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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 09.05.2008
Aktenzeichen: 11 Sa 261/08
Rechtsgebiete: BAT, GewO, BGB


Vorschriften:

BAT § 22
GewO § 106
BGB § 133
BGB § 157
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erstreckt sich das Direktionsrecht des Arbeitgebers im öffentlichen Dienst auf alle Tätigkeiten, die die Merkmale der Vergütungsgruppe erfüllen, für die der Arbeitnehmer eingestellt worden ist. Danach können dem Arbeitnehmer grundsätzlich auch andere Tätigkeiten zugewiesen werden, soweit sie den Merkmalen dieser Vergütungsgruppe entsprechen.

2. Liegt ein im öffentlichen Dienst üblicher Formulararbeitsvertrag nicht vor, sondern wird der Arbeitnehmer für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eingestellt, ist der öffentliche Arbeitgeber nicht berechtigt, dem Arbeitnehmer Tätigkeiten zuzuweisen, die der im Arbeitsvertrag genannten Tätigkeit nicht gleichwertig sind. Es bleibt offen, ob dies auch dann gilt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Formulararbeitsvertrages beschäftigt wird.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 29. November 2007 - 17 Ca 6309/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Reichweite des Direktionsrechts der Beklagten.

Die Klägerin ist Fachärztin für Urologie. Sie ist seit dem 1. Juli 2002 bei der Beklagten mit 22,75 Wochenstunden angestellt. In § 1 des Arbeitsvertrages ist geregelt, dass die Klägerin "als Stadtärztin unter Eingruppierung in die Vergütungsgruppe Ib, Fallgruppe 1 BAT" beschäftigt wird. Nach § 2 des Arbeitsvertrages bestimmt sich das Beschäftigungsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag vom 23.02.1961 (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2007 wies die Beklagte die Klägerin an, ab dem 1. Juni 2007 im Rahmen der offenen Testsprechstunde dienstags Beratungen zum HIV-Antikörpertest durchzuführen. Die Beratungen sollten ausdrücklich in einem der Beratungsräume und nicht im Untersuchungszimmer durchgeführt werden. Die Sprechstunde sollte um 9 Uhr beginnen und in Abhängigkeit vom Klientenaufkommen zwischen 12 und 13 Uhr enden. Mit Vor- und Nachbereitung entfielen auf diese Tätigkeit nach Angaben der Klägerin neun und nach Angaben der Beklagten acht Wochenstunden.

Im Rahmen der offenen Testberatung können sich Bürger der Stadt K über einen kostenlos angebotenen HIV-Antikörpertest informieren. Es wird über das "HIV-Risiko" und Ansteckungswege beraten. Darüber hinaus dient die offene Testberatung dazu, allen Bürgern einen anonymen Zugang zu einem HIV-Test zu ermöglichen und insbesondere bei Risikogruppen die Hemmschwelle, einen solchen Test durchführen zu lassen, zu senken.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei nicht berechtigt, ihr die Tätigkeit der HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde zuzuweisen. Sie sei nach dem Arbeitsvertrag als Stadtärztin zu beschäftigen. Folglich müsse sie mit medizinischen Tätigkeiten betraut werden. Bei der HIV-Testberatung handele sich jedoch nicht um eine medizinische Beratung. Sie werde ansonsten von Sozialarbeitern wahrgenommen, die in die Vergütungsgruppe IVb BAT eingruppiert seien.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, die HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde des Gesundheitsamtes der Stadt K wahrzunehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde stelle eine medizinische Tätigkeit dar. Medizinische Themen seien u. a. die Übertragungswege des HI-Virus und anderer Erreger, Anatomie und Physiologie der Genitalorgane, Ausbreitungswege und Verlauf der Erkrankungen, Komplikationen, Behandlungsmethoden sowie Fragen der Empfängnisverhütung und des Kinderwunsches. Psychosoziale Themen seien u. a. das breite Feld von Einstellungen und Verhalten hinsichtlich Sexualität und Partnerschaft, Umgang mit gesundheitlichen Lebensrisiken insgesamt, Paardynamik, sexuelle Störungen, psychische Störungen, sexuelle Gewalt und Sozialrecht. Die Übergänge seien fließend, so dass weder die medizinischen Themen ausschließlich der ärztlichen Tätigkeit noch die psychosozialen Themen ausschließlich der Sozialarbeit zuzuordnen seien. Zu berücksichtigen sei darüber hinaus, dass es nach § 22 Abs. 2 Unterabsatz 2 Satz 1 BAT für die Eingruppierung in eine bestimmte Vergütungsgruppe ausreiche, wenn der Arbeitnehmer zur Hälfte mit Arbeitsvorgängen betraut sei, die der maßgeblichen Vergütungsgruppe entsprächen. Sie habe ein dringendes dienstliches Interesse an der Wahrnehmung der HIV-Testberatung durch die Klägerin. Durch das Ausscheiden einer Mitarbeiterin sei eine Vakanz entstanden. Andererseits sei die Klägerin im Rahmen der von ihr durchgeführten ärztlichen Sprechstunde als Urologin aufgrund des seit 2004 deutlich zurückgehenden Bedarfs nicht mehr ausgelastet.

Mit Urteil vom 29. November 2007 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe der Klägerin eine Tätigkeit außerhalb des medizinisch-fachlichen Bereiches abverlangt. Hierzu sei sie nach dem Arbeitsvertrag nicht berechtigt. Gegen das ihr am 29. Januar 2008 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 20. Februar 2008 Berufung eingelegt und diese am 27. März 2008 begründet.

Die Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die Klägerin sei verpflichtet, die HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde durchzuführen. Die HIV-Testberatung sei ein wesentlicher Bestandteil des Berufsbildes des Arztes. Es könne dahin stehen, ob es um originär medizinische, medizinisch beratende oder medizinische Fachbereiche berührende Tätigkeiten gehe. Denn die Tätigkeit des Arztes werde hinsichtlich der Einzeltätigkeiten nicht in unterschiedliche Arbeitsvorgänge aufgeteilt. Es handele sich um einen einzigen Arbeitsvorgang. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne der öffentliche Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zudem alle Tätigkeiten zuweisen, die den Merkmalen der vertraglich vereinbarten Vergütungsgruppe entsprächen. Maßgeblich sei § 22 BAT. Danach könnten der Klägerin auch nichtärztliche Tätigkeiten in einem Umfang von bis zu 50 % der Arbeitszeit übertragen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 29.11.2007 - 17 Sa 6309/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Bei der HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde handele es sich nicht um eine Annextätigkeit zum ärztlichen Kernbereich, sondern um eine selbständige Tätigkeit, die nicht zum eigentlichen Leistungsbild gehöre und sich außerhalb des medizinisch-fachlichen Bereichs abspiele. Dies werde dadurch unterstrichen, dass die Tätigkeit sowohl bei der Beklagten als auch bei vergleichbar großen Städten durch Sozialarbeiter oder Ehrenamtliche durchgeführt werde. Die allgemeine Beratung im Zusammenhang mit der Durchführung von HIV-Tests stelle eine selbständige von der medizinischen Tätigkeit abzugrenzende Aufgabe dar, die durch eine medizinische Approbation belegte Kenntnisse nicht erfordere. Sie wehre sich nicht dagegen, HIV-Beratung im Zusammenhang mit ihrer ärztlichen Tätigkeit durchzuführen. In diesem Zusammenhang gehe es um einen Personenkreis, der sich wegen einer bereits erfolgten Infizierung oder der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe an die Beklagte wende.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.

II. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig.

Nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Nach ständiger Rechtsprechung sind im öffentlichen Dienst Feststellungsklagen in weitem Umfang zulässig, weil sich die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller Regel beugen und auf diese Weise der Rechtsfrieden wiederhergestellt wird (BAG 5. November 2003 - 4 AZR 632/02 - AP § 256 ZPO 1977 Nr. 83; 28. Januar 1998 - 4 AZR 473/96 - ZTR 1998, 329).

Nach diesen Grundsätzen besteht für den Klageantrag das erforderliche Feststellungsinteresse. Der Streit der Parteien, ob die Klägerin verpflichtet ist, die HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde durchzuführen, wird durch ein feststellendes Urteil endgültig geklärt.

2. Die Klage ist begründet. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, die HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde durchzuführen. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien ist sie als "Stadtärztin" zu beschäftigen. Das der Beklagten zustehende Direktionsrecht ermächtigt sie nur dazu, der Klägerin solche Tätigkeiten zuzuweisen, die dem Berufsbild der Stadtärztin entsprechen. Die HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde entspricht nicht dem Berufsbild der Stadtärztin. Die auf das Arbeitsverhältnis weiterhin anwendbare Vorschrift des § 22 Abs. 2 BAT führt zu keiner anderen Betrachtung. Sie ermächtigt die Beklagte nicht dazu, der Klägerin Tätigkeiten zuzuweisen, die einer Vergütungsgruppe zuzuordnen sind, die drei Stufen niedriger als die für die Klägerin maßgebliche Vergütungsgruppe liegt. Dies gilt unabhängig davon, in welchem zeitlichen Umfang die Klägerin diese Tätigkeiten ausüben soll.

a) Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.

Durch Auslegung des Arbeitsvertrages ist zu ermitteln, ob die Parteien das grundsätzlich bestehende Direktionsrecht des Arbeitgebers eingeschränkt haben. Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 23/05 - NZA 2006, 135; 23. September 2004 - 6 AZR 442/03 - EzA § 611 BGB 2002 Direktionsrecht Nr. 1; 21. Januar 2004 - 6 AZR 583/02 - BAGE 109, 207).

Nach den im öffentlichen Dienst üblichen Formulararbeitsverträgen wird der Arbeitnehmer regelmäßig nicht für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eingestellt, sondern für einen allgemein umschriebenen Aufgabenbereich, der durch die Nennung der Vergütungsgruppe konkretisiert wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erstreckt sich das Direktionsrecht des Arbeitgebers im öffentlichen Dienst in diesen Fällen deshalb auf alle Tätigkeiten, die die Merkmale der Vergütungsgruppe erfüllen, für die der Arbeitnehmer eingestellt worden ist. Danach können dem Arbeitnehmer grundsätzlich auch andere Tätigkeiten zugewiesen werden, soweit sie den Merkmalen dieser Vergütungsgruppe entsprechen. Unerheblich ist, ob aus der einschlägigen Fallgruppe dieser Vergütungsgruppe ein Bewährungsaufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe möglich ist oder nicht (BAG 27. Mai 2004 - 6 AZR 192/03 - EzBAT § 8 BAT Direktionsrecht Nr. 56; 21. November 2002 - 6 AZR 82/01 - AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 63; 24. April 1996 - 4 AZR 976/94 - AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 49).

Da das Bundesarbeitsgericht auf Tätigkeiten abstellt, die den Merkmalen der maßgeblichen Vergütungsgruppe entsprechen, erstreckt sich das Direktionsrecht des öffentlichen Arbeitgebers grundsätzlich nur auf gleichwertige Tätigkeiten. Der öffentliche Arbeitgeber ist somit nicht dazu befugt, dem Arbeitnehmer Tätigkeiten einer niedrigeren Vergütungsgruppe zuzuweisen. Der Beklagten ist allerdings einzuräumen, dass nicht geklärt ist, ob dies im Hinblick auf den gemäß § 17 TVÜ-VKA weiterhin anwendbaren § 22 Abs. 2 BAT uneingeschränkt gilt. Nach dieser Vorschrift ist der Angestellte in der Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.

§ 22 Abs. 2 BAT enthält keine Ausweitung des Direktionsrechts des öffentlichen Arbeitgebers dahingehend, dass er dem Arbeitnehmer unabhängig von dessen Eingruppierung alle im öffentlichen Dienst anfallenden Tätigkeiten im Rahmen billigen Ermessens zuweisen kann, sofern die zeitliche Grenze von 50 % nicht erreicht ist. Einer derartigen Auslegung des § 22 Abs. 2 BAT steht entgegen, dass es sich um eine Eingruppierungsvorschrift handelt, die nicht die Ausweitung des Direktionsrechts des öffentlichen Arbeitgebers bezweckt. Ihr ist nicht der Wille der Tarifvertragsparteien zu entnehmen, dem öffentlichen Arbeitgeber grundsätzlich die Möglichkeit einzuräumen, etwa einem Arzt Pförtnertätigkeiten zuzuweisen.

Vorliegend bedarf es keiner Klärung, wo die Grenze zu ziehen ist, wenn der im öffentlichen Dienst übliche Formulararbeitsvertrag verwandt worden ist. Liegt ein solcher nicht vor, sondern wird der Arbeitnehmer für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eingestellt, ist der öffentliche Arbeitgeber jedenfalls nicht berechtigt, dem Arbeitnehmer Tätigkeiten zuzuweisen, die der im Arbeitsvertrag genannten Tätigkeit nicht gleichwertig sind.

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Klägerin nicht verpflichtet, die HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde des Gesundheitsamtes der Stadt K wahrzunehmen. Die Anweisung der Beklagten vom 7. Mai 2007 ist nicht von ihrem Direktionsrecht (§ 106 GewO) gedeckt. Die der Klägerin abverlangte Tätigkeit ist der im Arbeitsvertrag genannten Tätigkeit der "Stadtärztin" nicht gleichwertig. Es handelt sich nicht um eine ärztliche Tätigkeit.

Zunächst haben die Parteien nicht den im öffentlichen Dienst üblichen Formulararbeitsvertrag geschlossen. Die Klägerin ist nicht nur für einen allgemein umschriebenen Aufgabenbereich, der durch die Nennung der Vergütungsgruppe konkretisiert worden wäre, eingestellt worden. Der Arbeitsvertrag nennt nicht nur die Vergütungsgruppe, die für die Klägerin maßgeblich sein soll. Es ist vielmehr ausdrücklich ausgeführt, dass die Klägerin als "Stadtärztin" beschäftigt werden soll. Dies beinhaltet eine Beschränkung des Direktionsrechtes der Beklagten dahingehend, dass sie der Klägerin nur solche Tätigkeiten zuweisen darf, die dem Berufsbild einer Stadtärztin entsprechen. Andere Tätigkeiten, die zwar der für die Klägerin maßgeblichen Vergütungsgruppe entsprechen, nicht aber unter den Begriff der Stadtärztin fallen, muss sie nicht verrichten.

Die HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde des Gesundheitsamtes der Stadt K stellt keine ärztliche Tätigkeit dar und unterfällt somit nicht dem Berufsbild der Stadtärztin. Es handelt sich um eine Tätigkeit, die originär von Sozialarbeitern wahrgenommen wird. Diese sind drei Vergütungsgruppen niedriger als die Klägerin eingruppiert.

Nach dem Inhalt der Tätigkeit geht es in erster Linie nicht um die Erbringung ärztlicher Leistungen. Im Vordergrund steht vielmehr die Beratung von Bürgern, die überlegen, einen HIV-Test durchzuführen. Die Aufklärung über Ansteckungswege, Risiken einer Infizierung und die Durchführung des Tests ist keine Aufgabe, zu der es einer ärztlichen Qualifikation bedarf. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Beklagte Sozialarbeiter mit der HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde betraut. Dies wäre gar nicht möglich bzw. zulässig, wenn es sich um eine ärztliche Tätigkeit handeln würde. Zur Erbringung ärztlicher Leistungen sind Sozialarbeiter nicht befugt.

Diese Einschätzung wird durch die tarifvertraglichen Bestimmungen zur Eingruppierung bestätigt. Nach der Anlage 1 a Teil II Abschnitt G zum BAT sind in die Vergütungsgruppe IVb Sozialarbeiter mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit mit schwierigen Tätigkeiten eingruppiert. Insoweit wird auf die Protokollnotiz Nr. 5 verwiesen. Nach der Protokollnotiz Nr. 5 sind schwierige Tätigkeiten z.B. die Beratung von Suchtmittel-Abhängigen und die Beratung von HIV-Infizierten oder an AIDS erkrankten Personen. Diese in der Protokollnotiz genannten Tätigkeiten sind mit der HIV-Testberatung in der offenen HIV-Sprechstunde vergleichbar; allenfalls gehen sie in ihrer Schwierigkeit über die HIV-Testberatung hinaus, weil es um bereits infizierte Personen geht.

Demgegenüber überzeugt der Einwand, Ärzte müssten auch nichtärztliche Tätigkeiten verrichten wie z.B. Arztberichte schreiben, nicht. Das Schreiben von Arztberichten ist eine originär ärztliche Tätigkeit, die nur vom Arzt vorgenommen werden kann. Soweit die Klägerin ärztliche Tätigkeiten zu verrichten hat, hat sie selbstverständlich die damit verbundenen Dokumentationsarbeiten zu erledigen. Das Arbeitsgericht hat bereits zutreffend darauf verwiesen, dass es vorliegend nicht um die Miterledigung solcher Nebenaufgaben geht. Die der Klägerin an acht bzw. neun Wochenstunden zugewiesene Hauptaufgabe stellt keine ärztliche Tätigkeit dar.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Rechtsfrage, ob und in welchem Umfang der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes berechtigt ist, dem Arbeitnehmer Tätigkeiten zuzuweisen, die einer niedrigeren als der für ihn maßgeblichen Vergütungsgruppe zuzuordnen sind, ist von grundsätzlicher Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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