstreitig über Jahre hinweg - trotz der konzernweit eingeräumten Möglichkeit - für ihre Mitarbeiter den Führungskräfteflug nicht angeboten hat und das Angebot auch nach der erstinstanzlichen Entscheidung wieder einstellen konnte. (2) Aus dem gleichen Gesichtspunkt ist das Mitbestimmungsrecht auch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Antragsgegnerin selbst keine Entscheidungsspielräume mehr hätte. Über die besagte Entscheidungsfreiheit hinaus, den konzernweit ermöglichten Führungskräfteflug im eigenen Unternehmen anzubieten oder nicht, kann die Antragsgegnerin innerhalb der von ihr dargestellten "Konzernvorgaben" bestimmen, welche Arbeitnehmer aus dem abstrakt beschriebenen Personenkreis (nach Voraussetzungen wie z. B. Dienstalter, Lebensalter, Abwesenheitstage usw.), wann (z. B. an welchen Wochentagen, nur in oder außerhalb der Schulferien, nur in einer bestimmten Jahreszeit usw.) und unter Beachtung von welchem Verfahren (z. B. Ankündigungsfristen etc.) den Führungskräfteflug in Anspruch nehmen dürfen. (3) Der Betriebsrat hat mitzubestimmen gemäß § 87 Abs. 1 Nr.10 BetrVG. Die Regelung gibt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 29.02.2000 - 1 ABR 4/99 - AP Nr. 105 zu § 87 BetrVG, II 1 b bb der Gründe) alle vermögenswerten Leistungen des Arbeitgebers und damit auch alle übertariflich gezahlten Zulagen, Boni und Sachleistungen sein. Gewährt der Arbeitgeber eine solche Leistung freiwillig, so wird hierdurch das Mitbestimmungsrecht nicht ausgeschlossen. Der Arbeitgeber ist lediglich frei in seiner Entscheidung darüber, ob er die Leistung erbringt, welche Mittel er hierfür zur Verfügung stellt, welchen Zweck er mit ihr verfolgen will und wie der begünstigte Personenkreis abstrakt bestimmt werden soll. Im übrigen besteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, denn es soll die Arbeitnehmer vor einer einseitigen Lohngestaltung schützen. Soweit in den einschlägigen Entscheidungen des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts die Rede davon ist, das "Ob" der freiwilligen Leistung sei mitbestimmungsfrei, so betrifft dies die Bereitschaft des Arbeitgebers überhaupt übertarifliche Mittel zur Verfügung zu stellen und (z. B. weil ihr der vom Betriebsrat vorgeschlagene Verteilungsschlüssel nicht zusagt) diese Mittel auch wieder zu streichen. Dass er zu dieser Bereitschaft nicht durch das Initiativrecht des Betriebsrats und ggfs. durch die Einigungsstelle gezwungen werden kann, ist evident und ergibt sich im übrigen aus § 77 Abs. 3 BetrVG. An dieser Stelle endet aber das mitbestimmungsfreie "Ob", denn das unzweifelhaft mitbestimmungspflichtige "Wie" beinhaltet die denkbare Möglichkeit, dass die zur Verfügung gestellten Mittel (z. B. zunächst) gar nicht verteilt werden (vgl. BAG, Beschluss vom 08.12.1981 - 1 ABR 55/79 - AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie, II 1 der Gründe). Da die so verstandene Ausgestaltung der freiwilligen Leistung des Arbeitgebers mitbestimmungspflichtig ist, kommt eine Auszahlung und Gewährung der Leistung nur mit Zustimmung des Betriebsrats in Betracht. Die Motivation des Betriebsrats für die Zustimmungsverweigerung ist dabei ohne Belang, denn § 87 BetrVG kennt keinen Zustimmungsverweigerungskatalog wie z. B. § 99 Abs. 2 BetrVG. Die Durchführung der Führungskräfteflüge in den Jahren 2002 und 2003 erfolgte mithin mitbestimmungswidrig. (4) Auch die für den Unterlassungsanspruch notwendige Wiederholungsgefahr liegt vor. Erforderlich ist eine ernstliche, sich auf Tatsachen gründende Besorgnis weiterer Eingriffe zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung. Dafür besteht grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung, es sei denn, dass z. B. die tatsächliche Entwicklung einen neuen Eingriff unwahrscheinlich macht (Palandt/Thomas, Einführung vor § 823 Rn. 24). Eine solche tatsächliche Entwicklung liegt hier aber nicht vor. Bei dem Angebot der Führungskräfteflüge handelt es sich nicht um einen einmaligen Vorgang, der als abgeschlossen betrachtet werden kann (wie im Fall des Beschlusses des 1. Senates vom 29.02.2000 - 1 ABR 4/99 - AP Nr. 105 zu § 87 BetrVG). Vielmehr streiten die Beteiligten nicht nur hier sondern auch im Rahmen des Parallelverfahrens zur Anfechtung des Einigungsstellenspruches um die weitere Praxis der "Freiflüge". Die Tatsache, dass der Gesamtbetriebsratsvorsitzende in der mündlichen Berufungsverhandlung von einem soeben mit der Personalleiterin geführten Telefongespräch berichtet hat, in dem diese ihm mitgeteilt habe, am Mitbestimmungsrecht bestehe kein Zweifel mehr, ist ebenfalls nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr zu verneinen, denn der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat dieser Darstellung ausdrücklich widersprochen und den Zurückweisungsantrag gestellt. Nach alledem besteht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch. b) Da dem Antragsteller ein Unterlassungsanspruch zusteht, war der Antragsgegnerin auch ein Ordnungsgeld anzudrohen. Folglich ist auch der Antrag zu 2. begründet. III. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei. Der vorliegende Einzelfall wirft keine Fragen grundsätzlicher Bedeutung auf. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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