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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 30.07.2007
Aktenzeichen: 11 Ta 195/07
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 9 Abs. 1
ZPO § 148
ZPO § 149
ZPO § 252
ZPO § 569
1. Die Entscheidung über die Aussetzung eines Rechtsstreits nach §§ 148, 149 ZPO erfordert eine zweistufige Prüfung:

a) Auf der ersten Stufe ist zu klären, ob eine "Vorgreiflichkeit" i. S. von § 148 ZPO bzw. der Verdacht einer Straftat i. S. von § 149 ZPO besteht, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist. Bei der Feststellung dieser Voraussetzungen steht dem Gericht insoweit kein Ermessen zu.

b) Auf der zweiten Stufe ist eine umfangreiche Abwägung einer Aussetzung des Rechtsstreits vorzunehmen, wobei die Ermessensentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts in der Beschwerdeinstanz nur der eingeschränkten Überprüfung unterliegt. Insoweit kann das Beschwerdegericht lediglich eine Kontrolle der erstinstanzlichen Ermessensausübung vornehmen und nicht seine eigene Ermessensentscheidung an dessen Stelle setzen. Vielmehr hat das Beschwerdegericht nur zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung die gesetzlichen Voraussetzungen der Aussetzung verkannt oder nicht befolgt hat oder ob sie gegen Denkgesetze verstößt (wie LAG Sachsen, Beschluss vom 12.12.2001 - 4 Ta 379/01, LAGE § 148 ZPO Nr. 37; LAG Köln, Beschluss vom 20.03.2007 - 8 Ta 1/07).

2. Bei der auf der zweiten Prüfungsstufe vorzunehmenden Ermessensentscheidung ist in arbeitsgerichtlichen Verfahren insbesondere der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG zu berücksichtigen.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 05.06.2007 - 3 Ca 672/07 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Klägerin hat in einem beim Landgericht Bonn unter dem Aktenzeichen - 4 O 25/05 - anhängigen Verfahren aus abgetretenem Recht die Beklagte und deren Ehemann zunächst als Gesamtschuldner auf Zahlung von 352.000,00 € wegen angeblicher Pflichtverletzungen in Anspruch genommen. Mit am 28.11.2005 beim Landgericht Bonn eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat die Klägerin ihre Klage dahin erweitert, dass sie von der Beklagten und ihrem Ehemann im Wege der Stufenklage auf der ersten Stufe die Erteilung von Auskünften über die Durchführung von Geschäften, die daraus erhaltenen Einnahmen und deren Weiterleitung sowie die Rechnungslegung hierüber, auf der zweiten Stufe die Auskehrung oder Zahlung derjenigen Beträge aus auf sie übergegangenem Recht verlangt, die einer anderen Gesellschaft als Erträge aus eigenen Geschäften gebührt hätten und dieser hätten zufließen müssen.

Mit Beschluss vom 19.06.2006 hat das Landgericht Bonn das Verfahren gegen die Beklagte, soweit es einen Teilbetrag der Klage in Höhe von 127.000,00 € übersteigt, einschließlich der Klageerweiterung abgetrennt und an das Arbeitsgericht Bonn verwiesen.

Im vorliegenden Rechtsstreit, dem abgetrennten Verfahren, hat die Klägerin mit am 18.05.2007 vorab per Telefax beim Arbeitsgericht Bonn eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag dessen Aussetzung gemäß §§ 148, 149 ZPO beantragt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beurteilung der Deliktsvorwürfe gegenüber der Beklagten sowie deren Deliktshaftung seien sowohl von den Ergebnissen der gegen ihren Ehemann geführten Ermittlungen als auch von der Beurteilung von dessen Deliktshaftung im Verfahren, das beim Landgericht Bonn unter dem Aktenzeichen - 4 O 25/05 - anhängig sei, abhängig.

Mit Beschluss vom 05.06.2007 hat das Arbeitsgericht die von der Klägerin beantragte Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens gegen den Ehemann der Beklagten abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Hinblick auf den grundsätzlichen Vorrang des Beschleunigungsgrundsatzes in arbeitsgerichtlichen Verfahren hätte das Verfahren nicht ausgesetzt werden können, zumal besondere, dem entgegenstehende, gewichtige Einzelfallumstände nicht ersichtlich seien. Zudem sei bei der Abwägung zu berücksichtigen gewesen, dass bei den im Ermittlungsverfahren relevanten Umständen und vermeintlichen Schädigungen keine für das arbeitsgerichtliche Verfahren verwertbaren Ergebnisse erzielt würden.

Gegen diesen ihr am 12.06.2007 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit am 26.06.2007 vorab per Telefax beim Arbeitsgericht Bonn eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag sofortige Beschwerde eingelegt.

Die Klägerin ist nach wie vor der Ansicht, die Voraussetzungen für eine Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits seien gegeben, da die Erkenntnisse aus dem Verfahren beim Landgericht und das dortige Entscheidungsergebnis im Rahmen der Prozessökonomie von unmittelbarer Relevanz und Bedeutung für den hiesigen Rechtsstreit seien. Dies werde noch dadurch verstärkt, dass ein Teil des dortigen Streitgegenstandes hinsichtlich der Beklagten nicht abgetrennt worden, sondern unverändert beim Landgericht anhängig sei.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 05.06.2007 - 3 Ca 672/07 - abzuändern und den Rechtsstreit nach den Anträgen aus dem Schriftsatz vom 18.05.2007 gemäß §§ 148, 149 ZPO auszusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, der Beschluss des Arbeitsgerichts sei nicht zu beanstanden, da das Arbeitsgericht darin sein Ermessen nicht rechtsfehlerhaft ausgeübt habe. Ferner habe, so behauptet die Beklagte, die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Bonn das Ermittlungsverfahren sowohl gegen sie als auch gegen ihren Ehemann, das durch eine Strafanzeige der Geschäftsführerin der Klägerin im Jahre 2006 eingeleitet worden sei, mit Verfügung vom 04.07.2007 eingestellt.

Mit Beschluss vom 28.06.2007 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde der Klägerin nicht abgeholfen, da sie nach den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht für begründet erachtet werde, und sie dem Landesarbeitsgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Die sofortige Beschwerde ist nach § 252 ZPO an sich statthaft. Sie wurde von der Klägerin auch form- und fristgerecht i.S. von § 569 ZPO eingelegt.

2. Sie hatte jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die Aussetzung des Rechtsstreits nach §§ 148, 149 ZPO zu Recht abgelehnt.

a) Die gerichtliche Aussetzungsentscheidung erfordert eine sog. zweistufige Prüfung, wobei dies sowohl für eine Aussetzung gemäß § 148 ZPO als auch für eine Aussetzung gemäß § 149 ZPO wegen der strukturellen Identität dieser beiden Bestimmungen in gleicher Weise gilt:

Auf der ersten Stufe ist zu klären, ob eine "Vorgreiflichkeit" i.S. von § 148 ZPO bzw. der Verdacht einer Straftat i.S. von § 149 ZPO besteht, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist. Bei der Feststellung dieser Voraussetzungen steht dem Gericht insoweit kein Ermessen zu (LAG Nürnberg, Beschluss vom 14.05.2001 - 7 Ta 93/01, NZA-RR 2001, 661 f., zu II. 2. a) der Gründe - zu § 148 ZPO; LAG Köln, Beschluss vom 20.03.2007 - 8 Ta 1/07, zu II. 2. a) der Gründe - zu § 149 ZPO; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 65. Aufl. 2007, § 148 Rdnr. 32 und § 149 Rdnr. 7).

Auf der zweiten Stufe ist eine umfangreiche Abwägung einer Aussetzung des Rechtsstreits vorzunehmen, wobei die Ermessensentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts in der Beschwerdeinstanz nur der eingeschränkten Überprüfung unterliegt. Insoweit kann das Beschwerdegericht lediglich eine Kontrolle der erstinstanzlichen Ermessensausübung vornehmen und nicht seine eigene Ermessensentscheidung an dessen Stelle setzen. Vielmehr hat das Beschwerdegericht nur zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung die gesetzlichen Voraussetzungen der Aussetzung verkannt oder nicht befolgt hat oder ob sie gegen Denkgesetze verstößt (LAG Sachsen, Beschluss vom 12.12.2001 - 4 Ta 379/01, LAGE § 148 ZPO Nr. 37, zu II. 2. der Gründe; LAG Köln, Beschluss vom 20.03.2007 - 8 Ta 1/07, zu II. 2. b) der Gründe m.w. Nachw.).

b) Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die vom Arbeitsgericht im Beschluss vom 05.06.2007 getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden.

aa) Zunächst unterliegt es bereits durchgreifenden Bedenken, ob im Streitfall überhaupt die Voraussetzungen der ersten Prüfungsstufe gegeben sind.

(1) Dass die Entscheidung des vorliegenden, gegen die Beklagte gerichteten Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem "Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses" i.S. von § 148 ZPO abhängt, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits, nämlich dem beim Landgericht Bonn unter dem Aktenzeichen - 4 O 25/05 - anhängigen Verfahren, ist, kann nicht zwingend angenommen werden. Insbesondere ist nicht erkennbar, inwieweit der Ausgang bzw. das Ergebnis des dortigen Verfahrens für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits bindend und damit gemäß § 148 ZPO "vorgreiflich" wäre, zumal es im hiesigen Verfahren allein um Forderungen der Klägerin gegen die Beklagte geht, hinsichtlich derer sich das Landgericht Bonn für sachlich unzuständig angesehen hat und über die somit allein im vorliegenden Rechtsstreit - unabhängig von den beim Landgericht verbliebenen Streitgegenständen - unter Berücksichtigung der arbeitsgerichtlichen Besonderheiten zu befinden ist.

Dass die Erkenntnisse aus dem beim Landgericht Bonn unter dem Aktenzeichen - 4 O 25/05 - anhängigen Verfahren sowie das dortige Entscheidungsergebnis möglicherweise - wie von der Klägerin in der Beschwerdebegründung von 26.06.2007 angenommen - für den vorliegenden Rechtsstreit u.U. von Relevanz und Bedeutung sein können, bedeutet nicht zugleich, dass damit auch eine "Vorgreiflichkeit" i.S. von § 148 ZPO gegeben ist.

Auch aus dem von der Klägerin in der Beschwerdebegründung vom 26.06.2007 weiterhin vorgetragenen Umstand, vom Landgericht Bonn sei ein Teil des Streitgegenstandes im Verhältnis zu der Beklagten nicht abgetrennt worden, sondern weiterhin im dortigen Verfahren anhängig, kann nicht abgeleitet werden, dass dieses Verfahren für den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO "vorgreiflich" ist.

(2) Ebenso wenig steht fest, dass die Ermittlung einer Straftat auf die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits von Einfluss ist. Gegenteiliges ergibt sich vielmehr aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin in der Beschwerdebegründung vom 26.06.2007. Wenn die Klägerin darin u.a. annimmt, die Sachverhaltskomplexe, aus denen sich die Schadensersatz- und Erstattungsansprüche ergeben sollen, seien im Schriftsatz vom 18.05.2007 sowie in den vorausgegangenen Schriftsätzen "hinreichend bezeichnet", kann anhand dieses Vorbringens die Begründetheit der im hiesigen Verfahren von der Klägerin gegenüber der Beklagten geltend gemachten Forderungen ohne weiteres geklärt werden, ohne dass es noch für das Ergebnis dieser Entscheidung auf die Ermittlung einer etwaigen Straftat i.S. von § 149 ZPO ankommt. Erst recht wäre auch die Ermittlung einer Straftat für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ohne jeden Einfluss, wenn - wie von der Klägerin in der Beschwerdebegründung vom 26.06.2007 weiterhin angenommen - dem Prozessstoff "unschwer und unzweifelhaft" zu entnehmen sein sollte, dass der Ehemann der Klägerin strafrechtlich relevante Schädigungen begangen hätte. Wäre dies tatsächlich der Fall und würde dies im vorliegenden Rechtsstreit gerichtlich auch so festgestellt, bedürfte es keiner - für eine Aussetzung nach § 149 ZPO erforderlichen - Ermittlungen, die für die Entscheidung dieses Rechtsstreits von Einfluss wären.

Wären zudem - wie von der Beklagten im letzten Schriftsatz vom 12.07.2007 unter Einreichung der Schreiben der Staatsanwaltschaft Bonn jeweils vom 04.07.2007 behauptet - die Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte und deren Ehemann mittlerweile (endgültig) eingestellt worden, bliebe für eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 149 ZPO ohnehin kein Raum mehr, da sich eine Aussetzung nach dieser Vorschrift nur auf die Zeit bis zur Erledigung des Strafverfahrens beschränkt.

bb) Selbst wenn den vorangegangenen Ausführungen nicht gefolgt werden sollte und zu Gunsten der Klägerin im Rahmen der ersten Prüfungsstufe das Vorliegen eines Aussetzungstatbestands entweder nach § 148 ZPO oder nach § 149 ZPO unterstellt würde, ergäbe jedenfalls die Kontrolle der auf der zweiten Prüfungsstufe vorzunehmenden Ermessensentscheidung, dass das Arbeitsgericht in dem Beschluss vom 05.06.2007 eine umfassende Interessensabwägung - insbesondere unter zutreffender Würdigung des für alle arbeitsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich maßgebenden Beschleunigungsgrundsatzes des § 9 Abs. 1 ArbGG - vorgenommen hat, die eine Überschreitung des ihm insoweit eingeräumten Ermessens nicht erkennen lässt. Von der Klägerin wurden in der Beschwerdebegründung vom 26.06.2007 auch keine konkreten Umstände dargetan, aus denen sich Annahme der Fehlerhaftigkeit der vom Arbeitsgericht getroffenen Ermessensentscheidung rechtfertigen.

III. Eine Kostenentscheidung war im Beschwerdeverfahren nicht zu treffen, da die entstandenen Kosten als Teil der Prozesskosten ggf. bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen sind (LAG Köln, Beschluss vom 20.03.2007 - 8 Ta 1/07, zu III. der Gründe).

IV. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO bestand keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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