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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 02.08.2005
Aktenzeichen: 1 Sa 952/05
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG, ZPO
Vorschriften:
BetrVG § 103 | |
ArbGG § 62 Abs. 2 | |
ZPO § 935 | |
ZPO § 940 |
Tenor:
1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 27.06.2005 - 8 Ga 38/05 d - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verfügungsbeklagte verurteilt wird, den Verfügungskläger vorläufig als Extruder-Gehilfen bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Zustimmungs- ersetzungsverfahren (ArbG Aachen - 8 BV 38/05 d -), jedoch nicht länger als bis zu der erstinstanzlichen Ersetzung der Zustimmung in diesem Verfahren beziehungsweise der erstinstanzlichen Entscheidung in dem über die Beschäftigung des Verfügungsklägers geführten Hauptsacheverfahren (ArbG Aachen - 8 Ca 2816/05 d -) zu beschäftigen.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob die Verfügungsbeklagte (künftig: Beklagte) berechtigt ist, den Verfügungskläger (künftig: Kläger) von der Arbeit freizustellen.
Der 55 Jahre alte Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten als Extruder-Gehilfe beschäftigt. Er ist in dem bei der Beklagten bestehenden siebenköpfigen Betriebsrat stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.
Am 02.06.2005 kam es zu folgendem Vorfall. Während eines Streiks wollte der Kläger als Streikposten das Werkstor schließen. Demgegenüber machte der Mitarbeiter D geltend, der Zugang zum Betrieb müsse auch wegen der Tätigkeit eines Drittunternehmens auf dem Betriebsgelände möglich sein. Daraufhin kam es zwischen dem Kläger und D zu einem Wortwechsel. Streitig ist zwischen den Parteien, ob der Kläger und D körperlich aneinander geraten sind und D in Folge dessen durch einen Kopfstoß ("Kopfnuss") des Klägers eine blutende Verletzung im Mundbereich erlitt. Unter dem 10.06.2005 bescheinigte ein Arzt, D habe ihn am 02.06.2005 wegen des von ihm behaupteten Kopfstoßes aufgesucht. Weiterhin heißt es in dem Attest:
"Die röntgenologische Untersuchung ist ohne Befund. Die klinische Untersuchung ergab eine Klopfempfindlichkeit der Oberkiefer Frontzähne und ein leichtes Bluten der Gingiva. Die Zähne sind vital. Spätfolgen sind allerdings nicht ausgeschlossen."
Mit Schreiben vom 03.06.2005 stellte die Beklagte den Kläger unter Anrechnung auf sein Freizeitguthaben von der Arbeit frei. Unter dem 09.06.2005 ersuchte sie den Betriebsrat um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung mit der Beklagten am 14.06.2005 zugegangenem Schreiben. Wegen des am 16.06.2005 eingegangenen Antrags der Beklagten auf Zustimmungsersetzung ist der Rechtsstreit noch vor dem Arbeitsgericht Aachen anhängig (- 8 BV 38/05 d -).
Mit dem am 17.06.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie dem gleichzeitig eingeleiteten Hauptsacheverfahren, das noch beim Arbeitsgericht Aachen anhängig ist (- 8 Ca 2816/05 d -), hat der Kläger seine tatsächliche Beschäftigung begehrt. Gegenüber seiner Version einer harmlosen Auseinandersetzung mit dem Mitarbeiter D hat die Beklagte behauptet, über den körperlichen Angriff hinaus zeige sich die aggressive Einstellung des Klägers daran, dass er gegenüber dem Mitarbeiter G nach erfolglosem Aufruf zur Beteiligung am Streik erklärt habe, er werde sich das merken und G von ihm hören. Beeinträchtigungen des Betriebsfriedens seien zu befürchten. Ein erneutes Zusammentreffen von D und dem Kläger lasse sich nicht vermeiden, weil letzterer als Schlosser an allen Maschinen und damit auch am Arbeitsplatz von D arbeiten müsse.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft des Zustimmungsersetzungsverfahrens - ArbG Aachen 8 BV 38/05 d - in seiner bisherigen Position zu beschäftigen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf Blatt 97 ff d. A. Bezug genommen.
Gegen das ihr am 04.07.2005 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 08.07.2005 Berufung eingelegt, die am selben Tag begründet worden ist. Sie behauptet weiterhin, der Kläger habe D körperlich angegriffen und mit einem Kopfstoß im Mundbereich verletzt. Zumindest bestehe der dringende Verdacht eines solchen Angriffs. Im Übrigen habe der Kläger bei einem Zusammentreffen mit D während des vorliegenden Verfahrens am 28.06.2005 diesem gegenüber erklärt, es stimme, das er ihn "auf die Schnauze gehauen" und "einen Fehler gemacht" habe. Im Betrieb herrsche Unruhe, weil D von Mitarbeitern mit bedrohlich klingenden Bemerkungen wie z. B. "Du wirst Dich noch wundern" bedacht worden sei.
Die Beklagte meint, der Kläger habe kein besonders schutzwürdiges Interesse an seiner tatsächlichen Beschäftigung dargelegt, was wegen der bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren bewirkten Erfüllung des im Hauptsacheverfahren noch nicht geklärten Beschäftigungsanspruchs für den Verfügungsgrund erforderlich sei. In der Sache habe gerade der Kläger als Gewerkschaftsfunktionär und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender wissen müssen, dass insbesondere das Schließen des Werkstors nicht vom Streikrecht gedeckt sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Antrag zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, die Beklagte zu verurteilen, ihn vorläufig als Extruder-Gehilfen bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Zustimmungsersetzungsverfahren (ArbG Aachen - 8 BV 38/05 d -), jedoch nicht länger als bis zu der erstinstanzlichen Ersetzung der Zustimmung in diesem Verfahren beziehungsweise der erstinstanzlichen Entscheidung in dem über die Beschäftigung des Klägers geführten Hauptsacheverfahren (ArbG Aachen - 8 Ca 2816/05 d -) zu beschäftigen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Er behauptet, nachdem er seine Beschäftigung erstritten habe, sei es zu keiner Störung des Betriebsfriedens gekommen. Er habe vergeblich versucht, D ein Schreiben, in dem er sein Bedauern über die Auseinandersetzung zum Ausdruck gebracht habe, zu überreichen. Im Übrigen sei D ein bekannter Streithansel. Er sei bei dem Vorfall von D durch dessen Ausruf "Du Arschloch, mach das Tor auf" provoziert worden. Dabei sei D mit erhobener Hand auf ihn zugegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten haben die Parteien auf ihre im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG und fristgerecht- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
2. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis mit Recht die einstweilige Verfügung erlassen.
a) Dem Verfügungskläger steht ein Verfügungsanspruch zu, da die Beklagte verpflichtet ist, ihn zu beschäftigen.
aa) Der Arbeitnehmer hat im unangefochtenen Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf tatsächliche vertragsgemäße Beschäftigung. Rechtsgrundlage dieses Beschäftigungsanspruchs ist der Arbeitsvertrag (§ 611 BGB), der den Arbeitnehmer gemäß § 613 BGB zur persönlichen Dienstleistung für den Arbeitgeber verpflichtet. Der Anspruch beruht unmittelbar auf der sich für den Arbeitgeber aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz ergebenden arbeitsvertraglichen Pflicht zur Förderung der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers (grundlegend BAG vom 10.11.1955 - 2 AZR 591/54 - = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; bestätigt von BAG - Großer Senat - vom 27.02.1985 - GS 1/84 - = EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9; ständ. Rspr.).
Da die Beklagte dem Kläger noch nicht außerordentlich gekündigt hat, sondern die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsvertrages erst nach erfolgreicher Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens gemäß § 103 BetrVG erklären darf, kommt die (vorläufige) Entbindung des Arbeitgebers von der Beschäftigungspflicht nach Ausspruch einer - nicht offensichtlich unwirksamen - außerordentlichen Kündigung entsprechend den Grundsätzen des Großes Senats des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom 27.02.1985 (aaO) nicht in Betracht. Allein der Antrag der Beklagten an den Betriebsrat auf Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung sowie das sich anschließende gerichtliche Verfahren auf Zustimmungsersetzung stellen noch keinen Eingriff in das Arbeitsverhältnis des Klägers dar und lösen somit nicht die Rechtsfolgen aus, die der Große Senat zum sog. allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch während eines Kündigungsschutzprozesses festgestellt hat.
bb) Bei noch nicht ausgesprochener Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bleibt dem Arbeitgeber nur die Suspendierung, um sich von der Beschäftigungspflicht zu befreien. Dieses Recht auf Freistellung des Arbeitnehmers steht der Beklagten nicht zu.
Offen bleiben kann, ob im Allgemeinen die Suspendierung eines Arbeitnehmers nur bei Vorliegen eines "wichtigen Grundes" im Sinne des § 626 BGB möglich ist (so z. B. LAG Köln vom 20.03.2001 - 6 Ta 46/01 - = LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 44) oder die Rechtmäßigkeit der Freistellung einer umfassenden Interessenabwägung vorbehalten bleiben muss, in der zu überprüfen ist, ob ausnahmsweise besondere schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers das grundsätzlich bestehende Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegen (so Küttner/Kreitner, Personalbuch, 12. Aufl. 2005, "Freistellung von der Arbeit" Rnr. 17). Da es nicht um die gewöhnliche Freistellung eines Arbeitnehmers, sondern um die Suspendierung eines Betriebsratsmitglieds geht, gelten besondere Regeln. Diese haben die gesetzgeberische Konzeption des Kündigungsschutzes von Betriebsratsmitgliedern zu berücksichtigen.
Betriebsratsmitglieder sind nicht nur in ihrem Amt geschützt (§ 23 Abs. 1 BetrVG: Ausschluss aus dem Betriebsrat nur bei grober Pflichtverletzung). Vielmehr erfährt auch ihr Arbeitsverhältnis einen besonderen Schutz. Sie sind grundsätzlich nicht ordentlich kündbar (Ausnahme: § 15 Abs. 4, 5 KSchG), und auch die außerordentliche Kündigung ist nur unter erschwerten Voraussetzungen durchsetzbar. Die Beschäftigung von Betriebsratsmitgliedern kann nicht wie bei "normalen" Arbeitnehmern allein mit dem privatautonomen Gestaltungsmittel der außerordentlichen Kündigung - zumindest vorläufig - beendet werden, sondern ihr Arbeitsverhältnis bleibt so lange mit allen Wirkungen bestehen, bis die Gerichte für Arbeitssachen die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Kündigung nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt und der Arbeitgeber danach die außerordentliche Kündigung ausgesprochen haben. Damit will der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass das Arbeitsverhältnis der Betriebsratsmitglieder wegen deren exponierter Stellung und des erhöhten Risikos von Konflikten mit dem Arbeitgeber gefährdeter als das der sonstigen Mitarbeiter ist (Bieback AuR 1977, 321). Abgesehen von dieser individualrechtlichen Ebene ist aber auch die kollektivrechtliche betroffen. Der Gesetzgeber wollte zusätzlich die Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassungsorgane sichern (Richardi/Thüsing, BetrVG, 9. Aufl. 2004, § 103 Rnr. 2; APS/Linck, 2. Aufl. 2004, § 103 Rnr. 1). Motiv der Sonderregelung war zwar, das Betriebsratsmitglied vor "willkürlichen" außerordentlichen Kündigungen des Arbeitgebers zu schützen (s. nur Fitting u. a., BetrVG, 22. Aufl. 2004, § 103 Rnr. 1). Da jedoch die Grenze zwischen "willkürlichen" und "normalen" außerordentlichen Kündigungen schwer zu ziehen ist, hat der Gesetzgeber den Schutz auf alle außerordentlichen Kündigung erstreckt und angeordnet, dass dann, wenn der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung nicht zugestimmt hat, das Betriebsratsmitglied in keinem Fall ohne vorher rechtskräftig gerichtlich festgestellte Berechtigung außerordentlich entlassen werden darf. § 103 BetrVG enthält damit in der Tat eine gewollte "überschiessende Tendenz" (Bieback, aaO, S. 322).
Dieser gesetzgeberische Zweck, der bei nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern gerade dem Fortbestand des wichtigen Kontaktes zwischen Betriebsratsmitglied und Belegschaft durch tatsächliche Beschäftigung dient, würde verfehlt, wenn man dem Arbeitgeber ohne weiteres erlauben würde, in etwas anderer Form, nämlich mit dem milderen Mittel der Freistellung gerade das zu erreichen, was er mit einer außerordentlichen Kündigung erst nach rechtskräftigem Abschluss des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens bewirken kann (Bieback, aaO, S. 328).
Dass der Gesetzgeber mit § 103 BetrVG nicht nur ein gerichtliches Vorschaltverfahren für die außerordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern eingeführt hat, sondern gerade auch den Inhalt ihrer Arbeitsverhältnisse schützen wollte, zeigt das Betriebsverfassungs-Reformgesetz vom 23.07.2001 (BGBl. I S. 1852). Das Betriebsverfassungsgesetz sieht nunmehr in Absatz 3 des § 103 BetrVG das gerichtliche Vorschaltverfahren auch für Versetzungen vor, die zu einem Verlust des Betriebsratsamtes führen würden. Der besondere Schutz sowohl vor der Beendigung als auch der Veränderung des Arbeitsverhältnisses von Betriebsratsmitgliedern macht deutlich, dass die Suspendierung von Betriebsratsmitgliedern nur unter erheblich erschwerten Voraussetzungen in Betracht kommt. Darin ist keine verbotene Begünstigung der Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG zu sehen. Der Gesetzgeber selbst hat mit der Spezialnorm des § 103 BetrVG den besonderen Schutz des Arbeitsverhältnisses von Betriebsratsmitgliedern geschaffen, der mit Hilfe eines im Gesetz nicht geregelten Instituts wie der Suspendierung nicht zu einem beachtlichen Teil unterlaufen werden darf.
cc) Nach allem kann der Arbeitgeber ein Betriebsratsmitglied während des Verfahrens auf Zustimmungsersetzung nach § 103 BetrVG nur dann von der Arbeitspflicht suspendieren, wenn der Beschäftigung solche schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, die eine Verhinderung der Beschäftigung geradezu gebieten. Das ist vor allem dann der Fall, wenn mit der Beschäftigung des Betriebsratsmitglieds erhebliche Gefahren für den Betrieb oder die dort tätigen Personen objektiv bestehen oder die durch konkrete Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass es zu Störungen des Betriebsfriedens oder des betrieblichen Ablaufs kommt (LAG Sachsen vom 14.04.2000 - 3 Sa 298/00 - = LAGE § 103 BetrVG 1972 Nr. 16; LAG Hamm vom 12.12.2001 - 10 Sa 1741/01 - = NZA - RR 2003, 311; Fitting u. a., aaO, § 103 Rnr. 44; APS/Linck, aaO, § 103 BetrVG Rnr. 38; Richardi/Thüsing, aaO, § 103 Rnr. 93; KR-Etzel, 7. Aufl. 2004, § 103 BetrVG Rnr. 143; GK-Raab, BetrVG, 7. Aufl. 2002, § 103 Rnr. 90; weitergehend Bieback, aaO, S. 329; Kittner/Däubler/Zwanziger - Kittner, KSchR, 6. Aufl. 2004, § 103 BetrVG Rnr. 64). Grundsätzlich müssen somit Umstände hinzukommen, die über den "wichtigen Grund" für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung hinausgehen. Bei besonders schwerem Gewicht des "wichtigen Grundes" wird auch allein der Anlass für die außerordentliche Kündigung ausreichen. Allerdings genügt es nicht, dass den vom Arbeitgeber ins Feld geführten Kündigungsgründen "einiges Gewicht" zukommt (LAG Sachsen, aaO; KR-Etzel, aaO).
dd) Der Beklagten ist nicht gelungen, in diesem Sinne erhebliche Gründe für eine Suspendierung des Klägers darzulegen. Ihre Befürchtungen für den Betriebsfrieden durch die Anwesenheit des Klägers im Betrieb sind überwiegend subjektiv und nicht durch objektive Umstände substanziiert. Die angebliche Äußerung des Klägers gegenüber dem Mitarbeiter G , er werde sich ihn als Streikbrecher merken, lässt sich (noch) nicht als ernsthafte Bedrohung auffassen, zumal die Beklagte nicht vorgetragen hat, der Kläger habe sich während seines 13-jährigen Arbeitsverhältnisses auch nur ein einziges Mal - abgesehen von dem umstrittenen Vorfall vom 02.06.2005 - zu einer Tätlichkeit hinreißen lassen. Dass Mitarbeiter gegenüber dem Arbeitnehmer D bemerkt haben sollen, "er werde sich noch wundern" kann ohne nähere Angaben nicht dem Kläger zugerechnet werden. Weiterhin hat die Beklagte nichts für frühere oder spätere Zusammenstöße zwischen dem Kläger und D vorgetragen.
Dass die betrieblichen Abläufe durch konkrete Vorkommnisse in Mitleidenschaft gezogen worden wären, ist nicht vorgetragen worden. Ein berufliches Zusammentreffen zwischen dem Kläger und D ist zeitlich sehr eng begrenzt und kann durch organisatorische Maßnahmen vermieden oder beaufsichtigt werden; ein Anlass dafür ist bisher nicht erkennbar. Dass Mitarbeiter trotz Bemühungen um Deeskalation ernsthaft Druck ausüben würden, den Kläger aus dem Betrieb zu entfernen, ist ebenfalls nicht vorgetragen worden.
Der Grund für die von der Beklagten beabsichtigte außerordentliche Kündigung reicht allein nicht für die Suspendierung aus. Selbst wenn man ihre Version des Vorfalls vom 02.06.2005 als wahr unterstellt und darüber hinaus - was hier offen bleibt - annehmen würde, auf dieses Geschehen ließe sich mit Erfolg eine außerordentliche Kündigung stützen, nähme der von der Beklagten ins Feld geführte "wichtige Grund" auf der Skala der wichtigen Kündigungsgründe nicht den Rang ein, der sofort wirksame Sanktionen verlangt. Es ist am 02.06.2005 zwischen dem Kläger und D zum Beispiel nicht zu einer Schlägerei gekommen. Die angebliche körperliche Gewalteinwirkung auf D hat sich in Grenzen gehalten, jedenfalls hat die von D eingeholte ärztliche Bescheinigung keinen Befund von (ernsthaften) Verletzungen festgehalten. Eine Wiederholungsgefahr ist nicht erkennbar, zumal der Vorfall während einer beendeten Streikaktion geschah. Es genügt somit als Reaktion, dass die Beklagte in dem anhängigen Verfahren über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung klären lässt, ob sie den Kläger fristlos entlassen darf.
3. Für den Erlass der einstweiligen Verfügung bestand auch ein Verfügungsgrund im Sinne der §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO. Dass die von der erkennenden Kammer neu formulierte Leistungsverfügung zur zeitweiligen Befriedigung des Anspruchs des Klägers auf Beschäftigung führt, ist unschädlich (allg. zur Zulässigkeit der Leistungsverfügung s. Zöller-Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 935 Rnr. 2, § 940 Rnr. 6). Der Kläger ist dringlich auf die einstweilige Verfügung angewiesen, weil ihm dadurch, dass ihn die Beklagte nicht beschäftigt, nicht nur wegen des Zeitablaufs endgültiger Rechtsverlust droht, sondern auch seine Stellung als Betriebsratsmitglied im Betrieb nicht unerheblich erschüttert wird (LAG Sachsen und LAG Hamm, jeweils aaO). Dem Kläger würde als Betriebsratsmitglied frühzeitiger Verlust des Ansehens als Amtsträger und des aus der Zusammenarbeit fließenden wichtigen Kontaktes mit der Belegschaft drohen. Dies reicht für den Verfügungsgrund. Höhere Anforderungen sind an ihn nicht zu stellen, da die deutlich überwiegenden Argumente für seinen Verfügungsanspruch auf tatsächliche Beschäftigung sprechen (ähnlich LAG Hamm, aaO, S. 314). Im Übrigen sind die Interessen der Beklagten dadurch gewahrt, dass die Berufungskammer die Wirkung der einstweiligen Verfügung - wie aus dem Tenor ersichtlich - im Hinblick auf die anhängigen Hauptsacheverfahren zeitlich begrenzt hat.
4. Da die Beklagte das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, muss sie nach §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 ZPO die Kosten der Berufung tragen.
Gegen dieses Urteil, in dem über eine einstweilige Verfügung zu befinden war, ist die Revision nicht zulässig (§ 72 Abs. 4 ArbGG).
Ende der Entscheidung
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