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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 11.05.2001
Aktenzeichen: 11 Sa 228/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, ATzA, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 97
ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
ATzA § 5 Abs. 6
ATzA § 3 Abs. 3
ArbGG § 72 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 11 Sa 228/01

Verkündet am: 11.05.2001

In dem Rechtsstreit

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 11.05.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin Hubert-Hesse und den ehrenamtlichen Richter Weinhappel

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 25.10.2000 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 9 (7) Ca 5361/00 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert: unverändert.

Tatbestand:

(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)

Die Parteien - nämlich der beklagte Automobilclub und der am 28. 07. 1939 geborene, seit 1964 bei ihm angestellte Kläger - streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 20. 06. 2000. Hintergrund sind die folgenden Ereignisse: Der Kläger, der beim Beklagten zunächst in der Materialwirtschaft eingesetzt war, schloß mit diesem unter dem 01. 11. 1997 rückwirkend ab 01. 07. 1997 eine Altersteilzeitvereinbarung nach dem Blockmodell auf der Grundlage des Altersteilzeitabkommens für die Versicherungswirtschaft (ATzA); die aktive Phase sollte bis Oktober 1999 dauern, die anschließende Freistellungsphase bis Februar 2002. Wenig später präsentierte er ein orthopädisches Attest vom 11. 11. 1997, das ihm wegen bestehender Probleme im Bereich der Wirbelsäule eine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit bescheinigte (Bl. 139). Der Beklagte versetzte ihn darauf ab Januar 1998 gegen seinen Willen. Am 18. 03. 1998 erlitt der Kläger einen Herzinfarkt und war anschließend arbeitsunfähig - und zwar bis Oktober 1999. Für die anschließende Zeit behauptete der Kläger Arbeitsfähigkeit und belegte dies durch ein Attest seines Internisten vom 22. 11. 1999. Der Beklagte bestritt die Arbeitsfähigkeit und verweigerte die Altersteilzeitvergütung für die Freistellungsphase ab November 1999. Der Kläger erhob unter dem 31. 01. 2000 eine erstinstanzlich noch anhängige Klage auf Zahlung, die er mit Schriftsatz vom 06. 06. 2000 erweiterte. In ihm schildert er die Verhältnisse an seinem Arbeitsplatz und behauptet, der mit ihnen verbundene Streß sei nach den Feststellungen seines Internisten letztlich auch der Auslöser für seinen Herzinfarkt gewesen (Arbeitsgericht Köln - 9 Ca 839/00, Bl. 91). Diesen Schriftsatz nahm der Beklagte zum Anlaß für die streitgegenständliche Kündigung.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit seinem dem Beklagten am 26. 01. 2001 zugestellten Urteil stattgegeben. Mit seiner Berufung vom 26. 02. 2001 verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter, nimmt Bezug auf seine erstinstanzlichen sowie die im Parallelverfahren vorgelegten Schriftsätze und meint, das Arbeitsgericht lasse eine Zusammenschau der von ihm vorgetragenen Umstände vermissen; diese sprächen dafür, daß sich der Kläger nach seiner Rekonvaleszenz systematisch seinen Mitwirkungs- und Arbeitspflichten entzogen habe, um nach Auslaufen des Krankengeldes gesundgeschrieben in die Freistellungsphase zu wechseln. Nach seiner Versetzung hätte er durch die Einschaltung betrieblicher Stellen für eine Änderung der von ihm als krankmachend empfundenen Umstände sorgen müssen und den Arbeitgeber nicht im Unklaren lassen dürfen. Streß am neuen Arbeitsplatz sei auch für den Infarkt des Klägers nicht ursächlich gewesen. Das Verrentungsverfahren habe der Kläger nicht mit der tarifvertraglich vorgeschriebenen Zügigkeit betrieben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung abzuweisen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung und bezweifelt die Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung, die den Eingangsstempel des LAG vom 27. 02. 2001 trägt. In der Sache verteidigt er die angefochtene Entscheidung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung, die zu den Akten gereichten Urkunden sowie ergänzend auf den vorgetragenen Inhalt der zweitinstanzlich zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

1) Insbesondere hat der Beklagte die Einlegungsfrist gewahrt. Diese lief am 26. 02. 2001 ab. Es ist davon auszugehen, daß die Berufung an diesem Tag bei Gericht auch eingegangen ist. Denn der Beklagtenvertreter hat eidesstattlich versichert, sie an diesem Tag gegen 19.00 Uhr in den Nachtbriefkasten des LAG geworfen zu haben. Das ist nicht unglaubwürdig, obwohl die Berufung mit dem Eingangsstempel des nächsten Tages (27. 02. 2001) versehen worden ist. Die Beweiskraft dieser öffentlichen Urkunde ist erschüttert: Der 26. 02. 2001 war Rosenmontag, der zwar kein Feiertag, im Rheinland jedoch herkömmlicherweise arbeitsfrei ist. Mit Rücksicht darauf wurde der Nachtbriefkasten des Landesbehördenhauses, in dem das LAG residiert, an diesem Tag ausnahmsweise nicht von der Hausverwaltung, sondern vom geschäftsleitenden Beamten des LAG geleert. Dieser hat versehentlich vergessen, nach der Leerung die Datumsklappe des Nachtbriefkastens zu richten, so daß alle nach der Leerung eingeworfenen Schriftstücke mit dem Datum des folgenden Tages versehen wurden - ob sie nun vor 24.00 Uhr eingingen oder danach. Das haben die Nachforschungen der Berufungskammer ergeben.

2) Zudem ist davon auszugehen, daß die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 519 Abs.3 Nr.2 ZPO gerecht wird. Zwar gibt es Gründe, daran zu zweifeln, weil die Begründung hauptsächlich aus der Bezugnahme auf erstinstanzliche Schriftsätze und Schriftsätze in einem anderen, nicht vor dem erkennenden Gericht anhängigen Verfahren besteht (hierzu: Baumbach/Albers, ZPO, 59. Aufl., § 519 Rn. 23; Lange in NJW 1989, 438, 439 unter II 1 b). Das Berufungsgericht hat sich jedoch entschlossen, in dem Vortrag, das Arbeitsgericht lasse eine Zusammenschau der vorgetragenen Umstände vermissen, ein Minimum an Begründung zu sehen.

II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 20. 06. 2000 sein Ende gefunden hat. Denn diese Kündigung ist unwirksam. In der Begründung folgt das Gericht der angefochtenen Entscheidung, weshalb insoweit von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen wird (§ 543 Abs. 1 ZPO). Die Gründe halten auch den Angriffen der Berufung stand:

Auch für das Berufungsgericht ist ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs.1 BGB nicht erkennbar. Es ist ihm nicht einmal deutlich geworden, worin der Beklagte den wichtigen Grund sehen will:

1) Aus der Zeit bis zur Versetzung des Klägers erwähnt der Beklagte nichts Vorwerfbares. Der Vorwurf, nach seiner Versetzung hätte er durch die Einschaltung betrieblicher Stellen für eine Änderung der von ihm als krankmachend empfundenen Umstände sorgen müssen und den Arbeitgeber nicht im Unklaren lassen dürfen, ist offensichtlich haltlos: Der Kläger hat versucht, den subjektiv empfundenen Streß zu bewältigen, um sich der Aufgabe gewachsen zu zeigen und den Arbeitgeber zufrieden zu stellen. Die meisten Arbeitgeber schätzen das. Daß der Beklagte nicht zu diesen Arbeitgebern gehört, konnte der Kläger ebensowenig ahnen wie seinen bevorstehenden Infarkt.

2) Den Infarkt selbst und die sich anschließende Arbeitsunfähigkeit kann der Beklagte dem Kläger schlechterdings nicht zum Vorwurf machen. Die Andeutung des Beklagten im heutigen Termin, der Kläger sei nicht so lange arbeitsunfähig gewesen, wie er krankgeschrieben worden sei, kann die Kündigung nicht stützen: Da jeder Beweisantritt des für die Kündigungsgründe beweisbelasteten Beklagten fehlt, könnte mit diesem Vortrag allenfalls eine Verdachtskündigung begründet werden. Als Verdachtskündigung - mit welchem Verdacht auch immer - ist die streitgegenständliche Kündigung jedoch schon aus formalen Gründen unwirksam: Zum einen hat der Beklagte eine Verdachtskündigung nicht ausgesprochen; zum anderen hat er hierzu weder den Betriebsrat angehört (BAG, Urteil vom 03. 04. 1986 - 2 AZR 324/85 in AP Nr. 18 zu § 626 BGB) noch - wie es die Rechtsprechung fordert - den Kläger selbst vor Ausspruch der Kündigung (BAG, Urteil vom 13. 09. 1995 - 2 AZR 587/94 in NZA 1996, 81).

3) Auch an der "Gesundschreibung" ist nichts Kündigungsrelevantes zu entdecken. Zum einen bedeutet das "Gesundschreiben" nichts weiter als die Unterlassung weiterer Krankschreibung, zu der grundsätzlich kein Arbeitnehmer verpflichtet ist. Zum anderen könnte eine "Gesundschreibung" als Vorwurf überhaupt nur in Betracht kommen, wenn sie wahrheitswidrig wäre - was der Beklagte beweisen müßte, da eine Verdachtskündigung aus den schon aufgezeigten Gründen ausfällt. Und schließlich steht nicht fest, ob eine - zu Recht oder zu Unrecht erfolgte - "Gesundschreibung" dem Beklagten überhaupt einen Nachteil bringen kann, ohne den ein Vorwurf, gerichtet an die Adresse des Klägers, keinen Sinn macht: Grundsätzlich ist nämlich Arbeitsfähigkeit, die ja durch die "Gesundschreibung" bescheinigt werden soll, gar nicht Voraussetzung für den Anspruch auf Altersteilzeitvergütung in der Freistellungsphase: In dieser Zeit wird der Altersteilzeit-Arbeitnehmer nicht durch Krankheit an der Arbeitsleistung gehindert, so daß § 5 Abs.6 des ATzA für die Freistellungsphase überhaupt keine Bedeutung hat (Seifert, Altersteilzeitabkommen für das private Versicherungsgewerbe, § 5 Rn. 8 = Bl. 54 in 9 Ca 839/00). Sollte dies vorliegend anders sein, könnte das allenfalls daran liegen, daß der Kläger auch in der aktiven Phase überwiegend arbeitsunfähig war, weshalb von einem "Vorarbeiten" im eigentlichen Sinne nicht gesprochen werden kann. Die Frage kann hier offenbleiben, da es sich um eine derart subtile Rechtsfrage handelt, daß ihre unrichtige Beantwortung dem Kläger jedenfalls nicht vorgeworfen werden könnte.

4) Auch im Schriftsatz des Klägers vom 06. 06. 2000 ist ein Kündigungsgrund nicht zu entdecken - dies schon deshalb nicht, weil er gar nicht vom Kläger, sondern von seinem Prozeßvertreter stammt; aber auch deshalb nicht, weil er in einem Rechtsstreit in Wahrnehmung berechtigter Interessen verfaßt wurde. Zudem würde eine Vorwerfbarkeit der dortigen Äußerungen zur Entstehungsgeschichte des Infarktes wiederum ihre Unwahrheit voraussetzen, die der Beklagte aber weder bewiesen noch in schlüssiger Weise begründet hat: Seine Ausführungen zur Genese einer Koronarinsuffizienz sind unschlüssig, da der Kläger nicht daran, sondern an einem Hinterwandinfarkt mit Gefäßdilatation erkrankt war. Daß bei der Ausbildung eines Herzinfarktes Streßelemente eine Rolle spielen können, gehört zum Allgemeinwissen.

5) Auch am Verhalten des Klägers im Rentenverfahren ist nichts Vorwerfbares: Nach seinem Herzinfarkt am 18. 03. 1998 hat er bereits am 25. 05. 1998 den vom Beklagten geforderten Rentenantrag gestellt. Daß dieser vom Versicherungsträger (BfA) unter Berücksichtigung der ärztlichen Befunde abgelehnt wurde, kann dem Kläger schlechterdings nicht angelastet werden. Daß er nach Zurückweisung seines Widerspruchs das vor dem Sozialgericht begonnene Klageverfahren nicht bis zu Ende durchgeführt hat, ist unerheblich: § 3 Abs.3 ATzA verpflichtet den Altersteilzeit-Arbeitnehmer zwar "rechtzeitig" einen Rentenantrag zu stellen - keinesfalls aber dazu, bei Erfolglosigkeit Prozesse zu führen.

6) Die im heutigen Termin vorgebrachte Kündigungsbegründung, den Kläger wegen seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in den Betrieb eingliedern zu können, ist erkennbar unschlüssig: Der Beklagte muß den Kläger nicht eingliedern, weil er sich in der Freistellungsphase befindet.

7) Auch die vom Beklagten vermißte "Zusammenschau" erbringt nichts zu seinen Gunsten: Nicht vorwerfbare Umstände bleiben auch nach ihrer Addition nicht vorwerfbar. Sollte sich der Beklagte hingegen nicht einen (weiteren) Kündigungsgrund, sondern eine Verbesserung seiner Beweislage für seine Behauptung erhoffen, der Kläger habe sich durch unlautere Mittel ("systematisch") seinen Mitwirkungs- und Arbeitspflichten entzogen, um nach Auslaufen des Krankengeldes gesundgeschrieben in die Freistellungsphase zu wechseln, müßte diese Erwartung enttäuscht werden: Daß mit diesen "Indizien" ein Vollbeweis für die Erschleichung ärztlicher Atteste erbracht werden kann, glaubt der Beklagte selber nicht; ob sie einen plausiblen Verdacht begründen können, ist unerheblich, da die streitige Kündigung - wie gezeigt als Verdachtskündigung nicht zu halten ist.

8) Für alle vorgetragenen Gründe gilt: Der Beklagte wäre mit ihnen, wenn sie schlüssig wären, gem. § 626 Abs.2 BGB ausgeschlossen. Er kannte sie bei Zugang der Kündigung (23. 06. 2000) allesamt länger als zwei Wochen. Durch den Schriftsatz des Klägers vom 06. 06. 2000 hat er in Wahrheit nichts Neues erfahren. Das bedarf aber angesichts des Vorstehenden keiner weiteren Vertiefung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Der Streitwert ist unverändert geblieben.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil der Rechtsstreit nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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