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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 31.05.2007
Aktenzeichen: 10 Sa 567/06
Rechtsgebiete: BGB, TVG


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 162
BGB § 315
TVG § 3 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 5
1. Der Anspruch auf vereinbarte Tantieme besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber trotz Vorliegens ihrer Voraussetzungen ihre Festlegung unterlässt.

2. Zur Frage der Anwendung eines bei Vertragsschluss in Bezug genommenen damals einschlägigen Tarifvertrages, wenn später sowohl der Betrieb als auch der zum leitenden Angestellten aufgerückte Arbeitnehmer aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrages herausgefallen sind.

3. "Andere Abmachung" i. S. d. § 4 TVG.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das am 15.12.2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Bonn - 1 Ca 945/05 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 27.609,78 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 18.406,52 € seit dem 18.11.2004 und aus 9.203,26 € seit dem 01.07.2005 zu zahlen.

Der weitergehende Zinsanspruch wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Zahlung von Tantiemen für die Jahre 2002 bis 2004.

Die Klägerin wurde mit Wirkung ab 01.11.1987 von der Beklagten als Mitarbeiterin für Kostenkontrolle und als Modeberaterin zu einem Bruttomonatslohn von 1.500 DM eingestellt. Gemäß Arbeitsvertrag vom 28.10.1987 (Bl. 17 - 20 d. A.) waren die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein - Westfalen in ihrer jeweils geltenden Fassung und deren Nachfolgeverträge Bestandteil dieses Vertrages. Später stieg die Klägerin zur Prokuristin auf und war für das Personal verantwortlich. Das Arbeitsverhältnis endete am 31.12.2004. Das monatliche Gehalt der Klägerin betrug zuletzt 4.601,63 €. Neben diesem Gehalt bezog die Klägerin eine jährliche Tantieme und aufgrund der Vereinbarungen vom 16.12.1992 (Bl. 276 d. A.) eine jährliche Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehalts und aufgrund der Vereinbarung vom 22.04.1997 (Bl. 275 d. A.) ein im April zahlbares Urlaubsgeld in Höhe eines halben Monatsgehalts. Zur Tantiemezahlung liegt eine schriftliche Erklärung der Beklagten vom September 1991 vor (Bl. 65 d. A.), in der es heißt:

"Bei guter Geschäftslage wird an Frau G eine Tantieme gezahlt, die zum jeweiligen Zeitpunkt von der Geschäftsleitung festgelegt wird."

Die Klägerin ist die Ehefrau des Mitgeschäftsführers der Komplementär-GmbH der Beklagten. Die Eheleute haben sich im Laufe des Jahres 2003 getrennt. Mit Schreiben vom 24.06.2004 kündigte die Beklagte der Klägerin zum 31.12.2004 und stellte sie von der Arbeitsverpflichtung frei. Hierüber gab es einen Rechtsstreit beim Arbeitsgericht Bonn, der im Rahmen einer Vereinbarung zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann durch Vergleich in einem Unterhaltsrechtsstreit beim Familiengericht Bonn beendet wurde. In dem Vergleich vom 16.11.2004 vor dem Familiengericht (Bl. 33 - 34 d. A.) heißt es unter Ziffer 3:

"Die Klägerin erklärt gegenüber der Firma B , vertreten durch den hier anwesenden Beklagten als alleinvertretungsbevollmächtigten Geschäftsführer der Komplementär GmbH, dass sie die Kündigung ihres Anstellungsverhältnisses zum 31.12.2004 als wirksam anerkennt und die hiergegen gerichtete Klage vor dem Arbeitsgericht zurücknehmen wird.

Der Beklagte in der vorgenannten Eigenschaft bestätigt, dass das Anstellungsverhältnis für die Zeit bis zum 31.12.2004 vertragsgemäß abgewickelt wird und dass die Klägerin darüber hinaus als Abfindung den Pkw BN - GB 19 zu Alleineigentum erhält und der Kraftfahrzeugbrief an sie herausgegeben wird.

Die Kosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben."

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe in den vergangenen Jahren auf der Grundlage der Tantiemevereinbarung vom September 1991 eine Tantieme in Höhe von jährlich 2 Bruttomonatsgehältern, also je 18.000,00 DM erhalten. Zur vertragsgemäßen Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses im Sinne des Vergleichs vor dem Familiengericht gehörten auch die noch ausstehenden Tantiemezahlungen für die Jahre 2002 bis 2004. Diesen Anspruch in Höhe von 27.609,78 € (3 x 18.000,00 DM nebst Zinsen) hat die Klägerin zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 18.406,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 9.203,26 € seit 18.11.2004 und aus weiteren 9.203,26 € seit dem 17.01.2005 zu zahlen. Die weitergehende Klage auf Zahlung der Tantieme für das Jahr 2002 hat das Arbeitsgericht abgewiesen, weil dieser Anspruch nach dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen (nachfolgend MTV Einzelhandel) verfallen sei.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin vertritt die Auffassung, der Tantiemeanspruch für 2002 sei nicht verfallen, da der MTV Einzelhandel nach seinem § 1 Abs. 5 auf sie als Prokuristin nicht mehr anwendbar sei. Im Übrigen sei dieser Tarifvertrag seit der - unstreitigen - Änderung des Geschäftszwecks vom Betrieb eines Einzelhandels (Modegeschäfts) zu einer reinen Vermögensverwaltung (Vermietung und Verpachtung von Immobilien) seit dem Ende des Jahres 2000 nicht mehr einschlägig. Sie erfülle die Voraussetzungen für die Tantiemezahlung, denn zum einen habe sie für die Beklagte auch unter dem neuen Geschäftszweck weiter in führender Position als Prokuristin gearbeitet, zum anderen seien im Anspruchszeitraum bessere Geschäftsergebnisse erzielt worden als noch zu Zeiten des Betriebs des Modegeschäfts.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und ihrer Klage insgesamt stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, auch für die Jahre 2003 und 2004 seien Tantiemeansprüche nach dem MTV Einzelhandel verfallen. Sie sei weiterhin Mitglied im Einzelhandelsverband. Durch ausdrückliche Bezugnahme im Arbeitsvertrag finde der Tarifvertrag weiterhin Anwendung. Die beanspruchten Sonderzahlungen seien jeweils zum 31.12. eines Kalenderjahres fällig geworden. Die Klägerin habe sich erstmals im Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Bonn Tantiemeansprüchen berühmt. Außerdem seien die Ansprüche verjährt und ihre Geltendmachung verstoße gegen Treu und Glauben. Der Anspruch bestehe aber schon dem Grunde und der Höhe nach nicht. Bei der Tantiemeregelung handele es sich um eine freiwillige Leistung bei erfolgreichem Geschäftsverlauf des Modegeschäfts. Sie beruhe auf dem Einsatz der Klägerin im Rahmen ihrer Personalarbeit für die Beklagte und stelle eine Anerkennung für Kostensenkung und Gewinnmaximierung dar. Für die Tätigkeit im Rahmen der Vermögensverwaltung seit dem Jahre 2001 sei die Tantieme nicht gedacht. Ein Gesellschafterbeschluss über Tantiemezahlungen von 2002 bis 2004 für die Klägerin liege nicht vor, sodass es an einer Rechtsgrundlage für den Zahlungsanspruch fehle. Sie sei frei darin gewesen, jedes Jahr neu darüber zu entscheiden, ob sie Tantieme gewähre oder nicht. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg, die der Beklagen ist unbegründet.

Der Klägerin steht auch für das Jahr 2004 die geltend gemachte Tantieme zu.

I. Anspruchsgrundlage ist die Vereinbarung vom September 1991. Mit Schreiben vom September 1991 hat die Beklagte der Klägerin zugesagt, dass sie bei guter Geschäftslage eine Tantieme erhält, die zum jeweiligen Zeitpunkt von der Geschäftsleitung festgelegt wird. Das in diesem Schreiben liegende Angebot wurde über § 151 BGB ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrages.

1. Die Voraussetzungen der Tantiemezahlung für den Anspruchszeitraum sind zunächst dem Grunde nach erfüllt. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen (§ 138 Abs. 3 ZPO), dass die Geschäftslage in den Geschäftsjahren 2003 bis 2004 gut war. Dieser tatsächlichen Feststellung des Arbeitsgerichts (Ziffer 4 der Entscheidungsgründe) ist die Beklagte auch in der Berufung nicht entgegen getreten. Die von der Beklagten gegen den Anspruch erhobenen Einwendungen greifen nicht durch:

a) Die Zahlung der Tantieme stand nicht unter Freiwilligkeitsvorbehalt. Ein Freiwilligkeitsvorbehalt schließt eine vertragliche Bindung des Arbeitgebers an die Leistungsgewährung nicht nur für die Zukunft, sondern auch für den laufenden Bezugszeitraum aus. Er hindert also das Entstehen eines vertraglichen Anspruchs und überlässt es dem Arbeitgeber, jedes Jahr erneut über das OB und WIE der Leistung zu entscheiden. Ein Arbeitnehmer, der weiß, dass der Arbeitgeber über die Leistungsgewährung noch zu entscheiden hat, muss stets damit rechnen, dass der Arbeitgeber die Leistung einstellen oder von einer neuen Bedingung abhängig machen kann. Will ein Arbeitgeber jede vertragliche Bindung verhindern und sich die volle Entscheidungsfreiheit vorbehalten, muss er das in seiner Erklärung gegenüber dem Arbeitnehmer unmissverständlich deutlich machen, denn nach §§ 133, 157 BGB ist im Zweifel der Empfängerhorizont maßgeblich. Grundsätzlich ist es nur in den Fällen von einem Freiwilligkeitsvorbehalt auszugehen, in denen der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer unmissverständlichen Weise kundgetan hat, dass ein Anspruch nicht hergeleitet werden kann oder die Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht in Aussicht gestellt wird (BAG, Urteil vom 11.04.2000 - 9 AZR 255/99 - ).

Vorliegend fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin auf den Ausschluss von Rechtsansprüchen hätte schließen müssen. Zum einen fehlt es bereits vom Wortlaut her an einem Hinweis auf einen Freiwilligkeitsvorbehalt. Vielmehr wird ausdrücklich die Zahlung einer Tantieme zugesagt, wenn die Geschäftslage gut ist. Ist diese Voraussetzung erfüllt, besteht der Anspruch. Dass die Zusage insoweit "freiwillig" war, weil die Tantieme bei der Einstellung der Klägerin im Jahr 1987, als sie noch einfache Arbeitnehmerin war, nicht zum Vertragsbestandteil gehörte, ist rechtlich unerheblich. Die Vereinbarung einer zusätzlichen Zahlung mag "freiwillig" sein. An der bindenden Wirkung des Vereinbarten ändert dies nichts.

b) Durch die Änderung des Geschäftsgegenstandes um die Jahreswende 2000/2001 ist der Tantiemeanspruch nicht entfallen. Die Tantiemevereinbarung enthält keinen Vorbehalt bezüglich eines bestimmten von der Beklagten verfolgten Geschäftszwecks, sondern stellt allein auf die gute Geschäftslage ab. Im Übrigen war die Klägerin weiterhin als Prokuristin beschäftigt, bis sie mit der Kündigung im Juni 2004 zum 31.12.2004 von der Beklagten freigestellt wurde. Nach der Änderung des Geschäftszwecks erfolgten keine Änderungen in den vertraglichen Vereinbarungen, jedenfalls sind solche von der Beklagten nicht vorgetragen worden. Der Umstand allein, dass die Beklagte im Anspruchszeitraum keine Tantieme mehr gezahlt hat, rechtfertigt noch keinen Schluss darauf, dass ein solcher Anspruch nicht bestand. Daran ändert auch nichts die in der Berufung erstmals vorgetragene Tatsache, dass die Klägerin auch für das Jahr 2001 keine Tantieme erhalten hatte. Nach dem Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 21.11.2006, dem die Beklagte nicht entgegen getreten ist, erfolgte die Nichtzahlung vor dem wirtschaftlichen Hintergrund, dass nach der Umstellung des Geschäftszwecks zunächst erhebliche Investitionen in die Vermietbarkeit der einzelnen Objekte anstanden und der Baukostenrahmen dabei wesentlich überschritten wurde; ihr Ehemann sei mit dem Vorschlag an sie herangetreten, dass sowohl für die beiden Geschäftsführer als auch für sie, die Klägerin, auf eine Tantieme für 2001 verzichtet werden sollte. Soweit die Beklagte in der Berufung erstmals darauf hinweist, dass auch im Jahre 2001 (für das Jahr 2000) keine Tantiemezahlungen aus den Lohnunterlagen ersichtlich ist, hat die Klägerin im Schriftsatz vom 21.11.2006 die dafür erhaltenen Sachbezüge aufgelistet, deren Wert den Barwert der Tantieme übersteige. Diesen Ausführungen ist die Beklagte nicht entgegen getreten, sodass sie gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen sind. Im Übrigen würden etwaige Unklarheiten über Inhalt und Reichweite der Tantiemezusage zu Lasten der Beklagten gehen, die die Vereinbarung vorformuliert hat.

c) Dem Tantiemeanspruch steht der vor dem Familiengericht geschlossene Vergleich nicht entgegen. Die Verpflichtung zur Rücknahme der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erfasst nicht den Tantiemeanspruch, der vor dem Arbeitsgericht nicht rechtshängig war. Vielmehr haben die Parteien in dem Vergleich vereinbart, dass das Anstellungsverhältnis für die Zeit bis zum 31.12.2004 vertragsgemäß abgewickelt wird. Der Vergleich enthält auch weitere arbeitsvertragliche Regelungen wie die Herausgabe eines Fahrzeugs als Abfindung. Der Tantiemeanspruch ist nicht erwähnt. Zu Recht hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass er weder ausdrücklich noch konkludent ausgeschlossen wurde noch dass er in anderen Regelungen des Vergleichs untergeht. Es gibt keine Anhaltspunkte für einen entsprechenden Verzichtswillen der Klägerin. Vielmehr hat sie im Kündigungsschutzverfahren auf die noch ausstehenden Tantiemen hingewiesen. Wenn die Parteien angesichts dessen im Vergleich wie geschehen ausdrücklich die vertragsgemäße Abwicklung des Anstellungsverhältnisses zum 31.12.2004 vereinbaren, bleiben vertragliche Ansprüche unberührt.

d) Soweit die Beklagte gegen einen Tantiemeanspruch ins Feld führt, sie habe für die Jahre 2002 bis 2004 über die Zahlung einer Tantieme an die Klägerin keinen Beschluss gefasst, kann damit der Anspruch nicht zu Fall gebracht werden. Die Vereinbarung aus dem September 1991 sieht zwar vor, dass eine Tantieme gezahlt wird, "die zum jeweiligen Zeitpunkt von der Geschäftsleitung festgelegt wird." Ist aber die Voraussetzung einer guten Geschäftslage für die Zahlung einer Tantieme wie vorliegend gegeben, kann sich die Beklagte dem Anspruch nicht durch Untätigkeit entziehen, indem sie von einer Festlegung der Tantieme absieht. Wollte man das Kriterium eines Beschlusses der Geschäftsleitung als Bedingung für den Anspruch ansehen, würde diese nach § 162 Abs. 1 BGB als eingetreten gelten.

2. Die zuerkannte Höhe der Tantieme von 2 Bruttomonatsgehältern beruht auf §§ 133, 157, 315 Abs. 3 S. 2 HS 2 BGB. Bei unterbliebener Bestimmung der Höhe der Tantieme durch die Beklagte ist die Klägerin berechtigt, unmittelbar auf Zahlung zu klagen. Die Bemessung der Höhe der Tantieme orientiert sich im wesentlichen an der Vorgabe guter Geschäftslage in der Tantiemevereinbarung und der Praxis der Tantiemezahlung in der Vergangenheit.

In der ersten Instanz war ausweislich des Tatbestands des angefochtenen Urteils noch unstreitig, dass die Klägerin seit der Tantiemevereinbarung im Jahr 1991 jährlich eine Tantieme in Höhe von 2 Bruttomonatsverdiensten erhielt, die jeweils zur Mitte des folgenden Jahres ausgezahlt wurde. Selbst wenn man die erstmals von der Beklagten in der Berufung aufgestellte Behauptung zugrunde legt, dass die Klägerin für das Geschäftsjahr 1995/1996 lediglich ein Monatsgehalt an Tantieme bezogen hat, gibt es mangels näherer Anhaltspunkte für diese geringere Tantiemezahlung keinen Grund, für den streitgegenständlichen Zeitraum eine geringere Tantieme als 2 Bruttomonatsgehälter festzusetzen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Klägerin für das Rumpfgeschäftsjahr vom 01.03.2000 bis zum 31.12.2000 einmal keine Tantieme in Form einer Geldzahlung erhalten hat. Wie bereits ausgeführt, hat sie stattdessen Sachwerte mindestens in Höhe von 2 Bruttomonatsgehältern von der Beklagten bezogen. Es handelt sich hierbei um einen Sonderfall, der mit der Schließung des Modehauses Ende 2000 zusammenhängt. Die Klägerin erhielt aus dem Bestand des Unternehmens wegen der Schließung des Einzelhandels eine Reihe näher aufgezählter hochwertiger Einrichtungsgegenstände. Das Ausbleiben der Tantiemezahlung im Jahr 2002 für das Jahr 2001 war aus dem bereits erwähnten wirtschaftlichen Grund unterblieben, weil der Baukostenrahmen der verschiedenen Objekte für die Vermietbarkeit der Immobilien wesentlich überschritten worden war. Die für die Tantiemezahlung vorausgesetzte gute Geschäftslage in den Geschäftsjahren 2002 bis 2004 ist von der Beklagten nicht in Abrede gestellt worden. Abgesehen davon trifft die Beklagte im Rahmen des § 315 BGB die Darlegungslast. Die Tatsache allein, dass sich bei guter Geschäftslage der Geschäftszweck und damit einhergehend die Aufgabenstellung für die Klägerin als Prokuristin geändert hat, rechtfertigt im Rahmen der Abwägung beiderseitigen Interessen keine Abweichung von der festgesetzten Tantieme. Das gilt auch für die Tatsache, dass sich die Klägerin und der Mitgeschäftsführer der Komplementär GmbH der Beklagten im Anspruchszeitraum getrennt haben und die Klägerin hierin den maßgebenden Grund für die unterlassene Tantiemezahlung sieht.

II. Der entstandene Tantiemeanspruch ist weder verfallen noch verjährt. Seine Geltendmachung verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben.

1. Die Berufung auf einen Verfall von Ansprüchen ist durch den Vergleich vom 16.11.2004 nicht ausgeschlossen. Der Vergleich sieht die vertragsgemäße Abwicklung des Arbeitsverhältnisses vor. Er begründet keine Ansprüche, die bereits erloschen sind. Schon verfallene Ansprüche bleiben also unberührt.

2. Ein Verfall der Ansprüche, den die Beklagte auf § 24 Abs. 1 MTV Einzelhandel stützt, kann nur für die Tantieme für das Geschäftsjahr 2002 in Betracht kommen, die von der Klägerin erst mit Schriftsatz vom 11.10.2004 im Kündigungsschutzverfahren Arbeitsgericht Bonn - 3 Ca 2382/04 - geltend gemacht worden ist. Fällig waren die Tantiemeansprüche - wie in späterem Zusammenhang noch auszuführen ist - jeweils am 30.6. des Folgejahres. Sie waren zwar nicht gemäß § 24 Abs. 1 b) MTV Einzelhandel bereits 3 Monate nach Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend zu machen, da sich diese Bestimmung auf die Urlaubsansprüche einschließlich Abgeltung und Sonderzahlungen bezieht und nicht auf die erst Mitte des Folgejahres fälligen Tantiemeansprüche. Diese Ansprüche verfallen nach § 24 Abs. 1 c) MTV Einzelhandel 6 Monate nach Fälligkeit.

3. Ein Verfall nach dem MTV Einzelhandel scheidet aber aus, weil dieser Tarifvertrag auf die streitgegenständlichen Ansprüche nicht mehr anwendbar ist.

a) Im Arbeitsvertrag vom 28.10.1987 haben die Parteien bei Einstellung der Klägerin durch Bezugnahme die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils geltenden Fassung und deren Nachfolgetarifverträge zum Bestandteil dieses Vertrages gemacht. Der Sinn dieser Bezugnahmeklausel in dem Mustervordruck des Arbeitsvertrages mit der dem Einzelhandelsverband angeschlossenen Beklagten bestand mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darin, die Arbeitsverhältnisse bei der Beklagten den einschlägigen tariflichen Regelungen zu unterwerfen, unabhängig davon, ob die Arbeitnehmer tarifgebunden waren oder nicht. Es handelt sich um eine sog. Gleichstellungsabrede. Die Klausel sollte nur widerspiegeln, was tarifrechtlich gilt. An dieser Auslegungsregel hat sich auch nach der neueren Rechtsprechung des BAG jedenfalls für vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossene Arbeitsverträge nichts geändert ( BAG, Urteil v. 14.12.2005 - 4 AZR 536/04 ).

b) Durch die Änderung des Betriebszwecks der Beklagten ab 2001 und schon vorher durch das Aufsteigen der Klägerin als Prokuristin in den Kreis der Personen im Sinne des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes haben die Tarifverträge des Einzelhandels in NRW für das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin keine Wirkung mehr, da mit dem Ausscheiden aus dem Geltungsbereich dieser Tarifverträge deren Geltung auch für tarifgebundene Arbeitnehmer endete .

Eine sog. Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG scheidet aus, weil die Beklagte gemäß § 1 Abs. 2, Abs. 3 MTV Einzelhandel unstreitig nicht mehr ein Unternehmen des Einzelhandels ist und dadurch aus dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages herausgefallen ist. Es kommt nicht darauf an, dass die Beklagte trotz des Wechsels des Betriebszwecks nach wie vor Mitglied des Einzelhandelsverbandes ist. Die Bestimmung des § 3 Abs. 3 TVG bezweckt die Verhinderung der "Tarifflucht" eines Tarifgebundenen und ersetzt nur das Merkmal der Tarifgebundenheit, nicht aber die übrigen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages. Für die Beklagte, die geltend macht, sie gehöre nach wie vor dem Einzelhandelsverband an, sind die Tarifverträge des Einzelhandels nicht mehr einschlägig. Gleiches gilt konkret für das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits seit 1991, als sie Prokura erhielt und im Unternehmen der Beklagten mit 100-200 Mitarbeitern u. a. für das Personalwesen zuständig war. Als leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes fiel sie gemäß § 1 Abs. 5 MTV Einzelhandel aus dem Anwendungsbereich des Tarifvertrages heraus.

c) Die Geltung der Verfallklausel des MTV Einzelhandel für das Arbeitsverhältnis der Klägerin lässt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG herleiten. Jedenfalls ist eine sog. Nachwirkung des zuletzt vor der Prokura geltenden MTV Einzelhandel vom 6.Juli 1989, der in § 22 eine dem § 24 des aktuellen MTV Einzelhandel identische Verfallklausel enthielt, durch eine "andere Abmachung" im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG ersetzt worden.

aa) Grundsätzlich unterliegen auch die für Arbeitnehmer ungünstigen tariflichen Ausschlussfristen als Bestandteil eines Tarifvertrages der Nachwirkung.

bb) Eine direkte Anwendung der Norm über die Nachwirkung, die über die Bezugnahmeklausel auch für die nichttarifgebundene Klägerin Geltung hätte, scheitert daran, dass § 4 Abs. 5 TVG an den zeitlichen Ablauf eines Tarifvertrages anknüpft, der MTV Einzelhandel vom 6. Juli 1989 aber noch nicht abgelaufen war, sondern allein wegen dessen § 1 Abs. 5 keine Geltung mehr hatte.

cc) In der Rechtsprechung des BAG ist anerkannt, dass der Normzweck des § 4 Abs. 5 TVG eine Erstreckung der Nachwirkung auch auf andere Fälle der Beendigung der Tarifwirkung fordert. Der Gesetzgeber habe mit dieser Bestimmung erreichen wollen, dass die Arbeitsverhältnisse nach Beendigung des Tarifvertrages nicht "inhaltsleer" werden ( BAG, Urteil vom 10.12.1997 - 4 AZR 247/96 - NZA 1998, 484,487). Dabei hat die Rechtsprechung im Wesentlichen den Verbandsaustritt des Arbeitgebers und das Herausfallen des Betriebes oder Unternehmens aus dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages im Auge, die für die bisher tarifgeschützten Arbeitnehmer eine Übergangsregelung nahelegen, bis die bisherige Tarifregelung durch eine andere kollektiv- oder einzelvertragliche Abrede ersetzt ist.

Ob die Gefahr einer Inhaltsleere auch für Arbeitsverhältnisse leitender Angestellter anzunehmen ist, die aus dem Status eines Tarifangestellten herausgewachsen sind, mag zweifelhaft sein. Auch die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede ( §§ 133,157 BGB) in einem Arbeitsvertrag mit einer Tarifangestellten gebietet nicht die Gleichstellung mit Tarifgebundenen für den Fall, dass der Arbeitnehmer wegen seines Status gerade nicht mehr mit den Tarifgebundenen gleichgestellt werden kann. Die Auslegungsregel als Gleichstellungsabrede beruht auf der Vorstellung, dass mit der Bezugnahmeklausel nur die etwa fehlende Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers ersetzt werden soll ( BAG, Urteil v. 14.12.2005 aa0), nicht aber darauf, den persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages auszudehnen, was auch nicht durch Gewerkschaftszugehörigkeit erreicht werden kann.

dd) Selbst wenn man die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG auch in den Fällen bejahte, in denen der Arbeitnehmer nach dem Tarifvertrag aus persönlichen Gründen an sich nicht geschützt bzw. eliminiert werden soll und man außerdem die Gleichstellungsabrede in diesem Sinne auslegte, wäre die Nachwirkung durch eine andere Abmachung ersetzt worden.

Der den MTV Einzelhandel v. 6. Juli 1989 ablösende MTV v. 23.Juli 1993 stellt allerdings keine die Nachwirkung beendende Abmachung dar, weil die Rechtsprechung aus dem Normzweck der Nachwirkung, inhaltsleere Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, eine Vereinbarung fordert, die auf das konkrete Arbeitsverhältnis Anwendung findet; der NachfolgeMTV erfasst aber das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen unveränderter Anforderung an den persönlichen Geltungsbereich nicht.

Nach Auffassung der Kammer ist eine etwaige Nachwirkung des Tarifvertrages durch die im Nachwirkungszeitraum getroffenen einzelvertraglichen Abreden beseitigt worden. Mit dem Aufstieg der Klägerin zur Prokuristin wurde das Arbeitsverhältnis in seinen wesentlichen Teilen auf eine neue Grundlage gestellt. Die Klägerin erhielt ein deutlich höheres Gehalt, ihr wurde zudem wie den Geschäftsführern eine am Unternehmenserfolg orientierte Tantieme zugesagt. Auch die Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld erfolgten nicht mehr auf der Grundlage der einschlägigen Tarifverträge für den Einzelhandel wie bei den Tarifangestellten, sondern auf der Grundlage einzelvertraglicher Vereinbarungen. Dass für die Arbeitszeit der Klägerin als Prokuristin die Arbeitszeitregelungen im MTV Einzelhandel maßgebend geblieben wären, behauptet die Beklagte nicht, die konkret auch nicht vorgetragen hat, ob und welche Normen des Tarifvertrages weiterhin das Arbeitsverhältnis geprägt hätten, abgesehen von der Behauptung der Beklagten, dass die tarifliche Verfallklausel anzuwenden sei. Bestand der Zweck einer etwaigen Nachwirkung des Tarifvertrages neben der Verhinderung eines inhaltslosen Arbeitsverhältnisses auch darin, den bisherigen tariflichen Standard für eine Übergangszeit aufrechtzuerhalten, so hat er sich durch die Abreden ab Prokuraerteilung erledigt. Es bestand für die Kammer daher kein überzeugender Grund, den Tarifvertrag im Wesentlichen allein zwecks Anwendung der in ihm enthaltenen Verfallklausel weiter nachwirken zu lassen.

Der Wirksamkeit der Abreden steht nicht entgegen, dass die Parteien den Arbeitsvertrag im Mustervordruck für Tarifangestellte nicht formell aufgehoben und seit der Tätigkeit der Klägerin als Prokuristin nicht in eine neue Form gebracht haben. Maßgebend ist das tatsächlich Gewollte, sind die seit der Prokuristenstellung erfolgten einzelnen Vereinbarungen, das nicht nach Tarif "gelebte" Arbeitsverhältnis. An dieser Bewertung ändert nichts der Umstand, dass die Beklagte die Klägerin im Zusammenhang mit der Kündigung vom 24.06.2004 von der Arbeitsverpflichtung freigestellt und ihr die Gesellschafterversammlung durch Beschluss vom 29.06.2004 die Prokura entzogen hat. Die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen mit der Klägerin als Prokuristin blieben unberührt. Im Vergleich vom 16.11.2004 ist ausdrücklich bestätigt, dass das Anstellungsverhältnis bis zu seinem Ende am 31.12.2004 vertragsgemäß abgewickelt wird.

4. Die Ansprüche sind nicht verjährt. Der älteste Tantiemeanspruch für das Jahr 2002 war Mitte 2003 fällig. Klage wurde am 31.03.2005 eingereicht. Auf welche Rechtsgrundlage die Beklagte die Einrede der Verjährung stützt, vermochte sie nicht zu sagen. Sie ist auch nicht ersichtlich.

5. Die Ansprüche sind nicht verwirkt (§ 242 BGB). Auch insoweit hat die Beklagte den "Einwand nach Treu und Glauben" (Seite 4 der Berufungsbegründung, Bl. 151 d. A.) nicht näher konkretisiert und mit Fakten belegt. Neben dem Zeitmoment jedenfalls für die Ansprüche für 2003 und 2004 fehlt es jedenfalls am sog. Umstandsmoment. Hierfür müssen besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten zum Zeitmoment hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen. Der Berechtigte muss unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er seine Rechte nicht mehr geltend machen wolle, sodass sich der Verpflichtete darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Mit der Verwirkung wird die Illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen (BAG, Urteil vom 25.04.2001 - 5 AZR 497/99 - DB 2001, 1833, 1834).

Diese Voraussetzungen sind von der Beklagten weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Insbesondere handelte die Klägerin nicht treuwidrig, dass sie nach dem Vergleich vor dem Familiengericht am 16.11.2004 die Tantiemeansprüche eingeklagt hat. Auf die noch ausstehende Tantieme hat die Klägerin bereits im Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Bonn hingewiesen. Da das Arbeitsverhältnis nach dem Inhalt des Vergleichs bis zum 31.12.2004 vertragsgemäß abgewickelt werden sollte, bestand für die Beklagte auch keine Veranlassung zu der Annahme, die Klägerin werde diese Ansprüche nicht mehr geltend machen.

III. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB. Da die Tantiemeansprüche nach dem eigenen Vortrag der Klägerin und der tatsächlichen Handhabung der Tantiemezahlung in der Vergangenheit nach Feststellung des Jahresabschlusses erst Mitte des Folgejahres zur Auszahlung kommen, war der Zinsanspruch für die Tantieme des Jahres 2004 erst ab 01.07.2005 zuzuerkennen. Der weitergehende Zinsanspruch war demgemäß abzuweisen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.

V. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da es hierfür am gesetzlichen Grund fehlt.

Ende der Entscheidung

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