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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 11.06.2008
Aktenzeichen: 3 Sa 1505/07
Rechtsgebiete: BGB, TV-L, BAT


Vorschriften:

BGB § 626
TV-L § 3 Abs. 5
BAT § 7 Abs. 2
Die Weigerung des Arbeitnehmers, an einer nach § 3 Abs. 5 TV-L zulässigerweise angeordneten ärztlichen Untersuchung mitzuwirken, stellt die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar, die bei entsprechender Beharrlichkeit nach vorheriger einschlägiger Abmahnung eine Kündigung rechtfertigen kann.
Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.10.2007 - 1 Ca 2731/07 - teilweise abgeändert und weiter festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 16.05.2007 mit sozialer Auslauffrist nicht zum 31.12.2007 beendet worden ist.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist sowie über die Verpflichtung der Klägerin arbeitsmedizinische Untersuchungen durchführen zu lassen.

Die im April 1949 geborene Klägerin ist seit dem 31.01.1989 bei der Beklagten als Fotolaborantin in Teilzeit mit einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 1.500,00 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

Die Klägerin war im Jahr 2002 an 76 Arbeitstagen, im Jahr 2003 an 66 Arbeitstagen, im Jahr 2004 an 81 Arbeitstagen, im Jahr 2005 an 182 Arbeitstagen sowie im Jahr 2006 an 19o Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt.

Die Beklagte forderte die Klägerin mehrfach vergeblich auf, sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Den ersten, für den 16.11.2005 vorgesehenen Termin sagte die Klägerin am gleichen Tag schriftlich ab. Zum nächsten Termin am 15.02.2006 erschien sie zwar, verweigerte jedoch die Untersuchung. Weitere Untersuchungstermine am 08.11.2006 und 06.12.2006 lehnte die Klägerin jeweils ab und blieb den Terminen fern.

Mit Schreiben vom 28.06.2007 forderte das Zentrum für Arbeitsmedizin die Klägerin auf, am 09.03.2007 einen Untersuchungstermin wahrzunehmen. Zur Vorbereitung dieses Termins lud die Beklagte die Klägerin am 07.03.2007 zu einem Personalgespräch mit der Leiterin der Personalabteilung. Dieses Gespräch brach die Klägerin bereits zu Beginn aufgrund psychischer Belastungen ab und wies gleichzeitig darauf hin, dass sie keinesfalls zum Vertrauensarzt gehen könne. Seit dem Folgetag ist die Klägerin dauerhaft arbeitsunfähig krank. Die für den 09.03.2007 vorgesehene Untersuchung wurde nicht durchgeführt.

Mit ihrer am 30.03.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrte die Klägerin zunächst die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sei, arbeitsmedizinische Untersuchungen durchführen zu lassen. Im Hinblick auf die von der Klägerin nicht wahrgenommenen Untersuchungstermine mahnte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 23.04.2007 wegen mehrfachen und hartnäckigen Verstoßes gegen die Pflicht gemäß § 7 Abs. 2 BAT bzw. § 3 Abs. 5 TV-L ab. Am 07.05.2007 nahm die Klägerin einen weiteren Untersuchungstermin nicht wahr.

Mit Schreiben vom 10.05.2007 hörte die Beklagte den Personalrat zur "fristlosen bzw. hilfsweise außerordentlichen, personenbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist" an. Der Personalrat stimmte der beabsichtigten Kündigung am 15.05.2007 zu. Mit Schreiben vom 16.05.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2007. Mit ihrer Klageerweiterung vom 29.05.2007 wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Sie hat gemeint, sie sei nicht verpflichtet, sich einer arbeitsmedizinischen Untersuchung zu unterziehen. Wie sich aus einem ärztlichen Gutachten vom 08.07.1998 ergebe, leide sie unter einem psychischen Grundleiden. Dieses könne bei Stressbelastung insbesondere am Arbeitsplatz zu psychischen Ausnahmesituationen führen. Die Anordnung von vertrauensärztlichen Untersuchungen bringe sie in eine unauflösliche Konfliktlage.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, arbeitsmedizinische Untersuchungen durchführen zu lassen;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 16.05.2007 nicht beendet worden ist;

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht zum 31.12.2007 beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Klägerin sei nach § 2 Abs. 5 TV-L verpflichtet, sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Hierfür bestehe aufgrund der hohen Fehlzeiten der Klägerin auch eine begründete Veranlassung. Die hartnäckige Weigerung der Klägerin, sich untersuchen zu lassen, berechtige die Beklagte zur außerordentlichen Kündigung. Eine nachvollziehbare Begründung für das Fernbleiben von den Untersuchungen habe die Klägerin nicht gegeben.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.10.2007 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 16.05.2007 nicht fristlos geendet hat, sondern aufgrund der Auslauffrist mit dem 31.12.2007 ende. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe mehrfach gegen ihre sich aus § 3 Abs. 5 TV-L ergebende Pflicht verstoßen. Ein derartiges Verhalten sei "an sich" geeignet, eine außerordentliche Kündigung nach erfolgter Abmahnung zu rechtfertigen. Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie wegen ihrer Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, ihrer arbeitsvertraglichen Pflicht, sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen, nachzukommen, denn die Klägerin habe nicht hinreichend dargelegt, dass ihr die Pflichtverletzung nicht vorwerfbar sei. Schließlich hat das Arbeitsgericht im Rahmen der Interessenabwägung die langjährige Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter der Klägerin besonders berücksichtigt und aus diesem Grund die fristlose Kündigung für unwirksam, die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist allerdings für rechtwirksam erachtet. Mit derselben Begründung hat es auch den weitergehenden Feststellungsantrag der Klägerin abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 09.11.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, den 10.12.2007, Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 23.01.2008 begründet.

Die Klägerin rügt weiterhin, dass ihr schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden könne, denn sie sei gesundheitlich nicht in der Lage, sich einer Untersuchung durch den Vertrauensarzt zu unterziehen. Hierzu beruft sie sich auf einen ärztlichen Befundbericht des sie behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom 05.01.2008. In diesem heißt es auszugsweise wie folgt:

"Die Krankheitssymptomatik von Frau I ist gekennzeichnet durch depressive Verstimmungszustände, eine Antriebsminderung, Konzentrationsstörungen, multiple Ängste mit sozialphobischen Anteilen sowie durch eine Anhedonie. Weiter finden sich Schlafstörungen, Unruhezustände und multiple körperliche Beschwerden im Sinne einer psychosomatischen Ausgestaltung. Die bei Frau R vorliegende Persönlichkeitsstörung prägt das Verhalten der Betroffen in erheblichem Ausmaß. (...)

Unter der durchgeführten Behandlung kam es nicht zu einer anhaltenden psychischen Stabilisierung.

Insbesondere durch Konflikte am Arbeitsplatz und Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber, die von Frau Ritter als massiv belastend und unerträglich erlebt wurden und die von Frau Ritter aufgrund der vorliegenden Persönlichkeitsstörung und einer Wiederbelebung früher traumatisierender Erlebnisse nicht realitätsadäquat wahrgenommen und bewältigt werden konnten, kam es bei der Betroffenen zu Anpassungsstörungen, die mit erheblichen somatischen Gesundheitsstörungen (Blutdruckerhöhungen, Kreislaufdekompensation etc.) vergesellschaftet waren."

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.07.2007 - 1 Ca 2731/07 - teilweise abzuändern und

1. festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, arbeitsmedizinische Untersuchungen durchführen zu lassen;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht zum 31.12.2007 beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte meint weiterhin, die verweigerte Mitwirkung der Klägerin an der zu Recht angeordneten vertrauensärztlichen Begutachtung gemäß § 3 Abs. 5 TV-L stelle einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar, der jedenfalls die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtfertige. Die hartnäckige Weigerung der Klägerin, trotz vorausgegangener einschlägiger Abmahnung, sich einer solchen Untersuchung zu unterziehen, stelle eine schwerwiegende Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten dar. Die Klägerin habe auch zweitinstanzlich nicht schlüssig dargelegt, dass sie nicht schuldhaft gehandelt habe. Auch nach dem ärztlichen Befundbericht sei nicht nachzuvollziehen, inwieweit es die bescheinigte Krankheitssymptomatik der Klägerin unmöglich machen solle, sich vertrauensärztlich untersuchen zu lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Kündigungsschutzklage der Klägerin ist insgesamt, mithin also auch bezüglich der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist begründet. Die weitergehende Klage hat demgegenüber das Arbeitsgericht zu Recht abgewiesen.

1. Die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 16.05.2007 ist auch rechtsunwirksam, soweit sie mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2007 ausgesprochen worden ist. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB für eine rechtwirksame außerordentliche Kündigung liegen nicht vor.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Bei der außerordentlichen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers ist zu prüfen, ob dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren ordentlichen kündbaren Arbeitnehmer dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist unzumutbar wäre (vgl. BAG, Urteil vom 06.10.2005 - 2 AZR 362/04 - EzA § 626 BGB 2002, Nr. 14; BAG, Urteil vom 29.03.2007 - 8 AZR 538/06 - EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 14, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Danach kommt eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist nur dann in Betracht, wenn ein wichtiger Grund zur Kündigung gerade darin zu sehen ist, dass wegen des tariflichen oder einzelvertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung der Arbeitgeber den Arbeitnehmer notfalls bis zum Erreichen der Pensionsgrenze weiterbeschäftigen müsste und ihm dies unzumutbar ist. Dies kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, bei denen vermieden werden muss, dass der tarifliche oder einzelvertragliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung dem Arbeitgeber Unmögliches oder evident Unzumutbares aufbürdet (vgl. BAG, Urteil vom 30.09.2004 - 8 AZR 462/03 - EzA § 613 a BGB 2002 Nr. 28). Dabei ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen. In erheblich weiterem Umfang als bei einer ordentlichen Kündigung ist es dem Arbeitgeber bei einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gegenüber dem unkündbaren Arbeitnehmer zumutbar, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden (BAG, Urteil vom 29.03.2007 - 8 AZR 538/06 - EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 14; BAG, Urteil vom 05.02.1998 - 2 AZR 227/97 - EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 2).

Schließlich ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung anhand einer zweistufigen Prüfung vorzunehmen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund darzustellen. Ist dies der Fall, bedarf es sodann der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG, Urteil vom 27.04.2006 - 2 AZR 415/05 - EzA § 626 BGB 2002 Nr. 17 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

b) Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen stellt das Verhalten der Klägerin eine Pflichtverletzung dar, die an sich eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen vermag. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt.

Nach § 3 Abs. 5 TV-L ist der Arbeitgeber bei begründeter Veranlassung berechtigt, Beschäftigte zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sind. Diese Untersuchung kann nach § 3 Abs. 5 S. 2 TV-L auch durch einen Amtsarzt erfolgen. Diese Vorschrift ist inhaltlich vergleichbar mit § 7 Abs. 2 des Bundes-Angestellten-Tarifvertrages (BAT), die den Arbeitgeber berechtigte, bei gegebener Veranlassung durch einen Vertrauensarzt oder das Gesundheitsamt die Dienstfähigkeit des Arbeitnehmers feststellen zu lassen (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen, TV-L, § 3 Rn. 137). Da die Rechtsprechung bereits früher an das Merkmal der "gegebenen Veranlassung" in § 7 Abs. 2 BAT strenge Anforderungen gestellt hatte, hat sich die Tariflage durch das in der tariflichen Neuregelung enthaltene Merkmal der "begründeten Veranlassung" nicht wesentlich verändert. Die zur früheren Tariflage ergangene Rechtsprechung kann damit weiterhin herangezogen werden. Danach stellt die Weigerung des Arbeitnehmers, an der zulässigerweise angeordneten Untersuchung mitzuwirken, die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar, die bei entsprechender Beharrlichkeit nach einschlägiger Abmahnung eine Kündigung, auch eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers, rechtfertigen kann (BAG, Urteil vom 06.11.1997 - 2 AZR 801/96 - EzA § 626 BGB n. F. Nr. 171; BAG, Urteil vom 07.11.2002 - 2 AZR 475/01 - NZA 2003, 719, 720; LAG Köln, Urteil vom 17.03.2006 - 4 Sa 85/05 -; LAG Baden Württemberg, Urteil vom 05.12.2001 - 2 Sa 63/01 -). Allerdings ist dabei immer auch zu berücksichtigen, dass die ärztliche Untersuchung stets die Intimsphäre des Arbeitnehmers betrifft, die durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt ist (vgl. BAG, Urteil vom 06.11.1997 - 2 AZR 801/06 - a. a. O.).

Die Klägerin hat seit dem Jahr 2002 erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten im Umfang von 3 bis 4 Beschäftigungsmonaten in den Jahren 2002 bis 2004 und sodann anschließend deutlich darüber hinausgehend im Umfang 182 und 190 Arbeitstagen pro Jahr aufgewiesen. Dies hat für die Beklagte einen hinreichenden Anlass im Sinne der tariflichen Bestimmungen dargestellt, eine amtsärztliche Untersuchung durchführen zu lassen. Diesen Untersuchungen hat sich die Klägerin trotz mehrfach beklagtenseits anberaumter Termine nachhaltig über einen Zeitraum von nahezu 1 1/2 Jahren entzogen. Den Versuch einen klärenden Personalgesprächs hat sie sofort abgebrochen. Schließlich hat auch eine zwischenzeitliche Abmahnung die Klägerin nicht zur Änderung ihres Verhaltens veranlassen können. Danach liegt insgesamt ein die Beklagte "an sich" zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Grund vor.

c) Gleichwohl ist die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung, auch soweit sie mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2007 ausgesprochen worden ist, unwirksam. Dies ergibt eine Abwägung der Einzelfallumstände.

Danach ist zugunsten der Klägerin insbesondere die durch den ärztlichen Befundbericht ihres behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. H , vom 05.01.2008 belegte psychische Erkrankung zu berücksichtigen. Danach ist die Klägerin bereits seit Oktober 1996 in ambulanter psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung, ohne dass es zu einer anhaltenden psychischen Stabilisierung ihres Zustands gekommen ist. Vielmehr zeichnet sich die Krankheitssymptomatik der Klägerin dadurch aus, dass sie in rezidivierend auftretende depressive Verstimmungszustände gerät und dabei Konflikte am Arbeitsplatz und Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber als massiv belastend und unerträglich empfindet. Aufgrund der bei der Klägerin vorliegenden Persönlichkeitsstörung vermag sie derartige Umstände nicht realitätsadäquat wahrzunehmen und zu bewältigen. Letzteres wird durch ihre Verhaltensweise eindrucksvoll bestätigt. Gerade auch das gescheiterte Personalgespräch, das arbeitgeberseits in ruhiger Atmosphäre zur Vorbereitung auf den anstehenden Untersuchungstermin geführt werden sollte, und das die Klägerin gleich zu Gesprächsbeginn abgebrochen hat, macht deutlich, dass die Klägerin an entsprechenden gravierenden Wahrnehmungsstörungen leidet. Dies bestätigt die Schilderung der Beklagten, wonach die Klägerin gleich zu Gesprächsbeginn hyperventilierend angegeben habe, einen Schlaganfall nahe zu sein und darauf gedrängt habe, dass sie den Raum sofort wieder verlassen müsse und letztlich fluchtartig die Örtlichkeit verlassen habe.

Insoweit ist weiter zu berücksichtigen, dass eine verhaltensbedingte Kündigung regelmäßig ein steuer- und zurechenbares Verhalten sowie die Vorwerfbarkeit des vertragswidrigen Verhaltens erfordert (vgl. KR-Griebeling, 8. Aufl., § 1 KSchG Rn. 267 und 395). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen können auch schuldlose Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers einen wichtigen Grund zur verhaltensbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung darstellen (vgl. BAG, Urteil vom 21.01.1999 - 2 AZR 665/98 - NZA 1999, 863, 865 mit weiteren Nachweisen). Dies setzt jedoch voraus, dass ein besonders gravierender Vertragsverstoß vorliegt, der gerade unter Prognosegesichtspunkten ein sofortiges Handeln des Arbeitgebers fordert (vgl. BAG, a. a. O.).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Anlass für eine ausnahmsweise trotz fehlender oder jedenfalls nur eingeschränkter Einsichtsfähigkeit der Klägerin auszusprechende außerordentliche Kündigung bestand hier nicht. Trotz der Beharrlichkeit der Klägerin ist ein hinreichend gravierender Vertragsverstoß, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte, nicht vorhanden. Besondere Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs sind durch das vertragswidrige Verhalten der Klägerin nicht eingetreten. Die Klägerin hat vielmehr seit dem Jahr 2005 wegen durchgehender Arbeitsunfähigkeit in ganz überwiegendem Umfang nicht mehr gearbeitet. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin belastete die Beklagte auch in finanzieller Hinsicht allenfalls in ganz geringem Maße. Berücksichtigt man zudem die bisherige Beschäftigungsdauer von mehr als 17 Jahren sowie das fortgeschrittene Lebensalter der Klägerin, muss im Ergebnis das Auflösungsinteresse der Beklagten, das sich letztlich nur auf die Beharrlichkeit des klägerischen Verhaltens stützen lässt, zurücktreten. Dies gilt um so mehr, als aufgrund der erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin auf Seiten der Beklagten durchaus Anhaltspunkte für eine personenbedingte Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestehen. Insgesamt ist damit allein aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles die streitgegenständliche Kündigung rechtsunwirksam.

2. Der weitergehende, auf Feststellung gerichtete Antrag, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, arbeitsmedizinische Untersuchungen durchführen zu lassen, ist demgegenüber unbegründet. Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ergibt sich dies unmittelbar aus der Kraft arbeitsvertraglicher Verweisung geltenden tariflichen Bestimmung des § 3 Abs. 5 TV-L. Danach ist die Klägerin verpflichtet, bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen, entsprechende Untersuchungen durchzuführen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ihr dies in jedem Fall zukünftig unzumutbar sein würde, sind von ihr nicht vorgetragen. Auch aus dem von ihr zuletzt vorgelegtem ärztlichem Befundbericht ihres behandelnden Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. H ergibt sich nichts anderes. Dieser bestätigt lediglich eine bestehende psychische Erkrankung der Klägerin, die zu Einschränkungen hinsichtlich realitätsadäquater Wahrnehmungen führt. Dass die Klägerin deshalb generell von amtsärztlichen Untersuchungen ausgenommen werden müsste, ist danach nicht feststellbar.

3. Insgesamt war daher auf die Berufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil teilweise abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 92 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere ging es nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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