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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 22.12.2005
Aktenzeichen: 10 (9) Sa 982/05
Rechtsgebiete: BGB, ETV + MTV Chemie
Vorschriften:
BGB § 133 | |
BGB § 157 | |
ETV + MTV Chemie |
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.05.2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 20 Ca 13876/03 - unter Zurückweisung der Berufung im übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.643,51 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszins aus 200,15 € seit 01.10.2003, aus jeweils 114,26 € seit 01.11.2003, 01.12.2003, 01.01.2004, 01.02.2004, 01.03.2004, 01.04.2004, aus 154,26 € seit 01.05.2004, aus 114,26 € seit 01.06.2004, aus 207,20 € seit 01.07.2004, aus jeweils 160,26 € seit 01.08.2004, 01.09.2004, 01.10.2004, 01.11.2004, 01.12.2004, 01.01.2005, 01.02.2005 und 01.03.2005 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe der Entgeltstufe E 9 - Endstufe - für kaufmännische Tätigkeit nach dem Entgelttarifvertrag Chemie Nordrhein in der jeweils geltenden Fassung zu zahlen.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu 2/3, der Klägerin zu 1/3 auferlegt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Lohn.
Die Klägerin ist seit dem 01.09.1987 bei der Beklagten beschäftigt, zunächst als Auszubildende und seit dem 14.06.1989 als kaufmännische Angestellte. Im Arbeitsvertrag vom 14.06.1989 ist unter anderem folgendes vereinbart:
"3. a) Der Mitarbeiter erhält ein zum Monatsende zahlbares Brutto-Gehalt von monatlich DM 2.529,00 (in Worten: Zweitausendfünfhundertneunundzwanzig). Dieses Gehalt setzt sich wie folgt zusammen:
Tarifgehalt nach Gruppe E 4 des Tarifvertrages der Chemischen Industrie Nordrhein DM 2.529,--
b) Die Zulagen werden freiwillig gewährt. Aus der Gewährung kann ein Rechtsanspruch nicht hergeleitet werden. Bei Einstufung in eine höhere Tarifgruppe oder bei jeder Tarif-Gehaltserhöhung behält sich die Firma eine Anrechnung der gewährten Zulagen vor. Eine Kürzung der bisherigen Gesamtbezüge tritt dadurch nicht ein.
4. Die in der Firma geltenden Betriebsvereinbarungen, die Arbeitsordnung sowie der Sozialleistungsplan in der jeweils gültigen Fassung sind Bestandteile dieses Vertrages."
In der ab 01.04.1975 geltenden Arbeitsordnung ist unter Ziffer 25 geregelt:
"Vergütungsgrundsätze
Grundlage für die Berechnung des Arbeitsentgeltes sind jeweils die geltenden Tarifverträge für die Arbeitnehmer in der chemischen Industrie, betriebliche sowie einzelvertragliche Abmachungen."
In einer "Betriebsvereinbarung über den Manteltarifvertrag" vom 10.05.1972 heißt es:
"Der jeweils gültige Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten der chemischen Industrie ist in vollem Umfange und für alle in Betracht kommenden Arbeitnehmer auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden."
In einer Information für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom 08.10.1993 teilte die Beklagte mit, dass sie sich wegen der veränderten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens im ersten Halbjahr 1993 gezwungen gesehen habe, arbeitgeberseitig die Betriebsvereinbarung aufzukündigen, mit der sie sich zur Übernahme des Manteltarifvertrages der Chemischen Industrie verpflichtet habe. Ausschlaggebend für diesen Schritt seien die durch Arbeitszeitverkürzungen und Urlaubsverlängerungen immens angewachsenen Freizeitansprüche, die eine überproportionale Personalkostensteigerung zur Folge gehabt und auf weitere Sicht zum Abbau zusätzlicher Arbeitsplätze geführt hätten. In Verhandlungen mit dem Betriebsrat sei ein Kompromiss erzielt worden mit dem Inhalt, dass ab 01.01.1994 wieder die 39-Stunden-Woche gilt, ab 1994 die Altersfreizeit entfällt und in 1994 drei Urlaubstage festgeschrieben werden. Die weiteren im Manteltarifvertrag enthaltenen Arbeitsbedingungen behielten aber unverändert Gültigkeit.
Dieser Information war die mit dem Betriebsrat am 01.10.1993 abgeschlossene Betriebsvereinbarung beigefügt, in der es einleitend heißt, dass Vorstand und Betriebsrat übereingekommen seien, "in 1994 die 39-Stunden-Woche durchzuführen und die Altersfreizeit aufzuheben. Alle anderen Rahmenbedingungen des Manteltarifvertrages für die chemische Industrie vom 24.06.1992 werden weiterhin analog übernommen und praktiziert."
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Betriebsvereinbarung (Bl. 34 bis 35 d. A.) verwiesen.
Die Beklagte, die nicht Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes ist, gruppierte die Klägerin zuletzt in die Entgeltgruppe 9 K Endstufe ein (Schreiben der Beklagten vom 01.10.1999, Bl. 20 .d A.). In der Vertragsänderung vom 24.05.2002 / 29.05.2002 (Bl. 22 d. A.) heißt es auszugsweise:
"Wir freuen uns daher, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihr monatliches Bruttoentgelt rückwirkend ab 1. April 2002 auf Euro 3.045,00 (E9 /Endstufe 2.799,51 Euro zzgl. 245,49 außertarifliche Zulage) in Worten: dreitausendfünfundvierzig anheben werden.
Zulagen werden freiwillig gewährt. Aus der Gewährung kann ein Rechtsanspruch nicht hergeleitet werden. Bei Einstufung in eine höhere Tarifgruppe oder bei jeder tariflichen Gehaltserhöhung behält sich die M AG eine Anrechnung der gewährten Zulagen vor. Eine Kürzung der bisherigen Gesamtbezüge tritt dadurch nicht ein.
Die übrigen in Ihrem Anstellungsvertrag getroffenen Vereinbarungen behalten ihre Gültigkeit."
Tatsächlich zahlte die Beklagte bis einschließlich 1998 bzw. nach dem Vortrag der Beklagten bis 1997 die jeweils gültigen Tariflöhne nach dem Entgelttarifvertrag der Chemischen Industrie Nordrhein für die Arbeitnehmer in den Regierungsbezirken Düsseldorf und K während sie in den Folgejahren die tariflichen Loherhöhungen nicht mehr in vollem Umfang weitergab.
Mit der Begründung, in ihrem Arbeitsvertrag sei die Vergütung nach dem Entgelttarifvertrag vereinbart worden, zumindest aber gelte dieser Tarifvertrag über die in ihrem Arbeitsvertrag in Bezug genommene Arbeitsordnung, hat die Klägerin neben der Feststellungsklage auf Zahlung nach Tarif Differenzlohnansprüche für die Zeit ab Januar 2001 bis einschließlich Februar 2005 geltend gemacht.
Die Beklagte hat die Ansprüche mit der Begründung zurückgewiesen, der Entgelttarifvertrag finde auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Im übrigen sei ein Teil der Ansprüche nach § 17 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages für die chemische Industrie (MTV Chemie) verfallen, da die Klägerin ihre Ansprüche - unstreitig - vor Klageerhebung (10.12.2003) schriftlich nicht geltend gemacht habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 25.05.2005 abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihre erstinstanzlichen Schlussanträge (Bl. 109 bis 110, 176, 214 bis 215 d. A.) weiterverfolgt. Sie vertritt die Auffassung, sie habe einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung des tatsächlichen Tarifgehalts gemäß ihrer mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung über die Anwendung und Eingruppierung nach dem Entgelttarifvertrag. Die rückwirkend geltend gemachten Zahlungsansprüche seien nicht nach dem MTV Chemie verfallen. Der MTV Chemie sei auf das Arbeitsverhältnis insoweit nicht anwendbar, als in ihm Verfallklauseln geregelt seien. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung, verteidigt das angefochtene Urteil und bleibt bei ihrer Ansicht, auf das Arbeitsverhältnis sei zwar nicht der Entgelttarifvertrag, wohl aber die Ausschlussklausel des MTV Chemie anzuwenden.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf das angefochtene Urteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Sie hat mit dem Feststellungsantrag Erfolg. Zahlungsansprüche sind verfallen, soweit sie vor September 2003 fällig geworden sind.
I. Der Feststellungsantrag der Klägerin auf Vergütung nach dem Entgelttarifvertrag ist gem. § 256 ZPO zulässig und in der Sache begründet.
1. Ein unmittelbarer Anspruch aus Tarifrecht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG kommt nicht in Betracht, weil die erforderliche Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG nicht besteht; die Beklagte ist nicht Mitglied des vertragsschließenden Arbeitgeberverbandes.
2. Der Anspruch ergibt sich aus den nach §§ 133, 157 BGB auszulegenden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen in Verbindung mit dem Entgelttarifvertrag der Chemischen Industrie Nordrhein.
a. In Ziffer 3 a des Arbeitsvertrages vom 14.06.1989 haben die Parteien ein "Tarifgehalt" nach einer bestimmten Einstufung der Klägerin in die Entgeltgruppen nach dem Entgelttarifvertrag vereinbart. Daraus allein lässt sich zwar noch nicht eine dynamische Verweisung auf das jeweilige Tarifgehalt herleiten, denn die Beklagte ist nicht tarifgebunden, so dass jedenfalls der für eine dynamische Verweisung sprechende Gesichtspunkt einer dauerhaften Gleichstellung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer mit tarifgebundenen Arbeitnehmern im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden kann.
b. Im Rahmen der Vertragsauslegung sind aber weitere Umstände zu berücksichtigen, die es aus der maßgebenden Sicht des Erklärungsempfängers gerechtfertigt erscheinen lassen, dass die Parteien eine dynamische Verweisung auf den Entgelttarifvertrag gewollt haben.
Der Inhalt von Willenserklärungen ist nach den §§ 133, 157 BGB objektiv unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles aus der Sicht des Erklärungsempfängers so auszulegen, wie er ihn nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte und musste. Dabei sind auch die den Parteien erkennbaren Begleitumstände und ihr Verhalten vor und nach Vertragsabschluss berücksichtigen (vgl. BAG, Urteil vom 24.09.2003 - 10 AZR 34/03 - NZA 2004, 149, 150).
Für eine dynamische Bezugnahme auf den jeweiligen Entgelttarifvertrag spricht die von den Parteien vereinbarte Ziffer 3 b des Arbeitsvertrages. Dort hat sich die Beklagte für den Fall freiwillig gewährter Zulagen einen Anrechnungsvorbehalt bei einer Einstufung der Klägerin in eine höhere Tarifgruppe und "bei jeder Tarif-Gehaltserhöhung" einräumen lassen. Mit einer bloß statischen Festschreibung des Tarifgehalts im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses lässt sich die Abrede über den Anrechnungsvorbehalt nicht vereinbaren. Die Anrechnungsbestimmung "bei jeder Tarif-Gehaltserhöhung" konnte und durfte die Klägerin so verstehen, dass ihr Tarifgehalt an den jeweiligen Tariflohnerhöhungen teilnimmt, allerdings bei Zulagen nach der jeweiligen Entscheidung des Arbeitgebers eine Anrechnung hinnehmen muss. Die gleiche Regelung findet sich in der Vertragsänderung vom 24.05. / 29.05.2002. In ihr nimmt die Beklagte ebenfalls wieder auf eine Entgeltgruppe im Entgelttarifvertrag Bezug (E 9 / Endstufe) und bestätigt die Regelung, dass Zulagen freiwillig gewährt werden und bei einer Einstufung in eine höhere Tarifgruppe oder "bei jeder tariflichen Gehaltserhöhung" sich die Beklagte eine Anrechnung der gewährten Zulagen vorbehält.
Für eine dynamische Bezugnahme auf das jeweilige Tarifgehalt spricht ergänzend die Ziffer 4 des Arbeitsvertrages vom 14.08.1989, die u. a. auf die Arbeitsordnung verweist. Diese Bestimmung ist durch die Vertragsänderung vom 24.05./ 29.05.2002 unverändert geblieben, denn in der Vertragsänderung ist geregelt, dass die übrigen im "Anstellungsvertrag", also im Vertrag vom 14.06.1989, getroffenen Vereinbarungen ihre Gültigkeit behalten. Nach Ziffer 25 der Arbeitsordnung ist als Vergütungsgrundsatz geregelt, dass die jeweils geltenden Tarifverträge Grundlage für die Berechnung des Arbeitsentgelts sind. In Ziffer 25 der Arbeitsordnung wird zwar auch auf betriebliche Abmachungen verwiesen. Daraus lässt sich aber nicht herleiten, dass betriebliche Abmachungen Vorrang vor den Bestimmungen des jeweils geltenden Tarifvertrages für die Lohnhöhe hätten. Abgesehen davon, dass die Arbeitsordnung eine derartige Kollisionslage nicht regelt, stände die Bestimmung des § 77 Abs. 3 BetrVG einer an Betriebsvereinbarungen orientierten vom jeweils geltenden Tarifvertrag abweichenden Lohnregelung entgegen. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG gilt auch für nichttarifgebundene Arbeitgeber (BAG, Urteil vom 05.03.1997 - 4 AZR 532/95 - AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt).
Für die Auslegung im Sinne einer dynamischen Verweisung auf das jeweilige Tarifgehalt spricht schließlich auch die tatsächliche Handhabung durch die Beklagte, die der Klägerin - bis auf den streitigen Zeitraum - das jeweilige Tarifgehalt gezahlt hat. Außerdem hat sie in den Gehaltsmitteilungen und Verdienstabrechnungen bis in das Jahr 2004 hinein die Vergütung der Klägerin jeweils als "Tarif-Entgelt" bezeichnet, in den Verdienstabrechnungen unter genauer Angabe der Entgeltgruppe und Stufe des Entgelttarifvertrages. Dass die Beklagte seit 1997 bzw. 1998 tatsächlich nicht mehr den vollen Tariflohn gezahlt hat, ändert an der ursprünglich im Arbeitsvertrag vereinbarten und zunächst auch praktizierten Zahlung des jeweiligen Tarifgehalts nichts.
c. Selbst wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung Zweifel blieben, ob eine nur statische oder eine dynamische Verweisung auf den Entgelttarifvertrag vorliegt, gingen diese Zweifel zu Lasten der Beklagten. Es handelt sich bei der Regelung im Arbeitsvertrag vom 14.06.1989 und der Vertragsänderungsvereinbarung vom 24.05./ 29.05.2002 um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB. Nach § 305 c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders. Diese Regelung gibt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz wieder, der schon vor In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auch im Arbeitsrecht Geltung besaß. Die Unklarheitenregel beruht auf dem Gedanken, dass es Sache des Verwenders ist, sich klar und unmissverständlich auszudrücken. Danach kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, die von ihr verwendeten Formularverträge seien hinsichtlich der Verweisung auf die tarifliche Vergütung unklar und deshalb sei davon auszugehen, die Vergütung richte sich allein nach dem bei Abschluss des Arbeitsvertrages geltenden Tarifgehalt. Die Unklarheitenregel gilt gerade auch für den Fall, dass die Tragweite einer Verweisung auf Tarifnormen zweifelhaft ist (BAG, Urteil vom 09.11.2005 - 5 AZR 128/05).
d. Das Berufungsgericht teilt nicht die Auffassung der Beklagten, die Parteien hätten den Arbeitsvertrag in der Frage der Zahlung des jeweiligen Tarifgehalts stillschweigend dadurch geändert, dass die Klägerin die nicht volle Weitergabe der Tariflohnerhöhungen ab 1997 bzw. 1998 widerspruchslos hingenommen habe. Zunächst fehlt es bereits an der nötigen Klarheit eines Änderungsangebots durch die Beklagte. In der Mitarbeiterinformation vom 19.02.1997 teilte die Beklagte mit, dass sich entsprechend der Laufzeit des Entgelttarifvertrages der Tarifgemeinschaft Chemie Nordrhein die Tarifentgeltsätze mit Wirkung ab 01.03.1997 um 1,5 % erhöht. Die weitere Mitteilung, dass die zwischen den Tarifparteien ausgehandelte Einmalzahlung in Höhe von 60,00 DM brutto entfalle und das Unternehmen dafür die Jahresleistung (Weihnachtsgeld) 1997 in voller Höhe zahle, rechtfertigt noch nicht die Auslegung, die Beklagte wolle nun die arbeitsvertraglich vereinbarte Bindung an den Entgelttarifvertrag für die Zukunft aufgeben. Das gleiche gilt für die Mitarbeiterinformation vom 13.07.1998, in der die Beklagte zwar mitteilt, dass sie nicht in der Lage sei, den Tarifabschluss in vollem Umfang zu übernehmen. Im nächsten Satz heißt es sodann, dass sich die Beklagte entschlossen habe, trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage die Tarifentgelterhöhung um 2,4 % ab 01.10.1998 vorzunehmen und darüber hinaus die volle Jahresleistung im Monat November auszuzahlen. Soweit die Beklagte in einer weiteren Mitarbeiterinformation vom 12.12.2001 darüber informiert, dass sie trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage eine Tarifanpassung vornehme und sich mit dem Betriebsrat auf eine Erhöhung von 2 % zum 01.01.2002, von 1 % zum 01.07.2002 und von 1,25 % zum 01.01.2003 geeinigt habe, ist dies zunächst auch nur eine Mitteilung und nicht zwingend als Angebot zur Vertragsänderung zu verstehen. Eine solche Mitteilung kann auch den Hintergrund haben, dass die Beklagte hofft, dass die Arbeitnehmer mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage Verständnis aufbringen und es hinnehmen würden, dass vorübergehend so verfahren wird (vgl. BAG, Urteil vom 14.08.1996 - 10 AZR 69/95 - DB 1996, 2547).
Abgesehen davon kann das bloße Schweigen der Klägerin nicht ohne weiteres als Annahme eines etwaigen Vertragsänderungsangebots gewertet werden. Schweigen stellt in der Regel keine Willenserklärung dar, also auch keine Annahme eines Angebots zur Änderung eines bestehenden Vertrages. Wer auf ein Angebot nicht reagiert, stimmt diesem nicht zu, wie sich aus § 147 Abs. 2 BGB ergibt. Das Gesetz regelt selbst die Fälle, in denen ausnahmsweise Schweigen als Annahmeerklärung gewertet wird (§§ 516 Abs. 2 BGB, 362 Abs. 1 HGB). Vor allem in Fällen einer Offerte zwecks nachteiliger Veränderung einer bestehenden Vertragssituation kann nicht unterstellt werden, dass derjenige, der nicht reagiert, mit dem ihm angesonnenen Nachteil einverstanden ist. Nur unter besonderen Umständen kann Schweigen des Erklärungsempfängers als Zustimmung zu verstehen sein, wenn nämlich der Erklärende nach Treu und Glauben annehmen durfte, der andere Vertragsteil würde der angebotenen Vertragsänderung widersprechen, wenn er ihr nicht zustimmen wolle (BAG, a. a. O.).
Solche Umstände sind hier nicht gegeben. Es kann schon nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass die Klägerin entgegen ihrem Vortrag über die tatsächlichen Tariflohnerhöhungen informiert war. In den Gehaltsmitteilungen hat die Beklagte die - erhöhte - Vergütung jeweils als "Tarifentgelt" bezeichnet. Gleiches gilt für die Verdienstabrechnungen. Dort ist das Tarifentgelt ausdrücklich noch weiter präzisiert durch Angabe der Tarifgruppe und der Stufe des "Chemietarif Nordrhein."
e. Das Recht der Klägerin, das tatsächliche Tarifentgelt zu fordern, ist nicht verwirkt. Es fehlt jedenfalls am sog. Umstandsmoment. Hierfür müssen besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten zum Zeitmoment hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen. Der Berechtigte muss unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass sich der Verpflichtete darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen (BAG, Urteil vom 25.04.2001 - 5 AZR 497/99 - DB 2001, 1833, 1834).
Diese Voraussetzungen liegen bereits nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht vor. Wenn die Beklagte nach eigenen Angaben stets davon ausgegangen ist, dass Ansprüche der Klägerin auf Weitergabe der Tariflohnerhöhungen nicht bestehen und keine Kenntnis von einem möglichen Anspruch der Klägerin hat, kann sie auf das Ausbleiben einer entsprechenden Forderung allenfalls allgemein, nicht aber konkret hinsichtlich eines bestehenden Anspruchs vertrauen. Der Schutz vor unbekannten Forderungen hat das Verjährungsrecht zu gewährleisten, nicht aber Treu und Glauben (BAG a. a.O.). Abgesehen davon ist es nicht treuwidrig, wenn die Klägerin das tatsächliche Tarifentgelt verlangt, von dem in den Gehaltsmitteilungen und Verdienstabrechnungen die Rede ist.
II. Die Zahlungsansprüche der Klägerin sind bis einschließlich August 2003 nach § 17 Ziffer 2 MTV Chemie verfallen.
1. Die Ausschlussfristen des § 17 MTV Chemie sind auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar.
a. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die Geltung der Ausschlussfristen unmittelbar aus Betriebsvereinbarungen (§ 77 Abs. 4 BetrVG) ergibt. Die Betriebsvereinbarung vom 10.05.1972 erklärt zwar den jeweils gültigen Manteltarifvertrag für anwendbar. Die Wirksamkeit einer solchen Betriebsvereinbarung mit sog. dynamischer Blankettverweisung begegnet jedoch nicht nur wegen der Problematik der Delegation der Normsetzungsbefugnis auf einen anderen Normgeber, sondern auch wegen des Tarifvorbehalts im § 77 Abs. 3 BetrVG bedenken (BAG, Urteil vom 09.04.1991 - 1 AZR 406/90 - AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; Fitting u. a. § 77 Rdn. 98; Wiedemann in Anmerkung 3 zu BAG, Beschluss vom 23.06.1992 - 1 ABR 9/92 - AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972).
b. Die Geltung des Manteltarifvertrages und damit auch der Verfallfristen ist arbeitsvertraglich begründet und ergibt sich aus betrieblicher Übung. Bei Vertragsabschluss war es seit über 20 Jahren betriebliche Praxis, dass der Manteltarifvertrag auf die Arbeitsverhältnisse angewandt wurde. In der Mitarbeiterinformation vom 08.10.1993 hat die Beklagte im Anschluss an eine auf ein Jahr befristete Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitfragen zugesagt, dass die weiteren im Manteltarifvertrag enthaltenen Rahmenbedingungen unverändert Gültigkeit behalten. Die Beklagte hatte damit die weitere Anwendung praktisch sämtlicher Bestandteile des Manteltarifvertrages einschließlich der "Rosinen" zugesagt.
Dass diese Zusage anlässlich der auf das Jahr 1994 befristeten Betriebsvereinbarung erfolgte, lässt die Zusage unberührt. Die Betriebsvereinbarung vom 01.10.1993 regelte wegen der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens lediglich eine vorübergehende Abweichung vom Manteltarifvertrag, die nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung über das Jahr 1994 hinaus keine Gültigkeit haben sollte. Die uneingeschränkte Geltung des Manteltarifvertrages entsprechend der bisherigen Übung wurde hierdurch nur unterstrichen. Mit der Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages muss die Klägerin auch belastende Tarifbestimmungen wie die über Ausschlussfristen gegen sich gelten lassen. Anhaltspunkte für eine selektive Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag nur insoweit, als es für die Klägerin günstig ist, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. BAG, Urteil vom 19.01.1999 - 1 AZR 606/98 - NZA 1999, 879, 882).
2. Nach § 17 Ziffer 2 MTV Chemie müssen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Da die Klägerin Entgelt in Höhe des tatsächlichen Tariflohns und damit zusammenhängende Vergütungsdifferenzansprüche nicht vorgerichtlich, sondern schriftlich erst mit Klageerhebung (10.12.2003) geltend gemacht hat, sind sie bis einschließlich August 2003 verfallen. Besondere Umstände, die die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist als unzulässige Rechtsausübung erscheinen lassen könnten (§ 17 Ziffer 2 Satz 3 MTV Chemie), liegen nicht vor. Die Bezeichnungen "Tarifentgelt" und "Tarif Chemietarif Nordrhein" in den Gehaltsmitteilungen und Verdienstabrechnungen reichen hierfür nicht aus, zumal die Beklagte durch die Mitarbeiterinformationen zu erkennen gegeben hat, dass sie wegen ihrer angespannten wirtschaftlichen Lage die Tarifabschlüsse nicht in vollem Umfang weitergegeben hat.
3. Die Differenzlohnansprüche, die die Klägerin ab September 2003 geltend macht, sind - mit Ausnahme des Anspruchs auf Sonderzuwendungen - in vollem Umfang begründet.
a. Die Entgeltdifferenzansprüche in Höhe von 200,15 € für September 2003, in Höhe von monatlich 114,26 € für die Zeit von Oktober 2003 bis einschließlich Mai 2004, der Differenzlohn für April 2004 von 154,26 € wegen der tariflichen Einmalzahlung von 40,00 € (114,26 € + 40,00 €) sowie die ab Juni 2004 bis Februar 2005 geltend gemachten monatlichen Lohndifferenzansprüche von 160,26 € nebst Zinsen gem. § 288 Abs. 1 BGB sind begründet. Einwendungen gegen die Höhe des Anspruchs hat die Beklagte - abgesehen von der Streitfrage über die Zahlung von Tariflohn - nicht erhoben.
b. Die geltend gemachten Sonderzuwendungen sind, soweit sie für November 2003, Oktober 2004 und November 2004 geltend gemacht worden sind, nicht begründet, da der Anspruch insoweit nicht schlüssig vorgetragen ist.
aa. Für November 2003 beansprucht die Klägerin neben der Zahlung der Tariflohndifferenz von 114,26 € (Tariflohn 3.063,00 € abzüglich tatsächlich gezahltem "Tarifentgelt" von 2.948,74 €) eine Weihnachtsgelddifferenz in Höhe weiterer 114,26 €, insgesamt 228,52 €. Da die Klägerin ausweislich ihres Schriftsatzes vom 18.02.2005, Bl. 5, Ziffer 17 (Bl. 123 d. A.) und ihres Schriftsatzes vom 25.10.2005, Bl. 6 (Bl. 244 d. A.) lediglich ein Weihnachtsgeld in Höhe eines "tariflichen Gehalts" begehrt, tatsächlich aber ein Weihnachtsgeld von 3.194,23 € bekam, hat sie mehr erhalten als sie beansprucht. Der Tariflohn beträgt 3.063,00 €. Die Beklagte hat sich demgegenüber an ihren Sozialleistungsplan gehalten und nicht den Tariflohn, sondern das effektive Bruttogehalt unter Berücksichtigung der AT - Zulage gezahlt. Für November 2003 bleibt daher nur der zuerkannte Anspruch auf die Tariflohndifferenz von 114,26 €.
bb. Für Oktober 2004 begehrt die Klägerin über die Tariflohndifferenz von 160, 26 € hinaus (Tariflohn 3.109,00 € abzüglich 2.948,74 €) eine "tarifliche Sonderzahlung" in Höhe von 220,54 €, ohne dass hierfür eine Rechtsgrundlage vorgetragen oder sonst ersichtlich ist. Konsequenterweise hat die Klägerin für den Vorjahresmonat Oktober 2003 eine "tarifliche Sonderzahlung" erst gar nicht geltend gemacht. Es bleibt daher bei der zuerkannten Tariflohndifferenz von 160,26 €.
cc. Anspruch auf eine Sonderzahlung in Form eines Weihnachtsgeldes hat die Klägerin für November 2004. Soweit sie neben der Differenz im Tariflohn von 160,26 € weitere Differenzen deshalb geltend macht, weil sie Anspruch auf Weihnachtsgeld "in Höhe eines Tarifgehalts" (Schriftsatz der Klägerin vom 18.02.2005, Bl. 6 Ziffer 24, Bl. 114 d. A. und Schriftsatz vom 25.10.2005, Bl. 6, Bl. 244 d. A.) habe, wird auf die Ausführungen zum Weihnachtsgeld für November 2003 verwiesen. Es verbleibt daher bei dem Anspruch auf die Tariflohndifferenz von 160,26 €.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO.
IV. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da es hierfür am gesetzlichen Grund fehlt. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde unter den Voraussetzungen des § 72 a ArbGG wird verwiesen.
Ende der Entscheidung
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