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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 11.07.2003
Aktenzeichen: 11 Sa 63/03
Rechtsgebiete: TVG
Vorschriften:
TVG § 4 Abs. 1 |
2. Ein versteckter Dissens führt im Tarifvertragsrecht nicht zur Unwirksamkeit.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Geschäftsnummer: 11 Sa 63/03
Verkündet am: 11.07.2003
In dem Rechtsstreit
hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 11.07.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Dohm und Dujardin
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 20.11.2002 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Aachen - 6 (9) Ca 2505/01 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
(abgekürzt gem. § 69 Abs.2 ArbGG)
Die Parteien - nämlich die beklagte KG, die ein Unternehmen der Glasindustrie betreibt und dem S G Konzern angehört und der von ihr als Arbeitnehmer beschäftigte Kläger - streiten um Lohndifferenzen aus den Monaten Januar 1999 bis Mai 2001 in Höhe von insgesamt 4.174,55 EUR. Der Kläger sieht diese Differenzen, weil die Beklagte bei seiner Höhergruppierung von Entgeltgruppe E 9 nach E 10 des anzuwendenden Entgelt-TV (ETV) eine vom Kläger teilweise für unzulässig gehaltene Verrechnung mit Besitzstandszulagen vorgenommen hat, die der Kläger in seiner früheren Entgeltgruppe neben seinem Tarifgehalt bezogen hat. Die Beklagte beruft sich zu ihrer Rechtfertigung auf den einschlägigen Entgelt-Rahmentarifvertrag (ERTV) vom 04. 08. 1998, der in seinem § 4 Abs.3 bestimmt: "Die unter § 4 Abs.2 genannten Entgeltbestandteile sind bei Höhergruppierungen im Rahmen des Entgelttarifvertrages (...) anzurechnen." Der Kläger hält diese Bestimmung nicht für anwendbar, weil der ERTV insoweit nicht das von den Tarifvertragsparteien erzielte Verhandlungsergebnis wiedergebe. Dieses sei in einem schriftlichen und von den Tarifvertragsparteien unterzeichneten "Einigungsergebnis", ebenfalls vom 04. 08. 1998, festgehalten, das das Inkrafttreten des neuen ERTV vorsieht, "der als Anlage beigefügt" sei. In diesem heißt es: "Nenn das neue tarifliche Entgelt unterhalb des bisherigen Gesamtlohnes oder Gesamtgehaltes liegt, sind die Differenzbeträge als Besitzstände auszuweisen. 60% dieser Besitzstände sind persönlich und bleiben bis zum Ausscheiden aus dem Unternehmen bestehen. Näheres regelt der Entgelt-Rahmentarifvertrag." Der ERTV, der erst in Folge formuliert, ausgefertigt und im Umlaufverfahren unterschrieben worden sei, überschreite die Ermächtigungsgrundlage ("Näheres regelt der Entgelt-Rahmentarifvertrag" ), wenn er entgegen der Zusage, die Besitzstände in Höhe von 60% zu erhalten, für den Fall der Höhergruppierung eine hundertprozentige Verrechnung mit den Besitzständen vorsehe. Die Beklagte sieht den streitigen Teil des ERTV innerhalb der Ermächtigung des "Einigungsergebnisses" vom 04. 08. 1998 und behauptet, er entspräche dem wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung der 4.174,55 EUR nebst Zinsen abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Beklagte muß keine Lohndifferenzen nachzahlen, weil sie die Verrechnung der durch die Höhergruppierung bedingten Mehr-Vergütung mit den vom Kläger bis dahin bezogenen Besitzstandszulagen zu Recht vorgenommen hat. Unstreitig hält sie sich damit im Rahmen der vom einschlägigen ERTV erteilten Ermächtigung (§ 4 Abs.3). Die Vorschrift ist auch nicht unwirksam:
Formelle Unwirksamkeitsgründe werden nicht vorgetragen.
Ob auf Seiten der Tarifvertragsparteien insoweit ein versteckter Einigungsmangel vorliegt, ist ohne Belang: Ein Dissens führt im Tarifvertragsrecht nicht zur Unwirksamkeit; das vertrüge sich nicht mit dem Vertrauensschutz, den die Tarifunterworfenen genießen dürfen und dem das gesetzliche Schriftformerfordernis (§ 1 Abs.2 TVG) Rechnung tragen will (BAG, Urteil vom 09. 03. 1983 - 4 AZR 61/80 in AP Nr.128 zu § 1 TVG Auslegung; ErfK/Schaub § 1 TVG Rn. 8).
Da die Tarifnorm wirksam ist, ist sie auch anzuwenden (§ 4 Abs. 1 TVG). Das "Einigungsergebnis" steht dem nicht entgegen - selbst dann nicht, wenn ihm Tarif-Vertrags-Charakter und ein dem ERTV widersprechender Inhalt unterstellt wird. In diesem Fall lägen zwei zeitlich aufeinanderfolgende Tarifverträge der gleichen Parteien mit gleichem Geltungsbereich und gleichem Regelungsgegenstand vor. Deren Verhältnis zueinander wird durch den sog. Ablösungsgrundsatz geregelt (lex posterior derogat legi priori). Das würde bedeuten, daß der ERTV das "Einigungsergebnis", soweit ein Widerspruch reicht, schlicht ersetzt. Denn er ist nach eigenem Vortrag des Klägers der zeitlich nachfolgende: Nach seinem Vortrag ist der ERTV erst auf das Einigungsergebnis folgend formuliert, ausgefertigt und im Umlaufverfahren unterschrieben worden, während das Einigungsergebnis das unmittelbare Ergebnis der Tarifverhandlungen gewesen sei. Die Ablösung können die Tarifvertragsparteien nur verhindern, wenn sie dies ausreichend deutlich machen (Reichel/Koberski/Clasen/Menzel, TVG, § 1 Rn. 177, BAG, Urteil vom 30. 01. 1985 - 4 AZR 117/83 in AP Nr.9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Weil der Rechtsstreit nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, wurde die Revision nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
Ende der Entscheidung
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