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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 04.08.2003
Aktenzeichen: 2 Sa 400/03
Rechtsgebiete: SGB IX
Vorschriften:
SGB IX § 91 Abs. 3 |
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 04. August 2003
In Sachen
hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 04.08.2003 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Olesch als Vorsitzende sowie die ehrenamtliche Richterin Frau Runckel und den ehrenamtlichen Richter Winthuis
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.01.2003 - 11 Ca 7423/02 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren nur noch darum, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers durch fristlose Kündigung vom 17.09.2002 mit Zugang am 17.09.2002 beendet wurde.
Kündigungsgrund ist der Verdacht, der Kläger habe in sechs Fällen Bestechungsgelder angenommen und an einem vollendeten Betrug zu Lasten der Beklagten mitgewirkt. Dieser Verdacht beruht auf einer Anklageschrift gegen weitere Mitarbeiter der Beklagten, die der Beklagten am 09.07.2002 bekannt gegeben wurde.
Am 10.07.2002 wurde dem Kläger eine Kopie hiervon übergeben und er wurde aufgefordert, zu diesem Verdacht Stellung zu nehmen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.07.2002 wies der Kläger die ihn belastenden Aussagen der früheren Kollegen zurück und behauptete, an den Bestechungsvorgängen nicht beteiligt gewesen zu sein. Am 08.08.2002 erlangte die Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt war. Am 12.08.2002 forderte die Beklagte sowohl schriftlich als auch mündlich im Rahmen der Güteverhandlung im vorliegenden Verfahren den Kläger erneut auf, zu dem Verdacht Stellung zu nehmen und insbesondere zur Frage, ob seine Schwerbehinderung mit den Straftaten im Zusammenhang stehe. Bereits im Rahmen der mündlichen Besprechung mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am selben Tag wies dieser erneut den Verdacht vollständig zurück. Auch mit Schreiben vom 19.08.2002, in dem der Klägerprozessbevollmächtigte im Übrigen Fristverlängerung hinsichtlich der gewünschte Stellungnahme bei der Beklagten beantragte, verwies der Prozessbevollmächtigte auf die völlige Unschuld des Klägers. Mit Abschlussschreiben vom 26.08.2002 wiederholte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Unschuldsbehauptungen. Mit Schreiben vom 28.08.2002 beantragte die Beklagte die Zustimmung sowohl des Personalrates als auch des Integrationsamtes zur Kündigung. Diese wurde seitens des Integrationsamtes mit Schreiben vom 11.09.2002, welches am 13.09.2002 zuging, erteilt. Mit Schreiben vom 17.09.2002 wurde per Boten an den Klägerprozessbevollmächtigten die letztlich noch streitgegenständliche Kündigung zugestellt.
Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Zwei-Wochen-Frist aus § 91 Abs. 2 SGB IX nicht eingehalten ist. Dem ist auch die erstinstanzliche Entscheidung gefolgt und hat die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.01.2003 - 11 Ca 7423/02 - teilweise abzuändern und die Klage des Klägers gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 17.09.2002 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den erstinstanzlichen Tatbestand Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige und fristgerechte Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Kündigung ist gemäß § 91 Abs. 2 SGB IX unwirksam, da zwischen der Kenntnis der maßgebenden Tatsachen und dem Eingang des Antrags beim Integrationsamt mehr als zwei Wochen lagen.
Dabei kann nach allgemeiner Meinung die Kenntnis von der Schwerbehinderung oder Gleichstellung als Kündigungstatsache im Sinne des § 91 Abs. 2 SGB IX gewertet werden. Diese Kenntnis lag bei der Beklagten am 08.08.2002 vor.
Eine weitere darüber hinausgehende Aufklärung war nicht erforderlich. Da die Beklagte vorliegend eine Verdachtskündigung aussprechen wollte, war sie zwar darauf angewiesen, den Arbeitnehmer zu den Verdachtselementen anzuhören und ihm die Gelegenheit der Entlastung zu geben. Dieses war allerdings bereits im Vorfeld der ersten, unwirksamen Kündigung geschehen. Eine weitere Aufklärung war nicht erforderlich.
Bei der Verdachtskündigung handelt es sich um eine besondere Form der Kündigung, die voraussetzt, dass auf Grund von Indizien zwar der Schluss auf das Vorliegen der Haupttatsache (Täterschaft) nicht zwingend ist, aber die Vertrauensstellung allein schon durch die Indizien derartig erschüttert ist, dass das Arbeitsverhältnis auch dann nicht fortgeführt werden kann, wenn die Täterschaft nicht bewiesen werden kann.
Vorliegend hat die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass sie als solche Indizien die Anklageschrift bezüglich der anderen früheren Mitarbeiter wertet, sowie die in dieser Anklageschrift in Bezug genommenen Aussagen der dort Angeklagten, die den Kläger belasten. Der Kläger hat zu diesen Aussagen Stellung genommen. Er ist damit hinsichtlich der Indizien, die die Beklagte für die Erschütterung des Vertrauensverhältnisses als maßgeblich ansieht, in ausreichender Weise angehört worden, so dass die Beklagte sich nach seiner Stellungnahme ein hinreichendes Bild davon machen konnte, ob sie den Aussagen der Angeklagten glauben wollte oder nicht. Im Hinblick auf die Erschütterung des Vertrauensverhältnisses war sie in der Lage eine Beurteilung der Indizien vorzunehmen. Dieser Bewertung der Verdachtselemente dient die Anhörung des verdächtigen Arbeitnehmers.
Damit steht fest, dass die Beurteilung der Verdachtselemente bereits vor dem 08.08.2002 möglich war, da die Frage, ob die Beklagte den Angeklagten oder dem Kläger mehr Glauben schenken wollte, unabhängig von der Frage der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers war. Anders ausgedrückt: Die Aussagen der Angeklagten werden nicht wahrer oder unwahrer dadurch, dass der Kläger durch eine Erkrankung möglicherweise schuldunfähig ist. Die Aussage des Klägers, an den Straftaten nicht beteiligt gewesen zu sein, wird ebenfalls nicht richtiger oder unrichtiger dadurch, dass der Kläger im Kündigungszeitpunkt 40 % schwerbehindert ist. Die Abwägungsfrage, ob die Beklagte die Kündigung möglicherweise deshalb zurückstellen will, weil sie besondere Schutz- und Fürsorgepflichten gegenüber einem behinderten Menschen ausüben möchte, konnte die Beklagte darüber hinaus noch während der Zeit der Anhörung des Integrationsamtes treffen. Denn die Beklagte konnte jederzeit, wie sie es auch nach Zustimmung des Integrationsamtes zur ordentlichen Kündigung getan hat, vom Ausspruch einer Kündigung absehen. Insoweit waren diejenigen Tatsachen, die mit der Art der Behinderung des Klägers zusammenhingen ohnehin im Rahmen der Zustimmungsentscheidung vom Integrationsamt zu berücksichtigen und konnten auch zu einem späteren Zeitpunkt noch von der Beklagten berücksichtigt werden.
Damit ergibt sich insgesamt, dass der Kläger am 17.07.202 abschließend zu den Indiztatsachen Stellung genommen hat und die Beklagte seit diesem Zeitpunkt in der Lage war, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sie die Indiztatsachen trotz der Einlassungen des Klägers für derart überzeugend und gravierend hielt, dass allein hierdurch schon die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist für sie unzumutbar geworden war. Als letzte weitere Tatsache für die Auslösung der 14-tägigen Antragsfrist des § 91 Abs. 2 SGB IX kam damit nur noch die Kenntnis von der Gleichstellung am 08.08.2002 hinzu. Die Zweiwochenfrist war bei Antragstellung am 28.08.2002 damit abgelaufen.
Zwar ist das Integrationsamt bei seiner Entscheidung vom 11.09.2002 davon ausgegangen, die vollständige Kenntniserlangung liege erst mit dem 26.08.2002 vor, so dass die Antragsfrist gewahrt sei. Ob dies darauf beruhte, dass dem Integrationsamt die vorherige Stellungnahme vom 17.07.2002 nicht bekannt gemacht worden war, kann dahinstehen. Denn bei der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX ebenso wie bei der nach Zustimmung erforderlichen unverzüglichen Zustellung der Kündigung, die in § 91 Abs. 5 SGB IX geregelt ist, handelt es sich um materielle arbeitsrechtliche Fristen, deren Überprüfung im arbeitsgerichtlichen Verfahren erfolgen kann. Die Fristenregelung insbesondere des § 91 Abs. 2 hängt eng damit zusammen, dass durch die Einschaltung des Integrationsamtes die Frist des § 626 Abs. 2 BGB im Regelfall nicht eingehalten werden kann und deshalb eine den § 626 Abs. 2 BGB modifizierende Regelung erforderlich ist, die den behinderten Menschen nicht schlechterstellt, als ein nichtbehinderter Mensch stehen würde.
Auf die Frage, ob die Kündigung darüber hinaus unverzüglich zugestellt wurde, nachdem sie am 11.09.2002 vom Integrationsamt getroffen wurde und am 13.09.2002 beim Postservice der Beklagten eingegangen ist, brauchte nicht eingegangen werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob sich die Beklagte bereits den zentralen Eingang am 13.09.2002 für die Beurteilung des unverzüglichen Zugangs der Kündigung zurechnen lassen muss, oder ob die arbeitsteilige Verwaltungsstruktur zu Gunsten der Beklagten in der Weise zu berücksichtigen ist, dass erst der Eingang im Personalamt am 16.09.2002 der Beurteilung, ob die Beklagte ohne schuldhaftes Zögern gehandelt hat, zu Grunde zu legen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision wurde mangels allgemeiner Bedeutung nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 a ZPO wird hingewiesen.
Ende der Entscheidung
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