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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 01.08.2007
Aktenzeichen: 3 Sa 406/07
Rechtsgebiete: TVG, BetrVG
Vorschriften:
TVG § 4 Abs. 5 | |
BetrVG § 77 Abs. 3 |
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 24.10.2006 - 1 Ca 3310/06 h - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 762,68 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.08.2006 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Zahlung einer tariflichen Jahressonderzahlung für das Jahr 2005.
Die Klägerin ist seit 1996 bei der Beklagten als Mitarbeiterin in der Wäscherei beschäftigt. Sie ist Vorsitzende bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats. Die Klägerin ist seit dem 01.06.2000 Mitglied der IG-Metall. Die Beklagte war zunächst nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes. Bei ihr kamen jedoch aufgrund eines mit der IG-Metall abgeschlossenen Anerkennungstarifvertrages vom 07.01.2002 die Tarifverträge für die Arbeiter und Arbeiterinnen, Angestellte und Auszubildende des Wäscherei- bzw. Textilreinigungsgewerbes für die alten Bundesländer zwischen der IG-Metall und der TATEX zum Teil mit in dem Anerkennungstarifvertrag festgelegten Modifizierungen Anwendung. Hierzu gehört u. a. ein Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen. Für das Jahr 2005 betrug die Jahressonderzahlung der Klägerin nach diesem Tarifvertrag 1.262,68 €.
Den vorgenannten Tarifvertrag kündigte die Beklagte zum 31.12.2004 und trat zum 01.01.2005 dem Deutschen Textilreinigungsverband (DTV) bei. Die tarifpolitische Arbeitsgemeinschaft TATEX im DTV schloss mit dem Deutschen Handels- und Industrieangestellten-Verband (DHV) am 30.05.2005 einen Manteltarifvertrag, der u. a. Regelungen zu Jahressonderzahlungen enthält. Die Jahressonderzahlung besteht danach aus einem tariflich festgelegten Betrag in Höhe von 75,00 € sowie einem weiteren ergebnisabhängigen Anteil, der durch Betriebsvereinbarung zu konkretisieren ist. Am 02.12.2005 schloss daraufhin die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation. Aufgrund ihrer mehr als siebenjährigen Betriebszugehörigkeit steht der Klägerin danach eine Jahressonderzahlung in Höhe von 500,00 € zu. Diese zahlte die Beklagte an die Klägerin.
Zwischenzeitlich war zum 01.06.2005 eine 2,25 %ige Erhöhung der Vergütung nach dem Lohntarifvertrag der IG-Metall erfolgt, der über den Anerkennungstarifvertrag im Jahr 2002 in Bezug genommen worden war. Die Beklagte lehnte eine Bindung an den gekündigten Anerkennungstarifvertrag ab und mehrere Arbeitnehmer machten die vorgenannte Tariflohnerhöhung klageweise geltend. Vor diesem Hintergrund stellten die Betriebspartner die Betriebsvereinbarung vom 02.12.2005 unter den Vorbehalt einer "Entscheidung des Arbeitsgerichts Heinsberg über die Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages". Mit rechtskräftigen Urteilen vom 16.03.2006 wies das Arbeitsgericht Aachen die vorgenannten Lohnzahlungsklagen ab. Dabei ging es zwar von einer grundsätzlichen Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages aus, verneinte aber dennoch die geltend gemachten Tariflohnerhöhungen wegen des streng statischen Charakters der Nachwirkung bezogen auf den Kündigungsstichtag 31.12.2004.
Nach einer erfolglosen schriftlichen Geltendmachung am 04.01.2006 macht die Klägerin mit ihrer am 31.07.2006 eingegangenen und der Beklagten am 07.08.2006 zugestellten Klage die tarifliche Jahressonderzahlung für das Jahr 2005 auf der Grundlage des mit der IG-Metall geschlossenen und durch den Anerkennungstarifvertrag in Bezug genommenen Tarifvertrag über eine Jahressonderzahlung geltend. Nach Abzug der gezahlten 500,00 € verbleibt ein Differenzbetrag in unstreitiger Höhe von 762,68 € brutto.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.10.2006 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages sei durch die Betriebsvereinbarung vom 02.12.2005 beendet worden. Der von den Betriebsparteien vereinbarte Vorbehalt sei nicht eingetreten, da es keine Entscheidung über eine Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages gebe. Gegen dieses ihr am 15.03.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.04.2007 Berufung eingelegt und diese am 14.05.2007 begründet.
Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, die Betriebsvereinbarung vom 02.12.2005 stehe der Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages nicht entgegen. Zum Einen ergebe sich dies aus dem vereinbarten Vorbehalt, nachdem das Arbeitsgericht Aachen in den Lohnzahlungsverfahren eine grundsätzliche Nachwirkung des Tarifvertrages anerkannt habe. Zum Anderen stelle die Betriebsvereinbarung keine "andere Abmachung" im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG dar. Dies ergebe sich entweder aus der fortbestehenden normativen Wirkung der tariflichen Regelung oder aus der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG. Auch durch den Abschluss der neuen "DHV-Tarife" sei die Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages für die Klägerin jedenfalls nicht beendet worden, da dieser mangels Tarifgebundenheit der Klägerin bzw. fehlender Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht anwendbar sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 24.10.2006 - 1 Ca 3310/06 h - die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 763,68 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und meint, das Arbeitsgericht Aachen habe in den Lohnzahlungsverfahren eine Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages gerade nicht festgestellt. Im Übrigen werde der Anerkennungstarifvertrag durch den am 30.05.2005 mit der Gewerkschaft DHV geschlossenen neuen Manteltarifvertrag verdrängt. Jedenfalls aber müssten die Grundsätze der Tarifpluralität mit der Folge zur Anwendung kommen, dass der neue DHV-Tarifvertrag als speziellerer Tarifvertrag den früheren IG-Metall-Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen verdränge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung restlicher Jahressonderzahlung für das Jahr 2005 in Höhe von 762,68 € brutto auf der Grundlage des durch den Anerkennungstarifvertrag vom 07.10.2002 in Bezug genommenen Tarifvertrags zwischen dem Industrieverband Textilservice und der IG-Metall über Jahressonderzahlungen.
1. Die vorgenannten tariflichen Regelungen gelten nach § 4 Abs. 5 TVG trotz der zum 31.12.2004 erfolgten Kündigung der Beklagten weiter, da sie nicht durch eine "andere Abmachung" im Sinne dieser Vorschrift ersetzt worden sind.
a) Bis zum 31.12.2004 waren die vorgenannten Tarifregelungen über den beklagtenseits geschlossenen Anerkennungstarifvertrag aus dem Jahr 2002 auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin unstreitig anwendbar. Ebenfalls unstreitig ist zwischen den Parteien, dass die Jahressonderzahlung der Klägerin nach diesen Tarifbestimmungen 1.262,68 € brutto betrug. Dieser Anerkennungstarifvertrag befindet sich seit dem 01.01.2005 in Nachwirkungsstadium, wie bereits das Arbeitsgericht Aachen in den Lohnzahlungsverfahren (vgl. Urteil vom 16.03.2006 - 3 Ca 4530/05 h -) zutreffend entschieden hat. Nach § 4 Abs. 5 TVG endet die Nachwirkung erst durch das Eingreifen einer "anderen Abmachung". Eine solche "andere Abmachung" kann sowohl eine neuer Tarifvertrag als auch eine Betriebsvereinbarung oder eine individualvertragliche Vereinbarung sein (vgl. BAG, Urteil vom 18.03.1992 - 4 AZR 339/91 - AP Nr. 13 zu § 3 TVG; BAG, Urteil vom 28.05.1997 - 4 AZR 546/95 - EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 23; Däubler/Bepler, TVG, 2. Auflage, § 4 Rz. 897 m. w. N.). Voraussetzung hierfür ist aber immer, dass diese "andere Abmachung" für das konkrete Arbeitsverhältnis gilt und das jeweilige Arbeitsverhältnis erfasst. Nur eine konkrete, rechtlich relevante Vereinbarung kann danach eine "andere Abmachung" im Tarifsinn darstellen (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 28.05.1997 - 4 AZR 546/95 - EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 23 m. w. N. aus der Rechtsprechung). Dementsprechend bedarf es bei einem Tarifvertrag der beiderseitigen Tarifbindung oder einer Allgemeinverbindlichkeit und bei der Betriebsvereinbarung sind die Schranken der §§ 77 und 87 BetrVG zu beachten (vgl. Wiedemann/Wank, TVG, 6. Auflage, § 4 Rz. 354).
b) Unter Beachtung dieser Grundsätze scheitert eine Beendigung der Nachwirkung durch den am 30.05.2005 mit der DHV geschlossenen Tarifvertrag an der fehlenden Tarifbindung der Klägerin. Die Klägerin ist unstreitig Mitglied der IG-Metall, so dass der vorgenannte, mit der DHV geschlossene Tarifvertrag auf ihr Arbeitsverhältnis gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG keine Anwendung findet.
c) Auch die Betriebsvereinbarung vom 02.12.2005 kommt nicht als "andere Abmachung" im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG in Betracht. Insoweit greift der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG ein. Danach können Arbeitsentgelte, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Letzteres ist für die streitgegenständliche Jahressonderzahlung offenkundig. Im Übrigen zeigt dies die im DHV-Tarifvertrag vorgesehene Öffnungsklausel. Nur über diese Öffnungsklausel kommt es zur Verlagerung der Regelungskompetenz auf die betriebliche Ebene. Diese Öffnungsklausel kommt aber wegen fehlender Anwendbarkeit diese Tarifvertrag - wie oben dargestellt - ebenfalls nicht zum Tragen.
d) Schließlich hindern auch die Grundsätze der Tarifpluralität eine Fortgeltung der tariflichen Nachwirkung nicht. Ein Fall der Tarifpluralität liegt nämlich gerade nicht vor.
Zu einer Tarifpluralität kann es bei unterschiedlicher Organisationszugehörigkeit kommen, wenn beispielsweise ein Unternehmen an einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gebunden ist und gleichzeitig einen Haustarifvertrag mit einer Gewerkschaft abgeschlossen hat, der nur ein Teil der Arbeitnehmer des Betriebs angehören. Hier ist der Arbeitgeber an beide Tarifverträge gebunden, die Arbeitnehmer allerdings sind nur teilweise tarifgebunden. Tarifpluraliät besteht damit immer dann, wenn der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 TVG an zwei Tarifverträge gebunden ist (vgl. BAG, Urteil vom 28.05.1997 - 4 AZR 546/95 - EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 23).
Anders ist dies im Fall der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG. Hier entsteht keine Tarifpluralität. § 4 Abs. 5 TVG stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Sonderregelung dar. Sie bezweckt als eine Arbeitnehmerschutzvorschrift, die bisherigen tariflichen Regelungen für eine Übergangszeit dispositiv zu erhalten. Durch diese Überbrückungsfunktion soll vermieden werden, dass das Arbeitsverhältnis inhaltsleer wird und durch dispositive Gesetze sowie einseitige Arbeitgeberanweisungen ausgefüllt wird (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Urteil vom 18.03.1992 4 AZR 339/91 EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 14; Urteil vom 13.04.1994 4 AZR 555/93 - EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 17; Urteil vom 28.05.1997 4 AZR 546/95 - EzA § 4 TVG Nachwirkung Nr. 23). Dieser Zweck impliziert, dass die Nachwirkung- wie oben dargestellt - nur dann entfällt, wenn eine "Abmachung" getroffen wird, die das einzelne Arbeitsverhältnis erfasst. Anderenfalls gilt der alte Tarifvertrag weiter. Gleichzeitig folgt hieraus aber auch, dass es oftmals zu unterschiedlichen Arbeits- oder Entgeltbedingungen kommt. Die damit ausdrücklich gesetzlich angelegte "Beseitigungslast" des Arbeitgebers kann nicht über die Tarifpluralität überspielt werden. Der Arbeitgeber würde anderenfalls gerade entgegen dem gesetzlichen Nachwirkungs- bzw. Ablösungsmodell auf einfache Weise von ihm nicht mehr als passend erscheinenden Arbeits- und Entgeltbedingungen befreit. Nach allem bleibt es somit dem Erfordernis der "anderen Abmachung" im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG. Greift diese zu kurz, weil sie nicht alle Arbeitsverhältnisse erfasst, so muss es für die von der Abmachung nicht erfassten Arbeitsverhältnisse bei der unbefristeten Weitergeltung des alten Tarifvertrag solange bleiben, bis es dem Arbeitgeber gelingt, auch insoweit eine andere Abmachung durchzusetzen (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 28.05.1997, a. a. O.).
Nach allem bleibt es somit für die Klägerin im Jahr 2005 aufgrund des nachwirkenden Anerkennungstarifvertrages bei der Fortgeltung der bisherigen tariflichen Regelung und dem daraus resultierenden Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung.
2. Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
III. Als insgesamt unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere ging es nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, da sämtliche einschlägigen Rechtsfragen vom Bundesarbeitsgericht bereits entschieden sind und die Entscheidung im Übrigen auf den Umständen des Einzelfalls beruht.
Ende der Entscheidung
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