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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 07.12.2005
Aktenzeichen: 3 Sa 1055/05
Rechtsgebiete: BGB, InsO


Vorschriften:

BGB § 611
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2
1) Auch in der Insolvenz sind Weihnachtsgratifikationen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, zu zahlen.

2) Die insolvenzrechtliche Einordnung einer Gratifikation ist entscheidend von dem Gratifikationszweck und -charakter abhängig.

3) Mit einer Weihnachtsgratifikation wird regelmäßig erbrachte Betriebstreue belohnt. Sie ist daher in aller Regel eine sonstige Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.


Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.05.2005 - 7 Ca 8946/02 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger war langjähriger Mitarbeiter der Schuldnerin, über deren Vermögen am 05.08.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter, der den Kläger mit Schreiben vom 07.08.2002 mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung des restlichen Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellte und mit dem Kläger am 05.12.2003 einen Teilvergleich dahingehend schloss, dass das Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin durch ordentliche insolvenzbedingte Kündigung des Beklagten vom 28.08.2002 mit Ablauf des 30.11.2002 endete. Die Parteien vereinbarten ferner eine ordnungsgemäße Abwicklung unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Vorschriften.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger noch die Zahlung eines rechnerisch unstreitigen Weihnachtsgeldes in Höhe von 2.754,00 € brutto auf der Grundlage seines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 27.05.1992, dessen Ziffer 2b) nach einer Bruttomonatsvergütungsregelung in Ziffer 2a) folgende Bestimmung enthält:

"Darüber hinaus erhält Herr G ein Urlaubsgeld und ein Weihnachtsgeld, deren Höhe sich nach den Bestimmungen der für Tarifangestellte der Gesellschaft gültigen Regelung richtet."

Aufgabengebiet und Tätigkeit des Klägers wird in Ziffer 1a) des Arbeitsvertrages u. a. wie folgt beschrieben:

"...Herr G wird als außertariflicher Mitarbeiter eingestuft. Er bekleidet in der neuen TKT-Niederlassung die Funktion des Technischen Leiters."

Schließlich enthält der schriftliche Arbeitsvertrag in Ziffer 12a) folgende Schlussbestimmungen:

"Soweit in diesem Vertrag nichts anderes gesagt ist, gelten für das Vertragsverhältnis die im Unternehmen üblichen Regelungen. Dies gilt insbesondere für die Betriebsordnung der TKT und die Arbeitszeitregelung."

Das arbeitsvertraglich vereinbarte Weihnachtsgeld wurde in der Vergangenheit regelmäßig mit der Novemberabrechnung ausgezahlt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm auch für 2002 das Weihnachtsgeld zustehe, denn dieses sei Vergütungsbestandteil und angesichts seiner Fälligkeit im November 2002 Masseforderung.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2.754,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2003 zu zahlen;

hilfsweise einen Betrag von 2.754,00 € brutto Weihnachtsgeld als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzuerkennen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein Weihnachtsgeldanspruch nicht zu, weil er bereits zum 30.11.2002 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei und daher Weihnachten 2002 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe. Im übrigen sei nach dem einschlägigen Tarifvertrag auf den Stichtag 01.12. abzustellen. Jedenfalls aber würde es sich bei einem unterstellten Weihnachtsgeldanspruch größtenteils um eine Insolvenzforderung handeln, weil der überwiegende Teil des Anspruchs mit Erbringung der Arbeitsleistung vor der Insolvenzeröffnung entstanden wäre.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 11.05.2005 stattgegeben und dabei zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der Weihnachtsgeldanspruch des Klägers sei mit Erteilung der Novemberabrechnung 2002 fällig geworden. Es komme nicht darauf an, dass der Kläger Weihnachten 2002 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten gestanden habe, denn ihm könne durch die Insolvenzeröffnung und die dadurch bedingte Kündigung der entstanden Gratifikationsanspruch nicht zunichte gemacht werden. Er seinerseits habe alles getan, um den Anspruch entstehen und fällig werden zu lassen. Gegen dieses ihm am 27.06.2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 26.07.2005 Berufung eingelegt und diese am Montag, den 29.08.2005 begründet.

Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, gemäß Ziffer 12 des Arbeitsvertrages komme der vom Industrieverband Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik Nordrhein-Westfalen e. V. und der IG-Metall abgeschlossene Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 26.05.1998 zur Anwendung. Nach der tariflichen Fälligkeitsregelung in § 3 dieses Tarifvertrages und der Ausschlussregelung für gekündigte Arbeitsverhältnisse in § 2 scheide ein Weihnachtsgeldanspruch des Klägers aus. Die bisherigen Auszahlung im November eines jeden Jahres sei eine vom Tarifvertrag nicht ausgeschlossene vorfällige Zahlung. Der Beklagte macht weiter geltend, auch ohne Anwendung des Tarifvertrages scheide ein Weihnachtsgeldanspruch des Klägers aus, da ungeschriebene Voraussetzung eines jeden Weihnachtsgeldes sei, dass das Arbeitsverhältnis Weihnachten auch noch bestehe. Ferner beruft sich der Beklagte auf die tarifliche Ausschlussfrist in § 16 Nr. 1 des Manteltarifvertrages, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis spätestens innerhalb von 3 Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend gemacht werden müssen. Schließlich hält der Beklagte an seiner Auffassung fest, dass selbst bei Bestehen eines Anspruches dieser jedenfalls zum weit überwiegenden Teil eine bloße Insolvenzforderung darstellen würde, die zur Tabelle anzumelden wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. In der Sache hat das Rechtsmittel des Beklagten jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht in vollem Umfang stattgegeben.

1. Der Kläger hat gegen den Beklagten gemäß § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. Ziff. 2b) des Arbeitsvertrages einen Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes in unstreitiger Höhe von 2.754,00 € brutto.

a) Die vorgenannte arbeitsvertragliche Vereinbarung der Parteien sieht keine besonderen Anspruchsvoraussetzungen vor. Danach schuldet der Beklagte dem Kläger im bestehenden Arbeitsverhältnis ein Weihnachtsgeld. Entgegen der Auffassung des Beklagten gilt auch nicht die ungeschriebene Voraussetzung, dass das Arbeitsverhältnis Weihnachten bei Bestand gewesen sein muss. Soweit das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 30.03.1994 (- 10 AZR 134/93 - NZA 1994, 651) eine arbeitsvertragliche Weihnachtsgeldregelung gegenteilig ausgelegt hat, kommt dies hier aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nicht in Betracht. Denn anders als im vorliegenden Fall wurde dort das Weihnachtsgeld regelmäßig nicht bereits vor den Weihnachtsfeiertagen im November ausgezahlt. Ist die Weihnachtsgratifikation aber - wie hier - bereits Ende November fällig und wird sie auch regelmäßig zu diesem Termin an den Arbeitnehmer ausgezahlt, so kann ein zeitlich nachfolgendes Ereignis grundsätzlich keine Anspruchsvoraussetzung sein. Anderenfalls bedürfte es zumindest entsprechender Rückzahlungsvereinbarungen für den Fall eines "vorzeitigen" Ausscheidens des Arbeitnehmers. Auch solche finden sich in den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien jedoch nicht.

b) Dem so entstandenen Weihnachtsgeldanspruch des Klägers stehen auch keine sonstigen Einwände entgegen.

aa) Zunächst sind entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen gemäß §§ 2, 3 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens im Bereich der Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik in Nordrhein-Westfalen nicht einschlägig. Der vorgenannte Tarifvertrag ist auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht anwendbar. Unstreitig besteht keine unmittelbare Tarifbindung der Parteien.

Auch eine arbeitsvertragliche Inbezugnahme scheidet aus. Der Hinweis des Beklagten auf die Schlussbestimmungen in Ziffer 12 des Arbeitsvertrages vom 27.05.1992 trägt nicht. Dort haben die Parteien die Geltung der im Unternehmen üblichen Regelungen vereinbart, soweit der Arbeitsvertrag selbst keine Regelungen enthält. Dies wird in Satz 2 von Ziffer 12a) des Arbeitsvertrages konkretisierend dahingehend ergänzt, dass insbesondere die Betriebsordnung und die Arbeitszeitregelung gelten sollen. Mit diesen letztgenannten Beispielen wird auf betriebliche Regelungen im eigentlichen Wortsinn Bezug genommen, also Vereinbarungen bzw. Anweisungen auf betriebliche Ebene. Ob der Begriff der "im Unternehmen üblichen Regelungen" in Ziffer 12a) S. 1 darüber hinaus auch tarifliche Regelungen umfasst, erscheint insofern fraglich. Hinzu kommt, dass die Parteien den Kläger in Ziff. 1a) des Arbeitsvertrages ausdrücklich als außertariflichen Mitarbeiter eingestuft haben. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch in mehrfacher Hinsicht von der Entscheidung des 10. Senats des BAG vom 13.05.2004 ( - 10 AZR 525/03 - , AP Nr. 256 zu § 611 BGB Gratifikation). Dort kamen gleichlautende tarifliche Bestimmungen kraft betrieblicher Übung zur Anwendung.

Diese Bedenken können jedoch letztlich offen bleiben, da die Regelung in Ziffer 12a) des Arbeitsvertrages jedenfalls nur Auffangcharakter hat, soweit der Arbeitsvertrag selbst keine Regelungen enthält. Dies ist jedoch für das Weihnachtsgeld in Ziffer 2b) des Arbeitsvertrages der Fall. Dies gilt umso mehr als in der letztgenannten Vertragsbestimmung ausdrücklich ein Weihnachtsgeld vereinbart worden ist und der Tarifvertrag die Zahlung eines 13. Monatsgehaltes vorsieht. Auch die tariflichen Ausschlussfristen sind mithin nicht einschlägig.

bb) Soweit schließlich in Ziffer 2b) des Arbeitsvertrages selbst auf die Bestimmungen für Tarifangestellte Bezug genommen wird, geschieht dies hinsichtlich des Weihnachtsgeldes allein für dessen Höhe. Mögliche tarifliche Anspruchsvoraussetzungen sind von dieser Bezugnahmeklausel nicht umfasst. Die Höhe des Weihnachtsgeldanspruchs des Klägers ist jedoch zwischen den Parteien nicht im Streit.

2. Der Weihnachtsgeldanspruch des Klägers gegen den Beklagten stellt auch eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar.

Zunächst ist die Weihnachtsgratifikation nicht bereits aufgrund des Umstands der Insolvenzeröffnung selbst ausgeschlossen. Auch in der Insolvenz sind Weihnachtsgratifikationen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, zu zahlen (so bereits BAG, Urteil vom 18.12.1964, AP Nr. 51 zu § 611 BGB Gratifikation). Fraglich ist insoweit allein, ob es sich dabei insgesamt um Masseverbindlichkeiten im vorgenannten Sinn handelt, oder ob zeitanteilig zu ermitteln ist, in welchem Umfang die Gratifikation auf den Zeitraum vor bzw. nach der Insolvenzeröffnung entfällt (so undifferenziert für jegliche Art betrieblicher Sonderleistungen Braun/Bäuerle, InsO, 2. Auflage 2004, § 55 Rz. 34).

Richtigerweise ist insoweit auf den Charakter und den Zweck der einzelnen Gratifikation abzustellen. Handelt es sich - wie beim 13. Monatsgehalt - um eine Sonderleistung des Arbeitgebers die sich den einzelnen Monaten zuordnen lässt, so bedarf es einer Aufteilung im vorgenannte Sinn. Nur der Teil, der auf die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt, stellt dann eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Soweit die Gratifikationszahlung eine Gegenleistung für vor der Verfahrenseröffnung verrichtete Dienste darstellt, liegt eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO vor. Anders ist dies bei einer Sonderleistung, die einzelnen Beschäftigungsmonaten oder Zeitabschnitten nicht zugeordnet werden kann. Geht es nämlich allein um die Belohnung von geleisteter Betriebstreue, was beispielsweise regelmäßig durch eine Stichtagsregelung zum Ausdruck kommt, hat der Arbeitnehmer keine anteiligen Ansprüche, sondern der Gratifikationsanspruch entsteht immer erst mit Erreichen des Stichtages bzw. Erbringung der mit Gratifikation belohnten Betriebstreue. Hierfür stellt die Weihnachtsgratifikation ein typisches Beispiel dar (vgl. Küttner/Griese, Personalbuch, 12. Auflage 2005, Gratifikation Rz. 10 m. w. N.).

Eine solche Weihnachtsgeldvereinbarung haben die Parteien im vorliegenden Fall getroffen. Der Arbeitsvertrag spricht in Ziffer 2b) ausdrücklich von der Zahlung eines Weihnachtsgeldes. Diese Weihnachtsgeldzahlung ist immer mit der Novemberabrechnung eines jeden Jahres erfolgt. Damit liegt auch eine ungeschriebene Stichtagsregelung vor. Gegenteilige Anhaltspunkte, die für eine Entgeltregelung sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist, wie oben im einzelnen dargestellt - auch die Tarifregelung bezüglich der Anspruchsvoraussetzungen nicht in Bezug genommen. Aus dem damit zweifelsfrei feststehenden Gratifikationscharakter der arbeitsvertraglichen Weihnachtsgeldregelung folgt deren Einordnung als sonstige Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO (vgl. Münchener Kommentar/Hefermehl, InsO 2001, § 55 Rz. 172 ff.; Uhlenbruck, InsO, 12. Auflage 2003, § 55 Rz. 64; ebenso bereits zur früher geltenden Konkursordnung BAG, Urteil vom 23.05.1967 - 5 AZR 449/66 - , AP Nr. 3 zu § 59 KO).

Nach allem hatte somit die Klage im Hauptantrag Erfolg und die Berufung des Beklagten war insgesamt zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere waren keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung betroffen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht und im übrigen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt.

Ende der Entscheidung

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