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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 11.06.2004
Aktenzeichen: 12 Sa 374/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 613 a
BGB § 611
BGB § 615
1. Auch nach Einfügung der Absätze 5 und 6 in § 613 a BGB ab 01.04.2002 hat der Widerspruch Rückwirkung.

2. Nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer für die Zeit zwischen Betriebsübergang und Erklärung des Widerspruches Anspruch auf Vergütung gegen den Betriebserwerber.

3. Ein Anspruch gegen den Veräußerer aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges ist nicht gegeben.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 374/04

Verkündet am 11. Juni 2004

In Sachen

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 11.06.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Leisten als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Knörrchen und Schaffert

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 03.03.2004 - 3 Ca 3944/03 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Vergütungszahlung für den Zeitraum 18. bis 29.07.2003 in Anspruch.

Während dieser Zeit arbeitete er für sie. Sein bei der Firma W GmbH & Co. KG bestehendes Arbeitsverhältnis war infolge Betriebsüberganges ab 18.07.2003 auf die Beklagte übergegangen. Diesem Betriebsübergang widersprach der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2003. Er ist der Ansicht, da er für die Beklagte gearbeitet habe, habe diese ihn auch zu vergüten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 800,24 € brutto nebst 5 %-Punkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen: Der rechtzeitige und wirksame Widerspruch des Klägers schließe den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf sie, die Beklagte, als Erwerberin aus. Es sei somit zum bisherigen Arbeitgeber bestehen geblieben. Die von Seiten des Klägers erbrachten Arbeitsleistungen gelten mithin als in den bisherigen und fortbestehenden Arbeitsverhältnis erbracht. Der Kläger müsse sich dementsprechend an seine frühere Arbeitgeberin halten.

Durch Urteil vom 03.04.2004 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe dem Betriebsübergang zwar widersprochen und nach der Rechtsprechung des BAG habe dieser Widerspruch Rückwirkung. Ob dies auch für § 613 a Abs. 6 BGB gelte, könne offen bleiben. Entfalte der Widerspruch nämlich keine Rückwirkung, stehe dem Kläger der Zahlungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis zu, welches zwischen den Parteien vom 18. bis 29.07.2003 bestanden habe. Entfalte der Widerspruch hingegen Rückwirkung, sei die Zeit, in der der Arbeitnehmer für den Erwerber gearbeitet habe, nach herrschender Meinung in der Literatur nach den Grundsätzen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses abzuwickeln.

Wegen des weiteren Inhaltes des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 25 - 28 d. A. Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 24.03.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.04.2004 Berufung eingelegt und diese am 26.04.2004, einem Montag, begründet.

Die Beklagte trägt vor: Zu Recht sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Ausübung des Widerspruchsrechtes Rückwirkung zukomme, da nur so dem Interesse des Arbeitnehmers Rechnung getragen werde, nicht gegen seinen Willen an den Erwerber des veräußerten Betriebes gebunden zu sein. Ausgehend von einer derartigen Rückwirkung sei das Arbeitsverhältnis mithin so zu behandeln, als habe es ausschließlich zwischen dem widersprechenden Arbeitnehmer einerseits und dem Veräußerer als Arbeitgeber andererseits bestanden. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass der Kläger auch in der Zeit zwischen dem Betriebsübergang und der Erklärung des Widerspruches ununterbrochen und ausschließlich für den Betriebsveräußerer gearbeitet habe. Grundlage für die Erbringung der Arbeitsleistung sei demzufolge das fortwährend bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem Betriebsveräußerer gewesen.

Da die Erbringung der Arbeitsleistung mit dessen Willen und Wollen erfolgt sei, erscheine es sachgerecht und geboten, den Kläger, nachdem er durch Erklärung des Widerspruches deutlich zum Ausdruck gebracht habe, keine Rechtsbeziehung zu ihr, der Beklagten, begründen zu wollen, hinsichtlich seiner arbeitsvertraglichen Ansprüche an seinen "fortbestehenden" Vertragspartner zu verweisen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

den Berufungsantrag zurückzuweisen.

Der Kläger tritt dem angefochtenen Urteil unter Widerholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages bei.

Wegen des erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte für die Zeit 18. bis 29.07.2003 auf Grund tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung Vergütung in der geltend gemachten Höhe zu (§ 611 BGB). Zwischen den Parteien hat ein faktisches Arbeitsverhältnis bestanden.

1. Nach § 613 a Abs. 1 BGB war das Arbeitsverhältnis des Klägers infolge Betriebsüberganges auf die Beklagte übergegangen. Durch den von ihm erklärten Widerspruch ist es jedoch wieder aufgelöst worden, und zwar rückwirkend. Diese Rückwirkung des Widerspruches war vor in Kraft treten des § 613 a Abs. 5 und 6 zum 01.04.2002 allgemein anerkannt (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.1993 - 2 AZR 50/92 - AP Nr. 103 zu § 613 a BGB mit zustimmender Anmerkung Moll). Daran hat sich auch nach neuem Recht nichts geändert, wie zu Recht ganz überwiegend angenommen wird (Gaul/Otto, DB 02, 638; Worzalla, NZA 02, 353, 358; Adam, AuR 03, 441, 445; Franzen, RdA 02, 258, 270; ErfK-Preis, 4. Auflage, Rdnr. 101. zu § 613 a BGB).

Dem tritt allerdings Rieble (NZA 04, 1 ff) entgegen. Er führt zur Begründung seiner Rechtsauffassung, der Widerspruch könne nur für die Zukunft wirken, dogmatische Gründe (Seite 4 ff) wie auch solche der Praktikabilität (Seite 6 ff) an. Rieble zeigt insoweit beachtliche Schwierigkeiten auf, die sich aus der Rückwirkungsproblematik ergeben können. Dennoch steht seine Auffassung im Gegensatz zu dem mit dem Widerspruchsrecht verfolgten Zweck, zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer gegen seinen Willen ein anderer Vertragspartner aufgezwungen wird. Außerdem weist Franzen (a.a.O., Seite 271) zu Recht darauf hin, dass es an Anhaltspunkten dafür fehle, der Gesetzgeber habe mit der Kodifikation des Widerspruchsrechtes die eine Rückwirkung bejahende Rechtsprechung beenden und die Rückwirkung des Widerspruchsrechtes im Gegensatz zu dieser Rechtsprechung anders regeln wollen. Wie Rieble selbst einräumt, schweigt § 613 a Abs. 6 BGB dazu.

Jedoch mag dies letztlich auf sich beruhen; denn auch Rieble kommt zum selben Ergebnis wie die überwiegend vertretene Rechtsauffassung, dass nämlich der Erwerber die für ihn erbrachte Arbeitsleistung für den Zeitraum zwischen Betriebsübergang und Ausübung des Widerspruchsrechtes zu bezahlen hat.

2. Das ergibt sich bei Annahme der Rückwirkung des Widerspruches daraus, dass zwischen den Parteien vom 18. bis 29.07.2003 ein faktisches Arbeitsverhältnis bestanden hat.

a) Durch die Ausübung des Widerspruches ist das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten rückwirkend beseitigt worden, die Firma W GmbH & Co. KG ist Arbeitgeberin des Klägers geblieben. Insoweit ist die Rechtswirkung nicht anders als bei einer Anfechtung (§ 142 BGB). Bei dieser findet eine Abwicklung nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses statt, der Arbeitnehmer wird für die Vergangenheit so behandelt, als sei das Arbeitsverhältnis wirksam gewesen. Dies bedeutet insbesondere, dass er trotz der Fehlerhaftigkeit des Arbeitsverhältnisses Vergütung für die geleistete Arbeit beanspruchen kann.

b) Die Interessenlage ist in Fällen wie dem vorliegenden nicht anders; denn der Arbeitnehmer hat die Arbeitsleistung nicht für den Veräußerer, sondern für den Erwerber erbracht, der daraus die entsprechenden Vorteile gezogen hat. Wie Moll (Anmerkung zu BAG AP Nr. 103 zu § 613 a BGB) zu Recht betont, entspricht das Grundanliegen des Rechtsinstituts des faktischen Arbeitsverhältnisses typischerweise dem sich aus dieser Situation ergebenden Regelungsbedürfnis (ebenso Franzen, RDA 02, 272, Worzalla, NZA 02, 358; Adam, AuR 03, 445).

c) Ansonsten liefe der Arbeitnehmer Gefahr, seine Arbeit überhaupt nicht bezahlt zu bekommen; denn für den Veräußerer hat er nicht gearbeitet. Und ob er gegen diesen Anspruch auf Verzugslohn hat (§ 615 Satz 1 BGB), ist zweifelhaft angesichts der Tatsache, dass ein Arbeitsangebot diesem gegenüber nicht erfolgt ist (vgl. dazu einerseits - Annahmeverzug bejahend - Franzen, a.a.O., Seite 271, andererseits - verneinend - Worzalla, a.a.O., Seite 358, Rieble, a.a.O., Seite 7). Die besseren Argumente sprechen für letztere Auffassung. Soweit Franzen dem entgegenhält, ein tatsächliches Arbeitsangebot könne auch einem Dritten gegenüber abgegeben werden, wenn diesem die Leistung nach der vertraglichen Absprache erbracht werden müsse, und dabei auf das Leiharbeitsverhältnis abstellt, ist diese Konstellation nicht mit der vorliegenden vergleichbar. Nach den bestehenden Abreden hatte der Kläger seine Arbeitsleistung nicht etwa der Veräußererin gegenüber zu erbringen und entsprach es auch nicht den Vereinbarungen, dass durch die Arbeit bei der Beklagten als Erwerberin der Kläger gegenüber der Veräußererin bestehende Verpflichtungen erfüllte.

Gegen die Höhe der Klageforderung sind Einwendungen nicht erhoben worden, so dass der Klage in vollem Umfange stattzugeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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