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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 29.07.2008
Aktenzeichen: 9 Sa 333/08
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 615 S. 1
BGB § 626
BetrVG § 103
1. Der Arbeitgeber gerät in Annahmeverzug, wenn er für die Dauer des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG das zu kündigende Betriebsratsmitglied von der Arbeit freistellt.

2. Hat das zu kündigende Betriebsratsmitglied einen Vorgesetzten mit einer Tätlichkeit bedroht, so kann es für den Arbeitgeber zumutbar sein, für die Dauer des Zustimmungsersetzungsverfahrens das Betriebsratsmitglied einem anderen Vorgesetzten zu unterstellen.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 07. Januar 2008 - 15 Ca 6550/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche für einen Freistellungszeitraum.

Die Klägerin, geboren am 10. Juli 1972, ist bei der Beklagten als Kellnerin seit dem 12. April 2001 im Drei-Schicht-Betrieb in K angestellt, zuletzt mit einer monatlichen Vergütung in Höhe von EUR 1.407,08 brutto.

Die Klägerin ist Mitglied des im K Betrieb gebildeten Betriebsrats.

Das Restaurant wird geleitet von einem Betriebsleiter und zwei Assistenten. Dazu gehört auch die Assistentin Frau P . Im Regelfall ist eine dieser Personen anwesend. Bei starkem Andrang der Gäste sind zwei Personen im Betrieb tätig.

Es werden 20 Kellner im Drei-Schicht-Betrieb eingesetzt.

Am 20. September 2006 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und der Assistentin Frau P , in deren Verlauf die Klägerin Frau P beleidigt haben soll mit der Bezichtigung, sie lüge immer und irgendwann kämen alle ihre Lügen heraus, sowie der Erklärung, sie solle ihrem Chef den Arsch lecken. Zudem soll sie Frau P mit folgenden Worten bedroht haben: "Du machst uns nicht fertig. Du bist noch jung, aber warte, bis Du auf die Straße gehst und dann kommt einer ...!" Dabei soll sie zur Unterstützung ihrer Drohung demonstrativ ihr Knie nach oben gezogen haben.

Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zu der von der Beklagten beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist, des Arbeitsverhältnisses der Klägerin. Daraufhin beantragte die Beklagte beim Arbeitsgericht Köln die Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin. Diesem Antrag gab das Arbeitsgericht Köln mit Beschluss vom 28. Juni 2007 statt. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht Köln durch Beschluss vom 25. April 2008 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.

Die Beklagte hat die Klägerin seit dem Vorfall am 20. September 2006 von der Arbeit freigestellt, zunächst unter Fortzahlung der vertraglichen Vergütung. Nachdem das Arbeitsgericht Köln mit Beschluss vom 28. Juni 2007 die Zustimmung des Betriebsrats ersetzt hat, verweigert die Beklagte für die Zeit ab Juli 2007 die Zahlung von Vergütung.

Mit der vorliegenden Klage, die am 8. August 2007 beim Arbeitsgericht Köln eingegangen ist, verlangt die Klägerin von der Beklagten Zahlung des Entgelts für die Monate Juli 2007 bis November 2007 und von Urlaubsgeld für das Jahr 2007 sowie die Erteilung einer Lohnabrechnung für die Monate August und September 2007.

Die Beklagte verweigert die Zahlung mit der Begründung, nachdem erstinstanzlich die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung ersetzt worden sei, überwiege ihr Interesse an einer Nichtbeschäftigung der Klägerin bereits für die Zeit bis zum Ausspruch der Kündigung nach rechtskräftiger Entscheidung über den Zustimmungsantrag. Bei einer Weiterbeschäftigung der Klägerin bestehe die Gefahr, dass die Klägerin erneut Vorgesetzte beleidige oder bedrohe, und dadurch der Betriebsfrieden gestört werde.

Das Arbeitsgericht Köln hat durch Urteil vom 7. Januar 2008 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar stelle das von der Beklagten vorgetragene Verhalten der Klägerin einen schweren Vertragsverstoß dar, der zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigten könne. Jedoch liege kein derartig grober Verstoß vor, der die Gefährdung von Rechtsgütern der Beklagten oder bei ihr beschäftigter Arbeitnehmer für den Fall befürchten lasse, dass die Klägerin weiterbeschäftigt werde.

Das Urteil ist der Beklagten am 7. Februar 2008 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 3. März 2008 Berufung einlegen und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. Mai 2008 - am 7. Mai 2008 begründen lassen.

Sie ist weiterhin der Ansicht, sie sei berechtigt, die Vergütungszahlung für die Zeit ab Juli 2007 zu verweigern. Die vom Arbeitsgericht Köln am 28. Juni 2007 im Zustimmungsersetzungsverfahren durchgeführte Beweisaufnahme habe die Richtigkeit ihrer Vorwürfe ergeben. Dies sei auch im Beschwerdeverfahren nochmals bestätigt worden. Nachdem die Klägerin die Zeugin P am 20. September 2006 in schwerwiegender Weise beleidigt und bedroht habe, habe sie befürchten müssen, dass die Klägerin bei einer vorübergehenden Rückkehr in den Betrieb sowohl die Zeugin P als auch die Arbeitnehmer, die für sie nachteilig bei der Zeugenvernehmung ausgesagt hätten, bedrohe und die Drohung mit einer Körperverletzung auch in die Tat umsetze. Ein Anspruch aus Annahmeverzug bestehe nicht, da die Weiterbeschäftigung der Klägerin für sie unzumutbar sei. Es sei wie beim Antrag auf Weiterbeschäftigung nach erstinstanzlicher Entscheidung über eine Kündigungsschutzklage eine Interessenabwägung vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 7. Januar 2008 - 15 Ca 6550/07 - die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet die Richtigkeit der gegen sie erhobenen Vorwürfe. Die Beklagte sei nicht berechtigt, sie von der Arbeit freizustellen ohne Fortzahlung der Vergütung. Damit versuche sie, den besonderen Kündigungsschutz zu umgehen, den sie - die Klägerin - als Betriebsratsmitglied habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Die Verfahrensakte des Zustimmungsersetzungsverfahrens 22 BV 161/06 Arbeitsgericht Köln = 3 TaBV 55/07 Landesarbeitsgericht Köln ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nach § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen nach § 66 Abs. 1 S. 1, 2 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht Köln der Klage auf Vergütungszahlung für die Monate Juli 2007 bis November 2007, auf Zahlung von Urlaubsgeld für 2007 und auf Erteilung einer Lohnabrechnung für die Monate August und September 2007 stattgegeben.

1. Nach § 615 S. 1 BGB kann der Dienstverpflichtete trotz fehlender Dienstleistung die Fortzahlung der Vergütung verlangen, wenn sich der Dienstberechtigte im Verzug mit der Annahme der Dienste befunden hat.

a. Danach setzt der Annahmeverzug des Dienstberechtigten zunächst voraus, dass das Dienstverhältnis fortbestanden hat. Das Arbeitsverhältnis besteht unstreitig bis heute fort, da der Beschluss über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung (§ 103 Abs. 2 BetrVG) noch nicht rechtskräftig ist.

Die Beklagte hat durch die seit dem Vorfall vom 20. September 2006 bis heute andauernde Freistellung der Klägerin von der Arbeit zum Ausdruck gebracht, dass sie die Arbeitsleistung der Klägerin ablehnt und ihr keinen funktionsfähigen Arbeitsplatz mehr zur Verfügung stellt (§ 296 BGB).

b. Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitgeber berechtigt ist, die Arbeitsleistung abzulehnen, weil die Weiterbeschäftigung ihm nicht zuzumuten ist, sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

aa. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, reicht dafür nicht jedes Verhalten aus, das den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung berechtigt. Erforderlich ist vielmehr ein besonders grober Vertragsverstoß und die Gefährdung von Rechtsgütern des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer, deren Schutz Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes hat. Zutreffend hat das Bundesarbeitsgerichts darauf hingewiesen, dass die für die außerordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern gesetzlich vorgeschriebenen und einzuhaltenden Regelungen weitgehend leerlaufen, wenn das Arbeitsverhältnis zwar formal fortbesteht, dem Arbeitnehmer der Anspruch auf Arbeitsentgelt aber (bereits) bei einer Unzumutbarkeit im Sinne des § 626 BGB versagt wird (vgl. BAG, Beschluss des Großen Senats vom 26. April 1956 - GS 1/56 - sowie Urteile vom 29. Oktober 1987 - 2 AZR 144/87 -, vom 29. April 1988 - 2 AZR 770/87 - und vom 1. Juli 1993 - 2 AZR 88/93 -).

Dabei hängt die ungewöhnliche Schwere eines rechtswidrigen Tuns nicht davon ab, ob ein vertragswidriges Verhalten eines Arbeitnehmers als voll bewiesen angesehen werden kann. Die Schwere kann nur der Tat, der Handlungsweise, anhaften, nicht aber von dem feststehenden Grad ihrer Beweisbarkeit abhängen (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 28. April 1988 - 2 AZR 770/87 -).

Der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 26. April 1956 - GS 1/56 -), in der erstmals diese Rechtssätze aufgestellt worden sind, lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem von einem vertragsgemäßen Angebot der Arbeitsleistung schon deshalb nicht ausgegangen werden konnte, weil die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber, seine Ehefrau und einen Lehrling mit dem Beil bedroht und die mehrmaligen Arbeitsangebote mit der Zerstörung von Blumen und Blumentöpfen in der Gärtnerei verknüpft hatte.

bb. Vergleichbare besondere Umstände, die über den für die Kündigung aus wichtigem Grund maßgeblichen Sachverhalt hinausgehen, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Dabei kann unterstellt werden, dass die von der Beklagten gegenüber der Klägerin erhobenen Kündigungsvorwürfe zutreffen. Auch die Kammer sieht die vorgetragene Beleidigung und Androhung einer Körperverletzung als schwere Pflichtverletzung an, die eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses auf Dauer für die Beklagte unzumutbar macht.

Sie begründet aber keinen Extremfall, der es der Beklagten erlaubte, die Arbeitsleistung der Klägerin bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens zurückzuweisen.

Soweit die Beklagte geltend macht, sie habe davon ausgehen müssen, dass die Klägerin ihr pflichtwidriges Verhalten bei einer Weiterbeschäftigung wiederhole, ist zunächst festzustellen, dass zuvor vergleichbar schwerwiegende beleidigende und bedrohende Erklärungen von der Klägerin nicht abgegeben worden waren. Im Übrigen konnte die Beklagte der Klägerin androhen, bei einem weiteren Vorfall während des Zustimmungsersetzungsverfahrens die Arbeitsleistung nicht mehr anzunehmen und die Vergütung zu verweigern. Begründete Anhaltspunkte dafür, dass dies die Klägerin unbeeindruckt gelassen hätte, sind nicht ersichtlich. Immerhin stand ihr Arbeitseinkommen auf dem Spiel.

Stattdessen hat die Beklagte zunächst die für die Klägerin weniger schwerwiegende Maßnahme einer Suspendierung bei Fortzahlung der Vergütung gewählt und (erst) das erstinstanzliche Obsiegen im Zustimmungsersetzungsverfahren zum Anlass genommen, ab dann "unbezahlten Urlaub" zu gewähren. Soweit darin überhaupt die erforderliche Erklärung liegen sollte, die Arbeitsleistung der Klägerin werde wegen Unzumutbarkeit abgelehnt, ist auf die zutreffende Feststellung des Bundesarbeitsgerichts hinzuweisen, wonach die für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung relevante Schwere des rechtswidrigen Tuns nicht von dessen Beweisbarkeit, sondern allein von der Tat als solcher abhängt (vgl. BAG, Urteil vom 28. April 1988 - 2 AZR 770/87 -).

Soweit die Beklagte darauf hinweist, für die vorgesetzte Assistentin der Betriebsleitung Frau P sei es nicht mehr zumutbar gewesen, mit der Klägerin zusammenzuarbeiten, ist festzuhalten, dass die Beklagte die Klägerin während der Dauer des Zustimmungsersetzungsverfahrens für Schichten einteilen konnte, in denen ein anderes Mitglied der 3-köpfigen Betriebsleitung die Vorgesetztenfunktion wahrnahm (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 28. April 1988 - 2 AZR 770/87 -). Gegebenenfalls konnte sie von der Klägerin mehr Flexibilität bei der Schichteinteilung verlangen.

cc. Soweit die Beklagte geltend macht, analog den Grundsätzen, die für den Weiterbeschäftigungsanspruch nach erstinstanzlichem Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess gelten, berechtige das erstinstanzliche Obsiegen im Zustimmungsersetzungsverfahren den Arbeitgeber, das Angebot der Arbeitsleistung ohne Fortzahlung der Vergütung abzulehnen, ist festzuhalten, dass schon die Prüfungsmaßstäbe nicht miteinander zu vergleichen sind. Geht es im ersten Fall um eine Abwägung der gegensätzlichen Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, so geht es hier um eine Zumutbarkeitsprüfung für eine der Arbeitsvertragsparteien (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 29. Oktober 1987 - 2 AZR 144/87 -).

Nach alledem hat das Arbeitsgericht zu Recht erkannt, dass die Beklagte aus Annahmeverzug die Vergütung für den Klagezeitraum und zudem das tarifliche Urlaubsgeld zu zahlen hat.

2. Der Anspruch auf Erteilung einer Lohnabrechnung für die Monate August und September 2007 besteht nach § 108 GewO.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die sich dabei stellenden Rechtsfragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet.

Ende der Entscheidung

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