Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 27.03.2003
Aktenzeichen: 2 (9) Sa 211/01
Rechtsgebiete: BetrVG, InsO


Vorschriften:

BetrVG § 113
InsO § 55 Abs. 2
1. Beschließen der vorläufige Insolvenzverwalter und der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin im Insolvenzeröffnungsverfahren die vollständige Betriebsstilllegung, so sind die daraufhin ausgesprochenen Kündigungen nicht deshalb unwirksam, weil der Geschäftsführer den geheimen Vorbehalt hegte, unter Entwendung eines Teils der Betriebsmittel eine Betriebsabteilung fortzuführen.

2. Eine Betriebsstilllegung löst dann den Anspruch aus § 113 BetrVG aus, wenn so viele Kündigungen ausgesprochen sind, dass der Betrieb ohne Zustimmung der Belegschaft nicht mehr fortgeführt werden kann und der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nicht mehr zur Betriebsfortführung führen könnte.

3. Der Anspruch aus § 113 BetrVG stellt eine Insolvenzforderung und keine Masseforderung dar, wenn die Stilllegung des Betriebs vor Insolvenzeröffnung begonnen wurde.

4. § 55 Abs. 2 InsO kommt auch nicht analog zur Anwendung, wenn ein sog. schwacher Insolvenzverwalter mit partieller Ermächtigung zur Alleinvertretung tatsächlich nicht alleine gehandelt hat, sondern die Kündigungen vom Geschäftsführer mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgesprochen wurden.


Tenor:

Sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.09.2000 - 5 Ca 409/00 - werden zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer der Klägerin am 27.01.2000 durch den Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgesprochenen, betriebsbedingten, fristgerechten Kündigung sowie um die Frage, ob es sich bei einem dem Grunde nach unstreitigen, aus § 113 BetrVG hergeleiteten Anspruch der Klägerin auf Nachteilsausgleich um eine Insolvenzforderung oder eine Masseforderung handelt. Zusätzlich ist die Höhe dieses Anspruchs, soweit er insgesamt 23.778,00 DM überschreitet zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin, 27 Jahre alt, war seit dem 26.04.1993 Arbeitnehmerin der Beklagten. Ihr durchschnittliches Bruttomonatseinkommen betrug zuletzt 3.963,00 DM.

Ende 1999 wurde das Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin, deren Insolvenzverwalter der jetzige Beklagte ist, eingeleitet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.11.1999 ( AZ: 99 IN 154/99) wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. In dem Beschluss wurde einerseits angeordnet, dass die Gemeinschuldnerin nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam über ihr Vermögen verfügen kann (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde ausdrücklich nicht als allgemeiner Vertreter der Gemeinschuldnerin eingesetzt. Allerdings wurde er ermächtigt, auch allein mit rechtlicher Wirkung für die Gemeinschuldnerin zu handeln, wobei er verpflichtet wurde, von dieser Ermächtigung nur in dringend erforderlichen Fällen Gebrauch zu machen.

Am 18.01.2000 beschlossen der Geschäftsführer der Schuldnerin und der Beklagte als deren vorläufiger Insolvenzverwalter die Betriebsstilllegung. Hiervon wurde der Betriebsrat am darauffolgenden Tag unterrichtet. Ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat konnte nicht erzielt werden. Der Betriebsrat unterlag auch in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem der drohende Ausspruch der Kündigungen verhindert werden sollte. Mit Schreiben vom 27.01.2000 wurde der Klägerin wie auch den weiteren Mitarbeitern, deren Kündigung keinem Zustimmungsvorbehalt unterlag, die Kündigung durch die Gemeinschuldnerin mit Zustimmung des Beklagten ausgesprochen. Vorangegangen war eine schriftliche Kündigungsanhörung des Betriebsrats. Am 01.02.2000 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin bestellt.

Nach der Insolvenzeröffnung einigten sich der Betriebsrat und der Beklagte auf einen Sozialplan. Derzeit ist das Verfahren nicht massearm. Auf die Insolvenzforderungen können voraussichtlich 10 % geleistet werden.

Der Betrieb ist zwischenzeitlich vollständig stillgelegt worden. Nach der Stilllegung der Verwaltungsabteilung zum 31.05.2000 fand keine betriebliche Tätigkeit mehr statt.

Am 28.01.2000, noch vor Insolvenzeröffnung, versuchte der Geschäftsführer der Beklagten ohne Kenntnis und Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters die gesamte Sommerkollektion in seinen Kleinlaster zu verladen und aus dem Betrieb fortzuschaffen. Dieses wurde verhindert.

Die Klägerin hält die Kündigung vom 27.01.2000 für unwirksam, da tatsächlich nicht eine vollständige Stilllegung des Betriebes beabsichtigt gewesen sei. Vielmehr habe der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin vorgehabt, wenigstens die Musterabteilung weiterzubetreiben. Er habe die Mitarbeiterinnen G , H , R und R sowohl vor als auch nach dem 27.01.2000 angesprochen und ausdrücklich erklärt, er werde die Musterabteilung selbst fortführen und die hierfür erforderlichen Maschinen aus der Insolvenzmasse erwerben. Die Mitarbeiterinnen sollten mitteilen, welche Maschinen für ihre Arbeit notwendig seien. Der Geschäftsführer habe geplant gehabt, hierfür entweder eine Betriebsstätte im Kreis E zu suchen oder auf seinem Privatgrundstück in B M tätig zu werden.

Hieraus folge nicht nur, dass es einerseits an einem wirksamen Entschluss zur Betriebsstilllegung fehle, sondern auch, dass die Kündigung unwirksam sei, weil nunmehr tatsächlich eine Sozialauswahl hätte vorgenommen werden müssen und dass die Kündigung wegen Fehlinformation des Betriebsrates unwirksam sei.

Die Klägerin hält darüber hinaus den dem Grunde nach unstreitigen Anspruch aus § 113 BetrVG für eine Masseforderung im Sinne des § 55 InsO.

Im Falle der Wirksamkeit der Kündigung handele es sich um eine Masseforderung, da das Arbeitsverhältnis erst nach Insolvenzeröffnung ende und unter Entlassung im Sinne des § 113 BetrVG die Einstellung der Arbeit anzusehen sei. Selbst wenn man dieser Argumentation nicht folge, sei jedenfalls wegen der im Bestellungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.11.1999 enthaltenen Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur alleinigen Handlung für die Schuldnerin in dringenden Fällen § 55 Abs. 2 InsO analog anzuwenden, so dass es sich auch aus diesem Grunde bei der Nachteilsausgleichforderung um eine Masseverbindlichkeit handeln müsse.

Hinsichtlich der Höhe der Nachteilsausgleichsforderung setzt die Klägerin für jedes Beschäftigungsjahr ein Bruttogehalt an, begrenzt durch die Höchstbetragsregelung aus § 10 KSchG.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen,

1. dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der K . S G vom 27.01.2000, zugegangen am selben Tage, nicht aufgelöst wurde oder wird

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis über die letzte mündliche Verhandlung hinaus ungekündigt zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

3. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) den Beklagten zu verurteilen, an sie eine Abfindung in Höhe von 26.948,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen

4. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1) und 3) die Nachteilsausgleichsforderung der Klägerin in Höhe von 26.948,00 DM als Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO zur Insolvenztabelle festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat hinsichtlich der Kündigungen behauptet, der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin habe als Angestellter eines Dritten ein Beschäftigungsangebot gehabt und in diesem Rahmen die Mitarbeiterinnen lediglich darauf angesprochen, ob sie bereit seien, zu diesem Dritten ins Arbeitsverhältnis zu wechseln. Auch diese Pläne hätten sich aber zerschlagen. Zudem seien sie dem Beklagten nicht zuzurechnen, da er hiervon keine Kenntnis gehabt habe und den Aktivitäten nicht zugestimmt habe, wie sich schon aus dem Versuch der heimlichen Entwendung der Musterkollektion ergebe.

Hinsichtlich der Nachteilsausgleichsforderung ist der Beklagte der Ansicht, dass es sich um eine Insolvenzforderung handele, da die Betriebsschließung vor Insolvenzeröffnung beschlossen worden sei und die Kündigungen ebenfalls vor Insolvenzeröffnung ausgesprochen worden seien. Für eine Analogie des § 55 Abs. 2 InsO sei kein Raum, da der Gesetzgeber hier ausdrücklich nur den sogenannten "starken" Insolvenzverwalter gemeint habe. Hinsichtlich der Höhe des Nachteilsausgleichsanspruchs hielt er zunächst 3.500,00 DM wegen der Unabweisbarkeit der Betriebsstilllegung für angemessen.

Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 27.09.2000 die Nachteilsausgleichsforderung der Klägerin im Rahmen des geltend gemachten Höchstbetrages zur Insolvenztabelle als Insolvenzforderung festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin, soweit das Urteil sie beschwert in vollem Umfang Berufung eingelegt. Der Beklagte hat zwischenzeitlich eine Nachteilsausgleichsforderung in Höhe von 6 Bruttomonatsvergütungen zur Insolvenztabelle festgestellt und nur insoweit Berufung eingelegt, als das Arbeitsgericht eine darüber hinausgehende Insolvenzforderung festgestellt hat.

Die Klägerin beantragt unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.09.2000 - 5 Ca 409/00 -,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der K . S G vom 27.01.2000, Zugang am selben Tage, nicht aufgelöst wurde oder wird

2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) den Beklagten zu verurteilen, an sie eine Abfindung in Höhe von 26.948,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16.02.2000 bis zum 30.04.2000 und Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszinssatz seit dem 01.05.2000 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.09.2000 - 5 Ca 409/00 - die Klage auch insoweit abzuweisen, als ein weiterer Nachteilsausgleich von mehr als 20.278,00 DM zur Insolvenztabelle festgestellt wird.

Die Klägerin beantragt insoweit,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Beide Parteien wiederholen ihren streitigen Vortrag zur Kündigung und vertiefen ihre Rechtsansichten.

Entscheidungsgründe:

Die fristgerechten und im Übrigen zulässigen Berufungen beider Parteien sind nicht begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aufgrund ordnungsgemäßer, betriebsbedingter Kündigung vom 27.01.2000 mit ordentlicher Kündigungsfrist beendet worden. Für die Kündigung liegen betriebsbedingte Gründe im Sinne des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren § 1 KSchG vor. Im vorliegenden Fall sind für die Frage, ob der ernstliche und endgültige Entschluss des Unternehmers vorlag, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Dauer aufzuheben, alleine diejenigen Erklärungen maßgeblich, die in Übereinstimmung des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter abgegeben wurden. Denn zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung konnte der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin nicht mehr alleine darüber befinden, ob der Betrieb insgesamt stillgelegt wird, ob eine Veräußerung oder Teilfortführung durchgeführt werden soll oder ob der Betrieb auf andere Weise nach Umstrukturierung aufrecht erhalten werden soll. Es kann deshalb aus diesem Grunde zunächst dahingestellt sein, ob sich aus der Entfernung der Musterkollektion am 28.01.1999 auf den geheimen Vorbehalt des Geschäftsführers schließen lässt, Teile des Betriebes unter Umgehung des Konkursverwalters fortzusetzen. Denn für eine solche Tätigkeit lag die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht vor. Da nach der Insolvenzeröffnung der Insolvenzverwalter ohnehin für seine Entscheidungen nicht mehr mit dem früheren Geschäftsführer zusammenwirken musste, ist, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, der geheime Vorbehalt des Geschäftsführers im Insolvenzeröffnungsverfahren, Teile des Betriebes gegen den Willen des Insolvenzverwalters fortzuführen, für die Richtigkeit der Prognoseentscheidung, ob eine vollständige Betriebsstilllegung durchgeführt werden wird, nicht maßgeblich. Denn solange nicht auch der vorläufige Insolvenzverwalter statt einer Betriebsschließung eine teilweise Betriebsfortführung mitträgt, ist die Prognose, dass die von Geschäftsführer und vorläufigem Insolvenzverwalter gemeinsam beschlossene Betriebsstilllegung auch durchgeführt wird und zum Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses führen wird, zutreffend.

Damit war auch die Betriebsratsanhörung, die der Kündigung vom 27.01.1999 zugrunde lag, zutreffend, da sie den Betriebsrat richtig über die gemeinsame Beschlusslage von Geschäftsführung und vorläufigem Insolvenzverwalter, wonach es zur Betriebsstilllegung kommen würde, informierte.

Darüber hinaus ist der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt aber auch nicht geeignet, den Betriebsstilllegungsbeschluss in Zweifel zu ziehen. Denn die Fortsetzung einer wirtschaftlichen Tätigkeit des ehemaligen Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin ist nicht nur als Teilbetriebsstilllegung mit Teilbetriebsübergang denkbar, sondern auch als vollständige Betriebsstilllegung mit Neugründung eines eigenen, neuen Betriebs. Dabei setzt ein Teilbetriebsübergang nach § 613 a BGB voraus, dass die übernommenen Betriebsmittel bereits beim früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils hatten. Es reicht nicht aus, wenn der Erwerber mit einzelnen, bislang nicht teilbetrieblich organisierten Betriebsmitteln erst einen Betrieb oder Betriebsteil gründet (vgl. BAG vom 13. November 1997 - 8 AZR 52/96 - EzA § 613 a BGB Nr. 166). Der Vortrag der Klägerin lässt vorliegend nicht einmal den Schluss zu, dass der Geschäftsführer heimlich einen Teilbetriebsübergang beabsichtigt hatte, bei dem die Bewahrung der Identität der betreffenden Betriebseinheit geplant war. Vielmehr sollte in einer neuen Betriebsstätte unter Erwerb von einzelnen Maschinen eine wirtschaftliche Tätigkeit mit eigener Zielsetzung durchgeführt werden. Betriebszweck dieses neuen Betriebes sollte die Verwertung von Musterkollektionen, nicht aber die Bekleidungsproduktion als solche sein.

Damit steht fest, dass zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs die Prognose zutreffend war, dass die Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer auf Dauer aufgehoben werden würde und mit Ablauf der Kündigungsfrist kein Beschäftigungsbedürfnis mehr bestehen würde (vgl. BAG vom 18.01.2001 - 2 AZR 167/00 - EzA Schnelldienst 2001 Nr. 13 S. 6). Der Beklagte war bereits in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter bei Auswertung der betrieblichen Gegebenheiten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betrieb nicht wirtschaftlich erfolgreich fortgeführt werden könne. Aus diesem Grunde hat er bereits vor Insolvenzeröffnung von dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin den Ausspruch der Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse verlangt und den tatsächlich durchgeführten Kündigungen zugestimmt. Auch ist nichts dafür vorgetragen, dass der Beklagte zu irgendeinem späteren Zeitpunkt noch Rechtsgeschäfte abgeschlossen hätte, die auf einen Fortbestand des Unternehmens zielten. Vielmehr ist die Gemeinschuldnerin nicht mehr werbend am

Markt tätig gewesen. Irgendwelche Rechtsgeschäfte, die nicht der Liquidation gedient hätten wurden auch seitens der Klägerin nicht vorgetragen. Tatsächlich wurde die Stilllegung so wie vom Beklagten geplant auch durchgeführt.

Die Kündigung ist auch nicht nachträglich dadurch unwirksam geworden, dass es zu einem späteren Zeitpunkt gleichwohl zu einem Teilbetriebsübergang i. S. d. § 613a BGB gekommen wäre. Kommt es nach Beginn einer Betriebsstilllegung zu einem Betriebsübergang, weil ein Unternehmer unter Verschaffung von Know-how und Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft den ursprünglichen Betriebszweck weiter verfolgt, so kann dies zu Ansprüchen gegen den neuen Betriebsinhaber auf Einstellung der nicht übernommenen Belegschaftsteile führen ( vergl. BAG vom 27.02.1997, 2 AZR 160/96, NZA 1997, S. 757 - 760). Die Wirksamkeit der ursprünglichen Kündigung bleibt hiervon aber unberührt, da zur Beurteilung nur auf den Zugangszeitpunkt und die sich hierbei ergebende Prognoseperspektive abzustellen ist.

Der Klägerin steht der dem Grunde nach unstreitige Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 BetrVG nicht als Masseforderung, sondern lediglich als einfache Insolvenzforderung nach § 38 InsO zu.

Maßgeblich für die Abgrenzung, ob ein Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG Masseforderung oder Insolvenzforderung ist, ist die Frage, ob die Klägerin zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits einen begründeten Vermögensanspruch an die Gemeinschuldnerin hatte. Für das Vorliegen eines solchen Anspruchs ist es ausreichend, wenn der Rechtsgrund für die Entstehung bereits vor Insolvenzeröffnung gelegt wurde, ob der Anspruch in diesem Zeitpunkt bereits fällig ist, ist ohne Bedeutung (vgl. BAG vom 03.04.1990 - 1 AZR 150/89 - AP-Nr. 20 zu § 113 BetrVG 1972).

Die erkennende Kammer folgt dem Bundesarbeitsgericht auch dahingehend, dass die Grundlage für den Nachteilsausgleichsanspruch bereits dann gelegt ist, wenn mit der Betriebsänderung ohne zuvor versuchten Interessenausgleich begonnen wurde und damit das betriebsverfassungswidrige Vorgehen des Arbeitgebers feststeht. Denn § 113 BetrVG ist die Sanktion dafür, dass der Arbeitgeber den Verhandlungsanspruch des Betriebsrates vereitelt. Die Entlassung einzelner Arbeitnehmer im Sinne des Ausspruchs der Kündigung kann dabei auch erst nach Insolvenzeröffnung vorgenommen werden. Denn ausgehend von dem Zweck des § 113 BetrVG ist der Verhandlungsanspruch des Betriebsrates dann zunichte gemacht, wenn bereits so viele Kündigungen zugegangen sind, dass der Arbeitgeber die geplante Betriebsstilllegung nicht mehr einseitig rückgängig machen kann. Aus der Sicht des Betriebsrates werden Verhandlungen mit dem Arbeitgeber dann sinnlos, wenn dieser bereits in der Weise Fakten geschaffen hat, dass er die Planungshoheit über die Stilllegung oder Fortführung des Betriebes verloren hat. Das ist der Fall, wenn der Arbeitgeber als Verhandlungspartner ein mögliches Ergebnis, welches auf Fortsetzung des Betriebes lauten würde, nicht mehr alleine umsetzen kann, weil er hierzu der Zustimmung aller bereits gekündigten Arbeitnehmer bedürfte.

Aus dem vorgenannten Urteil des Bundesarbeitsgerichts sowie aus dem Urteil vom 23.08.1988 - 1 AZR 276/87 - NZA 1989 Seite 31 ergibt sich zudem auch, dass das Bundesarbeitsgericht den Tatbestand der Entlassung im Sinne des § 113 BetrVG nicht mit dem letzten Verlassen des Betriebsgeländes gleichsetzt, sondern unter diesen Begriff sowohl die arbeitgeberseitige als auch die Arbeitnehmerkündigung und den Aufhebungsvertrag subsumiert.

Danach ergibt sich, dass die geplante Betriebsstilllegung bereits mit dem 27.01.2000, dem Tag, an dem durch den Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin alle nicht zustimmungsbedürftigen Kündigungen ausgesprochen wurden, begonnen wurde. Nach diesem Datum war der Verhandlungsanspruch des Betriebsrates vereitelt, da ein anderes Ergebnis als die Betriebsstilllegung vom Arbeitgeber nicht mehr einseitig betrieblich umgesetzt werden konnte.

Die Nachteilsausgleichsforderung aus § 113 BetrVG ist auch nicht deshalb als Masseforderung zu behandeln, weil es sich um eine Verbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 2 InsO handeln würde. Aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bonn (99 IN 155/99) vom 17.11.1999 ergibt sich, dass der Beklagte gerade nicht als sogenannter "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative eingesetzt wurde. Zwar ist der Wortlaut des § 55 Abs. 2 InsO (Verfügungsbefugnis übergegangen) und derjenige des § 21 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative (Allgemeines Verfügungsverbot auferlegt) nicht identisch. Allerdings ergibt sich aus § 22 Abs.1 InsO, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nur dann auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht, wenn ein Verfügungsverbot für den Schuldner angeordnet wurde. Daneben kann das Gericht Einzelanordnungen nach § 22 Abs. 2 InsO treffen, die nicht zum Übergang der Verfügungsbefugnis führen. Damit ergibt sich, dass bei unmittelbarer Anwendung des § 55 Abs.2 S.1 InsO vorliegend keine Masseverbindlichkeiten entstanden sind, da die Verfügungsbefugnis nicht durch Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots übergegangen war.

Vorliegend kann allerdings dahingestellt bleiben, ob auf eine im Einzelfall erteilte Ermächtigung an den vorläufigen Insolvenzverwalter, in dringenden Fällen allein zu handeln, während grundsätzlich lediglich Zustimmungsvorbehalt angeordnet ist, § 55 Abs.2 InsO zumindest analog angewandt werden kann. Insoweit wird eine analoge Anwendung zumindest für den Fall in Erwägung gezogen, dass ein Insolvenzverwalter mit partieller Ermächtigung an Stelle der Gemeinschuldnerin tätig geworden ist. ( Vergl.: Spliedt, ZIP 2001 S.1941; gegen eine analoge Anwendung: OLG Köln 29.06.2001 - 19 U 199/00 ZIP 2001, S. 1422 mit Anmerkung von Eckert, EwiR 2001, S. 1011) Denn selbst bei einer analogen Anwendung des § 55 Abs.2 InsO fehlt es hier jedenfalls an der Voraussetzung, dass der streitige Anspruch eine Verbindlichkeit ist, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter aufgrund der Ausübung der ihm eingeräumten Ermächtigung, allein für die Gesamtschuldnerin zu handeln, begründet worden ist. Denn die vor Insolvenzeröffnung ausgesprochenen, den Nachteilsausgleich auslösenden Kündigungen sind durch den Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin lediglich mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgesprochen worden. Somit beruhen die Nachteilsausgleichsansprüche jedenfalls nicht auf einem allein vom Insolvenzverwalter bestimmten Sachverhalt, sondern stellen sich als solche im Rahmen des regulären Zustimmungsvorbehaltes dar. Bei dem Beginn der Durchführung der Betriebsstilllegung durch Ausspruch der Kündigungen hat der Beklagte in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter gerade nicht von der Möglichkeit des Alleinhandelns im Rahmen des Beschlusses des Amtsgerichts Bonn vom 17.11.1999 Gebrauch gemacht. Es bleibt damit bei dem Regelfall, dass die Masse gerade nicht dadurch geschmälert werden soll, dass vor Insolvenzeröffnung bereits Masseverbindlichkeiten begründet werden. Gerade die Tatsache, dass der Gesetzgeber einerseits den Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters einführt, andererseits alle die aus diesen Geschäften regelmäßig herrührenden Verpflichtungen gleichwohl einfache Insolvenzforderungen werden, belegt, dass es sich bei § 55 Abs. 2 InsO um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt, die allenfalls im Rahmen einer größtmöglichen Masseerhaltung ausgelegt werden kann. (Spliedt, a.a.O.)

Auch die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend bei der Berechnung der Höhe des Nachteilsausgleichs berücksichtigt, dass dieser zum einen Ersatz für den Verlust des Arbeitsplatzes als solchem bezweckt, zum anderen die Komponente beinhaltet, dass eine fühlbare Sanktion für die Vereitelung des Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats erforderlich ist. Wenn das Arbeitsgericht in diesem Fall unter Beachtung der Höchstgrenze des § 10 KSchG ein ganzes Gehalt pro Beschäftigungsjahr festlegt, so wird diese Überlegung auch von der erkennenden Kammer getragen. Berücksichtigung findet dabei, dass regelmäßig im Kammerbezirk bereits der Verlust des Bestandes des Arbeitsverhältnis mit einem halben Gehalt pro Beschäftigungsjahr bewertet wird. Die Aufstockung auf ein ganzes Gehalt wegen der Sanktionsfunktion erscheint damit im Verhältnis angemessen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter und jetzige Beklagte in der sicheren Erwartung, dass es sich ohnehin später nur um eine quotenmäßig zu befriedigende Insolvenzforderung handeln werde, den Verhandlungsanspruch des Betriebsrates übergangen hat. Er hat dabei bewusst in Kauf genommen, dass der Wert des zu realisierenden Nachteilsausgleichsanspruchs letztlich immer noch deutlich unter den möglichen Ansprüchen liegt, die sich bei einer Verzögerung des Kündigungsausspruchs zugunsten der Arbeitnehmer ergeben hätten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO und berücksichtigt, dass gemessen an den jeweils mit den Berufungen verfolgten Prozesszielen, die Zuvielforderung des Beklagten geringfügig war, da sie nach ihrem tatsächlich zu realisierenden Wert unter einem zwanzigstel des Gesamtwerts lag.



Ende der Entscheidung

Zurück