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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 20.04.2007
Aktenzeichen: 12 Sa 1184/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 3
Die für die soziale Auswahl erforderliche Vergleichbarkeit bezieht sich auf dieselbe Ebene der Betriebshierarchie und setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (im Anschluss an BAG; Urteil vom 23.03.2005 - 2 AZR 95/05 - EzA § 1 KSchG Nr. 55 Soziale Auswahl).
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.07.2006 - 14 Ca 11031/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung.

Der am 03.11.1959 geborene Kläger war seit 01.06.1995 bei der Beklagten als Kurier beschäftigt. Er war nach dem Arbeitsvertrag vom 22.05.1995 zunächst in der Niederlassung A eingesetzt und nach dem Zusatz zum Arbeitsvertrag vom 12.11.1997 "im Business Center K (Business Unit M )". Der Kläger war vollzeitbeschäftigt und in TG 3 eingruppiert.

Im Rahmen der Verschmelzung der Gesellschaften D W E G und D P E G , die eine Maßnahme des sog. 3 D-Integrationsprogramms darstellte, wurde der gesamte Bereich Operations neu organisiert. Dazu verhält sich die Konzernbetriebsvereinbarung vom 09./22.11.2004 wegen deren Inhaltes auf die bei den Akten befindliche Kopie verwiesen wird. Teil dieser Umorganisation war u. a. die Schließung des Standortes M zum 30.06.2005.

Der Kläger war seit 01.06.2005 von der Arbeit freigestellt. Ihm wurde mit Schreiben der Beklagten vom 18.07. und 28.10.2005 ein Arbeitsplatzangebot bei der D P A als Briefzusteller unterbreitet, das der Kläger ablehnte. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.11.2005 zum 31.12.2005.

Gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung wendet der Kläger sich im vorliegenden Rechtsstreit. Er hat vorgetragen: Das Beschäftigungsbedürfnis für ihn sei bei der Beklagten nicht weggefallen. Die bisher von ihm verrichteten Kuriertätigkeiten fielen weiterhin an, diese würden unverändert abgefordert, jedoch von sog. Servicepartnern (Subunternehmern) erledigt. Diese erhielten ihre Anweisungen hinsichtlich der Arbeitsausführung weiterhin von der Beklagten. Diese habe lediglich die formale, nicht jedoch die tatsächliche Arbeitgeberstellung aufgegeben und setze innerhalb der fortbestehenden betrieblichen Organisation nunmehr die Mitarbeiter des Subunternehmers bei im übrigen unveränderten Arbeitsabläufen ein. Bei einer solchen Sachverhaltsgestaltung lasse sich die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse nicht rechfertigen, es liege vielmehr eine Austauschkündigung vor.

Außerdem sei eine Beschäftigung in anderen Betrieben der Beklagten möglich. So habe die Beklagte freie Arbeitsplätze als Dispatcher in D und D ausgeschrieben. Daneben sei jeweils ein Arbeitsplatz als Terminal Handling Clerk in K und D zu besetzen gewesen sowie als Clerk Data Capture in N und D . Alle diese Arbeitsplätze habe er wahrnehmen können.

Schließlich rügt der Kläger die von der Beklagten vorgenommene Sozialauswahl. Er hat dazu vorgetragen: Er habe im Betrieb K im Terminal Handling eingesetzt werden können. Diese Tätigkeit werde nach TG 3 bezahlt. Anlässlich der Entscheidung der Beklagten, Kurierfahrten nur noch durch externe Mitarbeiter durchführen zu lassen, habe sie im November 2005 in K beschäftigte Kurierfahrer, nämlich Frau G -E , Herrn K und Herrn F , in eine Sozialauswahl mit den im Bereich Terminal Handling beschäftigten Arbeitnehmern unterworfen. Frau G -E habe nach dem Punkteschema gemäß Anlage 1 des Sozialplanes 3 D-Integration 126 Punkte gehabt, Herr K 101 Punkte und Herr F 96 Punkte. Nachdem sich die beiden ersteren entschlossen hätten, einen Aufhebungsvertrag zu schließen sei Herr F auf einem Arbeitsplatz als Umschlagmitarbeiter (TG 3) in Teilzeit bei 30 Stunden pro Woche im Bereich Terminal Handling eingesetzt worden. Bei Anwendung der vorgenanten Richtlinie sei er, der Kläger, jedoch sozial schutzwürdiger gewesen, er habe nämlich über 117 Punkt verfügt. Die Arbeit im Terminal Handling in K habe er ohne weiteres auch durchführen können.

Schließlich hat der Kläger gerügt, der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß gehört worden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 19.11.2005, dem Kläger am selben Tage zugegangen, nicht mit Ablauf des 31.12.2005 sein Ende gefunden hat.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen: Der vom Kläger innegehabte Arbeitsplatz sei ersatzlos weggefallen. Kurierdienste würden von selbstständigen Unternehmen ausgeführt. Die Niederlassung M , die ein selbstständiger Betrieb und kein Betriebsteil der Area K gewesen sei, sei geschlossen worden. Die von ihr vorgenommene Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Der Kläger sei mit den im Servicecenter K eingesetzten Beschäftigten im Terminal Handling nicht vergleichbar gewesen.

Auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz habe sie gewahrt; denn der Kläger habe einen ihm angebotenen zumutbaren Arbeitsplatz nicht angenommen. Einen Arbeitsplatz als Dispatcher habe sie dem Kläger nicht anbieten müssen, dieser werde nach TG 4 bewertet, während die vom Kläger bislang ausgeübte Kuriertätigkeit nach der niedrigeren Tarifgruppe TG 3 bewertet worden sei. Einen Anspruch auf Beförderung habe der Kläger nicht. Die anderen vom Kläger angeführten Stellen habe sie ihm ebenfalls nicht anzubieten brauchen.

Durch Urteil vom 11.07.2006 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, sie verstoße zum einen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; denn die Beklagte hätte dem Kläger die vorhandenen freien Arbeitsplätze als Terminal Handling Clerk und als Clerk Data Capture im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen. Außerdem sei die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte habe den im Innendienst im Betrieb K tätigen Herrn F , der weniger schutzwürdig als der Kläger sei, weiter beschäftigt. Dabei sei der Standort M dem Betrieb K zuzurechnen gewesen. Dementsprechend hätte die Beklagte eine Sozialauswahl mit den im Business-Center K beschäftigten Mitarbeitern vornehmen müssen. Vergleichbar sei der Kläger mit den im sog. Terminal Handling beschäftigten Arbeitnehmern gewesen. Und der im Terminal Handling tätige Mitarbeiter F sei, wie der Kläger unwidersprochen vorgetragen habe, weniger schutzwürdig als er gewesen, so dass er hätte entlassen werden müssen.

Wegen des weiteren Inhaltes des erstinstanzlichen Urteils wird auf Bl. 139 - 149 d. A. Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 16.10.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.10.2006 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis 16.01.2007 am 16.01.2007 begründet.

Die Beklagte verbleibt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages dabei, dass die streitgegenständliche Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei. Der Arbeitsplatz des Klägers sei ersatzlos weggefallen, anderweitige freie Arbeitsplätze, auf denen er hätte eingesetzt werden können, seien nicht vorhanden gewesen. Ein Fehler in der Sozialauswahl liege nicht vor. Eine solche Sozialauswahl sei nämlich nicht erforderlich gewesen angesichts der Betriebsschließung in J /M . Alle dort beschäftigten Mitarbeiter seien gekündigt worden. Dabei sei J ein eigenständiger Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne gewesen. Eine Zuordnung zum Betrieb in K habe nicht stattgefunden. In M habe es eine eigenständige Leitung durch die Teammanager, zuletzt die Herren D und A unterstützt durch ein Sekretariat gegeben. Diese Teamleiter hätten nicht nur kaufmännische und technische Entscheidungen für den Standort getroffen, sondern auf die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten, angefangen von der Dienstplangestaltung über die Urlaubsgewährung, die Entgegennahme von Krankmeldungen bis hin zu Entscheidungen über die zu kündigenden bzw. einzustellenden Mitarbeiter eigenständig geregelt.

Der Kläger könne insoweit insbesondere nicht einwenden, dass er in eine Sozialauswahl mit Mitarbeitern im Service-Center K hätte einbezogen werden müssen, die es so tatsächlich gar nicht gegeben habe, weil die Verteilung der Mitarbeiter auf freie Arbeitsplätze bzw. die Absenkung der Arbeitszeit dort mit allen Mitarbeitern bereits im Jahre 2005 einvernehmlich vereinbart und umgesetzt worden sei, so auch mit den Mitarbeitern F und K auf freie Teilzeitstellen im Terminal. Handling. Wäre der Kläger mit den Herren F und K vergleichbar und in eine Sozialauswahl einzubeziehen gewesen, hätte er allenfalls eine Teilzeitstelle im Terminal Handling von 20 Stunden beanspruchen können.

Schließlich seien dem Kläger auch andere freie Stellen im Unternehmen durch Änderungskündigung nicht anzubieten gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.07.2006 - 14 Ca 11031/05 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger tritt dem angefochtenen Urteil unter Wiederholung und teilweiser Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens bei.

Wegen des erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Die Kündigung vom 19.11.2005 ist sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte bei Auswahl des Klägers als zu Kündigendem soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG).

1. Die Beklagte hätte - entgegen der von ihr vertretenen Rechtsansicht - eine Sozialauswahl vornehmen müssen.

a. Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Sozialauswahl rein betriebsbezogen ist. Das Business-Center in M war nämlich ein Betriebsteil des Betriebs K . Nach der gängigen Definition ist der Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber alleine oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Befriedigung von Eigenbedarf liegt. Betriebsteile sind demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass sie über einen eigenen Arbeitnehmerstamm, eigene technische Hilfsmittel und eine durch die räumliche und funktionale Abgrenzung vom übrigen Betrieb bedingte relative Selbstständigkeit verfügen. Demgegenüber fehlt ihnen aber ein Leitungsapparat, um insbesondere in personellen oder sozialen Angelegenheiten wesentliche Entscheidungen treffen zu können (vgl. BAG, Urteil vom 20.08.1998 - 2 AZR 84/98 - AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969). Auf diese Entscheidung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten kommt es an (vgl. BAG, Urteil vom 18.10.2006 - 2 AZR 434/05 - DB 2007, 810, 812).

b. Danach war die Niederlassung in M kein eigenständiger Betrieb. Ihm fehlte insbesondere die - wesentliche - Selbstständigkeit in personellen und sozialen Angelegenheiten. Die Beklagte behauptet dies zwar, ihr Vortrag bleibt insoweit jedoch pauschal. Es fehlt an jeder Konkretisierung wieso die wesentlichen sozialen und personellen Angelegenheiten in M entschieden worden sind. Insoweit ist es zwar richtig, dass den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast trifft. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Arbeitgeberseite, hier die Beklagte, Einzelheiten zur Organisation und Struktur des Betriebes vorträgt, dann wäre es Sache des Klägers gewesen sich dazu einzulassen und gegebenenfalls die Richtigkeit des Gegenteiles unter Beweis zu stellen (abgestufte Darlegungs- und Beweislast). An einem derart substantiierten Vorbringen der Beklagten fehlt es hier. Dies wäre umso mehr erforderlich gewesen, als nach dem Akteninhalt Entscheidungen in personellen Angelegenheiten nicht in J getroffen worden sind. So ist zur beabsichtigten Kündigung des Klägers auch der Betriebsrat in K gehört worden, und zwar durch den dortigen Regional U -Manager V . Die Befugnis, im Wege des Direktionsrechts zu treffende arbeitsorganisatorische Maßnahmen einzuleiten und durchzuführen ist nicht ausreichend (vgl. dazu LAG Berlin, Urteil vom 28.06.2006 - 15 Sa 632/06 - DB 2007, 468, 469).

2. Danach waren auch in Köln beschäftigte Arbeitnehmer in die soziale Auswahl mit einzubeziehen mit der Konsequenz, dass statt des Klägers Herr K hätte entlassen werden müssen.

a. Die Sozialauswahl bezieht sich allerdings nur auf vergleichbare Arbeitnehmer. Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Der kündigungsbedrohte Arbeitnehmer muss die Funktion eines anderen Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz nicht weggefallen ist, wahrnehmen können. Die Vergleichbarkeit bezieht sich dabei nur auf dieselbe Ebene der Betriebshierarchie und setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (BAG, Urteil vom 23.05.2005 - 2 AZR 95/05 - EzA § 1 KSchG Nr. 55 soziale Auswahl).

b. Der Kläger war vergleichbar mit Herrn K . Dieser war wie der Kläger Kurierfahrer gewesen. Insoweit war die erforderliche Austauschbarkeit gegeben. Dass der Kläger die im Terminal Handling anfallenden Arbeiten nicht hätte verrichten können, ist nicht ersichtlich, von der Beklagten auch nicht nachvollziehbar dargelegt. Herr K war ebenso wie der Kläger vollzeitbeschäftigt. Dass er ab November 2005 einvernehmlich eine Teilzeitbeschäftigung übernahm, steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen. Zu diesem Zeitpunkt - November 2005 - stand der Kläger zur Kündigung an. Er befand sich insoweit in derselben Situation wie Herr K . Auch bei ihm stellte sich die Frage, zu welchen Bedingungen er in Zukunft weiterbeschäftigt werden konnte. Die Beklagte hätte also die erforderliche soziale Auswahl zu diesem Zeitpunkt vornehmen müssen.

Die danach vorzunehmende Sozialauswahl führt dazu, dass Herr K unter Zugrundelegung der Kriterien des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG im Verhältnis zum Kläger der sozial weniger schutzbedürftige und deshalb zu kündigen war. Bei Anwendung der von den Betriebsparteien vereinbarten Auswahlrichtlinien (Anlage 1 zum Sozialplan) kommt der Kläger auf 117 Punkte, Herr K dagegen lediglich auf 101 Punkte. Der Kläger war danach deutlich schutzbedürftiger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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