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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 24.01.2003
Aktenzeichen: 11 TaBV 39/02
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ArbGG § 66 Abs. 1 S. 1
ArbGG § 87 Abs. 2
1. Nach Änderung der Rechtsmittelbegründungsfrist durch das ZPO-Reformgesetz kann es sich bei dieser Frist zumindest in den ersten Wochen ihres Eingreifens nicht um eine Routinefrist handeln, deren Berechnung der Anwalt seinem geschulten Personal zur selbständigen Erledigung überlassen darf.

2. Werden dem Anwalt nach Zustellung der anzufechtenden Entscheidung die Akten zur Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses vorgelegt, muss er bei dieser Gelegenheit die Eintragung der Rechtsmittelfristen überprüfen - in erster Linie anhand der Aktenvermerke, die die Notierung der Fristen bestätigen, bei fehlendem Aktenvermerk anhand des Fristenkalenders. Wurde das unterzeichnete Empfangsbekenntnis hingegen ohne Aktenvorlage in den Geschäftsgang gegeben, muss der Anwalt durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Fristeneintragungen veranlassen.

3. Verfügt der Anwalt die Eintragung der Rechtsmittelfristen nicht schriftlich, trifft ihn eine besondere Fristensicherungspflicht; daher muss er durch besondere Maßnahmen sicherstellen, dass die Fristeneintragung sofort erfolgt.

4. Wird dem Anwalt die Akte zur Rechtsmitteleinlegung vorgelegt, muss er bei dieser Gelegenheit die Eintragung der Begründungsfrist überprüfen - in erster Linie anhand der Aktenvermerke, die die Notierung der Fristen bestätigen, bei fehlendem Aktenvermerk anhand des Fristenkalenders.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 11 TaBV 39/02

In dem Beschlussverfahren

Verkündet am: 24.01.2003

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Anhörung vom 24.01.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Frenking und Behrendt

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den am 24.01.2002 verkündeten Beschluss des Arbeitsgerichts Köln - 11 BV 157/01 - wird verworfen.

Gründe:

I. Die Beteiligten - nämlich der antragstellende Betriebsrat und die Antragsgegnerin, ein Zeitungsverlagsunternehmen - streiten um dessen Mitteilungspflichten. Der Betriebsrat meint, die Arbeitgeberin müsse auch bei Einstellung nicht tarifgebundener Aushilfskräfte die einschlägige Vergütungsgruppe des Gehaltstarifvertrages mitteilen. Er beruft sich zur Anspruchsbegründung auf einen Vergleich, den die Beteiligten unter dem 06.04.2000 in einem Vorprozess (4 BV 170/99 - Arbeitsgericht Köln) geschlossen haben, in dem sich die Arbeitgeberin unter Aufrechterhaltung ihres Rechtsstandpunktes verpflichtet hat, "auch bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern die aus ihrer Sicht hypothetisch anzuwendende Gehaltsgruppe dem Betriebsrat mitzuteilen". Diesen Informationsanspruch hat der Betriebsrat bezogen auf die Arbeitnehmerinnen D und W geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Der Beschluss vom 24.01.2002 wurde der Arbeitgeberin am 19.04.2002 zugestellt. Ihre am 21.05.2002 (Pfingstdienstag) eingelegte Beschwerde hat sie unter dem 08.07.2002 begründet. Die Verspätung der Begründung entschuldigt sie mit dem Vortrag, die Sekretärin ihres Prozessbevollmächtigten (Fr. B ), die die Aufgabe habe, den Fristenkalender zu führen, Fristen zu notieren und zu überwachen, habe aus nicht erklärlichen Gründen zwar die Einlegungs- nicht aber die Begründungsfrist notiert; infolgedessen seien die Akten dem Prozessbevollmächtigten auch nicht fristgemäß vorgelegt worden. Über die Änderung der Rechtsmittelfristen durch die Zivilprozessreform seien die Angestellten im Januar 2002 belehrt worden.

Die Arbeitgeberin beantragt,

1. ihr wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren;

2. unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

1. den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen;

2. die Beschwerde zurückzuweisen;

3. der Antragsgegnerin aufzugeben, dem Antragsteller bezogen auf die Mitarbeiterinnen K Z und A W die aus ihrer Sicht hypothetisch einschlägige Vergütungsgruppe des Gehaltstarifvertrags für Angestellte in Verlagen von Tageszeitungen/NW mitzuteilen;

4. festzustellen, dass die Antragsgegnerin im Hinblick auf nicht tarifgebundene Abruf- und Aushilfskräfte verpflichtet ist, ihm die aus ihrer Sicht hypothetisch einschlägige Vergütungsgruppe des Gehaltstarifvertrags für Angestellte in Verlagen von Tageszeitungen mitzuteilen.

Die Arbeitgeberin beantragt Zurückweisung der neu gestellten Anträge.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens wird auf den angefochtenen Beschluss sowie auf den Inhalt der zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen. Sie ist nicht fristgemäß - d.h. innerhalb von zwei Monaten seit Zustellung des angefochtenen Beschlusses (§§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) - begründet worden, § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO.

Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu bewilligen. Die Voraussetzungen des § 233 ZPO sind nicht gegeben. Es liegt ein Anwaltsverschulden vor, das sich die Antragsgegnerin über § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss:

Zwar hat die Sekretärin des Prozessbevollmächtigten einen Fehler begangen, indem sie die Beschwerdebegründungsfrist nicht notiert und infolgedessen die Akte nicht fristgemäß vorgelegt hat. Dieser Fehler geht jedoch auf ein Organisationsverschulden des Anwalts zurück:

Grundsätzlich fallen Berechnung und Sicherstellung von Rechtsmittelfristen in den Verantwortungsbereich des Anwalts. Zwar kann er die Berechnung von Routinefristen sowie die Führung des Fristenkalenders dem geschulten und zuverlässigen Personal überlassen - nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aber nur dann, wenn es sich um einfache und übliche, in der Praxis des Anwalts häufig vorkommende Fristen handelt (BAG, v. 20.06.1995 und 27.09.1995 - 3 AZN 261/95 und 4 AZN 473/95 in EzA § 233 ZPO Nr. 32 und 35). Dass letztere Bedingung erfüllt ist, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Es ist aber auch ohne Vortrag erkennbar, dass es sich im konkreten Fall keinesfalls um eine Routinefrist handeln kann - schon deshalb, weil es sich um einen der ersten Fälle handelt, in denen neue Rechtsmittelfristen anzuwenden waren: Der angegriffene Beschluss beruht auf einer am 24.01.2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung - an einem Datum mithin, zu dem nach der Übergangsregelung (§ 26 Nr. 5 EGZPO) das neue Recht noch keine vier Wochen in Anwendung war.

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, ob das vom Antragsgegnervertreter unterzeichnete Empfangsbekenntnis diesem mit oder ohne Akten zur Unterschrift vorgelegt worden ist. Wurden ihm die Akten vorgelegt, musste er bei dieser Gelegenheit die Eintragung der Fristen überprüfen - in erster Linie anhand der Aktenvermerke, die die Notierung der Fristen bestätigen, bei fehlendem Aktenvermerk anhand des Fristenkalenders. Wurde das unterzeichnete Empfangsbekenntnis hingegen ohne Aktenvorlage in den Geschäftsgang der Kanzlei zurückgegeben, musste der Prozessbevollmächtigte durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen; auf eine allgemeine Anordnung darf sich der Anwalt in einem solchen Fall wegen der von ihm geschaffenen Gefahrenlage nicht mehr verlassen (BGH v. 22.04.1999 - IX ZR 364/98 in NJW 1999, 2120). Unstreitig gibt es aber im vorliegenden Fall keine besondere Einzelanweisung, sondern nur die allgemeine Belehrung im Januar 2002.

Hinzu kommt folgendes: Da der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin - wie im heutigen Termin bestätigt - die Eintragung der Fristen nicht schriftlich verfügt hat, musste er durch besondere Maßnahmen sicherstellen, dass die Fristeintragung sofort erfolgte; ihn trifft in diesem Fall eine besondere Fristensicherungspflicht (BAG, Beschluss vom 27.09.1995 - 4 AZN 473/95 in AP Nr. 43 zu § 233 ZPO 1977) . Derartige besondere Maßnahmen sind nicht vorgetragen.

Außerdem wurde die Akte dem Anwalt anlässlich des bevorstehenden Ablaufs der Einlegungsfrist zwecks Beschwerdeeinlegung vorgelegt. Bei dieser Gelegenheit hätte er die Eintragung der Begründungsfrist überprüfen müssen: Wird dem Anwalt die Akte zur Durchführung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt, hat er eigenverantwortlich zu überprüfen, ob in der Akte der richtige Fristablauf vermerkt worden ist (BAG, Beschluss vom 20.06.1995 - 3 AZN 261/95 in AP Nr. 42 zu § 233 ZPO 1977). Es ist nicht vorgetragen, dass dies anlässlich der Aktenvorlage zur Beschwerdeeinlegung geschehen ist - wie überhaupt der Vortrag fehlt, ob die Büroorganisation sicherstellt, dass die Fristeintragungen auch durch Aktenvermerke dokumentiert werden.

Über die neu gestellten Anträge des Betriebsrats war nicht zu entscheiden. In der Sache handelt es sich um unselbständige Anschlussbeschwerden, deren Anhängigkeit eine zulässige Hauptbeschwerde voraussetzt.

Das Gericht hat keinen Anlass gesehen, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 92 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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