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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 06.08.2008
Aktenzeichen: 10 TaBV 49/08
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
ArbGG § 98 Abs. 1
Der Maßstab der offensichtlichen Unzuständigkeit im Sinne von § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG gilt auch dann, wenn der Streit der Betriebspartner über die Zuständigkeit der Einigungsstelle die Frage betrifft, ob das Mitbestimmungsrecht von dem örtlichen Betriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat auszuüben ist.
Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners (Beteiligter zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 21.05.2008 in Sachen 2 BV 94/08 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach § 98 ArbGG über die Errichtung einer Einigungsstelle.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, dem Antrag des Beteiligten zu 1) statt zu geben, wird auf den vollständigen Inhalt des angegriffenen Beschlusses vom 21.05.2008 Bezug genommen.

Der arbeitsgerichtliche Beschluss wurde dem Antragsgegner am 30.05.2008 zugestellt. Er hat hiergegen am 13.06.2008 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass die zur Entscheidung gestellten Anträge des Beteiligten zu 1) bereits unzulässig seien. Dem Beteiligten zu 1) fehle für die Einleitung eines Verfahrens zur Errichtung einer Einigungsstelle das Rechtsschutzinteresse; denn es hätten über den beabsichtigten Regelungsgegenstand der Einigungsstelle vorgerichtlich noch keine echten Verhandlungen zwischen den Beteiligten stattgefunden. Hierzu wäre nach Meinung des Beschwerdeführers erforderlich gewesen, dass der Antragsteller zumindest den Versuch unternommen hätte, ihn, den Antragsgegner und Beschwerdeführer, davon zu überzeugen, dass der örtliche Betriebsrat und nicht der Gesamtbetriebsrat für die Regelungsmaterie zuständig sei.

Jedenfalls fehle es aber nach Meinung des Beschwerdeführers an der Begründetheit der Anträge des Beteiligten zu 1). Es stehe zwar nicht in Frage, dass, wenn der Arbeitgeber auf freiwilliger Basis nach generalisierenden Regeln ein Prämien- und Zulagensystem einführe, eine Mitbestimmungspflichtigkeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gegeben sei. Zuständig für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts sei hier aber nicht der Antragsteller als örtlicher Betriebsrat, sondern der im Unternehmen bestehende Gesamtbetriebsrat. Der Antragsteller als örtlicher Betriebsrat sei hier aufgrund so genannter subjektiver Unmöglichkeit daran gehindert, das Mitbestimmungsrecht auszuüben; denn ihm, dem Antragsgegner und Beschwerdeführer, gehe es darum, übergreifende, für alle Betriebe einheitliche Regelungen zu treffen, nach denen Leistungszulagen und Prämien gewährt werden könnten. Für den Abschluss solcher Regelungen sei der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass es sich bei der hier streitigen Frage um eine selbständige Problematik der Antragsbefugnis handele, die der Zuständigkeit der Einigungsstelle selbst vorgelagert sei und für die dementsprechend das in § 98 Abs. 1 Satz 2 festgelegte Kriterium der "offensichtlichen" Unzuständigkeit nicht gelte. Außerdem meint der Beschwerdeführer, dass der Gesamtbetriebsrat an dem vorliegenden Verfahren zu beteiligen gewesen wäre.

II.A. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den arbeitsgerichtlichen Beschluss vom 21.05.2008 ist zulässig. Insbesondere wurde die Beschwerde gemäß § 98 Abs. 2 S. 2 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.

B. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Köln hat die Rechtsstreitigkeit in erster Instanz zutreffend entschieden.

Die Anträge des Betriebsrats K -P auf Einsetzung des Vorsitzenden einer Einigungsstelle über den Regelungsgegenstand der Zahlung von Zulagen und Prämien sowie auf Festlegung der Anzahl der Beisitzer der Einigungsstelle sind zulässig und begründet.

1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann ein Rechtsschutzbedürfnis für diese Anträge nicht mit der Begründung verneint werden, es hätten vorgerichtlich keine ausreichenden "Verhandlungen" zwischen den Beteiligten über den Regelungsgegenstand stattgefunden.

a. Der antragstellende Betriebsrat hat vorgerichtlich sehr wohl Anstrengungen unternommen, um mit dem Antragsgegner in Verhandlungen über den Regelungsgegenstand einzutreten. Er hat hierzu sogar in Schriftform seine eigenen Vorstellungen über denkbare Regelungsinhalte als Diskussionsgrundlage unterbreitet. Es war hingegen gerade der Antragsgegner und Beschwerdeführer selbst, der sich "echten" Verhandlungen mit dem antragstellenden örtlichen Betriebsrat verschlossen hat und sich allenfalls zu von ihm so genannten "Sondierungsgesprächen" bereit gefunden hat mit dem Ziel, den örtlichen Betriebsrat von seiner Unzuständigkeit für den Regelungsgegenstand zu überzeugen. Dies geht klar und unmissverständlich aus dem vorgerichtlichen Schreiben des Antragsgegners an den Antragsteller vom 25.03.2008 hervor (Bl. 51 d. A., Anlage K 10 zur Antragsschrift).

b. In dem eben soeben zitierten Schreiben vom 25.03.2008 hat der Beschwerdeführer aber nicht nur "Verhandlungen" mit dem Antragsteller über den mitbestimmungspflichtigen Regelungsgegenstand selbst verweigert, sondern ausdrücklich und definitiv auch die Einrichtung einer Einigungsstelle hierzu ebenso wie den Vorschlag des Antragstellers zur Besetzung des Einigungsstellenvorsitzes abgelehnt. Gerade das Schreiben des Antragsgegners vom 25.03.2008 dokumentiert demnach eindrucksvoll, dass dem Antragsteller kein einfacherer, direkterer oder billigerer Weg zur Verfügung stand, um sein Rechtsschutzziel zu erreichen, als die Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens nach § 98 ArbGG.

2. Die Anträge des Antragstellers waren auch in dem Umfang, in dem ihnen das Arbeitsgericht stattgegeben hat, begründet.

a. Unstreitig beabsichtigt der Beschwerdeführer, in seinem Unternehmen ein Zulagen- und Prämiensystem einzuführen, dass sich nach generalisierenden Regelungen richten soll. Ebenfalls besteht zwischen den Beteiligten kein Streit darüber, dass, wenn ein Arbeitgeber sich - freiwillig - entschließt, ein solches generalisierendes System einzuführen, über die Ausgestaltung des Wie dieser Regelungen eine Mitbestimmungspflicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht.

b. Ebenso hat unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zum Rechtsschutzbedürfnis als unstreitig zu gelten, dass zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens Verhandlungen über den mitbestimmungspflichtigen Regelungsgegenstand gescheitert bzw. gar nicht erst zustande gekommen sind, obwohl der Antragsteller Anstrengungen hierauf gerichtet hat.

c. Das vorliegende Verfahren nach § 98 ArbGG ist nicht der vom Gesetzgeber vorgesehene Ort, um die Frage zu prüfen und zu entscheiden, ob der antragstellende örtliche Betriebsrat K -P tatsächlich für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts über den Regelungsgegenstand der Zahlung von Zulagen und Prämien zuständig ist. Es liegt in der Kompetenz der Einigungsstelle selbst, über ihre Zuständigkeit zu entscheiden. Nur dann, wenn schon bei der Errichtung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbGG sich deren Unzuständigkeit geradezu aufdrängt und unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint, die Unzuständigkeit also als "offensichtlich" zu bezeichnen ist, sind gemäß § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG die Anträge auf Errichtung einer Einigungsstelle zurückzuweisen.

d. Der Maßstab der "offensichtlichen" Unzuständigkeit im Sinne von § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gilt auch dann, wenn der Streit der Betriebspartner über die Zuständigkeit der Einigungsstelle lediglich die Frage betrifft, ob das Mitbestimmungsrecht von dem örtlichen Betriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat auszuüben ist (so zutreffend LAG Frankfurt, NZA 1985, 33; LAG Hamburg, LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 7; zu Unrecht a. A.: Schwab/Weth/Walker, ArbGG, § 98 Rdnr. 40).

aa. Zwar mag es begriffsjuristisch möglich sein, die Frage der Antragsbefugnis des antragstellenden Betriebsrates gedanklich von der Frage der Zuständigkeit der zu errichtenden Einigungsstelle selbst zu trennen.

bb. Die Zuständigkeit der Einigungsstelle ist jedoch unmittelbar davon abhängig, dass der "richtige" Betriebsrat, also derjenige, dem die Ausübung des jeweils betroffenen Mitbestimmungsrechts obliegt, die Errichtung der Einigungsstelle beantragt. Eine vom "falschen" Betriebsrat angerufene Einigungsstelle ist automatisch unzuständig und nicht befugt, sich inhaltlich mit den angestrebten Sachregelungen zu befassen.

cc. Der Sinn und Zweck von § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG besteht darin, das formale Verfahren über die Errichtung einer Einigungsstelle, das nach der Vorstellung des Gesetzgebers unkompliziert und möglichst zügig ablaufen soll, nicht mit unter Umständen diffizilen Rechtsproblemen, betriebsverfassungsrechtliche Zuständigkeiten betreffend, zu belasten. Dementsprechend dehnt die herrschende Meinung den Prüfungsmaßstab der Offensichtlichkeit aus § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG auch auf solche Fragen aus, die sich im weitesten Sinne als Vorfragen der Zuständigkeit der Einigungsstelle erweisen (vgl. LAG Hamburg, LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 16; LAG Köln AP Nr. 7 zu § 98 ArbGG 1979; Schwab/Weth/Walker, § 98 ArbGG Rdnr. 43). Sinn und Zweck der Regelung erfordern es somit, auch bei Zweifeln, ob der örtliche oder der Gesamtbetriebsrat tätig zu werden hat, die Bildung einer Einigungsstelle nach § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nur dann abzulehnen, wenn der beantragende Betriebsrat offensichtlich unzuständig ist.

e. Im vorliegenden Fall beruft sich der Arbeitgeber als Beschwerdeführer darauf, dass sich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Mitbestimmung der Regelungen über die Einführung von Zulagen und Prämien auf einer "subjektiven Unmöglichkeit" einzelbetrieblicher Regelungen beruhe. Er, der Arbeitgeber, sei nämlich zur freiwilligen Einführung eines Zulagen- und Prämiensystems nur bereit, wenn sich dieses nach betriebsübergreifenden, für das gesamte Unternehmen einheitlichen Regelung richtet.

aa. Der Grundsatz der "subjektiven Unmöglichkeit" ist in der neuesten Rechtsprechung des BAG anerkannt (BAG NZA 2007, 523 ff.). Sie könnte vorliegend tendenziell für die Unzuständigkeit des antragstellenden Betriebsrats sprechen.

bb. Allerdings hat der antragstellende Betriebsrat als Beschwerdegegner eingewandt, dass der Beschwerdeführer bereits jetzt einer gewissen Anzahl von Mitarbeitern des Betriebes K -P Prämien bzw. Zulagen gewährt, sich hierbei auch an die Prinzipien der Ermächtigungsgrundlage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 18.10.2007 halte, obwohl mitbestimmte, unternehmenseinheitliche Verteilungsregeln noch nicht verabschiedet seien. Ferner hat der Antragsteller und Beschwerdegegner eingewandt, dass der Beschwerdeführer z.B. mit dem Betriebsrat des Betriebes in O einzelne Abmachungen getroffen habe, die zeigten, dass er durchaus die Möglichkeit sehe, auf der Betriebsebene Vereinbarungen abzuschließen.

cc. Ob solche Einwände des Beschwerdegegners gegen das vom Beschwerdeführer herangezogene Argument der subjektiven Unmöglichkeit durchgreifen, bedarf einer näheren rechtlichen und gegebenenfalls auch tatsächlichen Überprüfung, kann aber nicht kursorisch als "offensichtlich" unzutreffend verworfen werden.

3. Es muss daher bei der vom Arbeitsgericht mit Beschluss vom 21.05.08 errichteten Einigungsstelle verbleiben.

4. Gegen die Person des vom Arbeitsgericht antragsgemäß eingesetzten Vorsitzenden hat der Beschwerdeführer in der Beschwerdeinstanz keine Einwendungen mehr erhoben.

5. Ergänzend bleibt anzumerken, dass entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers der in seinem Unternehmen gebildete Gesamtbetriebsrat am vorliegenden Verfahren nicht zu beteiligen war. Bei der Bildung einer Einigungsstelle auf Antrag und unter Beteiligung des örtlichen Betriebsrats K -P werden die Rechte des Gesamtbetriebsrats nicht unmittelbar betroffen. Die Einigungsstelle hat nach ihrer Bildung zunächst über die Frage ihrer Zuständigkeit zu entscheiden. Die Zuständigkeit als solche kann aber auch zum Gegenstand eines eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Beschlussverfahrens gemacht werden. Ferner könnte ein von der gebildeten Einigungsstelle gefällter Spruch auch mit dem Argument angefochten werden, dass die Einigungsstelle ihre Zuständigkeit zu Unrecht bejaht habe.

C. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 98 Abs. 2 Satz 4 ein weiteres Rechtsmittel nicht statthaft.

Ende der Entscheidung

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