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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 10.03.2008
Aktenzeichen: 2 Sa 78/08
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
Einzelfallauslegung eines RationalisierungsschutzTV: regeln Tarifvertragsparteien einerseits ein Verbot der Produktionsverlagerung und bestimmen sie gleichzeitig, wie Schadensersatz berechnet wird, falls entgegen dem Verbot betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden, spricht dies für die Auslegung, dass ein absolutes Kündigungsverbot nicht gewollt war.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 25.09.2007 - Az.: 3 Ca 1435/07 h - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. In der Berufung streiten die Parteien nur noch darüber, ob die Kündigung vom 21.03.2007 deshalb unwirksam ist, weil die Beklagte gegen ein tarifvertragliches Verbot der Verlagerung von Produktionsstandorten verstoßen hat. Zu dem bereits im erstinstanzlichen Urteil zitierten § 2 des Firmentarifvertrages ENKA haben die Tarifvertragsparteien als Anlage zum Tarifvertrag folgende Protokollnotiz vom 25.11.2002 gefertigt.

"Protokollnotiz zu § 2

I. Sollte entgegen der Regelung in § 2 der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen in der Zeit vom 1.1.2003 bis 31.12.2005 notwendig werden, gilt Folgendes:

1. § 112 a BetrVG findet mit der Maßgabe Anwendung, dass anstelle des Begriffs "Betrieb" der Begriff "Unternehmen" tritt.

2. Arbeitnehmer, die während der Laufzeit des Tarifvertrages betriebsbedingt entlassen werden, erhalten rückwirkend für die letzten 12 Monate vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Differenz zwischen dem nach diesem Tarifvertrag gezahlten Tarifentgelt einschließlich der Jahresleistung und dem Tarifentgelt entsprechend dem jeweiligen Tarifvertrag über Entgeltsätze und Ausbildungsvergütungen für die chemische Industrie in den neuen Bundesländern und Berlin (Ost). Bezüglich der Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung werden die jeweils zum Zeitpunkt des Ausscheidens geltenden bezirklichen Entgelttarifsätze zugrunde gelegt.

3. Arbeitnehmer, die betriebsbedingt entlassen werden, erhalten eine Abfindung nach folgender Formel: vollendete Dienstjahre x 0,6 Monatseinkommen.

II. Für betriebsbedingte Kündigungen in der Zeit vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2012 findet I. Ziffer 2 Anwendung."

Der in erster Instanz unterlegene Kläger beantragt mit der Berufung,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 25.09.2007 - 3 Ca 1435/07 - festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 21.03.2007 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und fristgerechte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 21.03.2007 zum 30.09.2007 beendet worden. Kündigungsgründe, die die Kündigung sozial rechtfertigen i. S. d. § 1 KSchG sind in der Stilllegung des in H gelegenen Betriebes gegeben.

Die Unwirksamkeit der Kündigung folgt auch nicht, wie der Kläger meint daraus, dass der Firmentarifvertrag ENKA vom 05.12.2002, an den die Beklagte nach Betriebsübergang arbeitsvertraglich gebunden ist, ein Kündigungsverbot enthalte. Für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2012 folgt aus § 2 des Firmentarifvertrages ENKA weder ein absolutes Kündigungsverbot noch die Unwirksamkeit der Kündigung bei Verstoß gegen das Verlagerungsverbot.

Dies ergibt sich durch Auslegung des Tarifvertrages, die den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln folgt. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifanwendung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (vgl. BAG vom 21.03.2001 - 10 AZR 41/00).

Danach ergibt der Wortlaut des Tarifvertrages einen Verzicht auf Entlassungen nur für die Zeit bis zum 31.12.2005. Für die Zeit danach findet sich zwar das Verbot von Produktionsverlagerungen in andere Staaten, wobei hiervon wiederum die Spulereien der Werke ausgenommen sind. Der ohne Einschränkung bis zum 31.12.2005 zugesagte Verzicht auf Entlassungen findet sich für die Zeit danach jedoch nicht mehr. Bereits aus diesem Unterschied lässt sich ohne weiteres schlussfolgern, dass die beiden Zeitabschnitte unterschiedlich behandelt werden sollen und unterschiedliche Rechtsfolgen zur Beschäftigungssicherung in den beiden Zeitabschnitten gelten sollen. Während der Wortlaut des Vertrages für den ersten Zeitabschnitt jedenfalls eine betriebsbedingte Entlassung grundsätzlich ausschließt, ist dies für den zweiten Zeitabschnitt gerade nicht der Fall. Nimmt man zur Auslegung noch die Protokollnotiz hinzu, so ergibt sich erst recht, dass ein Kündigungsverbot i. S. einer Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung von den Tarifvertragsparteien überhaupt nicht gewollt wurde. Denn in der Protokollnotiz regeln die Tarifvertragsparteien, was gelten soll, wenn gleichwohl betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden. Dabei gehen die Tarifvertragsparteien sogar davon aus, dass auch in der Zeit vom 01.01.2003 - 31.12.2005 notwendige betriebsbedingte Kündigungen wirksam ausgesprochen werden können. Die Tarifvertragsparteien regeln nämlich gerade für diesen Zeitraum eine Kompensation für wirksame betriebsbedingte Kündigungen. Dies wäre nicht sinnvoll gewesen, wenn es Absicht der Tarifvertragsparteien gewesen wäre, einer Kündigung jedwede Wirksamkeit zu versagen. Auch in der Protokollnotiz trennen die Tarifvertragsparteien den Zeitablauf in zwei Abschnitte. Bei betriebsbedingten Kündigungen bis zum 31.12.2005 werden die Rechte der betroffenen Arbeitnehmer besonders gestärkt und insbesondere ein "Schadensersatzanspruch" in Höhe von 0,6 Monatseinkommen pro vollendetem Dienstjahr im Fall einer Entlassung vereinbart. Für betriebsbedingte Kündigungen ab dem 01.01.2006 regeln die Tarifvertragsparteien demgegenüber nur, dass der Gehaltsverzicht, der im Firmentarifvertrag ENKA geregelt ist, für die letzten 12 Monate des Bestandes des Arbeitsverhältnisses rückabgewickelt wird. Auch hierin kann eine pauschalierte Schadensersatzregelung für den Fall gesehen werden, dass die Arbeitgeberin entgegen ihrer Zusage eine Betriebsverlagerung vornimmt und deshalb betriebsbedingt Kündigungen ausspricht.

Wenn sich damit aus der Protokollnotiz bereits ergibt, dass nicht einmal die Kündigungen, die entgegen dem ausdrücklichen Kündigungsverbot aus § 2 des Firmentarifvertrages ENKA in der Zeit bis zum 31.12.2005 ausgesprochen werden, unwirksam sein sollen, sondern stattdessen nur eine finanzielle Kompensation erfolgt, ergibt sich dasselbe erst recht für den danach liegenden Zeitraum. Auf die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Betriebsverlagerung i. S. d. Tarifvertrages gehandelt hat, kommt es somit vorliegend nicht an. Damit verbleibt es dabei, dass die wegen der in O nicht mehr fortgeführten Produktion entfallende Arbeitsmöglichkeit die Kündigung des Klägers rechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde mangels allgemeiner Bedeutung des Rechtsstreits nicht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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