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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 08.08.2003
Aktenzeichen: 11 Sa 238/03
Rechtsgebiete: TV Ang, BGB


Vorschriften:

TV Ang § 2 Abs. 1 S. 2
BGB § 125
Ein Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung an Rosenmontag durch betriebliche Übung ist im Geltungsbereich des ehemaligen TV Arb (Tarifvertrag für Arbeiter der Deutschen Bundespost) auch durch wiederholte vorbehaltlose Gewährung nicht entstanden. Er ist auch nicht dadurch entstanden, dass die Praxis nach der Privatisierung zur Deutschen Telekom AG fortgesetzt wurde, bis für diese der MTV am 01.07.2001 in Kraft trat. Dem stand die Formklausel für Nebenabreden in beiden Tarifwerken entgegen. Die Arbeitsbefreiung an Rosenmontag ist eine Nebenabrede.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 Sa 238/03

Verkündet am 08. August 2003

In Sachen

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 08.08.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Voges und Schnelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 17.12.2002 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Bonn - 6 Ca 3169/02 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die beiderseits tarifgebundenen Parteien streiten um die Frage, ob dem Kläger im Karneval an Rosenmontag bezahlte Arbeitsbefreiung zu gewähren war und künftig zu gewähren ist. Beklagt ist die D T AG, die ab, 01. 01. 1995 durch Privatisierung aus der D B hervorgegangen ist. Für letztere galt der Tarifvertrag für die Angestellten der D B (TV Ang) und zwar laut § 21 Abs. 1 S.2 PostPersRG (Postpersonalrechtsgesetz) trotz Privatisierung zunächst weiter "bis zum Abschluß neuer Tarifverträge". Der für die Beklagte geltende neue Tarifvertrag (MTV) trat am 01. 07. 2001 in Kraft. Beide Tarifverträge enthalten Formvorschriften. Im TV Ang heißt es (§ 2 Abs. 2): "Nebenabreden sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden." Im MTV heißt es (§ 5): "Der Schriftform bedürfen - der Abschluß und die Änderung des Arbeitsvertrages, - die Vereinbarung von Nebenabreden, - der Abschluß eines Auflösungsvertrages, - die Kündigung des Arbeitsverhältnisses." Der Kläger wurde seit 1973 von der Deutschen Bundespost als Angestellter beschäftigt und von der Beklagten übernommen. Er ist der Technikerniederlassung Oldenburg zugeordnet, sein Einsatzort ist Münster. Im Bereich des Fernmeldeamtes Münster wurde mindestens seit den achtziger Jahren an Rosenmontag bezahlte Arbeitsbefreiung gewährt. Ein förmlicher Akt liegt dieser Maßnahme nicht zugrunde, sie wurde auch nicht jährlich erneut in Erinnerung gebracht, sondern allgemein vorausgesetzt. Im Februar 2001 kündigte die Beklagte eine Beendigung dieser Praxis an, wurde an diesem Vorhaben jedoch durch eine vom Betriebsrat erwirkte einstweilige Verfügung gehindert. Nachdem die Beklagte im November 2001 ihre Ankündigung wiederholte, einigten sich die Betriebspartner in einem gerichtlichen Vergleich darauf, die Frage, ob Arbeitnehmer im Altbereich der Netze-Niederlassung Münster einen individual-rechtlichen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung an Rosenmontagen haben, in einigen Musterverfahren gerichtlich klären zu lassen. Das vorliegende Verfahren ist eines dieser Musterverfahren. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, einen Anspruch im Wege der betrieblichen Übung erworben zu haben, ohne daß dem die tarifliche Schriftformklausel entgegen stünde: Es liege keine Nebenabrede vor.

Der Kläger hat beantragt

1. die Beklagte zu verurteilen, seine Arbeitsbefreiung vom 11. 02. 2002 (Rosenmontag) nicht auf seinen Urlaubsanspruch anzurechnen, sondern auf seinem Arbeitszeitkonto als bezahlte Arbeitszeit gutzuschreiben;

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm an zukünftigen Rosenmontagen bezahlte Arbeitsbefreiung zu gewähren;

3. hilfsweise festzustellen,

a) daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm an zukünftigen Rosenmontagen bezahlte Arbeitsbefreiung zu gewähren, soweit keine betrieblichen Gründe zwingend entgegenstehen;

b) daß die Beklagte in den Ausnahmefällen, in denen seine Arbeitsleistung an Rosenmontag aus betrieblichen Gründen zwingend erforderlich ist, verpflichtet ist, ihm eine entsprechende Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto einzuräumen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und sich auf die tariflichen Schriftformklauseln berufen; sie seien einschlägig, weil eine Nebenabrede zur Debatte stehe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Klageziele weiter, wobei er den Antrag zu 1) um den inzwischen verstrichenen Rosenmontag des Jahres 2003 (03. 03. 2003) erweitert. Er bekämpft die angefochtene Entscheidung mit Rechtsausführungen und hält die Berufung der Beklagten auf die Schriftformklauseln für treuwidrig.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, seine Arbeitsbefreiung vom 11. 02. 2002 und 03. 03. 2003 (jeweils Rosenmontag) nicht auf seinen Urlaubsanspruch anzurechnen, sondern auf seinem Arbeitszeitkonto als bezahlte Arbeitszeit gutzuschreiben;

2. i.ü. nach den erstinstanzlichen Schlußanträgen zu erkennen.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt die angefochtene Entscheidung mit Rechtsausführungen. Zusätzlich weist sie darauf hin, daß es mit Rücksicht auf die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes zu einer betrieblichen Übung gar nicht habe kommen können.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung, die zu den Akten gereichten Urkunden sowie ergänzend auf den vorgetragenen Inhalt der zweitinstanzlich zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hatte und hat keinen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung an Rosenmontag. In der Begründung folgt das Gericht der angefochtenen Entscheidung, weshalb insoweit von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen wird (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Gründe halten auch den Angriffen der Berufung stand:

Die von der Beklagten zweitinstanzlich neu aufgeworfene Frage, ob überhaupt die Entstehungsvoraussetzungen für eine betriebliche Übung bei der Rosenmontagsregelung mit Rücksicht auf die Besonderheiten im öffentlichen Dienst vorliegen, läßt die Kammer wegen der sich damit auftuenden zusätzlichen Rechtsfragen im konkreten Fall unentschieden. Jedenfalls ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, daß eine stillschweigend zustande gekommene Rosenmontagsregelung im Sinne des Klägers formunwirksam und damit nicht anspruchsbegründend wäre - und zwar mit Rücksicht auf den unstreitig das Arbeitsverhältnis beherrschenden § 2 Abs.2 TV Ang. Denn bei der Rosenmontagsregelung handelte es sich um eine Nebenabrede im Sinne dieser Vorschrift:

Mit dem vierten und dem ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, daß Nebenabreden im Sinne der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes Vorteile betreffen, die nicht als Gegenleistung für die vertraglich geschuldete Leistung des Arbeitnehmers erbracht; werden, sondern z.B. aus sozialen Gründen; sie betreffen, nicht eine vertragliche Hauptpflicht (BAG, Urteil vom 18. 05. 1977 - 4 AZR 47/76 in AP Nr.4 zu § 4 BAT; Urteil vom 07. 05. 1986 - 4 AZR 556/83 in AP Nr.12 zu § 4 BAT; Urteil vom 18. 09. 2002 - 1 AZR 477/01 in NZA 2003, 337 unter I 3 b).

Eine Zusage, anläßlich des karnevalistischen Brauchtums für den Tag des Hauptumzugs Arbeitsbefreiung zu erteilen, würde nicht hauptsächlich zu dem Zweck erteilt, die erbrachte Arbeitsleistung zu vergüten. Arbeitsbefreiung an Rosenmontag ist für ein Arbeitsverhältnis weder wesensnotwendig noch von besonderer Bedeutung; sie hat sekundären, außergewöhnlichen Charakter (BAG, Urteil vom 07. 05. 1986 - 4 AZR 556/83 in AP Nr. 12 zu § 4 BAT).

Das wird auch daran ersichtlich, daß der überregionale Arbeitgeber den Arbeitnehmern, die in Regionen ohne solches Brauchtum leben und arbeiten, derartige Vorteile nicht zukommen läßt und diese auch nicht im Interesse der Lohngleichheit, zu der er verpflichtet ist, finanziell kompensiert. Auch ist nicht bekannt geworden, daß die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin Arbeitnehmern, die krankheitsbedingt nicht in den Genuß der Arbeitsbefreiung gelangen konnten, diesen Tag bei anderer Gelegenheit nachgewährt hätte, wie es im Urlaubsrecht selbstverständlich ist.

An all dem läßt sich ersehen, daß die Arbeitsbefreiung primär deswegen erfolgte, um - auch zur werbewirksamen Steigerung des eigenen Ansehens vor Ort - den Arbeitnehmern die Teilnahme an den Umzügen zu ermöglichen (vgl. BAG vom 17.11.1972 - 3 AZR 112/72 in AP Nr.3 zu § 13 JugArbSchutzG unter II. 1. der Gründe). Nur so ließ sich die Vergünstigung haushaltsrechtlich rechtfertigen - als Beitrag nämlich zur Pflege des heimatlichen Brauchtums, wozu man den öffentlichen Dienst durchaus für beauftragt halten kann. Ohne diesen Beitrag eines der größten am Ort vertretenen Arbeitgeber wäre die Durchführung der Umzüge nämlich infrage gestellt worden, weil diese auf die - wenn auch nur teilweise - Teilnahme der beruflich tätigen Bevölkerung angewiesen sind. Andernfalls hätte sich der Rosenmontagszug aus der nicht (mehr) erwerbstätigen Bevölkerung rekrutieren müssen, was fast seiner Verhinderung gleichgekommen wäre. Unerheblich ist, daß die Teilnahme am Rosenmontagszug nicht Bedingung für die Arbeitsbefreiung des einzelnen Arbeitnehmers war. Zum einen erfüllt der Staat und seine Organe seine Aufgabe zur Pflege und Förderung des heimatlichen Brauchtums schon dadurch, daß er die Teilnahme auch des arbeitenden Teils der Bevölkerung an dessen Veranstaltungen nur ermöglicht, während es ihm überhaupt nicht zusteht, einen Druck auf seine Arbeitnehmer auszuüben, von dieser Möglichkeit auch den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen. Zum anderen lehrt die Erfahrung, daß mit einer nicht teilnahmewilligen "Restmannschaft" ein geordneter Dienstbetrieb kaum aufrecht zu erhalten ist. Und schließlich nimmt diese Handhabung auch Rücksicht auf die durch den Umzug bedingten nicht vorhersehbaren Verkehrsverhältnisse, die es auch den nicht teilnahmewilligen Arbeitnehmern wesentlich erschweren, wenn nicht unmöglich machen, die Dienststelle planmäßig zu erreichen und wieder zu verlassen.

An diesem aus Zeiten des öffentlichen Dienstes stammenden Charakter der Rosenmontagsregelung als einer betrieblichen Sozialleistung hat sich durch die Privatisierung ab 1995 nichts geändert. Denn der TV Ang galt kraft Gesetzes weiter. Das verbietet, ihm. - in diesem Fall seinem § 2 Abs. 2 - eine andere Auslegung zu geben. Denn § 21 Abs. 1 S. 2 PoßtPersRG wollte Kontinuität sichern. Dem Zweck liefe es zuwider, dem Tarifvertrag nur textlich nicht aber auch inhaltlich die Weitergeltung zu garantieren.

Auch das Inkrafttreten des MTV am 01.07.2001 hat an den hier entscheidenden Fragen nichts geändert. Zum einen behält der MTV die Schriftformklausel des TV Ang nicht nur bei, sondern erweitert sie noch auf den Abschluß und die Änderung des Arbeitsvertrages. Eine solche Schriftformklausel verhindert das Entstehen einer betrieblichen Übung auch in der Privatwirtschaft (BAG, Urteil vom 27. 03. 1987 - 7 AZR 527/85 in AP Nr. 29 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Zum anderen war der Belegschaft spätestens seit Februar 2001 bekannt, daß die Beklagte bemüht war, sich von der bisherigen Rosenmontagsregelung zu lösen. Damit hatte die Arbeitgeberin schon vor dem Inkrafttreten des MTV ein Verhalten gezeigt, das den Eindruck eines Bindungswillens unmöglich machte.

Auch mitbestimmungsrechtliche Gründe hindern die Beklagte nicht, die von ihr vorgenommene Änderung auf individualrechtlicher Ebene durchzusetzen. Abgesehen davon, daß sich der Kläger auf diesen Gesichtspunkt nicht beruft und offenbar auch nicht berufen will, wird ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr.3 BetrVG für den Widerruf zu verneinen sein, weil es nicht um eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit geht und die Arbeitsentgelte unverändert bleiben; die Beklagte will lediglich die Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit erreichen (BAG, Urteil vom 12. 01. 1994 - 5 AZR 41/93 in DB 1994, 2034 unter II 2).

Die Berufung der Beklagten auf die Schriftformklausel in § 2 Abs. 2 TV Ang ist auch nicht treuwidrig. Das ist ein solches Berufen nach der Rechtsprechung des BAG selbst dann nur ausnahmsweise, wenn auf Grund einer formnichtigen Vereinbarung über einen längeren Zeitraum hinweg Leistungen erbracht werden. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber zum Ausdruck gebracht hat, für die Wirksamkeit der Nebenabrede komme es auf die Einhaltung der Formvorschrift nicht an (BAG, Urteil vom 18. 09. 2002 - 1 AZR 477/01 in NZA 2003, 337 unter I 3 c). Ein solches Verhalten der Arbeitgeberin hat der Kläger nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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