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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 13.03.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 1151/08
Rechtsgebiete: EKT, DV ProD, ZPO, BGB, ArbGG


Vorschriften:

EKT § 6 Abs. 3
EKT § 6 Abs. 8 Anlage 12
EKT § 6 Anlage 12
EKT § 6 Abs. 7 Anlage 12
EKT § 6 Abs. 7 3. Spiegelstrich Anlage 12
DV ProD § 6 Abs. 2
DV ProD § 6 Abs. 3
DV ProD § 6 Abs. 5
DV ProD § 8
ZPO § 323
ZPO § 323 Abs. 1
BGB § 613 a
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.07.2008 - 17 Ca 4582/08 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 533,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit 18.06.2008 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Gewährung einer Versetzungszulage an die Klägerin.

Die Klägerin ist seit 01.02.1991 als Sachbearbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Der Dienstort der in K wohnenden Klägerin war bis Mitte Februar 2008 in D , zum 18.02.2008 wurde die Klägerin nach K versetzt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin findet die von der Beklagten mit dem bei ihr gebildeten Hauptpersonalrat abgeschlossene Dienstvereinbarung vom 21.08.2007 betreffend die Neuorganisation der Beklagten und die damit einhergehenden Personalmaßnahmen Anwendung.

§ 6 Abs. 3 der Dienstvereinbarung ProD regelt hinsichtlich eines Anspruchs auf Gewährung einer Versetzungszulage folgendes:

Entscheiden sich Beschäftigte, obwohl ein Wohnortwechsel gemäß § 6 Abs. 8 der Anlage 12 EKT möglich ist, nicht für einen solchen, erhalten sie die Versetzungszulage nach dem Tarifvertrag über Versetzungszulagen. Zusätzlich wird die tägliche Arbeitszeit für 6 Monate um 30 Minuten ohne Gehaltskürzung verringert.

§ 6 Anlage 12 EKT mit Stand vom 01.05.1988 lautet hinsichtlich der Absätze 6 bis 8 wie folgt:

(6) Ein Arbeitsplatz ist zumutbar, wenn entweder die tägliche Rückkehr zum Wohnort oder ein Wohnsitzwechsel möglich ist. Vorrangig ist dem Angestellten ein Arbeitsplatz nächstliegend zum bisherigen Dienst- oder Wohnort anzubieten.

(7) Die tägliche Rückkehr zum Wohnort i. S. d. Absatzes 6 ist möglich, wenn

- die neue Dienststelle nicht weiter von der Wohnung des Angestellten entfernt ist als die bisherige Dienststelle oder

- die neue Dienststelle nicht weiter als 25 km von der Wohnung des Angestellten entfernt ist oder

- sich die Fahrtzeit für die Hin- und Rückfahrt unter Beibehaltung des bisher benutzten Beförderungsmittels nur unwesentlich erhöhen würde oder

- der zeitliche Aufwand für den Hin- und Rückweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln 2,5 Stunden nicht überschreitet.

(8) Ein Wohnsitzwechsel i. S. d. Absatzes 6 ist möglich, wenn nicht familiäre, gesundheitliche oder sonstige persönliche Umstände des Angestellten einen Wohnsitzwechsel unzumutbar machen.

Mit Schreiben vom 29.04.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Versetzungszulage gegenüber der Klägerin ab.

Die Klägerin hat daraufhin mit ihrer am 04.06.2008 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Zahlungsklage die Gewährung der Versetzungszulage für den Zeitraum vom 18.02. bis 31.05.2008 geltend gemacht.

Sie hat die Auffassung vertreten, sämtliche Voraussetzungen für die Versetzungszulage nach der DV ProD lägen vor, da ihr eine tägliche Rückkehr im Sinne des § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT nach Versetzung zum 18.02.2008 nach K nicht möglich sei. Zum einen sei die neue Dienststelle in K mit nunmehr ca. 47 km weiter entfernt als die bisherige Dienststelle in D mit ca. 20 km (§ 6 Abs. 7, 1. Spiegelstrich Anlage 12 EKT); die neue Dienststelle in K sei auch mehr als 25 km von der Wohnung der Klägerin entfernt (6 Abs. 7, 2. Spiegelstrich Anlage 12 EKT), die Zeit für die Hin- und Rückfahrt zu der bisherigen Dienststelle nach D sei für die Klägerin mit einem PKW zwischen 60 bis 80 Minuten zu bemessen, zu dem neuen Dienstort nach K habe die Klägerin zunächst mit ihrem PKW 50 bis 90 Minuten Fahrtzeit absolviert. Zudem sei die Parkplatzsituation für die Klägerin in K schlecht gewesen, auch habe die Klägerin 25 € für hauseigenen Parkplätze aufwenden müssen. Daher sei die Klägerin mit ihrem PKW zum Bahnhof in G , von da dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach K gefahren, so dass für die Hin- und Rückfahrt insgesamt 156 Minuten angefallen seien. Damit liege eine wesentliche Erhöhung der Fahrtzeit vor, der ihr die tägliche Rückkehr zum Wohnort nach § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT nicht möglich mache. Der zeitliche Aufwand zu dem Hin- und Rückweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrage nach K 244 Minuten für die Klägerin und überschreite daher den in § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT gesetzte Grenze von 2,5 Stunden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 533,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die tägliche Rückkehr der Klägerin von ihrem Dienstort in K sei nach § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT möglich gewesen. Eine wesentliche Abweichung hinsichtlich der Fahrtzeit für die Hin- und Rückfahrt unter Beibehaltung des bisher von der Klägerin benutzten Beförderungsmittels sei nicht gegeben. Nach Angaben der Klägerin habe der Zeitraum bisher 60 bis 80 Minuten für die Fahrt nach D betragen, während der Zeitraum für die Wegstrecke nach K mit 50 bis 90 Minuten zu veranschlagen sei. Nach den Vorgaben der Anlage 12 EKT sei nicht auf die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel für die Klägerin abzustellen, sondern auf den von der Klägerin auch bisher genutzten PKW.

Nach Einverständnis der Parteien hinsichtlich der Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden hat das Arbeitsgericht Köln durch Urteil vom 22.07.2008 die Klage als unbegründet abgewiesen, da der Klägerin ein Anspruch auf die Gewährung der Versetzungszulage nach § 6 Abs. 3 DV ProD nicht zustehe. Nach dem Wechsel des Dienstortes nach K sei keine wesentliche Erhöhung der Fahrtzeit für die Hin- und Rückfahrt bei Beibehaltung des Beförderungsmittels PKW für die Klägerin gegeben. Das Arbeitsgericht Köln hat die Berufung zugelassen.

Gegen das ihr am 10.10.2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Köln hat die Klägerin am 26.09.2008 Berufung eingelegt und diese am 20.10.2008 bei dem Landesarbeitsgericht Köln begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, sie könne die Versetzungszulage in Höhe von monatlich 153,39 € für den Zeitraum vom 18.02. bis 31.05.2008 gegenüber der Beklagten beanspruchen. Die tägliche Rückkehr zum Wohnort sei gemäß § 6 Abs 7 Anlage 12 EKT nach dem Wechsel zur neuen Dienststelle in K nicht möglich. Auch bei Beibehaltung des bisherigen Verkehrsmittels PKW sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts eine wesentliche Erhöhung der Fahrtzeiten i. S. d. § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT gegeben. Während sie bisher nach D 60 bis 80 Minuten für Hin- und Rückfahrt aufgewendet habe, betrage die Fahrtzeit für Hin- und Rückfahrt nach K auch mit Rücksicht auf die Staugefahr auf den von der Klägerin zu nutzenden Autobahnen A 44 und A 57 insgesamt 100 bis 180 Minuten. Das Arbeitsgericht sei hierbei irrig von 50 bis 90 Minuten als gesamte Fahrtzeit für die Hin-und Rückfahrt nach K und zurück ausgegangen. Die Verdopplung der Fahrtzeit sei nicht unwesentlich. Die von den Internetroutenplanern angegebenen Fahrtzeiten seien nicht aussagekräftig, da sie nur bei günstigen Verkehrsverhältnissen einzuhalten seien. Ohnehin ergebe sich aus den vom Routenplaner "Map24" ermittelten Werte, die von einer Fahrtzeit der Klägerin nach D von 25 Minuten und nach K von 36 Minuten ausgingen, eine Steigerung von 44 %.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.07.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 533,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.06.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertieft ihren diesbezüglichen Sachvortrag. Bei der Frage nach der Wesentlichkeit der Fahrtzeiterhöhung sei nicht nur das Verhältnis der jeweiligen Fahrtzeiten relevant, sondern es sei auch auf das Verhältnis der Fahrtzeiten zu dem Umfang der täglichen Arbeitszeit abzustellen. Die Differenzierung zwischen Teil- und Vollzeitbeschäftigten ergebe sich auch aus den Regelungen in § 6 Abs. 5 und § 8 DV ProD hinsichtlich der Gewährung einer Mobilitätspauschale und der Änderung der Lage der Arbeitszeit. Auf eine Staugefahr auf den von der Klägerin genutzten Autobahnen A 44 und A 57 sei für die Fahrtzeit zu dem Dienstort nach K nicht abzustellen, da nur objektivierbare Umstände einen Maßstab für die maßgebliche Fahrtzeit nach § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT darstellten. Gemäß dem Routenplaner "ViaMichelin" ergebe sich für den Weg von der Wohnung der Klägerin zu der bisherigen Dienststelle in D die Fahrtzeit von 28 Minuten, während die Fahrtzeit nach K 35 Minuten für eine einfache Fahrt betrage. Dies sei keine wesentliche Abweichung. Zudem sei zu berücksichtigen, dass für die teilzeitbeschäftigte Klägerin bei ihrer Rückfahrt in der Mittagszeit ohnehin regelmäßig keine Staus vorhanden seien. Mit Rücksicht auf die tägliche Arbeitszeit von 4 Stunden ergebe sich für die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte mit einer täglichen Arbeitszeit von 4 Stunden eine Erhöhung der Fahrtzeit aus dem Routenplaner nur um 4,73 %, die als unwesentlich einzustufen sei. Gemäß § 323 ZPO ergebe sich eine wesentliche Abweichung erst, wenn zumindest 10 % Abänderung erreicht sei. Höhere Prozentsätze griffen bspw. bei der Frage nach dem Übergang von wesentlichen Betriebsmitteln im Rahmen des § 613 a BGB oder im Rahmen der Wesentlichkeit von bisherigen Krankheitszeiten als Grundlage für die negative Prognose bei krankheitsbedingten Kündigungen. Für die Auslegung des § 6 Abs. 7, 3. Spiegelstrich Anlage 12 EKT sei auch auf den 4. Spiegelstrich desselben Absatzes abzustellen. Hier sei für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ein Gesamtzeitrahmen von 2,5 Stunden geregelt worden. Dieser beinhalte Warte- und Umsteigezeiten, die mit 20 % des Gesamtzeitrahmens zu veranschlagen seien. Rechne man diese, bei einem PKW nicht gegebene Zwischenzeiträume heraus, verblieben 2 Stunden als zumutbarer Zeitrahmen für die Hin- und Rückfahrt, der auch im Rahmen der Wesentlichkeit der Änderungen im Rahmen des 3. Spiegelstriches zu berücksichtigen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Unterlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft gemäß § 64 Abs. 1, 2 a ArbGG sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Auf die Berufung der Klägerin war das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.07.2008 abzuändern, da sich die Zahlungsklage der Klägerin als begründet erweist.

Die Klägerin kann einen Anspruch auf Gewährung der Versetzungszulage nach § 6 Abs. 2 DV ProD für den Zeitraum vom 18.02.2008 bis 31.05.2008 in Höhe von 533,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 18.06.2008 gegenüber der Beklagten geltend machen.

Nach ihrer Versetzung nach K ist davon auszugehen, dass für die Klägerin ein Wohnsitzwechsel nach § 6 Abs. 8 Anlage 12 EKT möglich war, da eine tägliche Rückkehr unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT nicht als möglich anzusehen ist. Daher kann die Klägerin, die sich nicht für einen entsprechenden Wohnortwechsel entschieden hat, nach § 6 Abs. 3 die dann anfallende Versetzungszulage nach dem Tarifvertrag über Versetzungszulagen beanspruchen.

1. Die Möglichkeit der täglichen Rückkehr zum Wohnort ergibt sich aus keinem der Spiegelstriche in § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT.

a. Die neue Dienststelle der Klägerin in K ist weiter von der Wohnung der Klägerin mit einer Fahrtstrecke von ca. 47 km entfernt als der bisherige Weg nach D von ca. 20 km. Die neue Dienststelle in K ist damit auch weiter als 25 km von der Wohnung der Klägerin im Sinne des 2. Spiegelstrichs entfernt. Der zeitliche Aufwand für den Hin- und Rückweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln überschreitet mit den von der Klägerin angegebenen, von der Beklagten nicht bestrittenen 244 Minuten den im 4. Spiegelstrich gesetzten Zeitrahmen von 2,5 Stunden.

b. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt auch eine wesentliche Erhöhung der Fahrtzeit für die Hin- und Rückfahrt unter Beibehaltung des bisher von der Klägerin benutzten Beförderungsmittels PKW vor.

aa. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Klägerin angegebene regelmäßige Staugefahr auf den von ihr genutzten Autobahnen A 44 und A 57 nach K fahrtzeiterhöhend mit einberechnet werden kann. Der Beklagten ist insoweit zuzustimmen, als hinsichtlich der Berechnung der Fahrtzeit auf objektivierbare Faktoren abzustellen sein wird. Das eigene Fahrverhalten des Arbeitnehmers oder eine etwa von ihm vorgenommene individuelle Streckenwahl, die zu einer Erhöhung der Fahrtzeit führen, sind nicht als Parameter heranzuziehen. Jedoch ist die von der Klägerin angegebene Staugefahr und das Vorhandensein von Baustellen als Ursache hierfür nicht von der Klägerin subjektiv zu beeinflussen, so dass deren Heranziehung durchaus jedenfalls für solche Zeiträume in Betracht kommt, in denen sie nicht nur vorübergehend kurzfristig, sondern regelmäßig vorhanden sind.

bb. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Begriff der wesentlichen bzw. unwesentlichen Fahrtzeiterhöhung nicht an dem täglichen Gesamtzeitaufwand unter Berücksichtigung der individuellen Arbeitszeit des betroffenen Arbeitnehmers zu bemessen.

Die Auslegung eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebende Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Vertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urteil vom 28.10.2008 - 3 AZR 189/07 - zitiert nach juris).

Die tägliche individuelle Arbeitszeit des betroffenen Arbeitnehmers ist im Rahmen der Auslegung des Kriteriums wesentliche bzw. unwesentliche Erhöhung der Fahrtzeit i. S. d. 3. Spiegelstrichs des § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT nicht zu berücksichtigen. Ein derartiger Wille der Tarifparteien hat in der Anlage 12 EKT (Tarifvertrag Rationalisierungsschutz) keinen Niederschlag gefunden. Mit dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 29.01.2009 - 5 Sa 1525/08) ist darauf abzustellen, dass § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT im 1. Spiegelstrich die tatsächliche Entfernung zur neuen Dienststelle, im 2. Spiegelstrich die absolute Entfernung zur neuen Dienststelle als Kriterium aufstellt; im 3. Spiegelstrich ist dann die Fahrtzeit für die Hin- und Rückfahrt mit dem bisherigen Beförderungsmittel und letztlich im 4. Spiegelstrich der zeitliche Aufwand bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel als Parameter heranzuziehen. In keinem der Spiegelstriche finden sich Anhaltspunkte, aus denen ein Abstellen auf den gesamten zeitlichen Aufwand für den Arbeitnehmer inklusive Miteinrechnung der individuellen Arbeitszeit erkennbar wäre.

cc. Die Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten hinsichtlich der Gewährung einer Mobilitätspauschale in § 6 Abs. 5 TV ProD spricht nicht für die Auffassung der Beklagten. Die dortige Unterscheidung ist insofern plausibel, als es bei der Mobilitätspauschale um eine Aufwandsentschädigung geht, die bei Teilzeitbeschäftigten, die nicht jeden Arbeitstag in der Woche tätig sind, in gegenüber den Vollzeitbeschäftigten gesonderter, relativer Weise zu berechnen ist. Auch § 8 TV ProD kann die Auffassung der Beklagten nicht entscheidend stützen. Zunächst ist in § 8 Abs. 1 S. 1 grundsätzlich geregelt, dass Teilzeitbeschäftigte den gleichen Schutz wie Vollzeitbeschäftigte genießen. § 8 zielt daher gerade auf eine Gleichstellung und keine Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten ab. § 8 Abs. 1 betrifft für den Fall eines erheblichen Missverhältnisses von Arbeitszeit zu Fahrtzeit die Möglichkeit, die Lage der Arbeitszeit zu verändern. Die Regelung des § 8 setzt daher erst im Rahmen der Lage der Arbeitszeit und nicht bereits für die Gewährung der Versetzungspauschale ein. Die besondere Regelung in § 8 spricht dafür, dass eine andere Behandlung auch bei der Gewährung der Versetzungspauschale, die unter den besonderen Regelungen nicht genannt ist, für Teilzeitbeschäftigte von den Betriebsparteien nicht gewollt war.

dd. Hinsichtlich der Systematik in § 6 Abs. 7 Anlage 12 EKT ist zum einen darauf abzustellen, dass der 3. Spiegelstrich betreffend die wesentliche Erhöhung der Fahrtzeit in ein System und ein Verhältnis zu den anderen Spiegelstrichen gestellt wird, die einen Gesamtrahmen bieten.

Hierbei ist einerseits zu berücksichtigen, dass aus dem 2. Spiegelstrich zu folgern ist, dass die Verneinung der Möglichkeit der täglichen Rückkehr zum Wohnort bereits dann in Betracht kommt, wenn die neue Dienststelle weiter als 25 km von der Wohnung des Angestellten entfernt ist. Auch der 1. Spiegelstrich spricht für diese Frage nicht von einem bestimmten Umfang der Erhöhung der Entfernung von der Wohnung des Angestellten zu der neuen Dienststelle im Verhältnis zu der bisherigen Dienststelle, sondern lässt jede Erhöhung genügen, um die tägliche Rückkehr zum Wohnort als nicht möglich anzusehen.

Andererseits ist der 4. Spiegelstrich, der eine Grenze von 2,5 Stunden für den Hin- und Rückweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln als Zumutbarkeitsgrenze setzt, nicht auf den 3. Spiegelstrich, der auf die Nutzung des bisherigen Beförderungsmittels abstellt zu übertragen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein reiner Zeitvergleich dieser beiden Spiegelstriche nicht angemessen ist. Außer der reinen zeitlichen Inanspruchnahme ist beim Führen eines PKWs die körperliche und psychische Belastung als höher anzusehen als bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Daher kann eine Gleichsetzung der Fahrtzeiten des Beförderungsmittels PKW mit der des öffentlichen Personenverkehrs abzüglich dortiger Warte- und Haltezeiten nicht vorgenommen werden.

ee. Die Beklagte hat selber als angemessen auf den Maßstab des § 323 Abs. 1 ZPO zurückgegriffen, innerhalb dessen bei der Verurteilung zukünftig fällig werdender wiederkehrender Leistungen unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände eine wesentliche Änderung bei Abweichungen von mehr als 10 % in Betracht kommt ( vgl. BGH, Urteil v. 23.4.1986 - IV b ZR 30/85, in NJW 1986, S. 2054 ff).

Hierbei ist allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten nach dem oben Gesagten nicht unter Einrechnung der individuellen Arbeitszeit vom Gesamtzeitaufwand des Arbeitnehmers pro Arbeitstag auszugehen, sondern lediglich auf das Verhältnis der früheren zur bisherigen Fahrtzeit für Hin- und Rückfahrt abzustellen. Nach allen Routenplanern, auch dem von der Beklagten zitierten Routenplaner ViaMichelin - beträgt die Erhöhung der Fahrtzeiten der Klägerin von K nach K mehr als 10 % im Verhältnis zu der bisherigen Fahrtzeit für Hin- und Rückfahrt nach D . Nach dem Routenplaner ViaMichelin benötigt die Klägerin von ihrem Wohnsitz in K , nach D zu ihrem bisherigen Dienstort in der L 56 Minuten für die Hin- und Rückfahrt, während sie nach K insgesamt 70 Minuten für Hin- und Rückfahrt in die neue Dienststelle in der W benötigt. Damit erhöht sich nach dem Routenplaner ViaMichelin die Fahrtzeit für Hin- und Rückfahrt um 14 Minuten. Nach dem Routenplaner Falk.de betrug die Fahrtzeit der Klägerin nach D für Hin- und Rückfahrt 52 Minuten, nach K benötigt sie 76 Minuten, wodurch sich die Fahrtzeit insgesamt um 24 Minuten erhöht. Gemäß klicktel.de dauert die Hin- und Rückfahrt nach D 42 Minuten, nach K 62 Minuten; die Differenz beträgt 20 Minuten. Map24.de errechnet für die Hin- und Rückfahrt nach D 50 Minuten, nach K 72 Minuten, woraus der Unterschied von 22 Minuten resultiert. Reiseplanung. de ergibt für den Hin- und Rückweg nach D 48 Minuten, während die Hin- und Rückfahrt nach K 60 Minuten, also 22 Minuten länger insgesamt dauert.

Nach alldem ist von einem Anspruch auf Gewährung der Versetzungszulage der Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 18.02.2008 bis 31.05.2008 auszugehen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die unterlegende Beklagtenseite nach § 91 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision war gemäß § 72 ArbGG zuzulassen. Da nach unwidersprochenem Vortrag der Beklagten eine Vielzahl von Mitarbeitern von der streitbefangenen Auslegung der §§ 6 TV ProDAK, 6 Anlage 12 EKT betroffen sind, war daher von einer grundsätzlichen Bedeutung dieser entscheidungserheblichen Rechtsfrage i. S. d. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG auszugehen.

Ende der Entscheidung

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