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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 28.11.2008
Aktenzeichen: 10 Sa 739/08
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
Die für die Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung notwendige negative Prognose ist dann zu verneinen, wenn aufgrund ärztlicherseits in Aussicht gestellter Behandlungsmaßnahmen - hier Bandscheibenoperation - im Zeitpunkt der Kündigung die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zumindest möglich erscheint.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 08.04.2008 - 6 Ca 3047/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

Der am 13.11.1976 geborene Kläger, ledig, Vater eines am 16.11.2006 geborenen Kindes, war seit dem 02.05.2002 als vollbeschäftigter Arbeitnehmer mit einer Arbeitszeit von 38,5 Wochenstunden mit der Tätigkeit eines Zustellers beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug zuletzt nach Entgeltgruppe 3 1.926,30 € brutto.

Der Kläger war nach seiner Einstellung zunächst auf der Insel A im Zustellstützpunkt W , der zur Niederlassung Produktion B E bzw. ab dem 01.01.2004 der Niederlassung B K der Beklagten angehört. Auf Antrag des Klägers ordnete die Beklagte den Kläger mit Wirkung ab dem 01.10.2006 von der Niederlassung B K zur Niederlassung EX D Ko zum Einsatz als Zusteller in der Zustellbasis T zunächst befristet bis 31.03.2007 ab. In der Folgezeit wurde die Abordnung des Klägers - einhergehend mit der organisatorischen Überführung des Bereichs "Pa D " aus dem Unternehmensbereich EX der De P AG in den Unternehmensbereich B - zunächst bis zum 30.04.2007 und später bis zum 31.07.2007 verlängert.

Im Jahr 2006 war der Kläger im Zeitraum vom 02. - 25.01.2006 für 24 Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt. Wegen eines Bandscheibenvorfalls war der Kläger ab dem 29.05.2007 zunächst bis 21.06.2007 arbeitsunfähig erkrankt. Hieran schloss sich die Kurmaßnahme des Klägers bis 20.07.2007 an. Danach war der Kläger weiter durchgehend arbeitsunfähig.

Mit Schreiben vom 31.07.2007 (Bl. 10 d. A.) teilte die Niederlassung B K der Beklagten dem Kläger mit, dass die beabsichtigte Versetzung gescheitert und der Kläger ab dem 01.08.2007 wieder zur Niederlassung B K versetzt sei und zum Zustellstützpunkt W /A gehöre.

Mit Schreiben vom 24.08.2007 (Bl. 36 d. A.) bat die Beklagte den Kläger, sich am 03.09.2007 zur Durchführung einer arbeitsmedizinischen Untersuchung zwecks Erstellung eines Leistungsbildes in H einzufinden. Daraufhin legte der Kläger der Beklagten eine ärztliche Bescheinigung des ihn behandelnden Orthopäden Dr. S vom 30.08.2007 (Bl. 37 d. A.) vor, nach der er nicht in der Lage sei, am 03.09.2007 eine längere Bahnfahrt zur ärztlichen Untersuchung anzutreten.

Mit Schreiben vom 25.08.2007 (Bl. 38 d. A.) beantragte der Kläger, seine Abordnung in die Niederlassung B Ko bis zum 31.12.2007 zu verlängern. Eine diesbezügliche Anfrage der Niederlassung B K bei der Niederlassung B Ko vom 07.09.2007 (Bl. 44 d. A.) unter Hinweis auf den von der Betriebskrankenkasse des Klägers mit Schreiben vom 30.08.2007 erstellten Wiedereingliederungsplan (Bl. 39 d. A.) lehnte die Niederlassung B Ko mit Schreiben vom 18.09.2007 (Bl. 45 d. A.) aus Budgetgründen ab.

Hinsichtlich des von der Betriebskrankenkasse erstellten Wiedereingliederungsplans teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 31.08.2007 (Bl. 41 d. A.) ihr Einverständnis mit dem Beginn des Arbeitsversuchs ab 04.09.2007 mit. Der Kläger wurde gebeten, seine Arbeit im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung im Zustellstützpunkt Silberstedt in der Niederlassung B K aufzunehmen. Der Kläger teilte der Beklagten am 03.09.2007 hierauf telefonisch mit, der Wiedereingliederungsplan sei nicht durchführbar, da er weiterhin arbeitsunfähig sei.

Daraufhin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 04.09.2007 (Bl. 42 f. d. A.) die Betriebskrankenkasse des Klägers auf, den Kläger zu begutachten, da erhebliche Zweifel an der Aussage des Klägers, er sehe sich gesundheitlich nicht in der Lage, die Arbeit im Rahmen eines Arbeitsversuches aufzunehmen, bestünden, weil die Beklagte davon ausgehe, dass der Kläger nur im Bereich Ko arbeiten wolle und seine Erkrankung vorschiebe, um nicht die Arbeit im Bereich Hu aufnehmen zu müssen.

Die am 25.09.2007 vom medizinischen Dienst der Krankenkassen vorgenommene Untersuchung des Klägers ergab, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen ist, seine Arbeit wieder aufzunehmen und sich noch einer Bandscheibenoperation unterziehen müsse.

Nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben der Beklagten vom 22.10.2007 (Bl. 47 ff. d. A.) erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 30.10.2007 (Bl. 11 d. A.) die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger aus personenbedingten Gründen unter Einhaltung der nach § 33 Abs. 3 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der De P AG vorgeschriebenen Kündigungsfrist zum 31.01.2008.

Mit seiner am 10.11.2007 beim Arbeitsgericht Bonn anhängig gewordenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei mangels hinreichender krankheitsbedingter Gründe sozial ungerechtfertigt. Es fehle bereits die negative Gesundheitsprognose. Zum Zeitpunkt der Kündigung hätten objektive Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auf Dauer gesundheitsbedingt nicht mehr leistungsfähig oder die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit innerhalb der nächsten 24 Monate ungewiss sei, nicht bestanden. Gerade bei den die Arbeitsunfähigkeit des Klägers seit dem 29.05.2007 bedingenden Bandscheibenbeschwerden seien abgestufte Behandlungsmaßnahmen erforderlich. Nachdem sich zwischenzeitlich herausgestellt habe, dass die zunächst eingeleitete Schmerztherapie nicht erfolgreich verlaufen sei, habe sich der Kläger entschlossen, sich einer Bandscheibenoperation zu unterziehen. Nach der Durchführung der Operation und einer sich daran anschließenden Rehabilitationsmaßnahme sei der Kläger aller Voraussicht nach wieder voll arbeitsfähig.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung vom 30.10.2007, zugestellt am 31.10.2007, zum 31.01.2008 beendet wurde, sondern unbefristet fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, aufgrund des Gutachtens des medizinischen Dienstes vom 25.09.2007 sei in keinster Weise absehbar gewesen, wann der Kläger seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangen und in den Betrieb der Beklagten zurückkehren könne. Es habe keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass in den nächsten zwei Jahren mit einer anderen Prognose zu rechnen gewesen wäre. Es lägen auch erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen der Beklagten vor, da die Beklagte auf unabsehbare Zeit gehindert sei, ihr Direktionsrecht im Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auszuüben und dessen Arbeitsleistung abzurufen. Zudem habe die Beklagte in den vergangenen zwei Jahren vor Ausspruch der Kündigung Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von insgesamt 7.355,87 € leisten müssen. Durch den Ausfall des Klägers sei auf unabsehbare Zeit eine Vertretungskraft gebunden, die zu Zwecken der Urlaubs- und Freizeitabwicklung, der Fortbildung und bei anderweitigen kurzfristigen Erkrankungen für die Beklagte nicht mehr einsatzbereit sei. Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger nach Verlagerung seines Lebensmittelpunktes nach Bi nicht habe erkennen lassen, dass er bereit sei, seine Tätigkeit bei der Beklagten nach Beendigung seiner Abordnung wieder im Bereich der Niederlassung B K aufzunehmen.

Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 08.04.2008 die Klage für begründet gehalten und die Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.10.2007 festgestellt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die für eine Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung erforderliche negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der weiteren Arbeitsunfähigkeit sei zu verneinen. Aus dem Gutachten des medizinischen Dienstes vom 25.09.2007 und dem darin enthaltenen Hinweis auf die Diskussion einer anstehenden Bandscheibenoperation sei die Verpflichtung der Beklagten zu folgern, die Durchführung dieser Maßnahme abzuwarten. Erst nach fehlgeschlagenen ärztlich empfohlenen Behandlungsmaßnahmen und Ausschöpfung derselben könne von einer Krankheit von nicht absehbarer Dauer die Rede sein.

Gegen das ihr am 13.05.2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 09.06.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.08.2008 am 13.08.2008 begründet.

Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags geht die Beklagte weiterhin von einer negativen Gesundheitsprognose bezüglich der Bandscheibenerkrankung des Klägers aus. Die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigung längere Zeit die Umstände der Arbeitsunfähigkeit des Klägers verfolgt. Sie habe nicht nur die Durchführung der Kurmaßnahme im Zeitraum Juni/Juli 2007 abgewartet, sondern sich auch mehrfach telefonisch beim Kläger nach dem Stand seiner Genesung erkundigt. Aus den erhaltenen Informationen habe die Beklagte keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür gewinnen können, dass von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen sei. Zwar sei Ende August 2007 eine Wiedereingliederung des Klägers in Aussicht gestellt worden. Diese sei jedoch nicht durchführbar gewesen, weil der Kläger zum einen nicht hinreichend bei der Durchführung der Wiedereingliederung mitgewirkt habe und er zum anderen nicht arbeitsfähig gewesen sei. Die Untersuchung des medizinischen Dienstes vom 25.09.2007 habe die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestätigt und sogar darauf hingewiesen, dass eine Bandscheibenoperation unumgänglich sei. Aufgrund der vor Ausspruch der Kündigung vorliegenden Informationen habe die Beklagte davon ausgehen müssen, dass für einen längerfristigen Prognosezeitraum von zumindest 24 Monaten nicht von der alsbaldigen Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit des Klägers auszugehen gewesen sei. Da es sich bei Bandscheibenbeschwerden um ein häufiges Krankheitsbild handele, welches nicht selten in eine anschließende (partielle) Berufsunfähigkeit münde, habe die Beklagte zuverlässig abschätzen können, wie lange sich die Krankheit hinziehen werde. Durch die Arbeitsunfähigkeit des Klägers seien auch erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen bei der Beklagten gegeben. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei in keiner Weise absehbar gewesen, ob der angekündigte Bandscheibeneingriff erfolgreich verlaufen werde. Zudem sei es für die Beklagte nicht zumutbar, für einen unbestimmten Zeitraum Vertretungsmöglichkeiten im Zustellstützpunkt W /A zu schaffen. Die vorzunehmende Interessenabwägung wirke sich zu Lasten des Klägers aus, da dieser wegen seiner kurzen Betriebszugehörigkeit von nur etwa sechs Jahren keine überwiegenden Interessen in diese einbringen könne. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die für den Kläger zuständige Niederlassung BRIEF K die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinem Kind nicht kenne, da der Kläger dieser eine solche nicht mitgeteilt habe. Aufgrund des Lebensalters des Klägers sei nicht von einer unzumutbaren sozialen Härte auszugehen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass ein Zusammenhang zwischen der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit als Zusteller und seiner Arbeitsunfähigkeit infolge der Bandscheibenerkrankung nicht bestehe. Es könne kein Erfahrungssatz aufgestellt werden, dass Briefzusteller in erhöhtem Maße unter Bandscheibenvorfällen litten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 08.04.2008 - 6 Ca 3047/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, dass eine negative Prognose hinsichtlich der Fortentwicklung seiner Arbeitsunfähigkeitszeiträume nicht aufzustellen sei. Der im Mai 2007 erlittene Bandscheibenvorfall sei für sich genommen hierfür nicht ausreichend. Nachdem zunächst erfolglos versucht worden sei, mit herkömmlichen Behandlungsmaßnahmen dessen Folgen zu heilen, habe sich der Kläger im Frühjahr 2008 einer Bandscheibenoperation unerzogen, die erfolgreich durchgeführt worden sei und zwischenzeitlich wieder zur vollen Arbeitsfähigkeit des Klägers geführt habe. Die Beklagte habe es unterlassen, vor Ausspruch der Kündigung sich über die Umstände der Erkrankung des Klägers vollständig zu informieren. Sie habe vom Kläger nicht die Entbindung seiner Ärzte von deren Schweigepflicht verlangt, um Erkundigungen bei den behandelnden Ärzten einzuziehen. Betriebliche Beeinträchtigungen seien nicht in erheblichem Maße für die Beklagte vorhanden. Die Schaffung einer Vertretungsmöglichkeit für den Einsatz des Klägers als Briefzusteller sei für die Beklagte bis zum Zeitpunkt der Durchführung der Bandscheibenoperation und im Umfang der anschließenden Genesung für die Beklagte zumutbar gewesen, da der Zeitraum hierfür bestimmbar gewesen sei. Im Rahmen der Interessenabwägung sei mit einzubeziehen, dass zwischen den Parteien ein über fünf Jahre hinausgehendes ungestörtes Arbeitsverhältnis vorliege und betriebliche Ursachen für den Eintritt der Bandscheibenerkrankung beim Kläger in Betracht kämen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. In der Sache hat das Rechtsmittel allerdings keinen Erfolg, da das Arbeitsgericht Bonn zu Recht die Kündigung der Beklagten vom 30.10.2007 für sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG, dessen Anwendungsvoraussetzungen zwischen den Parteien nicht streitig sind, gehalten hat.

Die Kündigung vom 30.10.2007 ist insbesondere nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch einen personenbedingten Grund gerechtfertigt. Die Beklagte hat die von ihr in Bezug genommene Begründung der Kündigung mit dem Vorliegen einer lang anhaltenden Erkrankung des Klägers nicht hinreichend dargetan.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung in einer dreistufigen Prüfungsreihenfolge vorzunehmen. Es müssen zunächst auf der ersten Stufe erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten vorliegen, aus denen sich eine negative Prognose hinsichtlich des weiteren Gesundheitszustandes und weiterer Ausfallzeiten ergeben muss. Diese prognostizierten Fehlzeiten sind sodann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie in der zweiten Stufe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von deutlich mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Auf der dritten Prüfungsstufe schließlich ist eine umfassende Abwägung vorzunehmen (vgl. BAG, Urt. vom 08.11.2007 - 2 AZR 292/06, in NZA 2008, S. 593 ff.; Urt. vom 19.04.2007 - 2 AZR 239/06, in NZA 2007, S. 1041 ff.; Urt. vom 29.04.1999 - 2 AZR 431/98, in NZA 1999, S. 978 ff.).

2. Im vorliegenden Fall mangelt es bereits an ausreichenden objektiven Anhaltspunkten dafür, im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung gegenüber dem Kläger von einer negativen Gesundheitsprognose ausgehen zu können.

Hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung sowie die ihm bekannten Krankheitsursachen darlegt. Die Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit allein muss zwar noch nichts darüber aussagen, ob der Arbeitnehmer auch in Zukunft auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig krank sein wird. Ihr kann aber unter Umständen eine gewisse Indizwirkung entnommen werden (vgl. BAG, Urt. vom 12.04.2002 - 2 AZR 148/01, in NZA 2002, S. 1081 ff.; Urt. vom 25.11.1982 - 2 AZR 140/81 in BAGE 40, S. 361). Bei dem Terminus "langanhaltende Krankheit" handelt es sich nicht um einen Rechtsbegriff im eigentlichen Sinne, nämlich einen durch Gesetz ausgeformten Begriff, sondern um eine einzelfallbezogen unter dem Stichwort "Krankheit als Kündigungsgrund" herausgearbeitete Unterform. Hierbei existieren bei der Begriffsbestimmung keine starren Grenzen, ab welchem Zeitpunkt eine Krankheit als langanhaltend zu gelten hat. Jedenfalls eine acht Monate andauernde Erkrankung ist als eine solche von langanhaltender Art angesehen worden (vgl. BAG, Urt. vom 29.04.1999 - 2 AZR 431/98, in NZA 1999, S. 978 ff. m. w. N.).

Mit Rücksicht darauf bestehen bereits Zweifel, ob aufgrund der bei Ausspruch der Kündigung am 30.10.2007 etwas über fünf Monate andauernden durchgehenden Erkrankung wegen seines Bandscheibenleidens bereits von einer langanhaltenden Erkrankung des Klägers im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung ausgegangen werden kann.

3. Dies kann jedoch dahinstehen, da schon im Zeitpunkt der Kündigung vom 30.10.2007 Umstände erkennbar waren, die einer negativen Prognose entgegenstanden. Sprechen schon bei Ausspruch der Kündigung objektive Umstände dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich oder möglicherweise von absehbarer Dauer sein wird, kann keine negative Prognose gestellt werden (BAG, Urt. vom 21.02.2001 - 2 AZR 558/99, in NZA 2001, S. 1071 ff.; LAG Köln, Urt. vom 11.06.2007 - 14 Sa 1391/06, in AUR 2007, S. 444).

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das von der Beklagtenseite beantragte arbeitsmedizinische Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 25.09.2007 ergeben hatte, dass der Kläger einerseits zwar nicht in der Lage sei, zum damaligen Zeitpunkt seine Arbeit wieder aufzunehmen, er sich andererseits noch einer Bandscheibenoperation unterziehen müsse.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese vom medizinischen Dienst der Krankenkassen für notwendig gehaltene Bandscheibenoperation kein geeignetes Indiz, die von der Beklagtenseite angestellte Prognose zu stützen, auf absehbare Zeit sei mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht zu rechnen. Die Beklagte selber geht ausweislich ihres schriftsätzlichen Vorbringens aus der Berufungsbegründung vom 13.08.2008 davon aus, dass sie von einem ungewissen Heilungsverlauf nach der angekündigten Bandscheibenoperation habe ausgehen müssen. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung im Oktober 2007 sei in keiner Weise abzusehen gewesen, ob ein Eingriff erfolgreich verlaufen werde. Daraus ist aber nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten zu schließen, dass die vom medizinischen Dienst als notwendig erachtete Bandscheibenoperation die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers zumindest als möglich erscheinen ließ. Nach dem Bundesarbeitsgericht (vgl. Urt. vom 21.02.2001 - 2 AZR 558/99, in NZA 2001, S. 1071) ist damit die Kündigung schon mangels negativer Prognose als sozial ungerechtfertigt anzusehen. Anderes könnte nur dann gelten, wenn auch mit Rücksicht auf die in Aussicht genommene Bandscheibenoperation eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit des Klägers als aussichtslos angesehen werden müsste. Hierfür sind keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen worden.

Die Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang darauf, bei Verletzungen der Bandscheiben handele es sich um ein häufiges Krankheitsbild, welches nicht selten in eine anschließende (partielle) Berufsunfähigkeit münde, so dass die Beklagte habe zuverlässig abschätzen können, wie lange sich die Krankheit hinziehen werde, was umso mehr gelte, als im Fall des Klägers seitens der Personalabteilung bekannt gewesen sei, um welche konkrete Krankheit es sich gehandelt habe. Die Beklagte habe von einer fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausgehen dürfen, da sie Kenntnis darüber besessen habe, dass beim Kläger ein Bandscheibenvorfall vorgelegen habe, der eine Operation notwendig mache, nachdem zuvor alle alternativen Heilmethoden gescheitert seien. Die Beklagte hat entgegen der ihr obliegenden Darlegungslast nähere Einzelheiten ihrer Prognosegrundlage nicht vorgetragen. Sie hat nicht dargestellt, warum sie trotz der in Aussicht gestellten Bandscheibenoperation für einen längerfristigen Prognosezeitraum davon ausgehen konnte, dass der Kläger seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangen werde. Die Beklagte verweist lediglich schlagwortartig auf ihre umfassenden Erfahrungen mit ähnlichen Erkrankungen, ohne deren Grundlagen näher zu beschreiben. Ein Aussagewert für die Erstellung einer schlüssigen Prognose für den zukünftigen Krankheitsverlauf ist demzufolge den Darlegungen der Beklagten nicht zu entnehmen.

Mit Rücksicht darauf kam die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, wie von der Beklagtenseite beantragt, nicht in Betracht. Eine negative Prognose konnte schon deshalb im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nicht gestellt werden, weil es jedenfalls mit Rücksicht auf die Erkenntnisse aus dem Gutachten des medizinischen Dienstes vom 25.09.2007 nicht von der Hand zu weisende, medizinisch begründete Anhaltspunkte dafür gab, dass der Kläger wieder arbeitsfähig sein könnte.

4. Nach dem Vorhergesagten können die für den Ausspruch einer Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung erforderlichen betrieblichen Beeinträchtigungen nicht daraus hergeleitet werden, dass in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen - günstigen - Prognose hinsichtlich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht gerechnet werden könne, so dass die Ungewissheit hierüber einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit gleichstehe (vgl. hierzu BAG, Urt. vom 12.04.2002 - 2 AZR 148/01, in NZA 2002, S. 1081 ff.; Urt. vom 29.04.1999 - 2 AZR 431/98, in NZA 1999, S. 978 ff.). Nach dem Gutachten des medizinischen Dienstes vom 25.09.2007 war die darin angesprochene Bandscheibenoperation, die der Kläger nicht abgelehnt hatte, von der Beklagtenseite abzuwarten, ehe sie von einer unabsehbar dauernden Arbeitsunfähigkeit hätte ausgehen können.

Andere konkret festzustellende erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen der Beklagten hat die Beklagte als die hierfür darlegungs- und beweispflichtige Partei (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG) nicht hinreichend dargetan.

Für Fälle langanhaltender Krankheit hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, nach dem das Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, eine ordentliche Kündigung als letztes Mittel (ultima ratio) erst dann in Betracht, wenn dem Arbeitgeber die Durchführung von Überbrückungsmaßnahmen (z. B. Einstellung von Aushilfskräften, Durchführung von Über- oder Mehrarbeit, personelle Umorganisation, organisatorische Umstellungen) nicht möglich oder nicht mehr zumutbar sei (vgl. BAG, Urt. vom 29.04.1999 - 2 AZR 431/98, in NZA 1999, S. 978 ff. m. w. N.). Die Beklagte hat hierzu lediglich allgemein vorgetragen, es sei für sie im Hinblick auf die mit dem beim Kläger vorliegenden Krankheitsbild vorhandenen Erfahrungswerte in keiner Weise abzusehen gewesen, wie die Personalsituation im fraglichen Zustellbezirk - hierbei geht die Beklagte von dem Bereich der Niederlassung K nach Beendigung der Abordnung aus - zu regeln gewesen wäre. Die Beklagte hat ohne Darlegung näherer Einzelheiten es als für sie nicht weiter zumutbar dargestellt, für einen unbestimmten Zeitraum Vertretungsmöglichkeiten zu schaffen und so auf unabsehbare Zeit einen Vertreter des Klägers zu binden, der an anderer Stelle nicht mehr für die Vertretung zu Zwecken der Urlaubs- und Freizeitabwesenheit, der Fortbildung oder kurzfristigen Erkrankung zur Verfügung stehe. Hierbei hat die Beklagte keine näheren Einzelheiten hinsichtlich der zahlenmäßigen personellen Ausstattung der bisherigen Arbeitsplatzbesetzung in der Niederlassung K , der der Kläger bis zum von der Beklagtenseite beabsichtigten Ende seiner Abordnung in die Niederlassung Ko zum 31.07.2007 nicht mehr angehört hat, und hinsichtlich sonstiger Vertretungsfälle vorgetragen. Auch hieran scheitert die soziale Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung vom 30.10.2007.

5. Die Kammer konnte daher dahinstehen lassen, ob die Kündigung auch deshalb nicht sozial gerechtfertigt ist, weil die Beklagte kein ordnungsgemäßes Eingliederungsmanagement gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt hat. Der Anwendungsbereich des § 84 Abs. 2 SGB IX besteht für alle Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen sind, und nicht nur für die behinderten Menschen (vgl. BAG, Urt. vom 12.07.2007 - 2 AZR 716/06, in NZA 2008, S. 173). Zwar ist die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer personenbedingten Kündigung. Die Obliegenheit, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, stellt jedoch eine gesetzliche Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar, so dass die Kündigung dann wegen des Unterlassens eines betrieblichen Eingliederungsmanagements sozialwidrig ist, wenn bei gehöriger Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements die Möglichkeit bestanden hätte, die Kündigung zu verhindern (vgl. BAG, Urt. vom 12.07.2007 - 2 AZR 716/06, in NZA 2008, S. 173 ff.).

Da nach dem Vorhergesagten jedenfalls die für die soziale Rechtfertigung der Kündigung notwendige negative Gesundheitsprognose vorliegend zu verneinen ist, kann die Kammer es ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die von der Beklagtenseite beabsichtigte Beendigung der Abordnung des Klägers zum 31.07.2007 vor Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme den Vorgaben eines ordnungsgemäßen betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX entspricht.

III. Insgesamt war die Kündigung mangels negativer Gesundheitsprognose sozial ungerechtfertigt und daher rechtsunwirksam. Die Berufung der Beklagtenseite konnte folglich keinen Erfolg haben und musste mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.

IV. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, da die Rechtssache auf den Umständen des Einzelfalles beruht und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.

Ende der Entscheidung

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