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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 02.12.2002
Aktenzeichen: 2 TaBV 64/02
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 80 Abs. 1
Der Geltungsbereich des Groß + Außenhandels TV bestimmt sich danach, ob dem Kunden Eigentum an Waren verschafft wird. Auch wenn zur Eigentumsverschaffung der Transport der Ware zum Kunden gehört und die Anzahl der mit dem Transport beschäftigten Mitarbeiter größer ist als die der mit kaufmännischen Tätigkeiten beschäftigten Mitarbeiter ist der TV für das Speditionsgewerbe auf den Betrieb nicht anwendbar.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 2 TaBV 64/02

Verkündet am: 02.12.2002

In dem Beschlussverfahren

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Anhörung vom 02.12.2002 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Olesch als Vorsitzende sowie den ehrenamtlichen Richtern Hanel und Heider

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 20.06.2002 - 3 BV 12/02 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Unternehmen der Antragsgegnerin (i. F. Arbeitgeberin) in den Geltungsbereich der allgemeinverbindlichen Tarifverträge für den Groß- und Außenhandel NRW oder in den der Tarifverträge für das private Güterverkehrsgewerbe fällt.

Laut Handelsregistereintrag befasst sich die Arbeitgeberin

"... mit der Einfuhr und dem Handel mit Lebensmitteln, Getränken und gastronomischen Bedarfsartikeln ...".

Sie importiert und vertreibt Frischwaren an gewerbliche Abnehmer, vornehmlich aus der Hotelerie- und Gastronomiebranche. Die Frischwaren werden im wesentlichen telefonisch eingekauft, teils mit eigenen Fahrzeugen und eigenen Fahrern der Beklagten transportiert oder vom Flughafen und Güterbahnhof abgeholt, teilweise wiederum in einer Halle der Arbeitgeberin kommissioniert und für die Kunden zusammengestellt und sodann an diese ausgeliefert, wobei die Kundenbetreuung und Akquisition wiederum im wesentlichen telefonisch stattfindet. Die Preise, die den Kunden berechnet werden, bestimmen sich nach Stück oder Kilo der gekauften Ware, nicht jedoch nach zurückgelegten Entfernungskilometern. Von den durchschnittlich 425 Mitarbeitern sind 53,8 % im Fuhrpark beschäftigt, 23, 5 % im Versand (Kommissionierung, Warenannahme, Warenkontrolle), 11,76 % im Verkauf und 2,11 % im Einkauf.

Die Arbeitgeberin ist aus dem Arbeitgeberverband für den Groß- und Außenhandel NRW ausgetreten. Sie geht davon aus, dass der Betrieb in den Geltungsbereich der Tarifverträge für das private Güterverkehrsgewerbe fällt. In den neuen Arbeitsvertragsmustern heißt es deshalb in § 21:

"Der Arbeitgeber fällt in den Geltungsbereich der Tarifverträge des privaten Güterverkehrsgewerbes. Sofern beide Vertragsparteien tarifgebunden sind, finden die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer/die kfm. und technischen Angestellten im privaten Güterverkehrsgewerbe in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung ...".

Der Betriebsrat vertritt die Ansicht, dass auf die Arbeitgeberin nach wie vor die Tarifverträge für den Groß- und Außenhandel NRW Anwendung finden. Denn der Transport sei notwendigerweise dem Verkauf untergeordnet. Um die Betriebsratsaufgabe der Einhaltung von Tarifverträgen nach § 80 BetrVG wahrnehmen zu können, sei deshalb auch das Feststellungsinteresse, welcher Tarifvertrag überhaupt im Unternehmen Anwendung finde, gegeben.

Die Arbeitgeberin vertritt die Ansicht, ihr Betrieb sei eine Spedition, da die meisten Arbeitnehmer im Transportbereich beschäftigt würden. Auch der Transport eigener Güter unterfalle dem Güterkraftverkehrsgesetz. Da sich hier eine Definition des Güterkraftverkehrs finde, sei diese Definition auch im Rahmen der Tarifverträge des Güterverkehrsgewerbes anwendbar. Insbesondere sei der Geschäftszweck ihres Betriebes nicht aus der Sicht des Kunden zu definieren, sondern werde durch den Schwerpunkt der Arbeitsaufgaben bestimmt, der im Transportbereich liege.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. festzustellen, dass die betrieblichen Arbeitsverhältnisse den allgemein verbindlichen Tarifverträge des Groß- und Außenhandels NRW unterfallen;

2. der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen, bei der Einstellung von Arbeitnehmern Arbeitsvertragsformulare zu verwenden, welche auf die betriebliche Einschlägigkeit der Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer bzw. die kfm. und technischen Angestellten im privaten Güterverkehrsgewerbe hinweisen und für den Fall der entsprechenden Tarifgebundenheit deren Anwendung bestimmen;

3. der Antragsgegnerin anzudrohen, dass für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 500.000,- DM oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten festgesetzt wird.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht Bonn hat nach den Anträgen des Betriebsrats erkannt. Mit der Beschwerde verfolgt die Arbeitgeberin weiterhin die Abweisung der Betriebsratsanträge.

II. Die fristgerechte und auch im übrigen zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Auf dem Betrieb der Arbeitgeberin sind die für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge des Groß- und Außenhandels anwendbar.

Das Feststellungsinteresse des Betriebsrats für den Antrag zu 1) folgt aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Der Betriebsrat kann seine Überwachungsaufgaben erst dann wahrnehmen, wenn der Streit, welcher Tarifvertrag im Unternehmen Anwendung findet, zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber geklärt ist.

Damit ist für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblich, ob der Betriebszweck der Arbeitgeberin der Import und Handel mit Waren ist, oder die Spedition von Waren. Aus den insoweit für die Entscheidungsfindung grundlegenden Entscheidungen des BAG vom 26.08.1998 (- 4 AZR 471/97 - AP Nr. 66 zu § 1 TVG Tarifverträge Einzelhandel) und vom 07.11.2001 (- 4 AZR 663/00 - AP Nr. 79 zu § 1 TVG Tarifverträge Einzelhandel) ergibt sich, dass der Betriebszweck eines Betriebes nach der allgemeinen Lebensanschauung festzustellen ist. Nicht maßgeblich ist demgegenüber in welcher betrieblichen Teilaufgabe die meisten Arbeitnehmer beschäftigt werden.

So bleibt eine Bäckerei eine Bäckerei, auch wenn deutlich weniger Arbeitnehmer mit der Produktion der Backwaren beschäftigt sind als beim Verkauf eingesetzt werden, denn nicht das Verkaufen der Ware gibt dem Betrieb das Gepräge, sondern die Herstellung aus den Zutaten. Ähnliches hat das BAG zu einem Gartencenter, welches Gartenbauprodukte (Pflanzen) angekauft mit dem Zweck, diese weiter zu verkaufen, entschieden. Da der Verkauf bei einer im konkreten Fall viermonatigen Verweildauer der Pflanzen im Betrieb nur möglich ist, wenn diese in der Zwischenzeit gepflegt und versorgt werden, steht und fällt der Verkaufserfolg mit den gärtnerischen Leistungen, die in der Zwischenzeit an den Pflanzen vorzunehmen sind. Der Gesamtbetrieb verfolgt deshalb den Betriebszweck eines Gartenbaubetriebes und nicht eines Einzelhandelsbetriebes.

Im vorliegenden Fall ist der Geschäftserfolg der Arbeitgeberin dadurch geprägt, dass sie ihren Kunden (Großabnehmern) Eigentum an Waren, die teilweise importiert werden, verschafft. Um diese Eigentumsverschaffung im Sinne der Erfüllung des Kaufvertrags zu ermöglichen, muss die Arbeitgeberin die Waren zum Kunden bringen. Damit ist die Transporttätigkeit der Erfüllung des Kaufvertrages untergeordnet und stellt eine Hilfsaufgabe im Rahmen des Betriebszweck "Handeln mit Waren" dar. Von einem Handelsunternehmen unterscheidet sich eine Spedition nämlich dadurch, dass Speditionen ohne Eigentum an den Waren zu erwerben, Güter Dritter von einem an einen anderen Ort transportieren. Demgegenüber schuldet der Großhändler seinem Kunden die Eigentumsverschaffung an zuvor von ihm selbst erworbenen Gütern, sowie zum Zwecke der Übertragung des Eigentums den Transport zum Ort der Übergabe der Ware. Hierbei kann er den Transport selbst bewerkstelligen oder sich Dritter, nämlich Speditionen bedienen. Auch hier wird damit der Geschäftszweck nicht nach der Tätigkeit der meisten Arbeitnehmer bestimmt, sondern danach, welche Arbeitsaufgabe dem Betrieb das Gepräge gibt.

Die Heranziehung der Definition des Güterkraftverkehrs im Güterkraftverkehrsgesetz zur Auslegung des Geltungsbereichs des Tarifvertrages für das Güterverkehrsgewerbe ist darüber hinaus ungeeignet, den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages zu bestimmen. Denn ein Betrieb, der als Betriebszweck nur das Herumfahren eigener Waren hat, ohne dass dem der Warenabsatz oder die weitere Verwendung folgt, ist nicht denkbar, da einem solchen Betrieb kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden sein wird. Auch ein Bauunternehmen, dass mit eigenen LKW zuvor erworbenes Baumaterial auf die Baustellen fährt, wird hierdurch nicht zu einem Unternehmen des Güterverkehrs. Selbst dann nicht, wenn die Mehrzahl der Arbeitnehmer mit dem Transport beschäftigt sein sollte. Denn auch hier ist das Fahren des Materials nur Hilfszweck, der dem Betriebszweck "Erstellen eines Gebäudes" untergeordnet ist.

Wegen der auch hier vorliegenden Unterordnung der Transporttätigkeiten handelt es sich bei der Beklagten auch nicht um einen Mischbetrieb. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beklagte neben dem Verkauf von Waren Transportleistungen in der Weise anbieten würde, dass andere Großhändler ihre Ware mittels LKW der Beklagten zum Kunden fahren lassen könnten.

Damit hat das Arbeitsgericht Bonn auch hinsichtlich der weiteren Anträge richtigerweise dahingehend entschieden, dass die Arbeitgeberin im Betrieb nicht die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer bzw. die kaufmännischen und technischen Angestellten im privaten Güterverkehrsgewerbe NRW vereinbaren kann bzw. gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern die Anwendbarkeit dieser Tarifverträge durch Arbeitsvertragsformular als richtig darstellen darf.

Die Rechtsbeschwerde wurde wegen der Vielzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zugelassen.

Ende der Entscheidung

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