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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 21.06.2002
Aktenzeichen: 11 Sa 87/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 516 a.F.
ZPO § 519 b Abs. 1 S. 1 a.F.
1. Die Rechtsprechung der LAG nimmt z. T. an, eine für die Zulässigkeit einer Berufung erforderliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils könne in der gesetzlich geforderten Weise nicht erfolgen, wenn die Berufung vor Zustellung des Urteils begründet wird; es bleibt offen, ob dem beizutreten ist.

2. Nach anderer Ansicht ist die Zustellung des Urteils vor Berufungsbegründung nicht erforderlich, solange der Berufungskläger bei Abfassung der Berufungsbegründung die Urteilsgründe aus anderen Quellen kennt.

3. Eine dritte Ansicht fordert bei der Abfassung der Berufungsbegründung überhaupt keine Kenntnis der Urteilsgründe; doch auch in diesem Fall muss die Berufungsbegründung die Urteilsgründe "treffen" - und sei es auch nur zufällig; andernfalls ist die Berufung unzulässig.

4. Es bleibt offen, ob die Rechtsprechung zum "Urteil ohne Gründe", das in vollständiger Form erst nach Ablauf der Fünf-Monats-Frist vom Richter der Geschäftsstelle übergeben wird, übertragbar ist auf Fälle, in denen diese Übergabe zwar rechtzeitig erfolgt ist die Zustellung des Urteils jedoch durch Verzögerungen im Verantwortungsbereich der Verwaltung erst nach Ablauf der Fünf-Monats-Frist erfolgt.

5. Jedenfalls kommt dem Berufungskläger für seine Berufungsbegründung nur dann das Privileg eines "Urteils ohne Gründe" zugute, wenn die Fünf-Monats-Frist bereits bei Eintragung der Berufung abgelaufen war und nicht erst zwischen Einlegung und Begründung abläuft.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 11 Sa 87/02

Verkündet am: 21.06.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 21.06.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Hahn und Meaubert

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 04.09.2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 16 Ca 431/01 - wird auf ihre Kosten verworfen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

(abgekürzt gem. § 69 Abs.2 ArbGG)

Die Parteien - nämlich die beklage GmbH & Co KG, die Ton-, insbesondere Musikaufnahmen produziert und vermarktet und die seit April 1991 von ihr als "Produktmanagerin" vollzeitig neben weiteren vierzehn Kollegen beschäftigte, u.a. für die Betreuung der in Vertrag genommenen Künstler zuständige Klägerin - streiten um die Forderung der Klägerin nach Verringerung der Arbeitszeit gem. § 15 Abs.6 BErzGG i.d.F. v. 01. 01. 2001. Die Klägerin, die am 16. 01. 2001 niedergekommen ist, hat mit E-Mail vom 21. 02. 2001 "die vollen drei Jahre" Elternzeit ("Erziehungsurlaub") beansprucht und gleichzeitig mitgeteilt, sie wolle innerhalb dieser Zeit "voraussichtlich ab Oktober 2001" in Teilzeit "19 Stunden die Woche" arbeiten. Nachdem die Beklagte den Wunsch nach Verringerung der Arbeitszeit mit Schreiben vom 27. 02. 2001 und 30. 03. 2001 abgelehnt hatte, hat die Klägerin mit vorliegender Klage beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, der Verringerung der Arbeitszeit auf 19 Wochenstunden, beginnend ab dem 01. 10. 2001 bis zur Beendigung des Erziehungsurlaubs zuzustimmen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit seinem am 04. 09. 2001 verkündeten Urteil stattgegeben. Das Urteil wurde der Beklagten am 05. 03. 2002 zugestellt. Zuvor - nämlich am 29. 01. 2002 - hat die Beklagte Berufung eingelegt, die sie am 28. 02. 2002 begründet hat.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist gem. § 519b Abs.1 S.2 ZPO a.F. (§ 26 Nr.5 EGZPO) unzulässig. Sie ist nicht in der von § 519 Abs.3 Nr.2 ZPO a.F. (§ 26 Nr.5 EGZPO) vorgeschriebenen Form begründet worden. Nach dieser Vorschrift muß die Berufungsbegründung die "Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe)" enthalten. Nach allgemeiner Meinung bedeutet dies, daß die Berufungsbegründung die Punkte tatsächlicher oder rechtlicher Art im angefochtenen Urteil bezeichnen muß, die der Berufungskläger für unzutreffend hält und andererseits die Gründe, aus denen sich seiner Ansicht nach die Unrichtigkeit dieser Punkte ergeben soll (BAG. Urteil vom 21. 06. 1958 - 2 AZR 15/58 in AP Nr.9 zu § 519 ZPO; Urteil vom 20. 07. 1971 - 1 AZR 314/70 in AP Nr.25 zu § 519 ZPO; BGH, Beschl. vom 18. 02. 1981 - IV b ZB 505/81 in NJW 1981, 1620; Urteil vom 09. 03. 1995 - IX ZR 143/94 in AP Nr.46 zu § 519 ZPO unter II 2; Rimmelspacher in MünchKommZPO, 2. Aufl., § 519 Rn. 42; Baumbach/Albers, ZPO, 59. Aufl., § 519 Rn. 23; Zöller/Schneider, ZPO, 17. Aufl., § 519 Rn. 35; Thomas/Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 519 Rn. 22; GK-ArbGG/Vossen § 66 Rn. 133; ArbGV-Knipp § 64 Rn. 32). Insbesondere bei Angriffen gegen die rechtlichen Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils muß sich der Berufungskläger in der Berufungsbegründung mit dem angefochtenen Urteil auseinandersetzen (LAG Berlin, Urteil vom 16. 06. 1980 - 9 Sa 25/80 in AP Nr.31 zu § 519 ZPO). Daran fehlt es in der Berufungsbegründung der Beklagten:

Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte hat zum Teil angenommen, eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils könne in der gesetzlich geforderten Weise grundsätzlich nicht erfolgen, wenn die Berufung vor Zustellung des Urteils begründet werde, da dies die Kenntnis der Gründe voraussetze (LAG Nürnberg, Urteil vom 30. 12. 1986 - 2 Sa 112/85 in LAGE § 519 ZPO Nr.2; LAG Frankfurt, Urteil vom 21. 01. 1992 - 5 Sa 1605/90 in LAGE § 519 ZPO Nr.7; LAG Köln, Urteil vom 21. 05. 1992 - 10 Sa 261/92 in LAGE § 519 ZPO Nr.6; LAG Hamm, Urteil vom 01. 06. 1994 - 10 <5> Sa 1154/93 in LAGE § 66 ArbGG Nr.13). Daran gemessen wäre die Berufung ohne weitere Prüfung als unzulässig zu verwerfen.

Nach einer großzügigeren Ansicht (Rimmelspacher-Münch-Komm ZPO, 2. Aufl., § 519 Rn. 42; BGH, Urteil vom 24. 06. 1999 - I ZR 164/97 in NJW 1999, 3269) soll es gleichgültig sein, ob der Berufungskläger die Kenntnis von den bekämpften Urteilsgründen aus der Lektüre des schriftlichen Urteils bezieht oder aus sonstigen Quellen - etwa aus einer mündlichen Urteilsbegründung oder einem gerichtlichen Hinweisbeschluß. Dies hilft der Beklagten aber nicht weiter, weil sie bei Urteilsverkündung nicht anwesend war und auch sonst keine Quelle ersichtlich ist, durch die ihr die späteren schriftlichen Gründe zugänglich geworden sein könnten.

Am weitesten geht die Ansicht, die für die Berufungsbegründung eine positive Kenntnisnahme von den Urteilsgründen gar nicht verlangt (GK-ArbGG/Vossen § 66 Rn. 10). Auch diese Ansicht hilft der Beklagten aber nicht, weil ein Berufungskläger, der ohne Kenntnis der Urteilsgründe sein Rechtsmittel begründet, auch nach dieser Ansicht auf eigenes Risiko handelt: Er geht das Risiko ein, eine Berufungsbegründung vorzulegen, die dem § 519 Abs.3 Nr.2 ZPO a.F. (§ 520 Abs.3 S.2 ZPO n.F.) nicht genügt (GK-ArbGG/Vossen a.a.O.). Da er die Urteilsgründe nicht kennt, können seine Angriffe die konkreten Argumente des Arbeitsgerichts praktisch nur rein zufällig treffen. Eben daran fehlt es hier; die Angriffe der Beklagten "treffen" die Gründe des angefochtenen Urteils nicht:

Das Arbeitsgericht führt zur Zulässigkeit der Klage aus, der Klageantrag sei hinreichend bestimmt und gibt unter Anführung von Literatur an, warum das so ist: warum die Lage der Arbeitszeit im Antrag nicht anzugeben ist; daß im vorliegenden Antrag die Dauer der gewünschten Teilzeitbeschäftigung angegeben ist ("bis zum Ende ihrer dreijährigen Elternzeit im Januar 2002"), schließlich daß und warum die Klägerin die richtige Klageart gewählt hat. Zu all diesen Gründen enthält die Berufungsbegründung, die erneut die Zulässigkeit der Klage rügt, nichts: Sie wiederholt zwar den Vorwurf, der Klageantrag äußere sich nicht zur Lage der Arbeitszeit - ohne jedoch anzugeben, warum die Gründe, die das Arbeitsgericht für seine gegenteilige Ansicht unter Zitierung von Literatur anführt, nicht tragfähig sein sollen. Sie wiederholt zwar den Vorwurf, der Antrag lasse das Ende der Teilzeit nicht erkennen - ohne jedoch zu erläutern, warum die Begründung des Arbeitsgerichts für seinen gegenteiligen Standpunkt - die Zeitangabe ergebe sich aus der Formulierung "bis zur Beendigung des Erziehungsurlaubs" falsch sein soll. Die Argumentation der Beklagten, der auf die gesamte Erziehungszeit zielende Antrag sei unzulässig, weil er die Rechte des anderen Elternteils verkürze, liegt nicht nur neben der Sache, weil eine unterstellte Verkürzung fremder Rechte nicht die sprachliche Eindeutigkeit der Antragsformulierung tangiert; sie "trifft" vor allem nicht die Entscheidungsgründe, weil in ihnen dieses Thema überhaupt nicht vorkommt. Daß das Thema nicht vorkommt, wird nicht gerügt.

Zum Einigungsversuch nach § 15 Abs.5 BErzGG hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dieser sei durch die generelle Ablehnung der Beklagten abgeschlossen gewesen. Die Beklagte wiederholt zwar ihren Vorwurf - ohne jedoch den Gedanken vom "Abschluß durch Ablehnung" auch nur zu erwähnen, geschweige denn zu bekämpfen.

Das Arbeitsgericht führt aus, warum die Klägerin ihren Anspruch acht Wochen vor Beginn der Teilzeitbeschäftigung schriftlich mitgeteilt hat. Die Berufungsbegründung enthält Ausführungen darüber, warum das E-Mail der Klägerin vom 21. 02. 2001, das Anwaltsschreiben vom 26. 03. 2001 sowie die Schriftsätze im vorliegenden Rechtsstreit keine ordnungsgemäßen "Anträge" i.S.v. § 15 Abs.7 Nr.5 BErzGG sein sollen - und bekämpft damit Ausführungen, die das Arbeitsgericht überhaupt nicht gemacht hat. Andererseits wird aber auch nicht erwähnt oder gar gerügt, daß das Arbeitsgericht insoweit keine Ausführungen gemacht hat.

Die umfänglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts zu den dringenden betrieblichen Gründen, die einer Teilzeit entgegenstehen sollen (S. 7 - 10), kommen in der Berufungsbegründung nicht vor; sie enthalten hierzu im wesentlichen nur den Hinweis auf das erstinstanzliche Vorbringen (S. 11 unter C 2). Das erstinstanzliche Vorbringen kann sich aber schon rein begrifflich nicht mit den Entscheidungsgründen auseinandersetzen, weil diese jenem zeitlich nachfolgen.

Zuzugeben ist, daß die Ausführungen der Berufungsbegründung zu den dringenden betrieblichen Gründen im Anschluß an die Generalverweisung auf das erstinstanzliche Vorbringen Bemerkungen zur Auslegung des Begriffs "dringende betriebliche Gründe" bringen, die Verweisung der Gesetzesmaterialien auf das BUrlG erwähnen und zu einer Auslegung gelangen, die objektiv von der des Arbeitsgerichts abweicht (gänzliche Ignorierung des BUrlG statt rudimentärer Anlehnung). Eine Auseinandersetzung mit den Gründen des Arbeitsgerichts stellt aber auch dies nicht dar: Die Beklagte bringt zwar Gründe für ihre Auslegung, erwähnt und diskutiert aber nicht die Gründe des Arbeitsgerichts für seine Auslegung. Zudem stützt das Arbeitsgericht die von ihm vorgenommene Auslegung des Begriffs "dringende betriebliche Gründe" nicht allein auf die Analogie zum BUrlG, sondern zum Beispiel auch auf einen Vergleich mit § 8 Abs.4 TzBfG - wozu sich die Berufungsbegründung überhaupt nicht äußert.

Auch der Hinweis der Beklagten, das Klagevorbringen erwähne die Anspruchsvoraussetzungen nicht vollständig, zielt gegen keine der Ausführungen des Arbeitsgerichts.

Die Beklagte brauchte sich all dies nicht entgegenhalten zu lassen, wenn sie ihre Berufung ausschließlich auf neues Vorbringen gestützt hätte, weil damit eine Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Urteil entfällt (Baumbach/Albers, ZPO, 59. Aufl., § 519 Rn. 23; GK-ArbGG/Vossen § 66 Rn. 134c). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor: Allein die Generalverweisung auf das erstinstanzliche Vorbringen zu den dringenden betrieblichen Gründen beweist, daß die Beklagte ihre Berufung nicht ausschließlich auf neues Vorbringen stützen will.

Allerdings stellt die Rechtsprechung in den Fällen geringere Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung, in denen ein Urteil angefochten wird, das verspätet abgesetzt worden ist; in diesen Fällen soll die Rüge, das angefochtene Urteil sei ein Urteil ohne Gründe, ausreichen (BAG, Urteil vom 13. 09. 1995 - 2 AZR 855/94 in AP Nr.12 zu § 66 ArbGG 1979; Urteil vom 24. 09. 1996 - 9 AZR 364/95 in AP Nr.22 zu § 7 BUrlG) ebenso wie eine Berufungsbegründung, die sich mit den nur möglichen und hypothetischen Entscheidungsgründen befaßt (BAG, Urteil vom 05. 03. 1997 - 4 AZR 532/95 in AP Nr.10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt). Auf diese Privilegierung kann sich die Beklagte jedoch nicht berufen. Dies einmal deswegen, weil diese Rechtsprechung Fälle betrifft, in denen das vollständige Urteil vom Richter erst nach Ablauf der Fünf-Monats-Frist des § 516 ZPO a.F. der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Daß ein solcher Fall hier vorliegt, kann der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Denn den Akten ist nicht zu entnehmen, wann das Urteil der Geschäftsstelle übergeben worden ist und ob dies insbesondere nach Fristablauf geschah, weil die Geschäftsstelle einen entsprechenden Vermerk unterlassen hat. Die Verzögerung in der Zustellung kann andere Gründe haben: Es ist gerichtsbekannt, daß die Arbeitsgerichte, darunter gerade auch das Arbeitsgericht Köln, es wegen der vom Haushaltsgesetzgeber betriebenen restriktiven Personalpolitik seit langer Zeit nicht mehr schaffen, abgesetzte Urteile zeitnah zu fertigen, auszufertigen und versandfertig zu machen, so daß übergebene Urteile teilweise monatelang in der Gerichtskanzlei liegen bleiben. Zum anderen handelte es sich bei den zitierten von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen um solche, in denen die Fünf-Monats-Frist bereits bei Einlegung der Berufung abgelaufen war (BAG, Urteil vom 24. 09. 1996 - 9 AZR 364/95 a.a.O. unter A I 2; Urteil vom 05. 03. 1997 - 4 AZR 532/95 a.a.O. unter I 1; Urteil vom 13. 09. 1995 - 2 AZR 855/94: s. Tatbestand). Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall: Für das am 04. 09. 2002 verkündete Urteil lief die Frist am 04. 02. 2002 ab; demgegenüber wurde die Berufung bereits am 29. 01. 2002 eingelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Weil der Rechtsstreit nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, wurde die Revision nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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