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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 05.03.2007
Aktenzeichen: 2 TaBV 10/07
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG § 111
BetrVG § 112
BetrVG § 112 a
Auch dann, wenn ein Betriebsrat erstmalig gewählt wird, nachdem die Betriebsänderung bereits begonnen hat, ist eine Einigungsstelle zur Errichtung eines Sozialplans nicht offensichtlich unzuständig. Kritik an der Rechtsprechung des BAG vom 22.10.1991 - 1 ABR 17/91.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsteller wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 12.01.2007 - 14 BV 1/07 - abgeändert:

Zum Vorsitzenden der Einigungsstelle über den Abschluss eines Sozialplans wegen der Schließung des K Betriebs der Antragsgegnerin wird Herr F T Bungertstrasse 71, 53639 Königswinter bestellt. Die Zahl der Beisitzer wird für jede Seite auf 2 Personen festgesetzt.

Gründe:

1. Die Beteiligten streiten in der Beschwerdeinstanz nur noch über die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Erstellung eines Sozialplans wegen der Betriebsschließung des K Betriebs der Antragsgegnerin. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Köln ist zwischenzeitlich eine erneute Betriebsratswahl durchgeführt worden. Der neu gewählte Betriebsrat hat beschlossen, das Verfahren hinsichtlich der Einsetzung einer Einigungsstelle fortzusetzen. Das vor dem Arbeitsgericht Köln anhängige Verfahren zur Frage der Anfechtung der Betriebsratswahl vom 27.11.2006 ist aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt worden.

Mit der Beschwerde beantragt der Antragsteller,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 12.01.2007 - 14 BV 1/07 - abzuändern und

1. zum Vorsitzenden der Einigungsstelle über den Abschluss eines Sozialplans wegen Betriebsschließung zum 30.06.2007 Herrn Dr. F J , Direktor des Arbeitsgerichts B , zu bestellen.

2. Die Zahl der Beisitzer für jede Seite auf 2 Personen festzusetzen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise zum Vorsitzenden Herrn G , Landesarbeitsgerichts D , zu bestimmen.

II. Die zulässige und fristgerechte Beschwerde ist begründet. Nach § 98 ArbGG war ein Vorsitzender für eine Einigungsstelle mit dem Ziel, eine Einigung über einen Sozialplan zu erreichen, zu bestellen. In diesem Verfahren ist dabei auch dann zu entscheiden, wenn die Arbeitgeberseite die Auffassung vertritt, eine Einigungsstelle sei überhaupt nicht zu errichten. Dabei kann wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle der Antrag nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Es muss auf den ersten Blick erkennbar sein, dass die Zuständigkeit nicht gegeben ist. Hängt die Zuständigkeit von der Beantwortung einer Rechtsfrage ab, so ist die Einigungsstelle nur dann unzuständig, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage zu dem eindeutigen Ergebnis der Unzuständigkeit der Einigungsstelle gelangt. Sprechen jedoch erhebliche Bedenken gegen die Beibehaltung einer bisherigen Rechtsprechung und ist diese beachtlicher Kritik ausgesetzt, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Einigungsstelle, deren Einrichtung von der Beantwortung der streitigen Rechtsfrage abhängt, offensichtlich unzuständig ist (vgl. LAG Saarland vom 14.05.2003 - 2 TaBV 7/03 - NZA RR 2003, Seite 639).

Im vorliegenden Verfahren kann es deshalb zunächst dahinstehen, ob der am 27.11.2006 gewählte Betriebsrat lediglich aufgrund anfechtbarer Wahl zustande gekommen ist oder ob die einzelnen im erstinstanzlichen Beschluss zutreffend aufgeführten Fehler des Wahlverfahrens auch unter Berücksichtigung der neuen, die Nichtigkeit einer Wahl einschränkenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.11.2003 - 7 ABR 24/03 - gleichwohl nichtig ist.

Käme man lediglich zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl, weil ausschließlich einzelne formelle Wahlvorschriften insbesondere im Fristenbereich missachtet wurden, die nach der oben zitierten BAG Rechtsprechung nicht kumulativ, sondern einzeln zu beurteilen sind, so wäre ein Betriebsrat jedenfalls vor Zugang der Kündigungen und damit vor Durchführung der beabsichtigten Betriebsschließung im Amt gewesen. Da dem anfechtbar gewählten Betriebsrat jedenfalls bis zur Rechtskraft des hierüber zu führenden Beschlussverfahrens die vollen Rechte eines Betriebsrats zukommen, wäre eine Einigungsstelle zumindest zur Aufstellung eines Sozialplanes nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.1991 - 1 ABR 17/91 - ohne weiteres zuständig.

Dies kann jedoch dahinstehen, da nach Ansicht der erkennenden Kammer auch der erst am 26.02.2007 neu gewählte Betriebsrat Verhandlungen über einen Sozialplan wegen der Betriebsschließung und dementsprechend die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Errichtung des Sozialplans verlangen kann. Die Voraussetzungen der §§ 111, 112 und 112 a BetrVG hinsichtlich der Sozialplanpflichtigkeit der Betriebsschließung zum 30.06.2007 sind unzweifelhaft gegeben.

Einigkeit besteht auch insoweit, dass ein Sozialplan grundsätzlich auch dann noch abgeschlossen werden kann, wenn die Betriebsänderung bereits durchgeführt worden ist und ein Interessenausgleich nicht zustande gekommen ist.

Die Argumente des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 22.10.1991 - 1 ABR 17/91 -, die das Bundesarbeitsgericht damals dazu bewogen haben, einem erst nach Beginn der Betriebsschließung gewählten Betriebsrat den Anspruch auf Aufstellung eines Sozialplans zu versagen, überzeugen nicht. Wie sich bereits deutlich im vorliegenden Sachverhalt zeigt, ist die angegriffene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts geeignet, einen Wettlauf zwischen der Belegschaft und dem Arbeitgeber in Gang zu setzen, ob ein Betriebsrat installiert werden kann, bevor die Kündigungen bei den Arbeitnehmern zugehen und damit die Betriebsschließung begonnen hat. Dieser Wettlauf führt zwangsläufig dazu, dass Arbeitgeber in betriebsratslosen Betrieben zunächst veranlasst sein könnten, Arbeitnehmer überhaupt nicht über eine bevorstehende Betriebsschließung zu informieren, bis nicht die Kündigungen wirklich zugegangen sind. Erfährt die Arbeitnehmerschaft vorzeitig von den Betriebsschließungsplänen, so kann sie sich veranlasst sehen, sehenden Auges die Fristenregelungen in der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz zu ignorieren, um hierdurch Zeitvorteile zu erhalten. Dies führt allerdings auch dazu, dass Minderheiten in der Belegschaft, die nicht erreicht werden können oder nicht schnell informiert werden können, von einer demokratischen Wahrnehmung ihrer Interessen ausgeschlossen werden. Sie stehen unter dem Druck, einem wahlordnungswidrig gewählten Betriebsrat nachträglich die Zustimmung zu erteilen, um eine "nur anfechtbare" Wahl des Betriebsrates darzustellen. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt so unmittelbar dazu, anfechtbare Betriebsratswahlen zu produzieren mit der Folge von Wahlanfechtungsverfahren, die Kosten verursachen, die besser einem Sozialplan zugute gekommen wären.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.1991 überzeugt aber auch insoweit nicht, als das Bundesarbeitsgericht ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers daran anerkennt, kalkulierbare Kosten zum Beginn der Betriebsschließung zugrunde legen zu können. Denn wenn man annimmt (eine Rechtsprechungsänderung unterstellt), dass auch ein nachträglich konstituierter Betriebsrat noch einen Sozialplan verlangen kann, werden die Kosten für den einzelnen Arbeitgeber je nach Betriebsgröße genauso kalkulierbar sein, wie sie es für Arbeitgeber sind, in deren Betrieben sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt Betriebsräte konstituiert haben. Allenfalls diejenigen Arbeitgeber, die in der Umstellungsphase der Rechtsprechung eine Betriebsschließung durchführen, sind dahingehend betroffen, dass sie nach der bisherigen Rechtsprechung Kosten eines Sozialplans in ihre betriebswirtschaftliche Berechnung noch nicht eingestellt hatten. Das Betriebsverfassungsgesetz selbst gibt demgegenüber in keiner Vorschrift Hinweise darauf, dass ein Arbeitgeber, in dessen Betrieb sich ein Betriebsrat erst nach Beginn der Betriebsschließung konstituiert, vor den Kosten geschützt sein soll, die die gesetzmäßige Wahl eines Betriebsrates, so sie denn noch möglich ist und die erforderliche Betriebsgröße noch gegeben ist, mit sich bringt. Noch einmal zur Klarstellung: Wird die Sozialplanfähigkeit eines nachträglich konstituierten Betriebsrats anerkannt, so werden die Kosten der Betriebsschließung für den Arbeitgeber nicht, wie das Bundesarbeitsgerichts meint unkalkulierbar, sondern der Arbeitgeber muss diese Kosten in jedem Fall eben zusätzlich einkalkulieren und zwar unabhängig davon, ob bereits vor der Betriebsschließung ein Betriebsrat im Betrieb gewählt war oder erst nachträglich. Die Kalkulation wird dann nur der in denjenigen Betrieben angepasst, die bereits zuvor einen Betriebsrat gewählt hatten.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.1991 überzeugt aber auch insoweit nicht, als das Bundesarbeitsgericht die Sozialplanpflichtigkeit deshalb abgelehnt hat, weil ein Interessenausgleich nicht möglich sei und damit der Anknüpfungspunkt für die Sozialplanpflicht nicht gegeben sei. Nach Ansicht der erkennenden Kammer werden hierbei die Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Interessenausgleich und Sozialplan unzulässig vermischt. Während es zutreffend ist, dass nach Beginn der Betriebsschließung ein Interessenausgleich nicht mehr möglich ist und deshalb auch nicht mehr durch Anrufung der Einigungsstelle erzwungen werden kann, ist es zu jedem Zeitpunkt während der Abwicklung des Betriebes möglich, die sozialen und wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern aus der Betriebsschließung entstehen, durch einen Sozialplan abzumildern. Der Sozialplan knüpft nämlich nicht an der Verhinderung der unternehmerischen Entscheidung an, sondern daran, dass die Folgen der unternehmerischen Entscheidung gemildert werden. Das Ziel des Sozialplanes ist deshalb ohne weiteres auch noch nach Beginn der Betriebsschließung zu erreichen. Der Anknüpfungspunkt Milderung der Arbeitnehmernachteile besteht während des gesamten Zeitraums der Schließungsphase fort. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Betriebsrat schon vor Beginn der Betriebsschließung existiert haben muss, um diese gesetzlichen Ziele des Sozialplans verwirklichen und für sich in Anspruch nehmen zu können.

Die erkennende Kammer hält die drei schwerpunktmäßig aufgeführten Kritikpunkte an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.1991 - 1 ABR 17/91 - für derart schwerwiegend, dass nicht mehr gesagt werden kann, dass eine Einigungsstelle vorliegend offensichtlich unzuständig ist. Im Falle eines Spruchs der Einigungsstelle mag die Arbeitgeberin diesen anfechten. Im Verfahren hierüber kann gegebenenfalls eine höchstrichterliche Entscheidung ergehen, die letzte Klarheit bringen wird.

Da sich die Beteiligten nicht über die Person des Vorsitzenden einigen konnten, ist es sachgerecht, eine von beiden Beteiligten nicht ins Gespräch gebrachte Person zum Vorsitzenden zu bestellen, um hierdurch eine mögliche Voreingenommenheit gegenüber der Person des Vorsitzenden nicht zu fördern und die Verhandlungen vor der Einigungsstelle nicht hierdurch unnötig zu belasten. Die Zahl der Beisitzer war, wie zuletzt beantragt, auf 2 für jede Seite festzusetzen.

Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Ein weiteres Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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