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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 17.12.2008
Aktenzeichen: 3 Sa 1194/08
Rechtsgebiete: BGB, KSchG, BetrVG
Vorschriften:
BGB § 626 | |
KSchG § 1 | |
BetrVG § 102 |
Das ist der Fall, wenn einer Altenpflegerin vorgeworfen wird, sie habe einem an hochgradiger Diabetes leidenden Patienten entgegen entsprechender genereller ärztlicher Anweisung nicht in hinreichendem Umfang Insulin verabreicht und dabei in der Anhörung des Betriebsrats u. a. mehrfach ausgeführt wird, dass es sich um einen arabischen Patienten gehandelt habe und die Klägerin vor einigen Monaten mitgeteilt habe, dass sie beabsichtige zum Judentum überzutreten, gleichzeitig aber für einen derartigen kausalen Zusammenhang jeglicher konkreter Sachvortrag der Arbeitgeberin fehlt.
Tenor:
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.09.2008 - 3 Ca 331/08 - wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin ist seit dem 01.10.2002 als Altenpflegerin bei dem Beklagten beschäftigt. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 01.02.2008. Diese Kündigung stützt der Beklagte ausweislich der im Kündigungsschreiben angegebenen Begründung darauf, dass die Klägerin einen Patienten wissentlich vorsätzlich unter Inkaufnahme irreparabler Schäden und der Möglichkeit des Versterbens geschädigt habe, indem sie von einer ärztlichen Anweisung zur Insulingabe eigenmächtig abgewichen sei. In der schriftlichen Anhörung des Betriebsrats vom 29.01.2008 hat der Verwaltungsdirektor des Beklagten zur Begründung der Kündigung u. a. Folgendes ausgeführt:
"In der Vergangenheit sind die Leistungen von Frau zunehmend kritischer gesehen worden. So sah sich die Pflegedienstleitung nicht in der Lage, dem Wunsch von Frau mit Schreiben vom 15.11.2005 eine Erhöhung der Stundenzahl von einer 50%-Stelle auf eine 75 % Stelle zu entsprechen.
Am 28.01.2007 wurde ein abmahnungsgleiches Gespräch zwischen der Pflegedienstleitung und Frau geführt, weil durch Nichterreichbarkeit von Frau eine sehr kritische Situation in der Versorgung der Patienten entstanden ist. (Kopie sh. Anlage).
Mit Schreiben vom 21.11.2007 teilte Frau auf einem handschriftlichen Zettel mit, dass sie die Dienstplanung an mehreren Tagen nicht einhalten kann und im Übrigen freitags, samstags und montags ab 18.30 Uhr überhaupt nicht zur Verfügung stände.
Diese Arbeitsverweigerungen hat die Geschäftsleitung mit Schreiben vom 22.11.2007 zum Anlass genommen, Frau um eine Stellungnahme zu bitten und im Fall des Verbleibs bei den schriftlich mitgeteilten Arbeitsverweigerungen die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht (Zuschrift vom 22.11.2007 sh. Anlage).
Mit Schreiben vom 08.12.2007 ist der Stellungnahme von Frau zu entnehmen, dass sie beabsichtigt, zum Judentum überzutreten und aus diesem Grunde an bestimmten Zeiten nicht und darüber hinaus nur eingeschränkt tätig sein kann.
Mit Schreiben vom 10.12.2007 antwortet die Geschäftsleitung auf die Anwürfe, die völlig unberechtigt sind.
Beide Schreiben werden als Anlage beigefügt.
Am 28.01.2008 wird die Geschäftsleitung damit konfrontiert, dass Frau bei einem arabischen Patienten sich geweigert hat, trotz ärztlicher Anordnung, diesem an hochgradiger Diabetes leidenden Patienten Insulin zu verabreichen.
Entsprechend der labormäßigen und klinischen Kontrolluntersuchungen ist gleiches am 20.01.2008 erfolgt.
Dies hat den arabischen Patienten in Lebensgefahr gebracht.
Im Einzelnen wird mir mitgeteilt, dass der betreffende Patient infolge der fehlenden Insulingabe, als Ergebnis einer strikten Weigerung ärztlichen Anordnungen zu folgen (Anordnung des Assistenzarztes und Internisten, D . S ), somnolent und extrem schwitzend im Bett vorgefunden wurde.
Er schied in 2 Stunden 3 Liter Urin aus und bekam gegen 03:00 Uhr erheblichen Durchfall. Er hatte keine Kraft mehr, den Schleim aus der Trachealkanüle abzuhusten. Bei jeder Lagerung und bei der leichtesten Berührung bekam er Muskelspasmen, der Blutdruck sank dramatisch auf 80/40 mm/Hg, der Puls war erheblich abgesunken, gleichfalls bestand Untertemperatur. Auch die O-Sättigung war deutlich unterdurchschnittlich. Der herbeigerufene Dienstarzt leitete erste Maßnahmen ein, um das Leben des Patienten zu retten. Als Zeuge für diesen Vorgang stehen Herr L G , Frau O B und Frau V B zur Verfügung.
Bei rechtlicher Bewertung komme ich zu dem Ergebnis, dass hier keine grobe Fahrlässigkeit, sondern sogar Vorsatz vorliegt. ..."
Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Mit diesem Urteil vom 04.09.2008 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 01.02.2008 aufgelöst worden ist. Es hat darüberhinaus den Beklagten zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses sowie zur Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Parteien sei dass kündigungsauslösende Verhalten der Klägerin nicht so gravierend, dass den Parteien eine weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden könne. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils (Bl. 105 ff. d. A.) Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 25.09.2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 01.10.2008 Berufung eingelegt und diese am 24.10.20008 begründet.
Der Beklagte hält weiterhin sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung für rechtswirksam. Er wiederholt zunächst seinen erstinstanzlichen Sachvortrag zu der von der Klägerin am 19.01.2008 gegen 15:00 Uhr unterlassenen zusätzlichen Insulingabe bei dem von ihr betreuten Patienten A -N . Weiter behauptet der Beklagte nunmehr, die Klägerin habe auch bei der dem Patienten um 18:00 Uhr verabreichten Sondenkost die Insulinregelgabe von 8 Einheiten nicht vorgenommen. Wegen des Fehlverhaltens der Klägerin am darauffolgenden 20.01.2008 wiederholt der Beklagte wiederum seinen erstinstanzlichen Vortrag. Danach hat die Klägerin bei der um 18:00 Uhr verabreichten Sondenkost die Insulinregelgabe nicht vorgenommen. Soweit in der Patientendokumentation eine solche Insulingabe verzeichnet sei, sei dies unzutreffend, wie sich aus dem gegenteiligen prozessualen Geständnis der Klägerin in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ergebe. Im Übrigen weist der Beklagte nochmals darauf hin, dass die Klägerin die Insulingabe nicht versehentlich unterlassen, sondern vielmehr bewusst und vorsätzlich gehandelt habe. Insbesondere habe sie ihr Verhalten am 19.01.2008 nicht mit dem Arzt D . S abgestimmt, da dieser weder am 19., noch am 20.01.2008 in der Klinik anwesend gewesen sei. Schließlich müsse bei der Würdigung des Kündigungsgrundes berücksichtigt werden, dass die Klägerin in beiden Fällen ausdrücklich erklärt habe, sie werde sich in einer ähnlichen Situation wiederum in gleicher Weise verhalten. Dabei sei besonders gravierend zu werten, dass die Klägerin diese Äußerung gegenüber dem Betriebsrat in Kenntnis der Kündigungsabsicht der Beklagten getätigt habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.09.2008 - 3 Ca 331/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und sieht weiterhin weder einen Grund für eine ordentliche Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG noch für eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Sie ist der Auffassung, sie habe zum einen keine Pflichtverletzung begangen und zum anderen würde selbst eine unterstellte Pflichtverletzung eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und weist nochmals darauf hin, dass in der Vergangenheit in Ausnahmefällen durchaus Abweichungen von den ärztlichen Anweisungen zur Insulingabe bei verschiedenen Patienten gemacht worden seien. Im Übrigen hält sie bezüglich des 19.01.2008 an ihrem bisherigen Sachvortrag fest und behauptet weiterhin, die um 15:00 Uhr unterlassene Zusatzinsulingabe mit dem Arzt D . S abgesprochen zu haben. Auch die Regelinsulingabe um 18:00 Uhr sei von ihr vorgenommen worden, wie sich aus dem von ihr ausgefüllten Bilanzbogen ergebe. Des weiteren sei es auch am 20.01.2008 nicht zu einer Pflichtverletzung der Klägerin gekommen. Die von dem Beklagten bestrittene Regelgabe um 18:00 Uhr sei erfolgt. Dies ergebe sich aus den Eintragungen auf dem Überwachungsbogen vom 20.01.2008. Insgesamt sei die Kündigung jedenfalls unverhältnismäßig und es fehle an einer vorherigen Abmahnung.
Schließlich vertritt die Klägerin die Auffassung, dass darüberhinaus auch die Betriebsratsanhörung fehlerhaft sei. Zum einen gehe aus dem Anhörungsschreiben nicht hervor, wann die der Klägerin vorgeworfenen Pflichtverletzungen konkret stattgefunden haben sollten. Zum anderen werde dem Betriebsrat mit dem Hinweis auf die Vorfälle Ende letzten Jahres sowie mit den Andeutungen auf den Konfessionswechsel der Klägerin und die arabische Herkunft des Patienten, die mit den Vorwürfen in der streitgegenständlichen Kündigung in keinerlei Zusammenhang stünden, der unzutreffende Eindruck vermittelt, die Klägerin habe den Patienten aus religiösen Motiven nicht behandelt. Auf diese Weise vermittle der Beklagte ein falsches Bild von der Klägerin und ihrer Arbeit sowie von den in Rede stehenden Vorfällen und führe dadurch den Betriebsrat in die Irre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung des Beklagten ist unzulässig, soweit sie gegen die Verurteilung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses gerichtet ist. Gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 520 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO muss die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt sowie die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dabei muss eine derartige Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung hinsichtlich jedes einzelnen Streitgegenstands erfolgen (vgl. LAG Köln, Urteil vom 18.02.2000 - 11 Sa 1268/99 - LAGE § 383 ZPO Nr. 2 m. u. w. N. aus der Rechtsprechung). Dies hat der Beklagte nicht getan. Hinsichtlich der Zeugniserteilung fehlt jegliche Auseinandersetzung mit den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen.
II. Im Übrigen ist die Berufung des Beklagten zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
III. Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben und die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung festgestellt. Dabei kann nach Auffassung der erkennenden Kammer dahingestellt bleiben, ob das Verhalten der Klägerin am 19. und 20.01.2008 eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen vermag. Denn die streitgegenständliche Kündigung ist bereits nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam.
Nach dieser Vorschrift ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in analoger Anwendung auch für eine bewusst unvollständige oder anderweitig fehlerhafte Anhörung (vgl. BAG, Urteil vom 05.04.2001 - 2 AZR 580/99 -, NZA 2001, 893; BAG, Urteil vom 27.09.2001 - 2 AZR 236/00 -, NZA 2002, 750; Richardi/Thüsing, BetrVG, 11. Auflage, § 102 Randziffer 119).
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterliegt die Pflicht des Arbeitgebers zur Anhörung des Betriebsrats einer sogenannten subjektiven Determinierung (vgl. BAG, Urteil vom 11.03.1999 - 2 AZR 507/98 - NZA 1999, 587; Urteil vom 13.05.2004 - 2 AZR 329/03 -, NZA 2004, 1037; Urteil vom 06.07.2006 - 2 AZR 520/05 -, NZA 2007, 266). Danach muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe mitteilen, die ihn zum Ausspruch der Kündigung veranlassen und die aus seiner subjektiven Sicht den Kündigungsentschluss tragen. Gleichzeitig muss der Arbeitgeber den Kündigungssachverhalt so genau umschreiben, dass der Betriebsrat ohne eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen (BAG, Urteil vom 17.02.2000 - 2 AZR 913/98 -, NZA 2000, 761; BAG, Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 697/01 -, NZA 2003, 849). Der Arbeitgeber muss also alle Kündigungsgründe einschließlich der den Kündigungssachverhalt besonders prägenden Begleitumstände mitteilen, die ihm bisher bekannt sind und auf die er die Kündigung stützen will (vgl. Fitting, BetrVG, 24. Auflage, § 102 Randziffer 41 m. w. N. aus der Rechtsprechung).
Außerdem gilt für das Anhörungsverfahren der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§§ 2 Abs. 1, 74 BetrVG), der die Betriebspartner u. a. zur gegenseitigen Ehrlichkeit und Offenheit verpflichtet (vgl. APS/Koch, 3. Auflage, § 102 BetrVG Randziffer 89). Daher steht eine einseitige und verfälschende Darstellung der Kündigungsgründe nicht im Einklang mit dem Normzweck des § 102 BetrVG und führt gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG zur Unwirksamkeit der Kündigung. Aus demselben Grund löst auch eine bewusst und gewollt unrichtige oder unvollständige Darstellung des Kündigungssachverhalts die vorgenannte Unwirksamkeitsfolge aus. Auf diese Weise entsteht beim Betriebsrat regelmäßig ein falsches Bild hinsichtlich des Kündigungssachverhalts (vgl. BAG, Urteil 22.09.1994 - 2 AZR 31/94 -, NZA 1995, 363; BAG, Urteil vom 09.03.1995 - 2 AZR 461/94 -, NZA 1995, 678; HaKo - BetrVG/Braasch, 2. Auflage, § 102 Randziffer 55). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die fehlerhafte Information auf einem Irrtum des Arbeitgebers beruht (vgl. BAG, Urteil vom 23.09.1992 - 2 AZR 63/92 - EzA § 1 KSchG, Krankheit Nr. 37).
b) Die vom Verwaltungsdirektor des Beklagten unterzeichnete schriftliche Betriebsratsanhörung vom 29.01.2008 enthält eine einseitig verfälschende Darstellung des Kündigungssachverhalts im Sinne der vorgenannten Grundsätze und verstößt damit gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebspartner. Dies führt im Ergebnis gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG zur Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung.
In der schriftlichen Betriebsratsanhörung heißt es wörtlich, die Geschäftsleitung sei am 28.01.2008 damit konfrontiert worden, dass sich die Klägerin bei einem arabischen Patienten geweigert habe, trotz ärztlicher Anordnung, dem an hochgradiger Diabetes leidenden Patienten Insulin zu verabreichen und gleiches nochmals am 20.01.2008 geschehen sei. Dies habe den arabischen Patienten in Lebensgefahr gebracht. Sodann folgt eine nähere Darstellung des Gesundheitszustandes dieses Patienten, wie er sich infolge der fehlenden Insulingabe dargestellt habe. Zuvor schildert der Verwaltungsdirektor des Beklagten zur Begründung der Kündigung einleitend die "zunehmend kritischer gesehenen" Leistungen der Klägerin in der Vergangenheit und weist auf ein " abmahnungsgleiches Gespräch" zwischen der Pflegedienstleitung und der Klägerin im Januar 2007 hin. Sodann nimmt er Bezug auf "einen handschriftlichen Zettel" der Klägerin aus November 2007, mit dem diese mitgeteilt habe, dass sie die Dienstplanung an mehreren Tagen nicht einhalten könne und im Übrigen freitags, samstags und montags ab 18:30 Uhr überhaupt nicht zur Verfügung stände. Schließlich weist er auf eine schriftliche Stellungnahme der Klägerin vom 08.12.2007 hin, der zu entnehmen sei, dass sie beabsichtige, zum Judentum überzutreten und aus diesem Grunde an bestimmten Zeiten nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehe.
Betrachtet man diese schriftliche Betriebsratsanhörung in ihrer Gesamtheit, so fällt zunächst auf, dass der eigentliche Kündigungssachverhalt weniger als die Hälfte des Gesamtumfangs ausmacht. Hieraus wird deutlich, dass der Beklagten im Rahmen dieser Anhörung den gesetzlichen Pflichten nachkommen wollte und möglichst den gesamten Kündigungssachverhalt einschließlich aller aus seiner Sicht prägenden Begleitumstände schildern wollte. Die ersten eineinhalb Seiten der Betriebsratsanhörung sind also nicht lediglich "schmückendes Beiwerk", sondern von gleicher Erheblichkeit wie die weiteren Ausführungen zu dem Gesundheitszustand des von der Klägerin betreuten Patienten. Von daher musste für den Betriebsrat der Eindruck entstehen, dass aus Sicht des Arbeitgebers ein Zusammenhang zwischen der anweisungswidrigen Betreuung des Patienten durch die Klägerin und deren beabsichtigten Übertritt zum Judentum sowie der arabischen Staatsangehörigkeit des Patienten bestünde. Letztlich wird also mit der Betriebsratsanhörung zum Ausdruck gebracht, die Klägerin habe die Insulingabe an den von ihr betreuten Patienten unterlassen, weil sie aufgrund ihrer religiösen Überzeugung einen arabischen Patienten nicht in gleicher Weise betreuen wolle, wie sonstige nichtarabische Patienten. Wäre dies aus Sicht des Beklagten nicht beabsichtigt gewesen, hätte für die zweimalige Erwähnung der Nationalität des Patienten keine Veranlassung bestanden. Letztlich hat der Verwaltungsdirektor des Beklagten sich auch in der mündlichen Verhandlung dahingehend geäußert, dass die ausdrückliche Erwähnung der arabischen Staatsangehörigkeit des von der Klägerin betreuten Patienten nicht auf einem Irrtum beruht habe.
Für einen derartigen unmittelbaren kausalen Zusammenhang fehlt jedoch jeglicher konkreter Sachvortrag des Beklagten. Im vorliegenden Rechtsstreit wird die Kündigung daher materiell allein auf das - aus Sicht des Beklagten - bewusst anweisungswidrige Verhalten der Klägerin gestützt. Eine religiöse Motivation der Klägerin wird nicht näher begründet. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um die Richtigkeit der Betriebsratsanhörung zu belegen.
Im Ergebnis stellt sich damit die schriftliche Anhörung des Betriebsrats als eine durch den Arbeitgeber vorgenommene bewusste Irreführung dieses Betriebsverfassungsorgans im Sinne eines religiös motivierten Fehlverhaltens der Klägerin dar. Da dies nicht nur einen unbedeutenden Nebenaspekt betrifft, sondern die Kündigung vielmehr in einem gänzlich anderen Licht erscheinen lässt, kann diese Anhörung nur eine Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung zur Folge haben.
2. Wie bereits vom Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt worden ist, führt die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 27.02.1985 - GS 1/84 - EZA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9) zur Verpflichtung des Beklagten, die Klägerin bis zum Abschluss des vorliegenden Kündigungsrechtsstreits zu den ursprünglichen Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.
IV. Insgesamt musste somit nach allem der Berufung des Beklagten der Erfolg versagt bleiben. Da er das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, ist der Beklagte gemäß §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO verpflichtet, die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere ging es nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, da vorliegend lediglich die Grundsätze der BAG-Rechtsprechung im Einzelfall anzuwenden waren.
Ende der Entscheidung
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