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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 25.04.2008
Aktenzeichen: 11 Sa 74/08
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2
1. Auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen sind nach vorheriger Abmahnung geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

2. Der Arbeitgeber kann frei darüber entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers abmahnen will oder nicht. Allerdings hat er den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Danach ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebenso gut Rechnung getragen hätten oder ihm zumindest zumutbar gewesen wären. Dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden.

3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann nur in eng begrenzten Fällen zu der Unwirksamkeit einer Abmahnung führen. Maßgeblich ist, ob sich der Arbeitnehmer pflichtwidrig verhalten hat oder nicht. Hat sich der Arbeitnehmer pflichtwidrig verhalten, kann der Arbeitgeber in aller Regel eine Abmahnung aussprechen. Eine Abmahnung ist nicht schon deswegen unzulässig, weil der Arbeitgeber über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte. Dieser Wertung entspricht es, dass eine Abmahnung nur einen objektiven Pflichtverstoß voraussetzt, nicht aber ein vorwerfbares Verhalten des Arbeitnehmers. Die Frage, welches Gewicht die mit der Abmahnung gerügte Pflichtverletzung hat, ist regelmäßig im Kündigungsschutzverfahren zu prüfen.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30. November 2007 - 2 Ca 3989/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung.

Der am 26. Januar 1957 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. März 1990 als Chemiearbeiter zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 2.338 Euro beschäftigt. Er ist als sog. "Abfüller" tätig. Seine Hauptaufgabe besteht darin, in der Siloverladung Silozüge mit den verschiedenen Rußprodukten, welche die Beklagte herstellt, zu befüllen. Er ist verheiratet und hat ein unterhaltsberechtigtes Kind.

Die Beklagte sprach gegenüber dem Kläger am 25. Juni 2001 eine schriftliche Ermahnung aus. Sie forderte ihn auf, eine einwandfreie Beladung gemäß der ihm erteilten Arbeitsanweisung durchzuführen. Er habe insbesondere keine Beladung ohne die vorgeschriebenen Siebe und Magnete durchzuführen.

In einer Abmahnung vom 30. April 2002 hielt die Beklagte dem Kläger vor, er habe gegen das Verbot verstoßen, beim Verfahren von Silofahrzeugen auf dem Silofahrzeug zu verweilen und mitzufahren.

Unter dem 28. Januar 2005 mahnte die Beklagte den Kläger wegen der Verletzung von Meldepflichten nach dem EFZG ab.

Die Mitarbeiter der Beklagten sind angewiesen, Verschmutzungen, die beim Abfüllen feinporiger Ruße an den Silofahrzeugen bzw. den Behältern entstehen, durch die Benutzung von Absauganlagen rückstandslos zu beseitigen. Für die Reinigung der Silofahrzeuge bzw. der Behälter gibt es bei der Beklagten drei fest installierte Absaugvorrichtungen, die betrieblich als "Raumentstaubung" bezeichnet werden. Zusätzlich existiert eine staubsaugerähnliche Entstaubungsanlage. Die Raumentstaubung der Silos 40 -49 war am 26. Februar 2007 demontiert. Zwischen den Parteien ist streitig, ob am 26. Februar 2007 eine mobile Absauganlage zur Verfügung stand.

Die Beklagte erhielt am 26. Februar 2007 eine Reklamation der Firma R wegen verschmutzt ausgelieferter Behälter. Für die Befüllung und die ordnungsgemäße Übergabe der Behälter war der Kläger verantwortlich. Die Firma R reinigte die Behälter selbst. Hierfür stellte die Firma ihrem Lieferanten 300 Euro zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Dieser gab die Kosten an die Beklagte weiter.

Als Reaktion auf diesen Vorfall belehrte die Beklagte ihre Mitarbeiter, darunter den Kläger, am 2. März 2007, die Pflicht zur ordnungsgemäßen Absaugung einzuhalten. Die Beklagte mahnte den Kläger darüber hinaus mit Schreiben vom 7. März 2007 ab. Sie hielt ihm vor, durch sein Verschulden seien am 26. Februar 2007 verschmutzte Behälter an die Firma R ausgeliefert worden. Als Ursache der Verschmutzung sei eine unzureichende Absaugung im Bereich der 30er und 40er Silos festgestellt worden. Der Kläger habe die Behälter in dem verschmutzten Zustand nicht freigeben dürfen. Durch sein Fehlverhalten sei der Beklagten ein wirtschaftlicher Schaden sowie ein Imageschaden beim Kunden entstanden. Ab April 2007 strich die Beklagte dem Kläger die bisher gewährte Leistungszulage.

Am 18. April 2007 ging bei der Beklagten eine Beschwerde ihres im W Werk tätigen Mitarbeiters R ein. Er gab an, die Straße am F , die direkt am Werk der Beklagten vorbeiführt, in Richtung H befahren zu haben, um seinen Sohn zur Schule zu bringen. Unmittelbar vor ihm sei ein Silofahrzeug der Firma S gefahren. Der LKW sei aus dem Werk der Beklagten gekommen. Es sei eine schwarze Rußwolke von dem LKW heruntergeweht und habe seinen PKW verschmutzt. Herr R reichte der Beklagten später eine Rechnung der Firma C über 9,90 Euro wegen einer durchgeführten Wagenreinigung ein. Die Beklagte ließ Herrn R einen Scheck über 25 Euro als Ersatz für die entstandenen Reinigungskosten und den zusätzlichen Zeitaufwand zukommen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach vorheriger schriftlicher Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 26. April 2007 zum 30. September 2007. Die gegen die Wirksamkeit der Kündigung gerichtete Klage ist am 11. Mai 2007 beim Arbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 26. April 2007 sei unwirksam. Der in der Abmahnung vom 7. März 2007 enthaltene Vorwurf sei unzutreffend. Er sei in der Spätschicht am 26. Februar 2007 allein gewesen. Zu den vielen Silozügen sei an diesem Abend noch ein Tieflader mit Auflieger gekommen. Zum Beladen habe an den Verladestutzen unter dem Kohlestaubbunker ein Strumpf befestigt werden müssen. Leider habe sich an diesem Tag kein passender Strumpf finden lassen, so dass er improvisiert habe. Den Ruß habe er nicht absaugen können, weil die Absauganlage abgebaut gewesen sei. Ihm sei nichts anderes übrig geblieben als mit Besen und Schaufel den daneben gefallenen Ruß vom Auflieger aufzufegen und dann zu entsorgen. Dabei habe er möglicherweise den Ruß, der zwischen die Behälter gefallen sei, übersehen. Dieser wäre mit einer Absaugeinrichtung ohne weiteres zu entfernen gewesen. Es treffe zu, dass er am 18. April 2007 zwei Fahrzeuge der Firma Struckmann beladen habe. Nach Ende der Abfüllung und dem Verschließen der Deckel habe er den Auflieger mit der Absauganlage gereinigt, mit der sonst der im Silo entstehende Rußstaub beim Abfüllvorgang abgesaugt werde. An diesem Tag sei die Entstaubungsanlage für die Reinigung der LKW an beiden Abfüllanlagen ausgefallen. Da diese Vorrichtung nicht zur Oberflächenreinigung geeignet sei, habe sich die Reinigung als sehr schwierig gestaltet. Zu berücksichtigen sei, dass er fast ausschließlich allein in seiner Schicht gearbeitet habe und damit ständig überlastet gewesen sei. Es handele sich um einen Bagatellschaden. Solche Schäden würden öfters an der Pforte der Beklagten gemeldet, ohne dass die Beklagte arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreife.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.04.2007 nicht beendet wird,

2. im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Chemiearbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, durch den Vorfall vorm 26. Februar 2007 sei ihr neben dem wirtschaftlichen ein erheblicher Imageschaden entstanden. Die Firma R habe ihr mitgeteilt, dass sich die Reklamation negativ auf die Lieferantenbewertung auswirken werde. Dies könne zu einer Auslistung der Beklagten führen. Entgegen der Darstellung des Klägers stünden stets ausreichende technische Einrichtungen zum Säubern der Fahrzeuge von Ruß zur Verfügung. Dies sei auch am 26. Februar 2007 der Fall gewesen. Durch die Installierung einer mobilen Raumentstaubung sei Ersatz für die demontierte Raumentstaubung geschaffen worden. Es treffe auch nicht zu, dass ihr öfters Schäden an der Pforte gemeldet würden. Der Kläger werde nicht überobligatorisch belastet. Beschwerden lägen weder ihr noch dem Betriebsrat vor. Der PKW von Herrn R sei am 18. April 2007 durch das Fehlverhalten des Klägers verschmutzt worden. Es sei nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass kein Ruß über die Belüftung in den Innenraum des Fahrzeugs gelangt sei. In einer noch am 18. April 2007 durchgeführten Anhörung habe der Kläger die Pflichtverletzung eingeräumt. Wörtlich habe er erklärt: "Es war danach nicht mehr viel Ruß drauf". Damit habe er zugestanden, dass sich eben doch noch Ruß auf dem LKW befunden habe.

Mit Urteil vom 30. November 2007 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung sei unwirksam, weil die Beklagte den Kläger nicht wirksam einschlägig abgemahnt habe. Die Abmahnung vom 7. März 2007 sei unverhältnismäßig und daher unbeachtlich.

Gegen das ihr am 11. Dezember 2007 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 8. Januar 2008 Berufung eingelegt und diese am 11. Februar 2008 begründet.

Die Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die Kündigung vom 26. April 2007 sei wirksam. Sie könne sich auf die Abmahnung vom 7. März 2007 berufen. Das Arbeitsgericht habe den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verkannt. Der Kläger habe die starken Verschmutzungen an den Behältern vorsätzlich verursacht. Der Kunde habe ihr einen Schaden in Höhe von 300 Euro in Rechnung gestellt. Darüber hinaus sei ihr ein Imageschaden entstanden und die Kundenbeziehung sei gefährdet worden. Während der Demontage der fest installierten Raumentstaubung habe von Anfang an eine mobile Raumentstaubung zur Verfügung gestanden. Der Kläger sei verpflichtet gewesen, die technische Einrichtung zu nutzen, die sie ihm zur Verfügung gestellt habe. Die alte Raumentstaubung sei im Übrigen bis heute nicht durch eine neue Raumentstaubung ersetzt worden. Es werde weiterhin mit der mobilen Anlage gearbeitet. Es treffe auch nicht zu, dass kein passender Strumpf vorhanden gewesen sei. Im Schichtbuch seien keine Störungen eingetragen worden. Der Kläger habe trotz der energischen Warnungen durch die Abmahnung, die Unterredung vom 2. März 2007 und die am 18. April 2007 erfolgte Streichung der Leistungszulage eine vergleichbare Pflichtverletzung begangen. Daher müsse die Interessenabwägung auch unter Berücksichtigung seines Alters und der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu seinen Lasten ausfallen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30. November 2007 - 2 Ca 3989/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Er bleibe dabei, das am 26. Februar 2007 nicht ausreichende technische Einrichtungen zum Säubern der Fahrzeuge zur Verfügung gestanden hätten. Die mobile Anlage sei am 26. Februar 2007 nicht benutzbar gewesen, weil der Schlauch zu kurz gewesen sei, um auf der Oberseite der Behälter die Absaugung vorzunehmen. Für die Nutzung einer anderen Anlage hätte es einer Anweisung durch die Beklagte bedurft. Pro LKW wäre damit ein zusätzlicher Zeitaufwand von ca. 15 Minuten verbunden gewesen. Die zweite Raumentstaubungsanlage sei entgegen der Darstellung der Beklagten nicht nur 100 Meter von dem Silo entfernt, an dem er gearbeitet habe, sondern 500 Meter. Die LKW-Fahrer hätten sich bei ihm wegen der verzögerten Abfertigung beschwert. Er habe auch am 18. April 2007 keine Pflichtverletzung begangen. Es treffe nicht zu, dass er den Absaugevorgang nicht zu Ende geführt habe. Er habe so lange gesaugt, wie die Sauganlage Ruß aufgenommen habe. Nach Hochfahren des Gitters auf dem LKW sei für ihn nicht mehr zu erkennen, ob Ruß von den Gummimanschetten, an denen schon einmal Ruß haften bleibe, herunterfalle. Im Übrigen sei auch die Abmahnung vom 28. Januar 2005 zu Unrecht ausgesprochen worden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.

II. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Kündigung vom 26. April 2007 ist unwirksam. Die Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Klägers aus. Der Kläger kann seine Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Chemiearbeiter verlangen.

1. Die Kündigung vom 26. April 2007 ist unwirksam.

a) Ein die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigender Grund liegt vor, wenn das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verhalten eine Vertragspflicht verletzt, das Arbeitsverhältnis dadurch konkret beeinträchtigt wird, keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Parteien billigenswert und angemessen erscheint. Entscheidend ist, ob das Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Einzelfall geeignet ist, einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung zu bestimmen. Soweit ein steuerbares Verhalten betroffen ist, muss der Kündigung eine erfolglose Abmahnung vorausgehen, es sei denn, sie ist nicht erfolgversprechend oder die Pflichtverletzung ist so schwer, dass ihre Hinnahme durch den Arbeitgeber von vornherein ausgeschlossen ist (BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; 17. Juni 2003 - 2 AZR 62/02 - EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59).

Auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen sind geeignet, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen (BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 - DB 2008, 1274; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48; 26. Juni 1997 - 2 AZR 502/96 - RzK I 5i Nr. 126).

Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie meistens, der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann (BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 - DB 2008, 1274; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 48; 21. Mai 1992 - 2 AZR 551/91 - AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 38.

Der Arbeitgeber kann frei darüber entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers abmahnen will oder nicht. Allerdings hat er den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Danach ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebenso gut Rechnung getragen hätten oder ihm zumindest zumutbar gewesen wären. Dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden (BAG 31. August 1994 - 7 AZR 893/93 - AP § 37 BetrVG 1972 Nr. 98; 13. November 1991 - 5 AZR 74/91 - EzA § 611 Abmahnung Nr. 24).

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann nur in eng begrenzten Fällen zu der Unwirksamkeit einer Abmahnung führen. Maßgeblich ist, ob sich der Arbeitnehmer pflichtwidrig verhalten hat oder nicht. Hat sich der Arbeitnehmer pflichtwidrig verhalten, kann der Arbeitgeber in aller Regel eine Abmahnung aussprechen. Eine Abmahnung ist nicht schon deswegen unzulässig, weil der Arbeitgeber über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte. Dieser Wertung entspricht es, dass eine Abmahnung nur einen objektiven Pflichtenverstoß voraussetzt, nicht aber ein vorwerfbares Verhalten des Arbeitnehmers. Die Frage, welches Gewicht die mit der Abmahnung gerügte Pflichtverletzung hat, ist regelmäßig im Kündigungsschutzverfahren zu prüfen (vgl. BAG 12. Januar 1988 - 1 AZR 219/86 - NZA 1988, 474; LAG Schleswig-Holstein 29. November 2005 - 2 Sa 350/05 - NZA-RR 2006, 180; LAG Köln 12. Mai 1995 - 13 Sa 137/95 - NZA-RR 1996, 204; ErfK/Müller-Glöge 8. Aufl. § 626 BGB Rz 34).

Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreiem Bestand ein besonderes Gewicht zu. Ferner können das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung und auch die Frage in Betracht zu ziehen sein, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falles - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls nicht von vornherein von der Berücksichtigung ausgeschlossen (BAG 6. September 2007 - 2 AZR 264/06 - NJW 2008, 1097; 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04 - AP § 626 BGB Nr. 191; 16. März 2000 - 2 AZR 75/99 - AP § 102 BetrVG 1972 Nr. 114).

b) Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Kündigung vom 26. April 2007 als unwirksam. Dies gilt selbst dann, wenn der streitige Vortrag der Beklagten zu der Abmahnung vom 7. März 2007 und zu dem Vorfall vom 18. April 2007 als zutreffend unterstellt wird. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer von einer Beweisaufnahme abgesehen.

Ausgehend von dem Vortrag der Beklagten hat der Kläger allerdings sowohl am 26. Februar 2007 als auch am 18. April 2007 gegen die arbeitsvertragliche Verpflichtung, den Weisungen des Arbeitgebers nachzukommen, verstoßen. Hieran würde sich auch dann nichts ändern, wenn die vorgeschriebenen Reinigungsarbeiten an den beiden Tagen mit Schwierigkeiten verbunden gewesen wären. Selbst wenn bestimmte Gerätschaften wie die mobile Entstaubungsanlage oder Strümpfe zum Beladen am Arbeitsplatz des Klägers nicht zur Verfügung gestanden haben sollten, konnte der Kläger das Problem nicht vertragsgerecht lösen, in dem er die Fahrzeuge nicht ordnungsgemäß gereinigt abgefertigt hat. Er wäre vielmehr arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen, für Abhilfe zu sorgen oder - falls ihm dies nicht möglich gewesen sein sollte - seinen Vorgesetzten zu informieren.

Bei Zugrundelegung der Darlegungen der Beklagten ist der Kläger am 7. März 2007 auch wirksam abgemahnt worden. Die Abmahnung ist nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Der Kläger ist arbeitsvertraglich verpflichtet, die zur Auslieferung anstehenden Behälter in gereinigtem Zustand zu übergeben. Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, dass der Kläger diese Aufgabe ordnungsgemäß erledigt. Es handelt sich nicht um eine arbeitsvertragliche Neben-, sondern um eine Hauptpflicht. Unabhängig hiervon verdeutlicht allein der eingetretene Schaden von 300 Euro, dass es der Beklagten nicht zumutbar war, auf die Pflichtverletzung des Klägers mit einem milderen Mittel als einer Abmahnung zu reagieren.

Die Kündigung vom 26. April 2007 ist gleichwohl unwirksam, weil die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers ausgeht. Die Lösung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte erscheint in Abwägung der Interessen beider Parteien nicht als billigenswert und angemessen. Für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses spricht zwar, dass der Kläger auf Basis des Vortrags der Beklagten kurz nach einer einschlägigen Abmahnung erneut seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat. Darüber hinaus ist das Arbeitsverhältnis durch die anderen - nicht einschlägigen - Abmahnungen belastet. Dennoch überwiegt das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnis das Lösungsinteresse der Beklagten. Hierfür spricht insbesondere die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers. Dieser war bei der Beklagten im Kündigungszeitpunkt bereits seit rund 17 Jahren beschäftigt. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass der unterhaltspflichtige Kläger angesichts seines Lebensalters in besonderem Maße auf den Erhalt seines Arbeitsverhältnisses angewiesen ist. Bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses dürfte es ihm kaum möglich sein, eine neue Beschäftigung zu finden. Hinzu kommt, dass die Beklagte durch den Vorfall vom 18. April 2007 - anders als durch das Geschehen vom 26. Februar 2007 - nur in einem geringem Umfang geschädigt worden ist. Die Verschmutzung des PKW von Herrn Reifenberg konnte durch eine Wagenreinigung, für die er 9,90 Euro aufgewandt hat, beseitigt werden. Selbst wenn in Rechnung gestellt wird, dass die Beklagte aus Kulanzgründen 25 Euro ausgezahlt hat, ergibt sich keine andere Betrachtung. Ein wesentlicher Imageschaden konnte der Beklagte durch diesen Vorfall nicht entstehen, zumal es sich bei dem Geschädigten um einen bei ihr beschäftigten Mitarbeiter handelt. Nicht maßgeblich ist, dass bei einem unsachgemäßen Arbeiten des Klägers ein höherer Schaden hätte entstehen können. Es kann jeweils nur der konkret eingetretene Schaden in die Betrachtung einbezogen worden. Dieser bewegt sich in einem so geringen Bereich, dass er die Beklagte nicht zu der Beendigung eines 17 Jahre währenden Arbeitsverhältnisses berechtigt.

2. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens auf Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeits- und Vertragsbedingungen als Chemiearbeiter.

Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 27. Februar 1985- GS 1/ 84 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9) hat der gekündigte Arbeitnehmer außerhalb der Regelung der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen.

Danach ist der Kläger weiter zu beschäftigen, weil er ein die Unwirksamkeit der Kündigung vom 26. April 2007 feststellendes Urteil erstritten hat. Umstände, die gegen eine Weiterbeschäftigung des Klägers sprechen, hat die Beklagte nicht vorgetragen; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.

Ende der Entscheidung

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