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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 09.02.2004
Aktenzeichen: 2 (10) Sa 982/03
Rechtsgebiete: KSchG
Vorschriften:
KSchG § 1 |
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 09. Februar 2004
In Sachen
hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 09.02.2004 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Olesch als Vorsitzende sowie die ehrenamtlichen Richter Anspach und Büttner
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 06.08.2003 - 2 Ca 2028/03 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vom 24.03.2003 zum 20.06.2003. Der Kläger ist am geboren, kinderlos und ledig.
Der Kläger wurde am 01.10.2000 bei der Beklagten als Verkaufsabteilungsleiter eingestellt. Er bezog zuletzt ein Bruttogehalt von 2.914,36 €. Die Einstellung erfolgte durch die Ressortleitung Personal der Beklagten in A . Ein konkreter Einsatzort war im ersten Arbeitsvertrag des Klägers nicht genannt. Unter Ziffer 8 hatte sich die Beklagte vorbehalten, dem Kläger nach Bedarf eine andere persönlich zumutbare Beschäftigung auch in einer anderen Betriebsstelle in angemessener Entfernung zur bisherigen Arbeitsstätte zuzuweisen. Diese Vertragsklausel ist soweit ersichtlich in den Arbeitsverträgen aller Verkaufsabteilungsleiter enthalten und zumindest auch bei einem Teil der Verkäufer in den Arbeitsverträgen vereinbart. Der Kläger wurde zunächst eingearbeitet und sodann mit Wirkung vom 01.10.2001, der Eröffnung der Filiale in H in diese Filiale versetzt. Vorgesetzter des Klägers dort war der Zeuge O .
Dem Filialleiter obliegt im Rahmen eines vorgegebenen Budgets die Personalführung. Er ist berechtigt, Arbeitnehmer einzustellen und führt in Zusammenarbeit mit der Personalleiterin der A Zentrale und dem Ressortleiter Entlassungen durch. Die unternehmensweite Koordination erfolgt in der Zentralverwaltung. Von dort aus wird unter anderem auch ein Ausbildungsprogramm gesteuert, welches den Aufstieg in die Verkaufsleiterposition und andere Führungspositionen vorbereitet. An diesem Programm hatte der Kläger nicht teilgenommen, da er als Verkaufsabteilungsleiter bereits gestellt wurde. Die Beklagte beschäftigt in ihrer Filiale in B die Mitarbeiterin J M , die zehn Jahre jünger ist als der Kläger und erst am 06.08.2001 in das Arbeitsverhältnis zur Beklagten eingetreten ist. Die Mitarbeiterin M ist erst im Oktober 2002 zur Verkaufsabteilungsleiterin ernannt worden, nachdem sie zuvor die innerbetriebliche Ausbildung durchlaufen hatte und zur Zeit der Kündigung des Klägers sich in der Einarbeitung zur Verkaufsabteilungsleiterin befand.
In W ist die Mitarbeiterin H H als Verkaufsabteilungsleiterin für Damenoberbekleidung beschäftigt. Sie ist elf Jahre jünger als der Kläger und am 01.02.2001 in das Unternehmen eingetreten. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung soll Frau H nicht mehr Arbeitnehmerin der Beklagten gewesen sein.
Zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers beschäftigte die Beklagte in der Filiale in H die Mitarbeiterin W als Verkaufsabteilungsleiterin Damenoberbekleidung. Diese ist in etwa gleich alt mit dem Kläger ebenfalls ohne Unterhaltspflichten und gehört dem Unternehmen der Beklagten bereits seit 12 Jahren an. In H war sie jedoch erst seit September 2002 eingesetzt. Bereits im August 2003 wurde die Mitarbeiterin W auf eine Beförderungsstelle nach I versetzt, wobei die Beklagten insoweit unbestritten erklärt hat, dass diese Entscheidung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des Klägers noch nicht gefallen gewesen sei, sondern sehr plötzlich gekommen sei.
In dem Modehaus in H sind erhebliche Verluste angefallen. Die Beklagte hat sich deshalb entschlossen, von den beiden Verkaufsabteilungsleiterstellen eine entfallen zu lassen und die Funktion des Verkaufsabteilungsleiters nur noch durch eine Person ausüben zu lassen. Sie hat hierfür die Zeugin W ausgewählt, da sie trotz der kürzeren Zugehörigkeit zu dem Betrieb in H , d. h. zu dieser Filiale, auf die Gesamtzugehörigkeit zum Unternehmen abgestellt hat und hierin die höhere soziale Schutzwürdigkeit gesehen hat. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass er auf Grund der vertraglichen Versetzungsklausel nicht ausschließlich mit den Arbeitnehmern zu vergleichen ist, die in H die Position eines Verkaufsabteilungsleiters wahrnehmen, sondern eine Vergleichbarkeit mit Verkaufsabteilungsleitern gegeben ist, die in angemessenem Umfang um H herum beschäftigt werden. Er hat hierbei diesen Versetzungsrahmen auf einen Umkreis von 100 Kilometern erstreckt. Weiterhin hat der Kläger behauptet, der Arbeitnehmer R habe seine Tätigkeit als Verkaufsabteilungsleiter in Herne übernommen. Demgegenüber hat die Beklagte behauptet, der Mitarbeiter R sei nach wie vor ausschließlich einfacher Verkäufer und nicht mit den Leitungsfunktionen eines Verkaufsabteilungsleiters betraut. Hierzu hat sie den Arbeitsvertrag und aktuelle Lohnabrechnungen des Mitarbeiters R vorgelegt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen, da es angenommen hat, die Beklagte habe auf Grund der dargestellten Fluktuation und insbesondere den erheblichen geplanten Neueröffnungen substantiiert darstellen müssen, dass für den Kläger tatsächlich keine Beschäftigungsmöglichkeit im Umkreis gegeben sei.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte die Klageabweisung weiter, sie beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 06.08.2003 - 2 Ca 2028/03 - die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige und fristgerechte Berufung der Beklagten ist nicht begründet, wenn auch das Landesarbeitsgericht der ersten Instanz nicht in allen Teilen der Begründung folgt.
Die Kündigung des Klägers vom 24.03.2003 ist nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG, da die Beklagte die erforderliche soziale Auswahl nicht richtig getroffen hat. Es kann dahinstehen, ob tatsächlich die einzelnen Filialen der Beklagten einen eigenen Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes darstellen, weil die Filialleiter zur selbstständigen Einstellung ermächtigt sind und die Entlassungen in Zusammenarbeit mit der zentralen Personalabteilung durchführen. Bedenken ergeben sich insoweit, als die Auswahl und Einsatzorte der Führungskräfte, d. h. der Arbeitnehmer, die nicht als einfache Verkäufer eingesetzt sind, sondern insbesondere in den Stellen als Verkaufsabteilungsleiter und höherwertig beschäftigt werden, einer zentralen Steuerung unterliegen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte ein zentrales Schulungsprogramm durchführt, um geeignete Nachwuchskräfte für Führungspositionen heranzuziehen. Auch die Vielzahl der "überbetrieblichen" Versetzungen in Führungspositionen könnte dagegensprechen, die einzelne Filiale als Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes anzusehen. Im vorliegenden Verfahren ist allein Frau W zweimal versetzt worden, nämlich aus einer nicht bekannten Filiale nach H und von dort nach I , Frau M zweimal sowie der Kläger einmal.
Denn im vorliegenden Fall waren in die Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG alle diejenigen Arbeitnehmer miteinzubeziehen, die einen Arbeitsplatz vergleichbarer Wertigkeit inne haben und in angemessener Entfernung von H arbeiten, d. h. in einer Entfernung arbeiten, für die sich die Arbeitgeberin die "überbetriebliche" Versetzbarkeit per Direktionsrecht im Arbeitsvertrag des Klägers ausdrücklich vorbehalten hatte. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Arbeitsvertrag, mit dem der Kläger eingestellt wurde, überhaupt keinen konkretisierten Einsatzort genannt hat. Der Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts bestimmt damit bei einem betriebsübergreifenden Versetzungsrecht auch den Umfang der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Mitarbeiter. Danach ergibt sich, dass die Sozialauswahl gegenüber den in B und W beschäftigten Mitarbeiterinnen M und H , die mehr als zehn Jahre lebensjünger als der Kläger sind und zusätzlich kürzer als der Kläger zum Unternehmen gehören, fehlerhaft ist. Da alle drei Arbeitnehmer nicht verheiratet und ohne Unterhaltspflichten sind, ergab sich die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl bereits auf Grund der besseren Sozialdaten des Klägers im Hinblick auf Alter und Unternehmenszugehörigkeit.
Eine Vergleichbarkeit des Kläger mit den beiden genannten Mitarbeiterinnen scheitert auch im Hinblick auf die Mitarbeiterin H nicht darin, dass diese Verkaufsabteilungsleiterin in der Damenoberbekleidung war. Zum einen ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag des Klägers nicht, dass dessen Tätigkeit als Verkaufsabteilungsleiter auf ein bestimmtes Marktsegment beschränkt wäre. Dass mit der Tätigkeit als Verkaufsabteilungsleiter in der Herren- und Kinderkonfektion Tätigkeiten oder Fähigkeiten verbunden sind, die einen Arbeitnehmer ungeeignet machen, entsprechende Tätigkeiten im Verkaufssegment Damenoberbekleidung auszuüben, hat die Beklagte nicht substantiiert dargelegt. Dies folgt insbesondere auch daraus, dass für die Tätigkeit und die Wertigkeit der Einstufung dieser Tätigkeit die Leitungsfunktionen im Vordergrund stehen.
Der Kläger ist aber auch mit der Mitarbeiterin M vergleichbar. Auch insoweit fehlt es am substantiierten Vortrag der Beklagten, die messbare und nachvollziehbare betriebliche Bedürfnisse im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG vortragen müsste, um eine Abweichung von der Sozialauswahl zu begründen. Die unsubstantiiert vorgetragene bessere Leistung der Mitarbeiterin M ist nicht geeignet, ein solches betriebliches Bedürfnis der Weiterbeschäftigung zu begründen. Damit stand fest, dass zum Kündigungszeitpunkt für die in Fortbildung befindliche Mitarbeiterin M eine Abteilungsleiterstelle zur Besetzung offen stand, die der Kläger statt der Mitarbeiterin M hätte besetzen können.
Dieses Ergebnis der fehlerhaften Sozialauswahl auf Grund eines betriebsübergreifenden Versetzungsrechts und damit eines betriebsübergreifenden Pools vergleichbarer Arbeitnehmer, wird durch folgende Überlegung gestützt:
Zu Recht hat die Beklagte die Mitarbeiterin W , die kürzer als der Kläger in H eingesetzt war, als sozial schutzwürdiger angesehen, weil diese bereits zwölf Jahre zum Unternehmen gehört. Die Beklagte hat dabei ohne weiteres Beschäftigungszeiten in anderen Betrieben für die Schutzbedürftigkeit der Mitarbeiterin W zu deren Einsatzzeit in H hinzuaddiert. Würde man es bei diesem Ergebnis belassen, so hätte die Beklagte durch geschickte Versetzungspolitik es jederzeit in der Hand, die Sozialstrukturen so zu gestalten, dass jeweils der Arbeitnehmer, der entlassen werden soll, auch die schlechtesten Sozialdaten hat. Steht in einem Haus eine Stellenkürzung an, so können zunächst die besonders leistungsfähigen kurzbeschäftigten Arbeitnehmer in andere Filialen versetzt werden, um sie aus dem Schussfeld zu bringen und ihnen die Betriebszugehörigkeit zu erhalten. Auf die dann freien Stellen können dann Arbeitnehmer versetzt werden, die sozial schutzwürdiger als der zur Kündigung Ausgewählte sind, um insgesamt eine Betriebsstruktur zu erhalten, die zur gewünschten Sozialauswahl führt. Durch geschickte langfristige Planung kann eine zur Schließung anstehende Filiale mit genau den Arbeitnehmern besetzt werden, die gekündigt werden sollen. Insbesondere im Bereich der Vorgesetzten, bei denen die Beklagte von ihrem vertraglich vorbehaltenen betriebsübergreifenden Direktionsrecht auch regen Gebrauch macht, würde eine nur auf den letzten Einsatzort bezogene Sozialauswahl einer Rosinentheorie entsprechen. Einerseits wird die Dauer der Gesamtunternehmenszugehörigkeit in die Sozialauswahl eingeführt, andererseits wird der letzte zufällige Beschäftigungsort für die Frage nach den vergleichbaren Arbeitsplätzen als ausschließlich maßgeblich erachtet. Wollte man nur auf den letzten Einsatzort abstellen, so dürfte nach Ansicht der Kammer jedenfalls die Unternehmenszugehörigkeit in anderen Betrieben für die Sozialauswahl nicht berücksichtigt werden. Dementsprechend hätte die Mitarbeiterin W in H vor dem Kläger entlassen werden müssen. Dass sieht selbst aber die Beklagte auch nicht so.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde für die Beklagte zugelassen.
Ende der Entscheidung
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