Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 06.11.2003
Aktenzeichen: 10 Sa 823/03
Rechtsgebiete: ArbGG, BBiG, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BBiG § 15 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 140
BGB § 626 Abs. 1
Zur Frage der Ausbildungsverpflichtung in einem Ausbildungsverhältnis, das wegen Änderung des Unternehmensgegenstandes gekündigt worden ist, wenn der Ausbilder nicht mehr den Ausbildungsbetrieb hat, der Grundlage für den Abschluss des Ausbildungsvertrages war.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 823/03

Verkündet am 06. November 2003

In Sachen

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 06.11.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schroeder als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter May und Paffrath

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 04.06.2003 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Bonn - 2 Ca 1294/03 EU - teilweise insoweit abgeändert, als die Beklagte weiterhin zur Ausbildung im Ausbildungsberuf IT-Systemelektroniker verurteilt worden ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu 2/3, dem Kläger zu 1/3 auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses vom 25.03.2003 und die Verpflichtung der Beklagten zur weiteren Ausbildung des Klägers im Ausbildungsberuf IT-Systemelektroniker.

Die Parteien schlossen am 23.05.2001 einen Berufsausbildungsvertrag zur Ausbildung des Klägers im Ausbildungsberuf IT-Systemelektroniker für die Zeit vom 01.08.2001 bis 31.07.2004.

Die Beklagte befasste sich zunächst mit dem Verkauf und der Montage von Telefon- und Kommunikationsanlagen. Sie beschäftigte ca. 35 Mitarbeiter und war in der Handwerksrolle eingetragen.

Im Herbst 2002 änderte die Beklagte ihren Geschäftsgegenstand. Sie befasst sich nunmehr im Wesentlichen mit der Vermittlung von Aufträgen, während die Montage von selbstständigen sog. Vertragsunternehmen durchgeführt wird. Da die Beklagte nicht mehr im Handwerk tätig ist, erfolgte zum 29.01.2003 die Löschung in der Handwerksrolle. Ebenfalls wurde das Ausbildungsverhältnis mit dem Kläger aus der Lehrlingsrolle gelöscht. Nach Kündigung der Arbeitsverhältnisse beschäftigt die Beklagte noch drei Geschäftsführer und eine Sekretärin.

Mit Schreiben vom 25.03.2003, das dem Kläger am 31.03.2003 zuging, erklärte die Beklagte die Kündigung des Ausbildungsverhältnisses mit dem Kläger wie folgt:

"Aus Gründen einer Änderung des Geschäftsgegenstandes und der damit verbundenen Austragung aus der Handwerksrolle sind wir leider gezwungen, den zwischen Ihnen und unserem Hause abgeschlossenen Ausbildungsvertrag per 23.05.2001 ordentlich und fristgerecht zum 30.04.2003 zu kündigen..."

Gegen diese Kündigung hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Nach Ausspruch der streitgegenständlichen ordentlichen Kündigung kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 20.05.2003 außerordentlich.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Kündigungserklärung der Beklagten vom 25.03.2003 unwirksam ist und das Ausbildungsverhältnis der Parteien über den 25.03.2003 hinaus fortbesteht.

2. Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 23.05.2003 hinausgehend weiterhin bis zum 31.07.2004 im Ausbildungsberuf IT-Systemelektroniker auszubilden.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage im vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die ordentliche Kündigung sei unwirksam, weil das Ausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit nur durch außerordentliche Kündigung habe beendet werden können. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie vertritt die Auffassung, für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Kündigung sei nicht entscheidend, dass es sich um eine ordentliche Kündigung handele, sondern dass die Kündigung in der Sache eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Die Änderung des Geschäftsgegenstandes sei ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Der Weiterbeschäftigungsantrag scheitere daran, dass nach der Änderung des Geschäftsgegenstandes eine Ausbildung des Klägers im Ausbildungsberuf des IT-Systemelektronikers nicht mehr realisierbar sei.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass die Änderung des Geschäftsgegenstandes ohne Notwendigkeit erfolgt sei. Eine Ausbildung zum IT-Systemelektroniker sei nach wie vor möglich, da die Geschäftsführer als Fernmeldehandwerker/Elektroniker mit Meisterprüfung Ausbildungsberechtigung für den IT-Beruf hätten und er in den Partnerunternehmen der Beklagten eingesetzt werden könne. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten hat insoweit Erfolg, als die Beklagte nicht verpflichtet werden kann, den Kläger weiterhin im Ausbildungsberuf des IT-Systemelektronikers auszubilden. Insoweit ist die Klage unbegründet. Begründet ist die Klage hingegen, soweit der Kläger die ordentliche Kündigung vom 25.03.2003 angreift.

I. Das Arbeitsgericht hat zu Recht mit zutreffender Begründung festgestellt, dass die Kündigung vom 25.03.2003 rechtsunwirksam ist. Das Berufungsgericht nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe der Vorinstanz Bezug, denn es kommt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens zu übereinstimmenden Feststellungen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Das Ausbildungsverhältnis kann nach Ablauf der Probezeit gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nur durch außerordentliche Kündigung beendet werden. Eine solche Kündigung hat die Beklagte nicht ausgesprochen. Eine Umdeutung der ordentlichen Kündigung in eine außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist, die der ordentlichen Kündigungsfrist entspricht, ist nach § 140 BGB nicht möglich. Hatte der Kündigende wie im Streitfall das Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Frist gekündigt und ist diese Kündigung wegen Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts unwirksam, so kann in dieser Kündigung nicht ohne weiteres eine außerordentliche Kündigung gesehen werden, selbst wenn der Kündigende einen wichtigen Grund hatte. Der Kündigende muss stets deutlich machen, dass eine außerordentliche Kündigung erklärt worden ist (Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Auflage, Rdnr. 479, 588 mit Nachweisen). Eine Kündigung muss als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung auch hinsichtlich ihrer Kündigungsart - ordentliche oder außerordentliche Kündigung - klar und eindeutig sein.

Da die erklärte ordentliche Kündigung unzulässig ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorlag, der die Beklagte zu einer außerordentlichen Kündigung hätte berechtigen können. Diese Frage ist in dem weiteren Verfahren über die Wirksamkeit der später ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung vom 20.05.2003 zu klären.

II. Die Beklagte ist zur weiteren Ausbildung nicht verpflichtet.

Auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 - GS 1/84 - hat der Arbeitnehmer im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung, soweit nicht überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Dies gilt erst recht für ein Ausbildungsverhältnis, für das ein besonderes Beschäftigungsinteresse des Auszubildenden anzuerkennen ist. Ein Beschäftigungsanspruch setzt jedoch einen wirksamen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag voraus. Bei einer Kündigung des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses ist das Risiko des ungewissen Prozessausgangs im Rahmen einer Interessenabwägung zu berücksichtigen. Für das Arbeitsverhältnis gilt im Allgemeinen, dass in den Fällen, in denen die Kündigung nicht offensichtlich unwirksam ist, bis zur Entscheidung der ersten Instanz im Kündigungsprozess in der Regel ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers anzuerkennen ist. Die Interessenlage ändert sich, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsprozess ein obsiegendes des Urteil erstreitet. Dies ist vorliegend hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 25.03.2003 der Fall. Will der Arbeitgeber auch für diesen Fall die Beschäftigung verweigern, so muss er zusätzliche Umstände anführen, aus denen sich ein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung ergibt.

Vorliegend ist der Bestand des Ausbildungsverhältnisses ungewiss, nachdem die Beklagte eine zweite Kündigung ausgesprochen hat, die als außerordentliche Kündigung erklärt worden und formell nicht zu beanstanden ist. Sie ist auch nicht offensichtlich unwirksam, nachdem die Beklagte den Geschäftsgegenstand geändert und am 29.01.2003 aus der Handwerksrolle gestrichen und der Ausbildungsvertrag mit dem Kläger aus der Lehrlingsrolle gelöscht worden ist. Ob das Ausbildungsverhältnis der Parteien auf Grund der zweiten Kündigung fortbesteht, ist Gegenstand eines weiteren Prozesses, der nach Angaben der Prozessbevollmächtigten im Termin der Berufungsverhandlung noch nicht entschieden ist.

Bei der Entscheidung über die Frage der Verpflichtung der Beklagten zur Wiederaufnahme der Ausbildung waren neben der Ungewissheit des Prozessausgangs einerseits das besondere Ausbildungsinteresse des Klägers, andererseits die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Beklagte nicht mehr den Ausbildungsbetrieb unterhält, der Grundlage für den Abschluss des Ausbildungsvertrages war. Zwar kann keine Unmöglichkeit der Ausbildung angenommen werden, weil auch nach Angaben des Geschäftsführers der Beklagten im Termin zwei Geschäftsführer als Fernmeldehandwerker/Elektroniker mit Meisterprüfung Ausbildungsberechtigung für den hier in Rede stehenden IT-Ausbildungsberuf haben. Allerdings fehlt als Substrat der Ausbildung der Betrieb. Soweit der Kläger die Möglichkeit einer Ausbildung in den Partnerunternehmen der Beklagten angesprochen hat, ist nach der Erklärung des Geschäftsführers der Beklagten im Termin eine Bereitschaft zur Übernahme der Ausbildungsverpflichtung durch diese Unternehmen nicht vorhanden. Abgesehen davon kommt es hier auf die Ausbildungsverpflichtung der Beklagten selbst an. Eine Ausbildung im bestehenden Betrieb der Beklagten erscheint jedoch, wenn nicht unmöglich, so doch praktisch kaum sinnvoll durchführbar. Zu Recht hat der Kläger im Termin der Berufungsverhandlung in erster Linie die Frage nach der Möglichkeit einer Weiterausbildung in den Partnerunternehmen angesprochen. Bei Abwägung aller Umstände hat die Kammer davon abgesehen, die Beklagte im neuen Betrieb zur weiteren Ausbildung zu verpflichten.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO.

IV. Für die Zulassung der Revision fehlt es am gesetzlichen Grund. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf die Anforderungen des § 72 a ArbGG verwiesen.

Ende der Entscheidung

Zurück