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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 06.12.2002
Aktenzeichen: 11 TaBV 50/02
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB, KSchG, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 102
BetrVG § 103
BetrVG § 103 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 1
KSchG § 15 Abs. 5
ArbGG § 92a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 11 TaBV 50/02

Verkündet am: 06.12.2002

In dem Beschlussverfahren

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Anhörung vom 06.12.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richtern Kannmacher und Kruger

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den am 06.03.2002 verkündeten Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg - 2 BV 47/01 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der vom Antragsgegner (Betriebsrat) verweigerten Zustimmung zur Kündigung des beteiligten Arbeitnehmers. Die Antragstellerin (Arbeitgeberin) ist ein Unternehmen für Rehabilitation und Wiedereingliederung von Behinderten mit Werkstatt- und Verwaltungsbereich. Der beteiligte Arbeitnehmer wird von ihr seit April 1990 als Finanzbuchhalter beschäftigt. Er wurde in der Betriebsratssitzung vom 26. 10. 2001 zum Mitglied des Wahlvorstands für die bevorstehende Betriebsratswahl bestellt und bei der Wahl am 16. 05. 2002 zum Betriebsratsmitglied gewählt. Die Arbeitgeberin möchte ihm betriebsbedingt - wegen Auslagerung der Finanzbuchhaltung - kündigen und bat den Betriebsrat mit Schreiben vom 18. 12. 2001 um Zustimmung. Dies erfolgte vorsorglich, weil die Arbeitgeberin in erster Linie die Ansicht vertritt, bei Werkstatt und Verwaltung handele es sich um zwei selbständige Betriebe, von denen nur die Werkstatt mitbestimmt sei; der "Verwaltungsbetrieb", dem der beteiligte Arbeitnehmer angehört, sei an der Errichtung eines Betriebsrats nicht interessiert. Zur Begründung ihrer Ansicht beruft sich die Arbeitgeberin u.a. auf einen am 08. 12. 1999 mit dem damaligen Betriebsrat in einem vorangegangenen Verfahren geschlossenen Vergleich, wonach der Betriebsrat nicht für den Verwaltungsbereich zuständig sei (Bl. 113 f.). Mit Schreiben vom 20. 12. 2002 widersprach der Betriebsrat der Kündigung (Bl. 23 f.) und verlangte die Rücknahme einer bereits ohne seine Beteiligung ausgesprochenen Kündigung vom 17. 12. 2001 (Bl. 11). Statt dessen sprach die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. 12. 2001 eine erneute Kündigung aus (Bl. 25).

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

1. die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigung entsprechenden sozialen Auslauffrist des beteiligten Arbeitnehmers zu ersetzen;

2. festzustellen, daß der beteiligte Arbeitnehmer keinen Sonderkündigungsschutz als Wahlvorstandsmitglied besitzt.

Betriebsrat und beteiligter Arbeitnehmer haben Zurückweisung beantragt mit der Begründung, Werkstatt und Verwaltung bildeten einen einheitlichen Betrieb.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Verfahrensziel weiter und meint, das Arbeitsgericht habe den Betriebsbegriff und die unternehmerische Organisationsfreiheit verkannt. Sie verweist auf Wahlanfechtungs- und Nichtigkeitsverfahren wegen des ihrer Meinung nach fehlerhaften Wahlverfahrens, weil zu Unrecht Werkstatt und Verwaltung als ein einheitlicher Betrieb behandelt worden seien. Sie geht davon aus, daß kein Betriebsrat existiere und betrachtet das Zustimmungsersetzungsverfahren als vorsorglich. Sie beantragt

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung

1. die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigung entsprechenden sozialen Auslauffrist des beteiligten Arbeitnehmers zu ersetzen;

2. hilfsweise festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und dem beteiligten Arbeitnehmer nicht von der Regelungsmacht des Betriebsrats umfaßt ist und daher dessen Zustimmung zur Kündigung entbehrlich ist.

Betriebsrat und Arbeitnehmer beantragen Zurückweisung und wiederholen ihre Ansicht vom einheitlichen Betrieb. Zur Begründung verweisen sie auf einen inzwischen vom Arbeitsgericht Siegburg unter dem 08. 05. 2002 erlassenen Beschluß, mit dem auf Antrag des Betriebsrats festgestellt worden ist, daß Werkstatt- und Verwaltungsbereich der Arbeitgeberin einen Betrieb darstellen (Beschluß vom 08. 05. 2002 - 2 <4> BV 4/02 G, Bl. 312 ff.).

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens wird auf den angefochtenen Beschluß sowie auf den Inhalt der zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist erfolglos. Das Arbeitsgericht hat die Anträge mit Recht zurückgewiesen.

Die von der Arbeitgeberin beabsichtigte außerordentliche Kündigung ist gem. § 103 Abs. 1 BetrVG zustimmungsbedürftig, weil der beteiligte Arbeitnehmer Mitglied des Betriebsrats ist. Der Streit der Beteiligten um die betriebsverfassungsrechtliche Einheit oder Selbständigkeit von Werkstatt- und Verwaltungsbereich ist in diesem Zusammenhang wie überhaupt für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich - ebenso wie der Streit um die Reichweite der vom Betriebsrat ausgeübten Mitbestimmung: Der beteiligte Arbeitnehmer ist Betriebsratsmitglied und kann damit nur mit Zustimmung des Betriebsrats gekündigt werden, dessen Mitglied er ist - selbst dann, wenn sein Arbeitsplatz von dessen Mitbestimmung nicht erfaßt würde.

Erfolglos beruft sich die Arbeitgeberin auf eine nach ihrer Ansicht vorliegende Fehlerhaftigkeit der Betriebsratswahl. Sie meint, die Fehlerhaftigkeit beruhe auf einer Verkennung des Betriebsbegriffs. Die Wahl eines Betriebsrats in Verkennung des Betriebsbegriffs ist jedoch nicht nichtig, sondern nur anfechtbar (BAG, Beschluß vom 17. 01. 1978 - 1 ABR 71/76 in AP Nr. 1 zu § 1 BetrVG 1972; Beschluß vom 09. 04. 1991 - 1 AZR 488/90 in AP Nr.8 zu § 18 BetrVG 1972 unter II 3 der Gründe m.w.H. auf die st. Rspr.; Kreutz, GK-BetrVG, 6. Aufl., § 19 Rn. 138; FKHES, 21. Aufl., § 19 Rn. 5). Zu Unrecht will die Arbeitgeberin sich auf eine "Offensichtlichkeit" bei der Verkennung des Betriebsbegriffs berufen, wobei offenbleiben kann, ob solche "Offensichtlichkeit" die von ihr gewünschte Rechtsfolge hätte: Angesichts der Tatsache, daß das Arbeitsgericht Siegburg mit Beschluß vom 08. 05. 2002 festgestellt hat, daß Werkstatt- und Verwaltungsbereich einen einheitlichen Betrieb darstellen, ist die Vorstellung, das Gegenteil sei "offensichtlich", ausgeschlossen.

Ist die Wahl aber allenfalls anfechtbar, so genießt der beteiligte Arbeitnehmer derzeit noch den Sonderkündigungsschutz eines Betriebsratsmitglieds. Denn eine Wahlanfechtung wirkt im Falle des Erfolges nur ex nunc, d.h. für die Zeit ab Rechtskraft der erfolgreichen Entscheidung; für die Zeit davor behalten die Betriebsratsmitglieder ihren Sonderkündigungsschutz (DKK-Kittner, BetrVG, 6. Aufl., § 103 Rn. 10; FKHES, BetrVG, 21. Aufl., § 19 Rn. 50 m.w.N.). Unstreitig war eine Wahlanfechtung bisher nicht erfolgreich.

Die somit erforderliche Zustimmung war nicht zu ersetzen. Zwar kann die ordentliche Unkündbarkeit eines Arbeitnehmers dazu führen, betriebsbedingte Kündigungsgründe, die grundsätzlich nur zur ordentlichen Kündigung berechtigen, als wichtige Gründe i.S.v. § 626 Abs.1 BGB ausreichen zu lassen. Der Gesetzeszweck von § 103 BetrVG - nämlich die Funktionsfähigkeit betriebsverfassungsrechtlicher Organe zu schützen und die Amtsträger vor Repressalien zu bewahren - zwingt jedoch dazu, verschärfte Anforderungen zu stellen. Davor bewahrt auch nicht die von der Arbeitgeberin ins Feld geführte unternehmerische Organisationsfreiheit, da diese mit dem Schutz der Mitbestimmung in einen Zielkonflikt tritt, der zu einem Ausgleich zwingt. Dieser besteht einmal darin, daß der Arbeitgeber die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit aller anderen Lösungen darzutun hat. Das ist hier nicht geschehen. Denn dazu hätte der Vortrag gehört, warum für den beteiligten Arbeitnehmer kein anderer Arbeitsplatz geschaffen werden kann - ggf. auch durch Kompetenzentzug auf anderen Arbeitsplätzen oder auch durch Freikündigung von Arbeitsplätzen, deren Inhaber keinen Sonderkündigungsschutz genießen.

Zum anderen hätte - im Unterschied zu sonstigen Fällen, in denen auf keinen Sonderkündigungsschutz nach § 103 BetrVG Rücksicht zu nehmen ist - auch die Unternehmerentscheidung als solche (Ausgliederung der Finanzbuchhaltung) so begründet werden müssen, daß eine überwiegend gegen das Amt des beteiligten Arbeitnehmers gerichtete, lediglich taktische Maßnahme so gut wie ausgeschlossen werden kann. Dazu reicht nicht der Hinweis auf die unternehmerische Freiheit und auch nicht die Darstellung, daß die Maßnahme (Ausgliederung) nicht offenbar unsachlich ist. Es hätte plausibel gemacht werden müssen, daß auf sie auch im Interesse der zu schützenden Ämter nicht verzichtet werden konnte. Dies läßt der Arbeitgebervortrag nicht erkennen.

Die Zustimmung ist erst recht nicht zu ersetzen, wenn sich die Ausgliederung der Finanzbuchhaltung als Abteilungsstillegung i.S.v. § 15 Abs.5 KSchG darstellen sollte. Denn in diesem Fall würde eine außerordentliche Kündigung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, weil die Möglichkeit zur - zustimmungsfreien - ordentlichen Kündigung eröffnet wäre.

Auch der Hilfsantrag bliebe in diesem Falle unbegründet: Das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeberin und beteiligtem Arbeitnehmer ist in jedem Fall im Rahmen des § 103 BetrVG "von der Regelungsmacht des Betriebsrats umfaßt". Das gleiche gilt aber auch im Rahmen des § 102 BetrVG und in Bezug auf sonstige Mitbestimmungsrechte: Denn der Betriebsrat wurde für Werkstatt- und Verwaltungsbereich gewählt. Damit erstreckt sich seine Zuständigkeit auch auf letzteren, solange keine erfolgreiche Wahlanfechtung durchgeführt worden ist.

Das Gericht hat keinen Anlaß gesehen, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 92a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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