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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 13.08.2002
Aktenzeichen: 12 Ta 244/02
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 99
BetrVG § 100
ZPO § 935
ZPO § 940
ArbGG § 85 II
1. Auch im Bereich der personellen Mitbestimmung ist eine auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers gerichtete Einstweilige Verfügung möglich.

2. Zu Voraussetzungen und Inhalt einer diesbezüglichen Einstweiligen Verfügung.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 12 Ta 244/02

In dem Beschwerdeverfahren

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln am 13.08.2002 - ohne mündliche Verhandlung - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Leisten

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 03.07.2002 - 6 BVGa 12/02 - teilweise abgeändert:

a) Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens - 4 BV 48/02 - Arbeitsgericht Aachen, zu unterlassen, Einstellungen von Mitarbeitern vorzunehmen, ohne die Zustimmung des Betriebsrates eingeholt zu haben oder die Zustimmung des Betriebsrates ersetzen zu lassen oder den Betriebsrat im Sinne einer vorläufigen personellen Maßnahme beteiligt zu haben.

b) Den Antragsgegnerinnen wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,- € angedroht.

c) Im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

1. Die weitergehende Beschwerde des Betriebsrates wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Der Antragsteller nimmt die Antragsgegnerinnen im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch.

Am 08.05.2002 wurde für diese beiden Unternehmen ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt. Bislang bestand in ihnen jeweils ein eigener Betriebsrat. Im Verfahren 4 BV 48/02, Arbeitsgericht Aachen, wurde die Unwirksamkeit dieser Wahl durch Beschluss vom 02.07.2002 festgestellt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. In einem weiteren Verfahren 6 BV 56/02, Arbeitsgericht Aachen, machen die Antragsgegnerinnen geltend, es liege kein Gemeinschaftsbetrieb vor, so dass die Wahl vom 08.05.2002 schon deshalb unwirksam sei.

Mit der Begründung, die Antragsgegnerinnen missachteten die ihm zustehenden Mitbestimmungsrechte, begehrt der Betriebsrat mit am 02.07.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenem Antrag den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit folgendem Inhalt:

1. Die Antragsgegnerinnen werden verpflichtet, die Mitbestimmungsrechte des Antragstellers bei personellen Einzelmaßnahmen im Sinne von § 99 BetrVG, insbesondere bei der Einstellung von Arbeitnehmern, zu beachten, d. h. den Betriebsrat vor Durchführung personeller Einzelmaßnahmen zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der beteiligten Arbeitnehmer zu geben, unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen zu geben und die Zustimmung des Betriebsrates zu der geplanten Maßnahme einzuholen;

2. die Antragsgegner zu verpflichten, es zu unterlassen, Einstellungen von Mitarbeitern vorzunehmen, bevor die erforderliche Zustimmung des Betriebsrates nach § 99 Abs. 1 BetrVG erteilt oder eine etwaig fehlende Zustimmung gemäß § 100 BetrVG durch das Arbeitsgericht ersetzt wurde;

3. den Antragsgegnern für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld/Zwangsgeld in höchst zulässiger Höhe, ersatzweise Zwangshaft, zu vollziehen in der Person der Geschäftsführer, anzudrohen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 03.07.2002 die Anträge zurückgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung, bei Verstößen gegen die Zustimmungsrechte des Betriebsrates nach § 99 BetrVG hätten die Sanktionen nach §§ 100, 101 BetrVG abschließenden Charakter, dadurch werde der Erlass einer einstweiligen Verfügung ausgeschlossen.

Gegen diesen ihm am 05.07.2002 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 18.07.2002 beim Landesarbeitsgericht sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt. Er tritt der Rechtsaufassung des Arbeitsgerichts entgegen und weist darauf hin, dass zur Wahrung seiner Rechte der Erlass der nachgesuchten einstweiligen Verfügung erforderlich sei. Insbesondere stelle die Arbeitgeberin nach wie vor Zeitungszusteller, insbesondere zur Urlaubsvertretung ein.

Der Betriebsrat beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Aachen vom 03.07.2002 - 6 BVGa 12/01 - entsprechend den diesseitigen Anträgen vom 02.07.2002 eine einstweilige Verfügung gegen die Beschwerdegegnerinnen zu erlassen.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie vertreten zum einen die Ansicht, es fehle bereits an der Eilbedürftigkeit des vorliegenden Verfahrens. Im übrigen werde durch den vom Betriebsrat gestellten umfassenden Leistungsantrag die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen.

Im übrigen habe das Arbeitsgericht zutreffend einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates verneint.

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

I. Die zulässige Beschwerde ist in dem erkannten Umfang - teilweise - begründet. Insoweit liegen die zum Erlass der einstweiligen Verfügung erforderlichen Voraussetzungen, nämlich Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund vor (§§ 935, 940 ZPO, 85 Abs. 2 ArbGG).

1. Entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Ansicht ist auch zur Sicherung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 99 BetrVG also im Bereich der personellen Mitbestimmung, eine einstweilige Verfügung möglich. § 101 BetrVG enthält für den vorbeugenden Rechtsschutz keine abschließende Regelung. Gegenstand der einstweiligen Verfügung kann nämlich jeder betriebsverfassungsrechtliche Anspruch sein, also auch ein solcher auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Handlungen (vgl. dazu Leisten, BB 92, 266, 271; Soost/Hummel, AIB 2000, 621, 622, 623, jeweils m.w.N.; Fitting/Kaiser/Heiter/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Auflage, Rdnr. 12 zu § 101; LAG Hessen, Beschluss vom 15.12.1998 - 4 TaBV 107/98 - NZA-RR 99, 584).

Erforderlich für den Erlass der einstweiligen Verfügung ist weiter das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Es muss also die Gefahr bestehen, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Anspruches vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dabei hat angesichts der Tatsache, dass die einstweilige Verfügung bereits Erfüllungswirkung hat, eine umfassende Interessenabwägung stattzufinden. Bei dieser Abwägung ist der Zweck der angestrebten einstweiligen Verfügung zu berücksichtigen. Diese dient der Sicherung des Mitbestimmungsrechtes, soll also verhindern, dass der Arbeitgeber mitbestimmungspflichtige Sachverhalte einseitig regelt und damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates leer läuft. Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten, ist oftmals, wenn nicht regelmäßig, ungeeignet zur Sicherung der Rechte des Betriebsrates, da diese schon erstinstanzlich mehrere Monate in Anspruch nimmt und die etwa zugunsten des Betriebsrates ergehende Entscheidung erst mit Rechtskraft vollstreckbar ist. Dies bedeutet in vielen Fällen, dass der Betriebsrat mitbestimmungswidrigem Verhalten der Arbeitgeberseite letztendlich wehrlos ausgesetzt ist. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen es lediglich um kurzfristige (befristete) Einstellungen geht (vgl. dazu Leisten, a.a.O., Seite 271, 272).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze liegen die für den Erlass der einstweiligen Verfügung mit dem zuerkannten Inhalt die erforderlichen Voraussetzungen vor.

a) Die Arbeitgeberin beteiligt den am 08.05.2002 gewählten Betriebsrat, den Antragsteller, bei der Einstellung von Zeitungszustellern entgegen § 99 Abs. 1 BetrVG konsequent nicht. Insoweit ist es unerheblich, dass die Unwirksamkeit der Wahl geltend gemacht ist. Bis zum rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens 4 BV 48/02, Arbeitsgericht Aachen, ist der Betriebsrat im Amt, und zwar mit allen sich ergebenden Rechten und Pflichten (vgl. Fitting/Kaiser/Heiter/Engels/Schmidt, a.a.O., Rdnr. 49, 50 zu § 19). Dass die Wahl nichtig wäre, steht nicht fest, und ist im vorliegenden Verfahren auch nicht zu klären. Das Arbeitsgericht hat im Beschluss vom 02.07.2002 nur die Unwirksamkeit (Anfechtbarkeit) der Wahl festgestellt.

Andererseits muss die hier getroffene Regelung, da sie nur eine vorläufige sein kann, zeitlich begrenzt werden, nämlich bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens 4 BV 48/02. Sollte in diesem Verfahren die Unwirksamkeit der Wahl rechtskräftig festgestellt werden, ist der Antragsteller nicht mehr existent. Mitbestimmungsrechte können daher nicht mehr tangiert werden. Dem ist durch den Inhalt der zu treffenden Regelung Rechnung zu tragen.

b) Die dem Betriebsrat bis dahin zustehenden Rechte missachtet die Arbeitgeberin konsequent. Sie stellt Zeitungszusteller ein, ohne den Betriebsrat nach §§ 99, 100 BetrVG zu beteiligen. Zur Sicherung der dem Betriebsrat insoweit zustehenden Mitbestimmungsrechte ist deshalb die einstweilige Verfügung erforderlich. Diese beschränkt sich jedoch auf den Mitbestimmungstatbestand der Einstellung. Dass die Arbeitgeberin bei anderen personellen Maßnahmen, etwa bei Versetzungen, Mitbestimmungsrechte verletzt hätte, ist vom Antragsteller nicht konkret vorgetragen. Insoweit besteht kein Bedürfnis, eine auch nur vorläufige Regelung zu treffen.

c) Eine weitere Beschränkung der zu treffenden Regelung ergibt sich daraus, dass §§ 99, 100 BetrVG eine in sich geschlossene Regelung darstellen. Macht der Arbeitgeber, nachdem der Betriebsrat die nachgesuchte Zustimmung nicht erteilt hat das Zustimmungsersetzungsverfahren anhängig, so stellt das Gesetz in § 100 BetrVG für eine vorläufige Regelung eine ausreichende Gestaltungsmöglichkeit zur Verfügung, so dass für eine einstweilige Verfügung nach § 85 Abs. 2 ArbGG kein Raum ist und kein Bedürfnis besteht. §§ 99, 100 BetrVG enthalten eine in sich geschlossene, aufeinander abgestimmte Regelung, insbesondere auch für die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens. Würde man trotzdem eine einstweilige Verfügung zulassen, die darauf gerichtet ist, die Durchführung der personellen Maßnahmen zu untersagen, würde die Regelung in § 100 BetrVG leer laufen (vgl. dazu Leisten, a.a.O., Seite 272; vgl. auch LAG Hessen, Beschluss vom 15.12.1998 - 4 TaBV 107/98 - NZA-RR 584 ff.). Dieser Rechtslage ist bei der Tenorrierung Rechnung getragen worden.

1. Was die Höhe des anzudrohenden Ordnungsgeldes angeht, hat das Landesarbeitsgericht sich an § 23 Abs. 3 Satz 2 und 4 BetrVG orientiert. Angesichts der Tatsache, dass es sich teilweise lediglich um befristete Einstellungen handelt, erscheint dieser Rahmen angemessen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Ende der Entscheidung

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