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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 21.06.2004
Aktenzeichen: 2 (9) Sa 161/04
Rechtsgebiete: BZT-G/NRW, BMTG


Vorschriften:

BZT-G/NRW § 4 Abs. 4
BMTG § 20
Die Leistungszulage nach § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW ist stets auf ein Jahr befristet und entfällt nach Zeitablauf. Dies ergibt die Tarifauslegung. Das Zulagevolumen ist jedes Jahr neu unter Beteiligung und auf Vorschlag der paritätischen Kommission zu verteilen. Die Befristung umgeht den Änderungskündigungsschutz nicht, da sie mit Sachgrund erfolgt. Allein die jährliche Neuverteilung ist geeignet, gleiche Zugangsmöglichkeit und gleichen Bewertungsmaßstab für alle Arbeiter zu gewährleisten.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 (9) Sa 161/04

Verkündet am 21. Juni 2004

In Sachen

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 21.06.2004 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Olesch als Vorsitzende sowie die ehrenamtlichen Richter Salm und Leßmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.09.2004 - 3 Ca 13330/02 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für die Monate Oktober 2002 bis einschließlich September 2003 einen monatlichen Leistungszuschlag in Höhe von 46,02 € zu zahlen.

Bis einschließlich zum 30.09.2002 hat der Kläger diesen monatlichen Leistungszuschlag auf der Grundlage von § 4 Abs. 4 des Bezirkszusatztarifvertrages (BZT-G/NRW) für gemeindliche Arbeiter in Nordrhein-Westfalen zu § 20 Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) erhalten. Die Tarifverträge sind auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anwendbar. § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW lautet in der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Fassung vom 07.12.1990 wie folgt:

An Arbeiter, deren Leistungen dauernd über dem Durchschnitt der Leistungen liegen, die normalerweise von Arbeitern der gleichen Berufsgruppe erwartet werden können, werden Leistungszuschläge gezahlt. Sie müssen im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Betriebs bzw. der Verwaltung liegen und dürfen im Einzelfall zehn von hundert des Monatstabellenlohnes der Stufe 1 der jeweils nächst niedrigeren Lohngruppe des Arbeiters - für Arbeiter der Lohngruppe 1 ist die Stufe 1 anzusetzen - und insgesamt 3,5 vom hundert der Summe der Monatstabellenlöhne der Stufe 1 des Betriebes, der Verwaltung bzw. des Verwaltungszweiges nicht überschreiten...

Über die Leistungszuschläge ist jährlich neu zu entscheiden.

Die jederzeit widerruflichen Leistungszuschläge gewährt der Arbeitgeber auf schriftlich begründeten Vorschlag der für die Abnahme der Werkprüfung eingesetzten oder einer gleichwertigen, dem Beruf entsprechenden Kommission.

Vor einem Widerruf ist die Kommission zu hören.

Vor der Änderung des Tarifvertrages im Jahre 1990 fehlte der Satz "Über die Leistungszuschläge ist jährlich neu zu entscheiden."

Mit Schreiben vom 17.09.2001 hatte die Werkprüfungskommission dem Arbeitgeber den Vorschlag gemacht, dem Kläger einen Leistungszuschlag für den Zeitraum vom 01.10.2001 bis 30.09.2002 in gleicher Höhe wie bisher weiter zu zahlen. Die Werkprüfungskommission stellte in diesem Schreiben auch fest, dass die Fachabteilung die Weitergewährung der Zuschläge befürwortete. Darauf hin wurde dem Kläger mit Schreiben vom 11.10.2001 Folgendes mitgeteilt:

Sehr geehrter Herr H ,

die Werkprüfungskommission hat vorgeschlagen, den Ihnen bewilligten Leistungszuschlag in Höhe von 90,00 DM monatlich weiterzuzahlen.

Ich entspreche diesem Vorschlag und habe veranlasst, dass der genannte Betrag ab 01.10.2001 wie bisher angewiesen wird.

Der Leistungszuschlag ist jederzeit widerrufbar und wird längstens bis 30.09.2002 gewährt. Für Ihre besondere Leistungsbereitschaft möchte ich mich bei dieser Gelegenheit herzlich bedanken.

Nachdem der Leistungszuschlag im Oktober 2002 nicht mehr gewährt wurde, äußerte die Beklagte mit Schreiben vom 19.11.2002, dass die gezeigten Leistungen eine Weitergewährung nicht rechtfertige.

Der Kläger vertritt die Ansicht, dass der Leistungszuschlag nicht durch bloßen Fristablauf entfalle. Vielmehr sei ein ausdrücklicher Widerruf erforderlich. Da er nicht abgemahnt worden sei, sei er nicht in hinreichender Weise darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Leistungen aus Sicht der Beklagten abgesunken seien. Insbesondere sei aber die Werksprüfungskommission nicht zum Entzug seiner Zulage angehört worden. Dies sei in jedem Fall erforderlich.

Nach Klageerhebung hat die Beklagte die Leistungszulage mit Wirkung ab Juli 2003 ausdrücklich widerrufen. Sie vertritt die Ansicht, dass die Leistungszulage wegen der jährlichen Überprüfungspflicht, die sich aus dem Tarifvertrag ergebe, stets nur auf ein Jahr befristet sei. Durch die Neuverteilung der Gelder im Folgejahr sei eine ausreichende Beteiligung der Werkprüfungskommission gegeben. Die Gelder seien für die Zeit ab 01.10.2002 neu vergeben worden, ohne den Kläger zu berücksichtigen. Mit den Leistungen des Klägers sei die Beklagte unzufrieden, er leiste unterdurchschnittlich und sei nur auf Druck von Kollegen bereit gewesen, Überstunden zu leisten.

Die erste Instanz hat die Zahlungsklage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Mit der Berufung beantragt der Kläger,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 3 Ca 13330/02 - aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 552,42 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab monatlicher Fälligkeit, beginnend ab dem 16.10.2002 aus je 46,02 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und fristgerechte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht ab dem 01.10.2002 der eingeklagte Leistungszuschlag nach § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW nicht zu. Dies ergibt sich durch Auslegung des Tarifvertrages.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen sachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG vom 21.03.2001 - 10 AZR 41/00 - AP TVG § 1 Tarifverträge Einzelhandel Nr. 75).

Damit ergibt sich, dass die Zulässigkeit der auf ein Jahr befristeten Gewährung der Zuschläge aus der ausdrücklich im Jahr 1990 in den Tarifvertrag eingefügten Regelung: "Über die Leistungszuschläge ist jährlich neu zu entscheiden" folgt. Eine solche neue Entscheidung ist nämlich nur dann möglich, wenn die zur Verteilung zur Verfügung stehenden Gelder nicht bereits festgelegt sind. Aus dem Gesamtzusammenhang des § 4 Abs. 4 ergibt sich, dass für eine Verwaltung oder einen Betrieb des öffentlichen Dienstes insgesamt unter allen Arbeitnehmern maximal 3,5 % der Summe der Monatstabellenlöhne der Stufe 1 verteilt werden können. Da dieses Verteilungsvolumen nach dem Tarifvertrag ausdrücklich jedes Jahr neu bestimmt und neu zugeteilt werden soll, ergibt sich bereits hieraus, dass dies nur dann möglich ist, wenn die Verteilung des Vorjahres nur einen einjährige Wirksamkeit hat. Andernfalls müsste um dem Tarifvertrag mit dem Postulat der jährlichen Neuverteilung entsprechen zu können, zunächst jedes Jahr gegenüber allen Leistungszuschlagsempfängern die Zulage ausdrücklich widerrufen werden. Der Wortlaut des Tarifvertrages gibt keinen Hinweis darauf, dass die Tarifvertragsparteien gerade durch die Einführung der jährlichen Neuentscheidung in den Tarifvertragstext ein solches kompliziertes jährliches Widerrufsverfahren in Gang setzen wollten.

Die daneben in dem Tarifvertrag eröffnete Widerrufsmöglichkeit wird hierdurch nicht gegenstandslos. Denn insoweit eröffnet der Tarifvertrag einen Widerruf auch vor Ablauf der regelmäßigen Bezugsdauer von einem Jahr. Für diesem Fall ist die Beteiligung der Kommission ausdrücklich im Tarifvertrag vorgesehen. Sie soll bei einem vorzeitigen Widerruf anzuhören sein. Diese Anhörung musste für die jährliche Neuverteilung nicht ausdrücklich geregelt werden, da für diesen Fall ohnehin der Vorschlag der Werkprüfungskommission erforderlich ist. Deshalb geht auch die Vorstellung des Klägers, die Werkprüfungskommission sei bei der Nichtweitergewährung des Leistungszuschlags ab Oktober 2002 nicht informiert worden, fehl. Denn die Mitbeurteilung und die Vorschlagspflicht der Werkprüfungskommission wurde bereits dadurch ausgeübt, dass der Kläger auf der Vorschlagsliste für die Zeit ab Oktober 2002 nicht enthalten war. Die zur Verteilung stehenden Gelder sind dementsprechend für das Folgejahr ohne Berücksichtigung des Klägers aber gleichwohl unter Beachtung der Rechte der Werkprüfungskommission verteilt worden.

Gerade die Tarifgeschichte spricht zudem dafür, dass die Bewilligung eines Leistungszuschlags stets nur für die Dauer eines Jahres erfolgt. Denn vor der Tarifvertragsänderung beinhaltete die Bewilligung eines Leistungszuschlags die dauerhafte Zahlung, die nur durch einen Widerruf beendet werden konnte. In diesem Fall war die arbeitnehmerseitige Mitbestimmung, die durch die paritätisch besetzte Werkprüfungskommission bewirkt wird, deutlich geringer ausgeprägt, da einmal bewilligte Gelder ohne jedwedes weiteres Mitbeurteilungsrecht hinsichtlich der fortbestehenden Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur noch durch Widerruf entfallen konnten und hierdurch die Neuverteilung erschwert wurde.

Die Handhabung der Beklagten, die Leistungszuschläge nur für ein Jahr zu befristen, um eine jährliche Neuentscheidung über die Leistungszuschläge und den jährlich neuen Vorschlag der Werkprüfungskommission zu ermöglichen, entspricht deshalb dem tarifvertraglichen Regelungsinhalt.

Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung der Leistungszuschläge für den Monat Oktober 2002 und die Folgemonate setzt damit eine weitere bewilligende Entscheidung voraus. Das Fehlen einer widerrufenden Entscheidung führt nicht zur Zahlungspflicht.

Da sich die Befristung des Leistungszuschlags unmittelbar aus § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW ergibt hat das Schreiben über die Mitteilung der Gewährung vom 11.10.2001 lediglich deklaratorischen Charakter. Dementsprechend musste der Kläger auch nicht die Klagefrist des § 17 TzBfG einhalten.

Auch weitere Gesichtspunkte sprechen nicht gegen die Wirksamkeit der Befristung der vorliegenden Arbeitsbedingung. Es kann dahinstehen, ob die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.01.2004 - 7 AZR 213/03 - wonach auch die Befristung einer einzelnen Arbeitsvertragsbedingung eines Sachgrundes bedarf, wenn durch die Befristung der gesetzliche Änderungskündigungsschutz umgangen werden kann, vorliegend Anwendung findet, obwohl sich die Befristungsregelung aus einem Tarifvertrag ergibt. Auch kann dahinstehen, ob für die Befristung eines Gehaltsbestandteils dann ein rechtfertigender Grund nicht erforderlich ist, wenn nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten ein Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses nicht gegeben ist und ein Widerruf deshalb zulässig wäre.

Denn nach Ansicht der erkennenden Kammer ist jedenfalls der durch die tarifvertragliche Regelung zum Ausdruck gekommene Zweck der Befristung ein ausreichender sachlicher Grund für die Zulässigkeit der Befristung dieses Gehaltsbestandteils.

Zum einen dient die tarifvertragliche Regelung dazu, die Position der paritätischen Kommission zu stärken. Dieses erfolgt dadurch, dass jedes Jahr aufs neue das gesamte Verteilungsvolumen zur Verfügung steht und ein Mitbeurteilungsrecht der paritätischen Kommission hinsichtlich aller zur Verteilung gelangenden Zulagen eingeräumt wird. Diese Regelung erstrebt und bewirkt eine größere Gerechtigkeit bei der Beurteilung, welche Arbeitnehmer tatsächlich herausragende Leistungen erbracht haben, da sämtliche Arbeitnehmer sich neu bewähren müssen und nicht eine einmalige Zuteilung der Zulage zu deren Perpetuierung führt. Der Leistungsmaßstab wird jedes Jahr aktualisiert und einheitlich auf alle in Frage kommenden Arbeiter angewendet.

Zudem ist durch die befristete Gewährung der Leistungsanreiz erheblich höher als bei einer Gewährung bis zum möglichen Widerruf. Jeder Arbeitnehmer, der eine Zulage erhalten hat weiß, dass er auch im laufenden Beurteilungsjahr erneut seine Leistungen mit denjenigen der anderen Kollegen messen lassen muss, um erneut auf die Vorschlagsliste zu kommen. Während der Entzug der Zulage durch Widerruf einen demotivierenden Effekt hat, so dass ein Arbeitgeber zu diesem Mittel nur dann greifen wird, wenn er gleichzeitig die Arbeitsleistung als unbefriedigend qualifiziert, wirkt der bloße Wegfall durch Zeitablauf nicht in gleicher Weise diskreditierend. Der Zweck der Leistung, alle Mitarbeiter möglichst zu besonderen Leistungen anzuspornen, um in der jährlichen Überprüfung die besondere Zulage erhalten zu können, wird deshalb allein durch eine Befristung der Zulage erreicht.

Hinsichtlich der Teilbeträge, die der Kläger für die Monate Juli bis September 2003 einklagt, ist die Klage darüber hinaus auch deshalb unbegründet, weil die Zulage zusätzlich zum 30.06.2003 widerrufen wurde. Der Vortrag des Klägers ist insoweit darüber hinaus also auch unschlüssig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wurde zugelassen, da für die Entscheidung eine Tarifvertragsauslegung maßgeblich war.

Ende der Entscheidung

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