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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 04.10.2005
Aktenzeichen: 13 (6) Sa 626/05
Rechtsgebiete: NVChor/Tanz


Vorschriften:

NVChor/Tanz § 54 Abs. 3
NVChor/Tanz § 62 Abs. 2
NVChor/Tanz § 62 Abs. 3
"Carmina Burana" ist eine große Choroper i. S. d. § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz
Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.02.2005 - 11 (10) Ca 14065/03 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten über die Frage, ob die Kläger/innen (Aufhebungsbeklagte des vorliegenden Verfahrens) für die Mitwirkung bei der Aufführung des Werkes "Carmina Burana" von Carl Orff eine Sondervergütung von der Beklagten (Aufhebungsklägerin des vorliegenden Verfahrens) beanspruchen können. Die Kläger/innen sind Mitglieder des Opernchores der Beklagten. Auf die Arbeitsverhältnisse finden kraft Tarifbindung oder einzelvertraglicher Vereinbarung die Regelungen des Normalvertrages Chor/Tanz (NV Chor/Tanz) vom 02.11.2000 in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. Am 30.06.2002 beteiligten sich die Kläger/innen an einer von der Beklagten in der F N veranstalteten Aufführung des Werkes "Carmina Burana". Sie sangen dabei "vom Blatt". Die Kläger/innen haben die Ansicht vertreten, die Beklagte müsste ihnen dafür eine Sondervergütung gemäß § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz zahlen, da es sich um eine große Choroper in fremder Sprache handele. Sie haben die Beklagte demgemäß beim Schiedsgericht für Opernchöre im Verfahren BSchG C 9/02 auf Zahlung wie folgt in Anspruch genommen: An den Kläger zu 1) 21,26 €, an die Klägerin zu 2) 21,73 €, an die Klägerin zu 3), den Kläger zu 4), den Kläger zu 5) je 20,28 €, an den Kläger zu 6) 20,25 €, an den Kläger zu 7) 1976 €, an den Kläger zu 8) 20,32 €, an den Kläger zu 9) und die Klägerin zu 10) je 22,12 €, an die Klägerin zu 11) 20,28 € und an den Kläger zu 12) 19,89 € nebst 4 % Zinsen seit dem 15.08.2002. Das Schiedsgericht hat den Anträgen durch Schiedsspruch vom 19.02.2003 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberschiedsgericht für Opernchöre den Schiedsspruch am 11.09.2003 bestätigt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Schiedsspruch - OschG 3/03 - Bezug genommen (Bl. 20 ff. d. A.). Gegen diesen ihr am 26.11.2003 zugestellten Schiedsspruch hat die Beklagte am 9.12.2003 Aufhebungsklage beim Arbeitsgericht Köln erhoben und vorgetragen, der Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts beruhe auf einer Verletzung der §§ 54, 58 und 52 NV Chor/Tanz. Die Auslegung des Tarifvertrages ergebe, dass es sich bei der hier streitigen Veranstaltung um keine große Choroper und auch keine Vorstellung im Sinne des § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz handele, sondern um eine konzertante Aufführung eines musikalischen Bühnenwerkes im Sinne des § 62 Abs. 3 NV Chor/Tanz. Beide Sondervergütungstatbestände könnten nicht nebeneinander vorliegen. Bei § 62 Abs. 3 NV Chor/Tanz handele es sich um gegenüber § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz um eine Spezialvorschrift. Die Beklagte hat beantragt, den Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts für Opernchöre vom 19.02.2003 (AZ.: BSchG C 9/02) und den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts vom 11.09.2003 (AZ.: OSchG C 3/03) aufzuheben und die Klage der hiesigen Beklagten gegen die hiesige Klägerin vom 25.09.2002 abzuweisen. Die Kläger/innen haben beantragt, die Aufhebungsklage abzuweisen. Sie haben vorgetragen, bei dem Tatbestandsmerkmal "große Choroper" käme es nicht auf eine musikwissenschaftliche Einordnung an, da die Tarifvertragsparteien nach einer Protokollnotiz gemäß § 54 Abs. 3 des NV Chor/Tanz für die Beantwortung der Frage, ob von einer großen oder mittleren Choroper auszugehen sei, die Einordnung des Werkes in der 8. Auflage des Handbuchs der Oper von Rudolf Kloiber als maßgeblich ansehen. Die Begriffe "Vorstellung" und "Aufführung" im Tarifvertrag würden darüber hinaus synonym gebraucht. Schließlich könne der Sondervergütungstatbestand gemäß § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz, auch für den Fall gegeben sein, dass es sich um eine konzertante Aufführung eines musikalischen Bühnenwerkes im Sinne des § 62 Abs. 3 NV Chor/Tanz handele. Das Arbeitsgericht hat die Aufhebungsklage durch Urteil vom 23.02.2005 abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe Bl. 66 ff. d. A. wird Bezug genommen. Gegen dieses ihr am 08.04.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.05.2005 Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt und das Rechtsmittel am 08.06.2005 begründet. Sie hält an ihren Rechtsansichten fest und beantragt, - unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 23.02.2005 - den Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts für Opernchöre vom 19.02.2003 (Az. BSchG C 9/02) und den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts für Opernchöre vom 11.09.2003 (Az. OschG C 3/03) aufzuheben und die Klage der hiesigen Beklagten gegen die hiesige Klägerin vom 25.09.2002 abzuweisen. Die Kläger/innen beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Wegen aller weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vortrags wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze verwiesen. Entscheidungsgründe: I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist. II. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. 1. Die Kläger/innen haben Anspruch auf die in der Höhe unstreitige Sondervergütung gemäß § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz. Denn sie haben am 30.06.2002 in der F N an der Aufführung des Werkes "Carmina Burana" mitgewirkt. Nach § 62 Abs. 2 c NV Chor/Tanz erhält das Opernchormitglied neben der Vergütung zusätzlich für das Singen einer großen Choroper in fremder Sprache eine Drittel-Tagesgage je Vorstellung. a) Das Werk "Carmina Burana" von Carl Orff ist eine große Choroper im Sinne des § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz. Das Arbeitsgericht und die Schiedsgerichte gehen zu Recht davon aus, dass die Tarifvertragsparteien die Einordnung eines Werkes nicht nach musikwissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen haben. Von einer großen Choroper iS des Tarifvertrages ist vielmehr auszugehen, wenn die Voraussetzungen der Protokollnotiz vorliegen, auf die gemäß § 54 Abs. 3 b) NV Chor/Tanz verwiesen wird. Die Protokollnotiz lautet: "Ob für den Herrenchor oder den Damenchor eine große oder mittlere Choroper vorliegt, bestimmt sich nach der 8. Auflage des "Handbuch der Oper" von Rudolf Kloiber. Nicht im "Handbuch der Oper" aufgeführte Opern sind nach gleichen Maßstäben zu beurteilen." aa) Dieses von den Tarifvertragsparteien in Bezug genommene "Handbuch der Oper" enthält, worauf bereits das Arbeitsgericht und die Schiedsgerichte hingewiesen haben, keine Charakterisierung der vorgestellten Opern als große oder mittlere Choropern. Vielmehr erfolgt für jedes Werk unter dem Stichwort Chor die Differenzierung als "kleine", "mittlere" oder "große Chorpartie". Es geht bei dieser Charakterisierung demnach nicht darum, ob eine Oper groß oder lang ist, sondern - und dies ist für einen Opernchor allein von Interesse - um die Frage, in welchem Umfang der Chor in der Oper zum Einsatz kommt. Die Tarifvertragsparteien haben damit durch die Bezugnahme auf das "Handbuch der Oper" klargestellt, dass unter "großer Choroper" eine große Chorpartie im Sinne der 8. Auflage des "Handbuch der Oper" von Rudolf Kloiber zu verstehen ist. bb) Aus den genannten Gründen kommt es, entgegen der Auffassung der Beklagten, auch nicht darauf an, ob es sich bei "Carmina Burana" überhaupt um eine Oper im musikwissenschaftlichen Sinn handelt. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um ein musikalisches Werk handelt, das in dem von den Tarifvertragsparteien in Bezug genommenen "Handbuch der Oper" aufgenommen ist und in dem der Chor eine große Chorpartie zu singen hat. b) Die Kläger/innen haben vorliegend auch in einer Vorstellung im Sinne der Tarifvorschrift gesungen. Der Begriff der Vorstellung wird im Theater, einschließlich des Musiktheaters sowie im Film synonym für den Begriff Aufführung oder Darbietung verwand ( vgl. dazu Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Stichwort Vorstellung S.1711). c) Schließlich hat der Chor auch in fremder Sprache gesungen. Denn die Texte der "Carmina Burana" sind in stark verballhorntem Spätlatein (Vulgärlatein) und Mittelhochdeutsch geschrieben. 2. Der Sondervergütung nach § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz steht nicht entgegen, dass die Kläger/innen zugleich an einer konzertanten Aufführung eines musikalischen Bühnenwerkes im Sinne des § 62 Abs. 3 NV Chor/Tanz mitgewirkt haben. a) Unter einer konzertanten Aufführung musikalischer Bühnenwerke ist deren Aufführung unter Verzicht auf eine szenische Darstellung, also reduziert auf die musikalische Präsentation, zu verstehen. Dies trifft auf die hier streitige Aufführung der "Carmina Burana" zu. Denn sie wurde nicht szenisch aufgeführt, sondern lediglich musikalisch dargeboten, wozu auch gehört, dass der Chor "vom Blatt" gesungen hat. b) Damit können die Kläger/innen zwar keine Sondervergütung nach § 62 Abs. 3 NV Chor/Tanz beanspruchen. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Sondervergütung nach § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz ausgeschlossen ist. Das Gericht folgt - wie das Arbeitsgericht - den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Auslegung von normativen Bestimmungen in Tarifverträgen. Danach ist wie bei der Gesetzesauslegung vom Tarifwortlaut auszugehen und über den reinen Wortsinn hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm, sofern und soweit sie in den tariflichen Bestimmungen ihren Niederschlag gefunden haben unter Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs, auszugehen (ständige Rechtsprechung vgl. BAG, 12.09.1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308 m. w. N.). Vorliegend ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift in § 62 Abs. 2 c) und § 62 Abs. 3 NV Chor/Tanz, noch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, dass die Vorschrift des § 62 Abs. 3 als lex specialis die Vorschrift des § 62 Abs. 2 c) NV Chor/Tanz verdrängt. Vielmehr stehen beide Vorschriften nebeneinander und greifen nur insoweit ein, als die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben sind. Auch ihrem Sinn und Zweck nach stellen beide Tarifnormen auf Unterschiedliches ab. Die Vorschrift des § 62 Abs. 2 c) verlangt für die Sondervergütung das Singen in einer "großen Chorpartie" und darüber hinaus "in fremder Sprache". Demgegenüber stellt die Tarifvorschrift des § 62 Abs. 3 allein auf die Mitwirkung in einem Konzert ab und lässt die Sondervergütung nur bei Konzerten aus besonderen Anlässen oder konzertanten Aufführungen eines musikalischen Bühnenwerkes entfallen. Diese Tarifnorm erfasst ihrem Sinn und Zweck nach demnach nicht den unter § 62 Abs. 2 c) geregelten Anwendungsbereich und verdrängt diese somit nicht als Spezialvorschrift. III. Die Berufung war daher mit der Kostenfolge gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. IV. Die Revision war gemäß §§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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