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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 06.03.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 405/08
Rechtsgebiete: TV-Ärzte
Vorschriften:
TV-Ärzte § 16 Abs. 2 |
Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 24.01.2008 - 3 Ca 2113/07 - abgeändert.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
1. dem Kläger seit 01.07.2006 die Vergütung nach Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 4 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte) in Höhe von monatlich 4.200,00 € zu zahlen;
2. dem Kläger ab 01.01.2007 die Vergütung nach Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte) in Höhe von monatlich 4.500,00 € zu zahlen;
3. dem Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt - beginnend mit dem 31.07.2006 -
a) auf die für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis 31.12.2006 anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge in Gestalt der Differenz zwischen der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 4 TV-Ä und der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 3 TV-Ä zu zahlen;
b) auf die für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 30.06.2007 anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge in Gestalt der Differenz zwischen der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 TV-Ä und der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 3 TV-Ä zu zahlen;
c) auf die seit 01.07.2007 anfallenden Bruttomonatszahlungsbeträge in Gestalt der Differenz zwischen der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 5 TV-Ä und der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 4 TV-Ä zu zahlen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die zutreffende Stufenzuordnung wegen der vom Kläger als Arzt im Praktikum zurückgelegten Zeiten im Rahmen der Eingruppierung nach § 16 Abs. 2 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte) vom 30.10.2006.
Der Kläger ist seit dem 01.07.2004 bei der Beklagten als Arzt in der Weiterbildung in der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin beschäftigt. Dort war der Kläger zuvor als Arzt im Praktikum vom 01.01.2003 bis zum 30.06.2004 tätig.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden mit Wirkung ab dem 01.11.2006 der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30.10.2006 (TV-Ärzte) sowie der Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30.10.2006 (TVÜ-Ärzte) Anwendung.
Gemäß § 16 Abs. 1 TV-Ärzte umfasst die Entgeltgruppe Ä1 fünf Stufen. Im ersten Jahr erhalten Ärzte im Rahmen ihrer Eingruppierung in die Entgeltgruppe Ä1 ein monatliches Bruttoentgelt von 3.600,00 € (Stufe 1), im zweiten Jahr 3.800,00 € (Stufe 2), im dritten Jahr 3.950,00 € (Stufe 3), im vierten Jahr 4.200,00 € (Stufe 4) und ab dem 5. Jahr 4.500,00 € (Stufe 5).
Seit dem 01.07.2006 erhielt der Kläger zunächst durch die Beklagte eine Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä1 Stufe 3, seit dem 01.07.2007 nach Entgeltgruppe Ä1 Stufe 4.
Mit Schreiben vom 20.12.2006 machte der Kläger die Anrechnung der Zeit seines Einsatzes als Arzt im Praktikum bei der Beklagten bei der Stufenzuordnung geltend.
Dieses Begehren hat der Kläger mit seiner am 04.08.2007 beim Arbeitsgericht in Bonn eingegangenen Feststellungsklage weiter verfolgt.
Der Kläger hat hierzu die Auffassung vertreten, seine Zeit als Arzt im Praktikum sei anrechenbar, da dies eine förderliche Beschäftigungszeit und eine solche mit einschlägiger Berufserfahrung gemäß § 16 Abs. 2 Satz1 TV-Ärzte gewesen sei. Bereits in diesem Zeitraum sei der Kläger ganztägig als Stationsarzt in der Klinik eingesetzt worden. Die Tätigkeit als Arzt im Praktikum sei als einschlägige Berufserfahrung zu werten, da kein Unterschied zu der Beschäftigung eines Arztes in der Weiterbildung bestehe. Der Wortlaut des § 16 Abs. 2 TV-Ärzte spreche für eine Einbeziehung des Zeitraums der Beschäftigung als Arzt im Praktikum, da er sich auf Vorzeiten - also Zeiten vor der Tätigkeit als vollapprobierter Arzt - beziehe. Auch während der Zeit als Arzt im Praktikum werde ein ärztlicher Beruf ausgeübt. Hier gelte die beschränkte Berufserlaubnis nach den §§ 10 Abs. 4, 6 BÄO a. F., 34 a Abs. 1 ÄAppO a. F. Daher liege auch eine ärztliche Tätigkeit nach medizinalrechtlichen Vorschriften vor. Im Rahmen des Merkmals der einschlägigen Berufserfahrung sei allein auf die Arbeitsvorgänge abzustellen, nicht auf den Ausbildungsstand bzw. den formalen Berufsabschluss. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Nichtanrechenbarkeit von Zeiten als Arzt im Praktikum im Rahmen der Eingruppierung nach dem Bundesangestelltentarifvertrag sei nicht auf die neuen Eingruppierungsregelungen des TV-Ärzte übertragbar. Anders als im Bundesangestelltentarifvertrag stelle § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte auf eine einschlägige Berufungserfahrung und nicht auf das Vorliegen einer ärztlichen Tätigkeit von Ärzten ab. Auch Sinn und Zweck der Eingruppierungsregelung in § 16 Abs. 2 TV-Ärzte spreche für eine Einbeziehung des Zeitraums als Arzt im Praktikum, da durch die Anrechnung wegen einschlägiger Berufserfahrung die erworbene Kompetenz honoriert werden solle. Jedenfalls sei die Zeit als Arzt im Praktikum als Berufserfahrung aus nicht ärztlicher Tätigkeit gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ä anzurechnen.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 01. Juli 2006 die Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 4 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30. Oktober 2006 (TV-Ärzte) in Höhe von monatlich € 4.200,00 zu zahlen und
2. ab dem 01. Januar 2007 die Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 5 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30. Oktober 2006 (TV-Ärzte) in Höhe von monatlich € 4.500,00 zu zahlen.
3. sowie für den Zeitraum vom 01. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 4 TV-Ärzte und der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 3 TV-Ärzte,
4. für den Zeitraum vom 01 Januar 2007 bis zum 30. Juni 2007 die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe Ä1, Stufe 5 TV-Ärzte und der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 3, TV-Ärzte
5. und die seit dem 01. Juli 2007 anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 5 TV-Ärzte und der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 4 TV-Ärzte ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt, beginnen mit dem 31. Juli 2006 mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, eine Anrechnung der Zeit als Arzt im Praktikum komme nicht in Betracht. Während dieses Zeitraums sei der Kläger nicht als Arzt im medizinalrechtlichen Sinne tätig geworden. Die Tätigkeit als Arzt setze gemäß § 2 Abs. 5 BÄO die Approbation voraus. Der Arzt im Praktikum habe lediglich die Erlaubnis für eine auf eine bestimmte Tätigkeit beschränkte Ausübung des ärztlichen Berufs nach §§ 10 Abs. 4, 2 Abs. 2 BÄO a. F. besessen. Zudem sei eine Tätigkeit als Arzt im Praktikum nur unter Aufsicht möglich gewesen. Die unveränderte Übernahme des Begriffs der ärztlichen Tätigkeit durch die Tarifparteien aus dem Bundesangestelltentarifvertrag in den TV-Ärzte spreche für die Weitergeltung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus seinem Urteil vom 25.09.1996 (4 AZR 39/96), wonach dieser Zeitraum der Beschäftigung als Arzt im Praktikum nicht hierunter falle. Trotz unterschiedlicher Auffassung im Rahmen der Tarifverhandlungen sei eine Anrechnung der Zeit als Arzt im Praktikum anders als in anderen Tarifwerken zwischen den Tarifparteien des TV-Ärzte nicht vereinbart worden. Eine Anrechenbarkeit ergebe sich auch nicht aus der Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte. Die Zeit als Arzt im Praktikum sei als Ausbildungszeit und damit nicht als Berufserfahrung, die eine abgeschlossene Ausbildung voraussetze, anzusehen. Zudem sei bei Ablehnung der Anrechnung wegen Haushaltsgesichtspunkten eine schutzwürdige Ermessensausübung durch die Arbeitgeberseite anzuerkennen.
Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 24.01.2008 die Klage für unbegründet gehalten. Im Wesentlichen hat das Arbeitsgericht hierzu ausgeführt, die Tätigkeit als Arzt im Praktikum falle nicht unter die Anrechnungsvorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte, da keine ärztlichen Tätigkeiten im Sinne dieser Tarifvorschrift vom Arzt im Praktikum ausgeübt worden seien. Auch § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte komme nicht zur Anwendung, da jedenfalls die Nichtanrechnung von dem der Beklagten zukommenden freien Ermessen gedeckt sei. Auch bei Anlegung des Maßstabes des billigem Ermessens sei die Ermessensausübung wirksam erfolgt, da finanzielle Erwägungen anzuerkennen seien.
Gegen das ihm am 06.03.2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Bonn hat der Kläger am 27.03.2008 Berufung eingelegt und diese am 30.04.2008 begründet.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 S. 1 zweiter Halbsatz TV-Ärzte ergebe sich die Anrechnung der Zeit als Arzt im Praktikum im Rahmen der Stufenzuordnung in der Entgeltgruppe Ä 1. Die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Bundesangestelltentarifvertrag sei nicht übertragbar, weil im Bundesangestelltentarifvertrag eine abweichende Formulierung insofern enthalten sei, als in § 16 Ab. 2 TV-Ärzte der Begriff des Arztes nicht ausdrücklich aufgenommen worden sei. Der Arzt im Praktikum sei unter dem Begriff der ärztlichen Tätigkeit wegen seiner speziellen Berufsausübungserlaubnis, die medizinalrechtlich aus den §§ 10 Abs. 6 BÄO a. F., 34 b ÄAppO a. F. folge. Im Rahmen der Anrechnungsvorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte sei der Maßstab des billigen Ermessens nach § 315 BGB anzuwenden. Es liege ein Ermessensnichtgebrauch durch die Beklagte vor, da diese sich lediglich an den Hinweisen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder orientiert habe, ohne eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Ohnehin sei das Interesse des Klägers an der Anerkennung seiner Berufserfahrung im Rahmen der Anrechnung bei der Stufenzuordnung überwiegend.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der am 06.03.2008 zugestellten Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn vom 24.01.2008 - Az: 3 Ca 2113/07 - festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 01. Juli 2006 die Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 4 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30. Oktober 2006 (TV-Ärzte) in Höhe von monatlich € 4.200,00 zu zahlen und ab dem 01. Januar 2007 die Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 5 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30. Oktober 2006 (TV-Ärzte) in Höhe von monatlich € 4.500,00 zu zahlen sowie für den Zeitraum vom 01. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 4 TV-Ärzte und der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 3 TV-Ärzte, für den Zeitraum vom 01. Januar 2007 bis zum 30. Juni 2007 die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 5 TV-Ärzte und der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 3 TV-Ärzte und die seit dem 01. Juli 2007 anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 5 TV-Ärzte und der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 4 TV-Ärzte ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt, beginnend mit dem 31. Juli 2006 mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt hierzu vor, die Rechtslage sei im Rahmen des Bundesangestelltentarifvertrages im Sinne einer Nichtanrechnung der Zeit als Arzt im Praktikum vom Bundesarbeitsgericht eindeutig geklärt gewesen. Diesen Stand hätten die Tarifparteien im Rahmen des TV-Ärzte übernommen. Die lediglich beschränkte Berufserlaubnis eines Arztes im Praktikum sei aus Ausbildungszwecken gegeben und genüge nicht der ärztlichen Tätigkeit im Rahmen der Anrechnungsvorschriften bei der Stufenzuordnung nach § 16 TV-Ärzte. Auch die Entstehungsgeschichte des TV-Ärzte spreche gegen eine Anrechnung, da wegen der entsprechenden Ablehnung durch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder in den Verhandlungen der Tarifparteien eine Regelung über die Anrechenbarkeit der Zeiten als Arzt im Praktikum in den Tarifvertrag nicht aufgenommen worden sei. Eine Berufserfahrung im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte im Rahmen von nichtärztlicher Tätigkeit liege nicht vor, da nur Zeiten einer vollwertigen Berufsausübung nach abgeschlossener Ausbildung hierunter fielen. Ohnehin sei in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte ein freies Ermessen geregelt. Jedenfalls sei der Rahmen des billigem Ermessens bei der Nichtanrechnung durch die Beklagte gewahrt, da die Beklagte die Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte dafür anwende, hochspezialisierte Fachkräfte an sich zu binden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 2, 5 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist auch begründet, so dass das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 24.01.2008 abzuändern und die Verpflichtung der Beklagten festzustellen war, im Rahmen der Eingruppierung des Klägers in die Entgeltgruppe Ä 1 bei der Stufenzuordnung die von ihm verrichtete Tätigkeit als Arzt im Praktikum anzurechnen. Hieraus folgt, dass dem Kläger seit dem 01.07.2006 zunächst Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 4 TV-Ärzte sowie ab dem 01.01.2007 dann Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 1, Stufe 5 TV-Ärzte nebst den entsprechenden Verzugszinsen zusteht.
1. Die vom Kläger bei der Beklagten als Arzt im Praktikum vom 01.01.2003 bis 30.06.2004 absolvierte Zeit ist als förderliche Zeit mit einschlägiger Berufserfahren nach § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte im Rahmen der Stufenzuordnung anzurechnen. § 16 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass für die Anrechnung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit bei der Stufenzuordnung mit einschlägiger Berufserfahrung als förderliche Zeiten zu berücksichtigen sind.
a. Gemäß dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.08.2008 - 9 Sa 115/08 -, zitiert nach juris) ist ein übereinstimmendes und feststehendes allgemeines Sprachverständnis dahingehend, dass Arzt nur derjenige ist, wer die Vollapprobation erlangt hat, nicht festzustellen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz weist in seiner Entscheidung vom 22.08.2008 zutreffend hin, dass etwa Duden, Bedeutungswörterbuch, 3. Auflage, den Begriff des Arztes wie folgt definiert:
"Person, die Medizin studiert hat und die die staatliche Erlaubnis hat, Kranke zu behandeln."
Bereits die Begrifflichkeit Arzt im Praktikum stellt keine Ausgrenzung, sondern eine Einbeziehung in den Personenkreis der Ärzte dar.
Auch der medizinalrechtliche Begriff ergibt nicht, die Zeit als Arzt im Praktikum aus dem Bereich der "ärztlichen Tätigkeit" im Tarifsinne auszugrenzen. Gemäß § 2 a BÄO a. F. darf auch derjenige die Berufsbezeichnung eines Arztes führen, der nach § 2 Abs. 2 BÄO a. F. eine nur vorübergehende oder auf bestimmte Tätigkeiten bezogene Erlaubnis besitzt. Solches ist beim Arzt im Praktikum gemäß § 95 ÄAppO a. F. sowie nach § 10 BÄO a. F. der Fall (vgl. LAG - Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.08.2008 - 9 Sa 115/08 -, zitiert nach Juris; LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.04.2008 - 9 Sa 475/07 E- , zitiert nach Juris).
c. Auch die im Rahmen der Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 1 für die Anerkennung als Zeit förderlicher Berufserfahrung ist zu bejahen. Medizinalrechtlich war der Arzt im Praktikum gemäß § 2 a BÄO berechtigt, die Berufsbezeichnung Arzt oder Ärztin zu führen. Insoweit ist davon auszugehen, dass auch der Arzt im Praktikum bereits einen Beruf erlangt hatte und aus diesem Grund zur Führung einer entsprechenden Berufsbezeichnung berechtigt war. Ohnehin hatte der Arzt im Praktikum bereits sämtliche ärztliche Prüfungen erfolgreich abgeschlossen. Die Praxisphase als solche war ohne hinzutreten einer weiteren abschließenden Prüfung Voraussetzung für die uneingeschränkte Approbation nach der Approbationsordnung.
d. Bei der Tätigkeit als Arzt im Praktikum handelte es sich auch um den Erwerb einer einschlägigen Berufserfahrung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte. Der Begriff "einschlägig" ist dabei in Abgrenzung zu dem in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte verwendeten Begriff der Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit zu verstehen. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass es sich bei einschlägiger Berufserfahrung im Sinne des Satzes 1 um eine solche aus ärztlicher Tätigkeit handelt, die - wie oben beschrieben - auch beim Tätig werden als Arzt im Praktikum vorliegt (vgl. LAG - Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.08.2008 - 9 Sa 115/08 -, zitiert nach Juris).
e. Die Einbeziehung der Tätigkeit als Arzt im Praktikum entspricht auch dem Sinn und Zweck der Anrechnungsvorschrift in § 16 Abs. 2 TV-Ärzte. Mit dieser Regelung sollen Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit vergütungserhöhend berücksichtigt werden, weil der Arzt in seiner nunmehrigen Funktion durch die vorangegangene Zeit bereits über entsprechende Erfahrungen verfügt und daher eine erhöhte Leistungsfähigkeit und Kompetenz unmittelbar anwenden kann. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich nicht allein aus dem Verhältnis zu § 5 Satz 3 TVÜ-Ärzte zu folgern. Entgegen der Auffassung der Landesarbeitsgerichte Schleswig-Holstein und München sind von förderlichen Zeiten nicht nur jene Tätigkeiten umfasst, die die Tätigkeit eines vollapprobierten Arztes außerhalb von Unikliniken betreffen (vgl. hierzu LAG München, Urteil vom 22.04.2008 - 7 Sa 18/08 -, zitiert nach Juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30.10.2008 - 4 Sa 280/08 -, zitiert nach Juris).
f. Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur früheren Eingruppierung von Ärzten nach dem Bundesangestelltentarifvertrag und der dafür relevanten Bestimmung des Begriffs der ärztlichen Tätigkeit im Sinne der Vergütungsgruppe I b Fallgruppe 7 BAT/VKA (vgl. Urteil vom 25.09.1996 - 4 AZR 200/95 -, in DB 1997, Seite 432 f.) spricht nicht gegen eine Anrechnung der Zeiten eines Arztes im Praktikum als ärztliche Tätigkeit im Sinne der neuen Tarifvorschriften des TV-Ärzte. Die damals streitgegenständliche Eingruppierungsvorschrift der Vergütungsgruppe I b Fallgruppe VII BAT war eine Aufstiegsfallgruppe gemäß § 23 b BAT, bei der die fünfjährige Tätigkeit als Arzt im Sinne der Vergütungsgruppe II Fallgruppe 1 BAT Voraussetzung war. Der TV-Ärzte regelt im Unterschied dazu keinen Bewährungsaufstieg, sondern eine Stufenzuordnung. Hierbei sind ausdrücklich nach § 16 Abs. 2 TV-Ärzte auch Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit, bei denen die Eingruppierungsvoraussetzungen des § 16 Abs. 1 TV-Ärzte nicht erfüllt sind, anzurechnen.
g. Die entscheidende Frage ist nach Auffassung der Kammer, ob eine ärztliche Tätigkeit im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte unter den besonderen Voraussetzungen der Tätigkeit eines Arztes im Praktikum, dem nur auf eine bestimmte Tätigkeit beschränkte Ausübung des ärztlichen Berufs erlaubt ist und der unter Aufsicht des ärztlichen Fachpersonals steht, anzuerkennen ist. Hierfür spricht nach Auffassung der Kammer, dass § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte die Absolvierung "förderlicher Zeiten" ausreichend für die Anrechnung sein lässt. Gefordert sind im Rahmen dieser Vorschrift also nicht uneingeschränkte Tätigkeiten eines vollapprobierten Arztes.
h. Auch die Systematik in § 16 Abs. 2 TV-Ärzte spricht gegen eine Gleichsetzung der Begriffe der ärztlichen Tätigkeit einerseits und der Tätigkeit eines vollapprobierten Arztes anderseits. § 16 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz stellt nämlich für die Anrechnung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit auf zwei Alternativen ab, von denen die erste von einschlägiger Berufserfahrung abhängt, während die zweite Alternative sich auf Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit bezieht. Wenn aber Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit für die Anrechnung als Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit genügen sollen, so ist nicht plausibel, dass Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung nur solche sein können, die als vollapprobierter Arzt und nicht nur als Arzt im Praktikum mit eingeschränkter Berufsausübungserlaubnis absolviert worden sind.
i. Aufgrund der Entstehungsgeschichte der streitigen Tarifnorm des § 16 Abs. 2 TV-Ärzte ist nicht auf die Nichtanrechnung der Zeiten als Arzt im Praktikum zu schließen. Im Rahmen der Tarifverhandlungen haben die Tarifparteien ihre unterschiedlichen Standpunkte dargestellt und sind letztendlich zu keinem übereinstimmenden Ergebnis gelangt. So hat die Arbeitgeberseite in der Stellungnahme der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vom 21.08.2006 auf die Nichtanrechnung von Zeiten als Arzt im Praktikum hingewiesen. Die Beklagte selber hat auf das Schreiben des Marburger Bundes vom 13.10.2006 verwiesen, in dem die Uneinigkeit der Tarifparteien in diesem Punkt festgestellt wurde.
Nach alldem sind die vom Kläger als Arzt im Praktikum in der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin im Zeitraum vom 01.01.2003 bis 30.06.2004 verrichteten Tätigkeiten daher als förderliche Zeiten im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte im Rahmen der Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 1 TV-Ärzte anzurechnen. Unter Berücksichtigung des § 17 Abs. 1 TVÜ-Ärzte steht dem Kläger daher die von ihm geltend gemachte Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 4 ab dem 01.07.2006 und nach der Vergütungsgruppe Ä 1 Stufe 5 ab dem 01.01.2007 im Umfang der entsprechenden Differenz - bzw. Zinsbeträge zu.
III. Die Beklagte trägt als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Ende der Entscheidung
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