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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 07.04.2006
Aktenzeichen: 12 (2) Sa 1435/05
Rechtsgebiete: VTV Cockpitpersonal LH, BGB
Vorschriften:
VTV Cockpitpersonal LH | |
BGB § 812 | |
BGB § 814 | |
BGB § 818 Abs. 3 |
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 13.07.2005 - 12 Ca 1501/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Höhe der tariflichen Vergütung.
Der Kläger ist aufgrund Arbeitsvertrages vom 30.08.1995 ab 13.01.1995 als Flugzeugführer bei der Beklagten beschäftigt. Er übt die Funktion eines ersten Offiziers (SFO) aus. Die Ziffer 2. des Arbeitsvertrages bestimmt, dass sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten u.a. nach den Tarifverträgen der Lufthansa in der jeweils geltenden Fassung richten. In § 3 Abs. 3 des danach in Bezug genommenen Vergütungstarifvertrages Nr. 8 vom 08.06.2001 heißt es:
"(3) Ab Ernennung zum I. Offizier (einschließlich Senior First Officer), Cruise Relief Co-Pilot, I. Flugingenieur (einschließlich Senior Flugingenieur) oder I. Fluglehrer beträgt die Grundvergütung 7.900,00 DM.
Die Grundvergütung wird bei Vollendung von jeweils einem Beschäftigungsjahr als I. Offizier, I. Flugingenieur oder I. Fluglehrer um einen Steigerungsbetrag von 565,00 DM erhöht, so lange sie unterhalb von 11.290,00 DM liegt. Beträgt die Grundvergütung 11.290,00 DM oder mehr, wird sie bei Vollendung von jeweils einem Beschäftigungsjahr als I. Offizier (einschließlich Senior First Officer), Cruise Relief Co-Pilot, I. Flugingenieur (einschließlich Senior Flugingenieur) oder I. Fluglehrer um einen Steigerungsbetrag von 226,00 DM erhöht, jedoch höchsten auf 14.611,32 DM bei I. Offizieren (einschließlich Senior First Officer), Cruise Relief Co-Piloten und Fluglehrer-Co-Piloten."
Diese Regelung wurde durch Änderungstarifvertrag Nr. 1 vom 07.02.2003 mit Wirkung vom 01.02.2001 insoweit geändert, dass der Betrag von 11.290,00 DM durch 11.288,22 DM ersetzt wurde. Nach dem Vortrag der Beklagten beruhte dies darauf, dass die Umstellung der Vergütung vom VTV Nr. 7 auf die neue Vergütung nach VTV Nr. 8 dazu geführt hatte, dass Cockpit-Mitarbeiter mehr als die nach der Tarifsystematik vorgesehenen 6 großen Steigerungen erhielten. Ebenfalls unter dem 07.02.2003 wurde rückwirkend zum 01.02.2001 der Änderungstarifvertrag Nr. 2 geschlossen, der lautet:
Es wird eine Protokollnotiz IV mit folgendem Wortlaut eingefügt:
Für Cockpitmitarbeiter, deren Grundvergütung vor Abschluss des Änderungstarifvertrages Nr. 1 zum Vergütungstarifvertrag Nr. 8 Cockpitpersonal C um einen Steigerungsbetrag nach § 3 Abs. (3) Satz 2 VTV Nr. 8 erhöht wurde, obwohl ihre Grundvergütung bereits 11.288,22 DM oder mehr betrug, finden die folgenden Steigerungen der Grundvergütung mit der Maßgabe Anwendung, dass diese um den überschiessenden Betrag dieser Steigerung abgesenkt vorgenommen werden.
Zu dem von dieser Regelung betroffenen Personenkreis gehörte der Kläger. Die Beklagte ermittelte für den Kläger einen Rückrechnungsbetrag in Höhe von 1.458,50 EUR brutto was netto 878,70 EUR entspricht (für den Zeitraum 01.12.2003 bis 30.09.2004), den sie mit Schreiben vom 12.10.2004 geltend machte und ab Oktober 2004 ratenweise von der laufenden Vergütung des Klägers einbehielt.
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger die Auszahlung dieses Betrages von 878,70 EUR. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Rückforderung sei gemäß § 814 BGB ausgeschlossen, da die Beklagte in Kenntnis der Nichtschuld geleistet habe. Außerdem hat der Kläger den Wegfall der Bereicherung eingewandt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 878,70 € netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2005 zu bezahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht:
Die Regelung in den Änderungstarifverträgen (ATV) Nr. 1 und 2 sei wirksam. § 814 BGB greife nicht ein, da diese Zuvielzahlung nicht bewusst, sondern irrtümlich erfolgt sei.
Der Vortrag des Klägers dazu, dass er entreichert sei, sei unsubstantiiert.
Durch Urteil vom 13.07.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem ÄTV 2 sei die Beklagte berechtigt, die aufgrund von Berechnungsungenauigkeiten ausgezahlten Steigerungsraten nach einer siebten großen Gehaltssteigerung, die von den Tarifvertragsparteien nicht vorgesehen war, vom Kläger zurückzufordern. Dies habe der Kläger auch im Grundsatz anerkannt. Dieser Rückforderungsanspruch sei nicht wegen § 814 BGB ausgeschlossen. Die Beklagte habe nicht positiv gewusst, dass sie zur Zahlung nicht verpflichtet gewesen sei. Auch der Einwand des Klägers, er sei nicht mehr bereichert im Sinne von § 818 Abs. 3 BGB, sei nicht begründet.
Wegen des weiteren Inhaltes des erstinstanzlichen Urteils wird auf Bl. 52 - 59 d.A. Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 28.09.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.10.2005 Berufung eingelegt und dieser nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 28.12.2006 am 28.12.2006 begründet.
Der Kläger rügt, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Änderungstarifverträge Nr. 1 und 2 zum Vergütungstarifvertrag Nr. 8 Cockpitpersonal L /C wegen unzulässiger Rückwirkung unwirksam seien. Es mangele daher an einer wirksamen Anspruchsgrundlage für die von der Beklagten geltend gemachte Rückforderung.
Der Kläger verbleibt unter Vortrag im Einzelnen dabei, dass die Beklagte ihre Nichtschuld positiv gekannt habe.
Im übrigen sei er auch nicht mehr bereichert; denn er habe in den ersten 9 Monaten des Jahres 2004 mehrere Kurzurlaube am T Strand und in T verbracht. Beide Urlaubsorte seien als kostspielig bekannt und der Kläger habe meist unterschiedliche schlechtverdienende Kolleginnen zu diesen Urlauben eingeladen. Mehrfach habe er auch die Spielbank in T besucht und dort größere Geldbeträge verspielt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des am 13. Juli 2005 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichtes Köln (12 Ca 1501/05) zu verurteilen, an den Kläger 878,80 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus dem Nettobetrag von 878,80 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
festzustellen, dass die Änderungsverträge Nr. 1 und 2 zum Vergütungstarifvertrag Nr. 8 Cockpitpersonal L /C unwirksam sind;
die Revision zuzulassen;
der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte tritt dem erstinstanzlichen Urteil unter Wiederholung und teilweiser Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages bei.
Wegen des erst- und zweitinstanzlichen Vortrages der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die Zahlungsklage des Klägers kann keinen Erfolg haben. Dies gilt auch für die in der Berufung vorgenommene Klageerweiterung.
I. Letztere ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
1. Die Klageerweiterung ist gemäß §§ 525, 263, 264 Nr. 2 ZPO schon deshalb zulässig, weil die Beklagte ihr nicht widersprochen hat. Auch die Zulässigkeit für das erhobene Feststellungsbegehren ist nach § 256 Abs. 2 ZPO gegeben (vgl. dazu Zöller-Greger, ZPO, 25. Auflage, Rdnr. 21 zu § 256).
2. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Die ÄTV Nr. 1 und 2 vom 07.02.2003 zum VTV Nr. 8 sind nicht wegen unzulässiger Rückwirkung unwirksam.
a. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG tragen tarifvertragliche Regelungen während ihrer Laufzeit den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt selbst für bereits entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht abgewickelte Ansprüche, begrenzt allerdings durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes (BAG Urteil vom 23.11.1994 - 4 AZR 879/93 - AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung; Urteil vom 22.10.2003 - 10 AZR 152/03 - NZA 2004, 444, 446). Dabei ist der Normunterworfene dann nicht schutzwürdig, wenn er im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm mit einer Regelung rechnen musste, das geltende Recht unklar oder verworren war, schließlich der Normunterworfene sich aus anderen Gründen nicht auf den Rechtsschein verlassen durfte. Letztlich ist es eine Frage des Einzelfalles, wann die Normunterworfenen mit einer tariflichen Neuregelung rechnen müssen.
b. Bei Anwendung dieser Grundsätze wird durch die Änderungstarifverträge vom 07.02.2003 nicht in unzulässigerweise in die Rechte des Kläger eingegriffen.
Der Kläger hat ab 01.01.2003 eine weitere große Steigerung erhalten, die ihm nach dem damals geltenden Wortlaut des § 3 Abs. 3 VTV Nr. 8 vom 08.06.2001 zustand. Es handelte sich dabei um die siebte große Steigerung, die systemwidrig war. Aus dem VTV Nr. 8 in der Fassung vom 08.06.2001, auf den sich der Kläger beruft, ergibt sich jedoch, dass die Tarifvertragsparteien nur 6 große Steigerungsstufen zum Regelungsinhalt gemacht hatten. Dies folgt aus den in § 3 Abs. 3 bestimmten Eckwerte (Ausgangswert 7.900,00 DM, großer Steigerungsbetrag 565,00 DM, Schwellenwert unter 11.290,00 DM). Zwischen dem Ausgangswert und dem Schwellenwert liegen die sechs großen Steigerungen (7.900,00 DM + 6 x 565,00 DM = 11.290,00 DM). Mit der Regelung, dass der große Steigerungsbetrag nur dann in Betracht kommt, solange die Grundvergütung (maßgebender Tabelleneckwert) unterhalb von 11.290,00 DM liegt, ist von den Tarifvertragsparteien deutlich gemacht, dass eine siebte große Steigerung vermieden werden sollte. Dies war oder musste jedenfalls für die betroffenen Piloten erkennbar sein. Die hier in Rede stehenden Änderungstarifverträge stellen daher nur den bei Abschluss des VTV Nr. 8 gewollten Regelungsgehalt wieder her, der durch die von der Beklagten im Einzelnen dargestellten Umrechnungsschwierigkeiten sowie Rundungsdifferenzen in Einzelfällen verloren gegangen war. Unter diesen Umständen konnte dem Kläger ein Vertrauensschutz auf das Fortbestehen der systemwidrigen Regelung nicht zukommen.
c. Dies gilt umsomehr, als dem Kläger die bis 31.12.2003 geleisteten Überzahlungen verbleiben und lediglich für den Zeitraum danach die Vergütung eingefroren wird, bis das korrekte Vergütungsniveau erreicht ist.
Die Änderungstarifverträge Nr. 1 und 2 vom 07.02.2003 sind daher wirksam.
II. Der Kläger hatte deshalb den Betrag von 859,56 EUR aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuzahlen (§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alternative BGB). Die von ihm gegen diesen Bereicherungsanspruch erhobenen Einwendungen greifen nicht durch, wie das Arbeitsgericht zutreffend entschieden hat.
1. Die Voraussetzungen des § 814 BGB liegen nicht vor. Die Beklagte hat die hier im Streit befindliche Beträge nicht gezahlt, obwohl sie wusste, dass sie nicht zur Leistung verpflichtet war.
a. Dies setzt die positive Kenntnis des Leistenden davon voraus, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Dazu reicht die bloße Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt, nicht aus. Vielmehr muss außerdem daraus die zutreffende rechtliche Folgerung gezogen werden. Darlegungs- und beweisbelastet ist insoweit der Leistungsempfänger, hier der Kläger (BAG Urteil vom 09.02.2005 - 5 AZR 175/04 - AP Nr. 12 zu § 611 BGB Lohnnrückzahlung).
b. Dieser ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast hat der Kläger nicht genügt. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend dargelegt, darauf nimmt das Landesarbeitsgericht Bezug. Die diesbezüglichen Rügen der Berufung gehen fehlt. Der Kläger ergeht sich weitgehend in Mutmaßungen, ohne konkret zu belegen, dass die Beklagte auch in seinem Falle überhaupt Kenntnis von den entscheidungserheblichen Tatsachen hatte. Es kommt auf die Kenntnis im jeweiligen Einzelfall an. Angesichts dessen kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht in Betracht kommen. Dies wäre auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen.
Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises kommen dem Kläger nicht zu. Dafür wäre erforderlich, dass ein typischer Geschehensablauf gegeben wäre, also ein Sachverhalt, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann (Zöller-Greger, ZPO, 25. Auflage, Rdnr. 29 vor § 284). Die diesbezüglichen Voraussetzungen hat der Kläger nicht dargetan.
2. Der Bereicherungsanspruch ist nicht nach § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
a. Der Bereicherte hat den Wegfall der Bereicherung zu beweisen. Dazu hat er im Falle einer Gehaltsüberzahlung darzulegen und zu beweisen, dass sich sein Vermögensstand infolge der Gehaltsüberzahlung nicht verbessert hat. Es kommt darauf an, ob der Empfänger die Beträge restlos für seine laufenden Lebensbedürfnisse verbraucht oder sich damit noch in seinem Vermögen vorhandene Werte oder Vorteile verschafft hat (BAG Urteil vom 09.02.2005 - 5 AZR 175/04 - aaO).
b. Der Kläger behauptet hier Wegfall der Bereicherung infolge von Luxusausgaben, ohne diese weiter zu substantiieren. Es werden noch nicht einmal konkrete Beträge genannt. Angesichts seiner Pauschalität ist der diesbezügliche Vortrag in prozessualer Hinsicht unerheblich.
c. Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast kommen dem Kläger nicht zugute. Nach der Rechtsprechung spricht nur bei kleinen oder mittleren Einkommen und einer gleichbleibenden geringen Überzahlung des laufenden Entgeltes der Beweis des ersten Anscheines für einen Wegfall der Bereicherung (BAG Urteil vom 12.01.1994 - 5 AZR 557/92 - AP Nr. 3 zu § 818 BGB). Zu dieser Einkommensgruppe zählt der Kläger mit einem Bruttogehalt von ca. 8.000,00 EUR monatlich ersichtlich nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die Revision wurde für den Kläger gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Ende der Entscheidung
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