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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 16.07.2009
Aktenzeichen: 13 Sa 330/09
Rechtsgebiete: TVÜ-VKA


Vorschriften:

TVÜ-VKA § 11
1. Die Zahlung eines kindergeldbezogenen Entgeltbestandteils nach § 11 TVÜ-VKA erfolgt nur, solange für das Kind ununterbrochen Kindergeld gezahlt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1).

2. Die in § 11 Abs. 1 Satz 3 aufgezählten Ausnahmetatbestände sind abschließend und enthalten keine beispielhafte Aufzählung, die darüber hinaus weitere unbenannte Unterbrechungstatbestände erfasst - anders LAG Niedersachsen, 16.11.2007, 3 Sa 9/07 -.


Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.11.2008 - 5 Ca 7903/08 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Frage, ob dem Kläger ein kindergeldbezogener Entgeltbestandteil nach § 11 TVÜ-VK zusteht.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.04.1993 als Schlosser beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 16.03.1983 nimmt Bezug auf die Tarifverträge, "die für tarifgebundene Arbeiter der Stadt K jeweils gültig sind". Dies ist nunmehr, nach Überleitung des BMT-G sowie des BZT-G/NRW durch den Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber (TVÜ-VKA vom 13.09.2005) der TVöD-VKA.

Der Kläger erhielt vom 01.11.1987 bis 31.01.2007 für seinen am 19.11.1987 geborenen Sohn S neben dem Kindergeld von der Beklagten einen kinderbezogenen Sozialzuschlag. S absolvierte vom 01.08.2003 bis 30.01.2007 erfolgreich eine Berufsausbildung zum Zerspannungsmechaniker. Vom 31.01.2007 bis 31.01.2008 war er in seinem Ausbildungsberuf tätig. Er erhielt in dieser Zeit kein Kindergeld und von der Beklagten keinen kindergeldbezogenen Sozialzuschlag. Seit dem 06.02.2008 besucht er die s T W , eine Fachschule für Technik im Schwerpunkt Produktions- und Qualitätsmanagement. Diese Weiterbildung wird voraussichtlich am 28.01.2010 beendet sein. Zu den Zugangsvoraussetzungen dieser Fachschule für Technik gehören eine Ausbildung in dem Berufsfeld Maschinentechnik sowie eine einjährige einschlägige Berufspraxis nach der Ausbildung. Seit Beginn dieser Ausbildung erhält der Kläger für seinen Sohn wieder Kindergeld. Die Beklagte wies den Antrag des Klägers vom 14.05.2008 auf Zahlung eines Orts-/Sozialzuschlags für die Dauer vom 01.02.2008 bis 29.01.2010 wegen der Unterbrechung bei der Kindergeldzahlung nach § 11 TVÜ-VKA zurück.

Das Arbeitsgericht hat die Leistungsklage auf kinderbezogene Entgeltbestandteile für das Kind S seit Februar 2008 in Höhe von monatlich 90,57 € brutto, insgesamt in Höhe von 633,39 € brutto sowie die Feststellungsklage, dass die Beklagte auch zukünftig bis zum 28.10.2010 verpflichtet sei, für das Kind S einen monatlichen kinderbezogenen Entgeltbestandteil in Höhe von 90,57 € brutto zu zahlen, abgewiesen. Auf das Urteil (Bl. 61 - 66 d. A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, der weiter der Auffassung ist, er habe Anspruch auf Zahlung der kinderbezogenen Entgeltbestandteile, da es sich im Streitfall um eine unschädliche Unterbrechung im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA handele. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Aufzählung in § 11 Abs.1 Satz 3 TVÜ-VKA nicht abschließend sei und es daneben weitere Unterbrechungen gebe, die ebenfalls unschädlich seien. Für diese Auslegung beruft sich der Kläger auf die Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 16.11.2007 (3 Sa 9/07).

Der Kläger beantragt,

das Urteil abzuändern und nach seinen erstinstanzlichen Schlussanträgen zu erkennen.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das für den Feststellungsantrag nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, auch wenn für den zurückliegenden Zeitraum ein Leistungsantrag möglich wäre. Es ist nämlich zu erwarten, dass die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin die entsprechende Zahlung leisten wird.

1. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an den Kläger für den Zeitraum 01.02.2008 bis 29.01.2010 einen kinderbezogenen Entgeltbestandteil in Höhe von monatlich 90,57 € brutto zu zahlen. Denn die allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommende Tarifnorm des § 11 Abs. 1 Satz 1 Grundsatz 3 TVÜ-VKA, die unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, greift nach der hier vertretenen Auslegung - die nicht dem LAG Niedersachen (Urteil vom 16.11.2007 - 3 Sa 9/07) folgt - nicht ein.

a. § 11 TVÜ-VKA lautet (soweit hier von Interesse):

"(1) Für im September 2005 zu berücksichtigende Kinder werden die kinderbezogenen Entgeltbestandteile des ... BMT-G... in der für September 2005 zustehenden Höhe als Besitzstandszulage fortgezahlt, solange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ununterbrochen gezahlt wird oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG gezahlt würde....

Unterbrechungen wegen der Ableistung von Grundwehrdienst, Zivildienst oder Wehrübungen sowie die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres sind unschädlich; soweit die unschädliche Unterbrechung bereits im Monat September 2005 vorliegt, wird die Besitzstandszulage ab dem Zeitpunkt des Wiederauflebens der Kindergeldzahlung gewährt.

..."

Durch Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum TVÜ-VKA vom 31. März 2008 ist § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA mit Wirkung zum 01. Juli 2008 u. a. um folgende Protokollerklärungen ergänzt worden:

"1. Die Unterbrechung der Entgeltzahlung im September 2005 wegen Elternzeit, Wehr- oder Zivildienstes, Sonderurlaubs, bei dem der Arbeitgeber vor Antritt ein dienstliches oder betriebliches Interesse an der Beurlaubung anerkannt hat, Bezuges einer Rente auf Zeit wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder wegen des Ablaufs der Krankenbezugsfristen ist für das Entstehen des Anspruchs auf die Besitzstandszulage unschädlich. Für die Höhe der Besitzstandszulage nach Satz 1 gilt § 5 Abs. 6 entsprechend."

b. Nach dem Wortlaut der Tarifnorm (§ 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA) sind die kinderbezogenen Entgeltbestandteile nur fortzuzahlen, solange für das Kind ununterbrochen Kindergeld gezahlt wird. Dieser Wortlaut ist eindeutig und nicht auslegungsbedürftig oder -fähig: Die Zahlung kinderbezogener Entgeltbestandteile setzt danach eine ununterbrochene Zahlung von Kindergeld voraus. Der Kläger hat unstreitig für die Zeit seiner Berufstätigkeit nach erfolgreicher Ausbildung zum Zerspannungsmechaniker vom 31.01.2007 bis 31.01.2008 mangels Berechtigung kein Kindergeld erhalten. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 liegen damit nicht vor.

c. Zugunsten des Klägers greift auch nicht § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA ein, da der Kläger unter keinen der dort genannten Tatbestände (Grundwehrdienst, Zivildienst oder Wehrübungen wie freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr)fällt, die eine Unterbrechung unschädlich machen.

d. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Protokollerklärung vom 01.07.2008 (Absatz 1). Darin haben die Tarifvertragsparteien die Tatbestände, die zu einer unschädlichen Unterbrechung führen, ergänzt durch: Elternzeit, Wehr- Zivildienst, Sonderurlaub, befristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder wegen des Ablaufs der Krankenbezugsfristen. Die Berufstätigkeit des Klägers im hier streitigen Zeitraum erfüllt keinen dieser Unterbrechungstatbestände.

2. Die Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA ergibt, entgegen der Auffassung der Beklagten, nicht, dass es sich bei den in der Tarifnorm und der Protokollnotiz aufgeführten Ausnahmetatbeständen um eine beispielhafte Aufzählung handelt, die darüber hinaus weitere unbenannte, Unterbrechungstatbestände - darunter die Berufstätigkeit des Klägers - erfasst. Die Ausnahmetatbestände sind vielmehr abschließend geregelt.

a. Das Berufungsgericht folgt insoweit nicht der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16.11.2007 (3 Sa 9/07). Darin wird die Auffassung vertreten, die Formulierung des § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA lasse sowohl die Deutung zu, dass nur die hier genannten Unterbrechungen ausnahmsweise unschädlich sein sollen, als auch die Deutung, es handele sich nur um eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung der privilegierten Unterbrechungstatbestände. Allerdings betrifft die Entscheidung des LAG Niedersachsen, worauf das Arbeitsgericht zu Recht hinweist, eine andere Fallgestaltung, nämlich die Zahlung kindergeldbezogene Entgeltbestandteile während der Elternzeit. Sie befasst sich daher in erster Linie mit der Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA und der darin geregelten Stichtagregelung (September 2005).

b. Der normative Teil eines Tarifvertrages ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne an den Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist jedoch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden können. Noch verbleibende Zweifel können ohne Bindung an eine Reihenfolge mittels weiterer Kriterien wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch der praktischen Tarifübung geklärt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa BAG 27.04.2006 - 6 AZR 437/05).

c. Bereits der Wortlaut der Tarifnorm spricht für eine abschließende Aufzählung der Unterbrechungstatbestände. Denn es fehlt jeder Zusatz, wie etwa "zum Beispiel" oder "insbesondere", der daraufhin deuten könnte, dass es sich lediglich um Beispielsfälle handelt. Dasselbe gilt für die Aufzählung in der Protokollerklärung.

d. Bestätigt wird diese Auslegung durch den Gesamtzusammenhang der Tarifnorm. Denn § 11 Abs. 1 Satz 3 betrifft die ausnahmsweise entgegen den allgemeinen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigenden Unterbrechungstatbestände. Dieses Regel - Ausnahmeverhältnis spricht für eine restriktive Auslegung der Ausnahmetatbestände.

e. Darüber hinaus entspricht diese restriktive Auslegung der Ausnahmetatbestände als abschließende Regelung auch der Sinn und Zweck der gesamten Tarifregelung des § 11 TVÜ-VKA. Danach haben die Tarifvertragsparteien in Umstellung der bisherigen Tarifverträge den (BAT und BMT-G) ausdrücklich keine kinderbezogenen Besitzstandszulagen mehr vorgesehen. Lediglich für den Zeitpunkt des Übergangs werden bei bereits bestehenden Beschäftigungsverhältnissen noch kinderbezogene Leistungen als zeitlich auslaufende Besitzstandszahlungen geleistet. Wenn die Anspruchsvoraussetzungen für eine solche Leistung einmal weggefallen sind, dann soll diese Leistung auch nicht mehr aufleben.

3. Doch selbst wenn man mit dem Kläger die Aufzählung der Ausnahmetatbestände nicht als abschließend ansehen würde, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Denn der der Unterbrechung der Kindergeldzahlung im Streitfall zugrundeliegende Sachverhalt ist nicht vergleichbar mit denjenigen, die in § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA und der Protokollerklärung aufgezählt werden. Der Kläger hat eine vollwertige Berufsausbildung abgeschlossen, im Anschluss daran in diesem Beruf als Schlosser gearbeitet und danach ein Weiterbildungsstudium aufgenommen. Allein der Umstand, dass die einschlägige einjährige Berufspraxis nach Ausbildung Zugangsvoraussetzung für die Weiterbildung ist, macht diesen Sachverhalt nicht vergleichbar mit den Unterbrechungstatbeständen, die in der Tarifnorm und der Protokollerklärung der Tarifvertragsparteien aufgeführt sind. Denn keiner dieser Tatbestände regelt eine Unterbrechung der Kindergeldzahlung wegen der Aufnahme einer Berufstätigkeit nach abgeschlossener Berufsausbildung. Zudem beruht die Unterbrechung beim Kläger, auf einer freiwilligen Entscheidung zur Berufsaufnahme nach abgeschlossener Ausbildung, was eher den Regel- als den Ausnahmefall betrifft. Den tariflich geregelten Unterbrechungstatbeständen, wie etwa Zivil- oder Wehrdienst, Elternzeit, Rente wegen befristeter Erwerbsminderung oder Sonderurlaub ist jedoch gemeinsam, dass sie abgrenzbare Sonderfälle des Berufslebens betreffen und damit dem Ausnahmecharakter dieser Regelungen Rechnung tragen.

II. Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

III. Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Ziffern 1,2 ArbGG zuzulassen.

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