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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 24.09.2003
Aktenzeichen: 3 Sa 232/03
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 9 Abs. 5
ArbGG § 66 Abs. 1 S. 2
ZPO § 233
ZPO § 234 Abs. 1
ZPO § 236 Abs. 2
§ 66 Abs. 1 S. 2 ArbGG stellt eine Spezialvorschrift zu § 9 Abs. 5 ArbGG dar. Die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG ist daher im Rahmen der Berufungsfrist nicht anwendbar. Die einmonatige Berufungseinlegungs- sowie die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist beginnen spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils(tenors).
Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 07.08.2002 - 3 Ca 7605/01 - wird als unzulässig verworfen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung sowie die Entfernung mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers.

Der am 02.11.1967 geborene, ledige und gegenüber einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 01.09.1998 bei der Beklagten, die ein Speditionsunternehmen mit ca. 45 Arbeitnehmern betreibt, als Kraftfahrer mit einem monatlichen Bruttoverdienst von 2.198,56 EUR (4.300,00 DM) beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung finden die Tarifverträge für das Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen sowie der Bundes-Manteltarifvertrag für den Güter- und Möbelfernverkehr Anwendung. Sämtliche Kraftfahrer sind bei der Beklagten im Schichtdienst tätig. Der Kläger arbeitete von Beginn an in der Nachtschicht und führte nur vereinzelt Fahrten in der Tagschicht aus. Ob diese Arbeitszeiteinteilung auf Wunsch des Klägers oder der Beklagten erfolgte, ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 22.06.2001 bat der Kläger um eine Versetzung in die Tagschicht, da er ansonsten die Betreuung seiner achtjährigen Tochter, die seit kurzem die deutsche Schule besuche und nunmehr in seinem Haushalt lebe, nicht gewährleisten könne. Die Beklagte lehnte dies ab und setzte den Kläger weiterhin in der Nachtschicht ein.

Am 21.06.2001 erteilte die Beklagte dem Kläger eine irrtümlich auf den 21.07.2001 datierte schriftliche Abmahnung (Bl. 19 d. A.), da dieser Anweisungen des weisungsbefugten Lagermeisters der Fa. D nicht nachgekommen sei. Eine weitere schriftliche Abmahnung erfolgte am 19.07.2001 (Bl. 20 d. A.). Die Beklagte wirft dem Kläger hierin geschäftsschädigendes Verhalten gegenüber einer leitenden Mitarbeiterin der Fa. D vor und mahnt die Einhaltung der Arbeitszeiten an.

Am späten Nachmittag des 19.07.2001 führte der Geschäftsführer der Beklagten mit dem Kläger ein ca. 15-minütiges Personalgespräch. Der Inhalt dieses Gesprächs sowie der weitere Geschehensablauf an diesem Tag ist zwischen den Parteien streitig. Seit dem 20.07.2001 ist der Kläger arbeitsunfähig krank. Nach einem weiteren Telefonat des Klägers mit dem Sohn des Geschäftsführers der Beklagten am 30.07.2001, dessen Inhalt ebenfalls zwischen den Parteien streitig ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 30.07.2001 zum 04.08.2001. Zur Begründung heißt es im Kündigungsschreiben wie folgt:

"Da wir sie bereits dreimal schriftlich abmahnten und Sie sich daraufhin angekündigt "Krank schreiben" ließen, kündigen wir Ihr Arbeitsverhältnis fristgerecht ab dem ersten Tag Ihres nicht Erscheinens am 20.07.2001 zum 04.08.2001. ..."

Im Laufe des Rechtsstreits hat die Beklagte die Einhaltung der 14-tägigen tariflichen Kündigungsfrist eingeräumt.

Gegen diese Kündigung wandte sich der Kläger mit seiner am 09.08.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage und machte außerdem die Entfernung der beiden Abmahnungen vom 21.06. und 19.07.2001 aus seiner Personalakte geltend.

Der Kläger hat bestritten, weder gegenüber dem Sohn des Geschäftsführers noch gegenüber Arbeitskollegen eine Arbeitsunfähigkeit angekündigt zu haben. Er hat behauptet, er habe am 19.07.2001 seinen Dienst unmittelbar nach dem Gespräch mit dem Geschäftsführer begonnen und sei um 17:55 Uhr mit dem Lkw abgefahren. Im Laufe dieser Tour seien seine gesundheitlichen Beschwerden dann so massiv geworden, dass er sich am Folgetag zum Arzt begeben habe, der eine Arbeitsunfähigkeit festgestellt habe. Im Telefonat vom 30.07.2001 habe er lediglich die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit mitteilen wollen. Hierzu sei es jedoch gar nicht gekommen, da der Sohn des Geschäftsführers das Gespräch abgebrochen habe, nachdem dieser ihm angeraten habe, die Kündigung zu akzeptieren, da er ohnehin keine Chance habe und er so zumindest ein sauberes Zeugnis bekomme. Bezüglich der Abmahnungen hat der Kläger die Auffassung vertreten, diese müssten aus der Personalakte entfernt werden, da sie insgesamt zu unbestimmt und im übrigen teilweise unzutreffend seien.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.07.2001 nicht beendet werde;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern auf unbestimmte Zeit fortbestehe;

3. falls er mit dem Feststellungsantrag zu 1) obsiege, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

4. die Beklagte zu verurteilen, die mit den Abmahnungen vom 21.07.2001 und 19.07.2001 gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe zu widerrufen;

5. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 21.07.2001 und 19.07.2001 aus den Personalakten des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe unzuverlässig gearbeitet. Insbesondere seit dem abgelehnten Versetzungsantrag sei er regelmäßig unpünktlich gewesen. Am 19.07.2001 habe er nach dem Vier-Augen-Gespräch mit dem Geschäftsführer dessen Büro wutentbrannt verlassen und im Beisein von Zeugen wörtlich erklärt: "So, jetzt lernt ihr mich kennen. Der Lkw bleibt stehen; wenn ihr mir so kommt, lasse ich mich krankschreiben." Der Kläger habe sodann den Lkw-Schlüssel an das Schlüsselbrett gehängt und sei gegangen. Erst nachdem sich der Sohn des Geschäftsführers um einen Ersatzfahrer bemüht habe, habe sich der Kläger dann doch noch den Schlüssel geholt und sei gegen 20 Uhr mit dem Lkw abgefahren. Im Laufe der Schicht habe der Kläger seinem Arbeitskollegen S mitgeteilt, dass er überhaupt nicht einsehe, die für ihn unangenehme Tour künftig zu fahren. Er habe mit seinem Vater telefoniert, der ihm geraten habe, sich krank zu melden, da er dann nicht gekündigt werden könne. So lange man ihn für diese Tour einteile lasse er sich krank schreiben; er sehe keine andere Möglichkeit.

Die Beklagte hat weiter behauptet, in dem Telefonat vom 30.07.2001 habe der Kläger sich arbeitsbereit gemeldet und sich gleichzeitig nach einer Änderung im Tourenplan erkundigt. Nachdem der Sohn des Geschäftsführers ihm mitgeteilt habe, dass er weiterhin für die Nachtschicht eingeteilt sei und dieser ihm außerdem die Aussage des Mitarbeiters S vorgehalten habe, habe der Kläger aufgelegt und eine halbe Stunde später kommentarlos eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Fax übersandt. Schließlich hat die Beklagte behauptet, dass beide Abmahnungen inhaltlich zutreffend seien.

Mit Urteil vom 07.08.2002 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, da nach der Aussage des Zeugen J H , des Sohns des Geschäftsführers, feststehe, dass der Kläger eine Arbeitsunfähigkeit angekündigt habe. Für die Klage auf Entfernung der Abmahnungen fehle es wegen der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

Gegen dieses dem Kläger am 23.01.2003 zugestellte Urteil hat er am Montag, den 24.02.2003 Berufung eingelegt und diese am 19.03.2003 begründet. Der Kläger hält an seinem erstinstanzlichen Vortrag in vollem Umfang fest. So behauptet er weiterhin, er sei am 19.07.2001 erst gegen 17:25 bis 17:30 Uhr bei der Beklagten erschienen und habe nach dem 15-minütigen Gespräch mit dem Geschäftsführer gegen 17:45 Uhr die Lkw-Schlüssel geholt, um dann um 17:55 Uhr die Fahrt anzutreten. Auch die Ankündigung einer Arbeitsunfähigkeit bestreitet er weiterhin. Vielmehr habe er in dem Gespräch mit dem Geschäftsführer lediglich erklärt, dass er sich schon seit Tagen nicht gut fühle und eigentlich gar nicht fahren solle.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 07.08.2002 - 3 Ca 7605/01 - und unter Klagerücknahme im übrigen nach den Klageanträgen zu 1) bis 3) der ersten Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte tritt dem erstinstanzlichen Urteil bei. Sie behauptet weiterhin, der Kläger sei am 19.07.2001 erheblich früher als 17:30 Uhr bei der Beklagten eingetroffen und habe beim Verlassen des Geschäftsführerbüros gebrüllt, er werde sich krank schreiben lassen und der Lkw bleibe stehen. Im Verlaufe des Gesprächs sei von einer Erkrankung oder einem Unwohlsein des Klägers nicht die Rede gewesen. Schließlich sei auch der kurzfristig telefonisch angeforderte Ersatzfahrer bereits abfahrbereit gewesen, als der Kläger mit dem Lkw doch noch verspätet losgefahren sei. Der Ersatzfahrer benötige von seinem Wohnort bis zum Betrieb ca. 40 Minuten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unzulässig. Sie ist zwar statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG) aber weder fristgerecht eingelegt noch begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG).

Die Berufungseinlegung ist nicht fristgerecht erfolgt.

Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG muss die Berufung innerhalb eines Monats ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils spätestens aber sechs Monate nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils eingelegt werden. Daneben ist grundsätzlich die gemäß § 9 Abs. 5 ArbGG bezüglich der Rechtsmitteleinlegung geltende gesetzliche Belehrungspflicht zu berücksichtigen. Gemäß § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG beginnt die Rechtsmittelfrist nur, wenn die Partei unter anderem über das Rechtsmittel und die einzuhaltende Frist und Form schriftlich belehrt worden ist. Bei unterbliebener oder fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung gilt insoweit die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG.

Der Kläger hat am Montag, den 24.02.2003 Berufung gegen das in vollständiger Form abgefasste und ihm am 23.01.2003 zugestellte Urteil, eingelegt, in dessen Rechtsmittelbelehrung eine Berufungseinlegungsfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils genannt wird. Die Verkündung des Urteils war bereits am 07.08.2002 erfolgt. Der Kläger hat damit bei der Berufungseinlegung die Fünfmonatsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht beachtet.

Gleichzeitig sind auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG erfüllt, denn das Arbeitsgericht hätte bei der Formulierung der Rechtsmittelbelehrung § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG berücksichtigen und anstatt auf die Zustellung des Urteils auf das Datum der Verkündung der Entscheidung als maßgeblichen Fristbeginn abstellen müssen. Richtigerweise hätte daher als spätester Zeitpunkt für die Berufungseinlegung der 07.02.2003 (07.08.2003 plus sechs Monate) angegeben werden müssen. Gleichwohl bleibt die Berufungseinlegung verfristet, denn § 9 Abs. 5 ArbGG ist neben der Fünfmonatsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht anwendbar.

Der Gesetzgeber hat § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung im Rahmen der Neuregelung des Verfahrensrechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 17.05.2001 in das ArbGG aufgenommen. Bis dahin galt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei verspätet zugestellten Urteilen für die Berufungseinlegung eine Frist von 17 Monaten ab Urteilsverkündung. Diese Frist setzte sich zusammen aus der gemäß §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 516 ZPO a. F. geltenden Fünfmonatsfrist sowie der Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG, die wegen der fehlenden Rechtsmittelbelehrung an die Fünfmonatsfrist anzuschließen war (BAG, Urteil vom 08.06.2000 - 2 AZR 584/99 - EzA § 9 ArbGG 1979 Nr. 15; BAG, Urteil vom 02.03.1997 - 4 AZR 532/95 - EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 58).

Mit der zum 01.01.2002 in kraft getretenen Neuregelung ist § 66 Abs. 1 ArbGG grundlegend geändert worden. Parallel zu der Änderung in § 520 Abs. 2 ZPO wird auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein einheitlicher Fristbeginn für die Berufungseinlegungs- sowie die Berufungsbegründungsfrist normiert. Anders als nach der früher geltenden Rechtslage ist der Beginn der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr von der Berufungseinlegungsfrist abhängig. Beide Fristen beginnen mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils bzw. spätestens mit Ablauf von fünf Monaten ab Urteilsverkündung. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die bislang nur über die Verweisungsnorm des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG geltende zivilprozessuale Fünfmonatsfrist ausdrücklich in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG aufgenommen.

Gestützt auf die im Rahmen der Neuregelung unverändert gebliebenen Bestimmung des § 9 Abs. 5 ArbGG wird im Schrifttum argumentiert, es sei auch weiterhin an der 17-Monatsfrist festzuhalten (GK-Vossen, ArbGG, § 66 Rz. 38; ErfK-Koch, 3. Aufl. § 66 ArbGG Rz. 12; Holthaus/Koch, RdA 2002, 140, 151; Zwanziger, in Kittner/Zwanziger, Arbeitsrecht, 2. Aufl. § 167 Rz. 6). Zur Begründung wird angeführt, die Fünfmonatsfrist ersetze lediglich den Zeitpunkt der Zustellung als auslösenden Umstand für den Beginn der Frist. Über die Länge der Frist werde damit keine Aussage getroffen. Insoweit gelte bei verspätet zugestellten Urteilen wegen der fehlenden Rechtsmittelbelehrung vielmehr weiterhin die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 ArbGG (Holthaus/Koch a. a. O.).

Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Zwar regelt § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG unmittelbar nur den Beginn von Berufungseinlegungs- und Berufungsbegründungsfrist. Dennoch ist der Schluss auf die "unzweifelhaft" (so Holthaus/Koch a. a. O.) geltende Jahresfrist nicht zutreffend. Denn mit den Worten "beide Fristen" nimmt § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG unmittelbar Bezug auf die Fristen in § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Nicht der Beginn einer allgemeinen Berufungseinlegungs- oder -begründungsfrist, sondern der Beginn der in Satz 1 genannten Fristen von einem bzw. zwei Monaten ist in Satz 2 geregelt.

Gegen diese Auffassung spricht ferner, dass in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG der Beginn der Begründungsfrist nunmehr unabhängig von der Einlegung des Rechtsmittels ist. Wollte man gleichwohl § 9 Abs. 5 ArbGG anwenden, hätte dies zur Folge, dass die Berufungseinlegung noch 17 Monate nach Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung möglich wäre, die Frist zur Berufungsbegründung aber schon abgelaufen wäre, da insoweit § 9 Abs. 5 ArbGG nicht angewandt werden kann (so zutreffend Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 4. Aufl., § 66 Rz. 15 a). Denn § 9 Abs. 5 ArbGG fordert nach ganz herrschender Auffassung nur eine Belehrung über die Einlegung des Rechtsmittels, nicht aber bezüglich der Formalien der Begründung (LAG Köln, Urteil vom 16.01.2003 - 6 Sa 899/02; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.07.2002 - 5 Sa 359/02, LAGE § 233 ZPO 2002 Nr. 1; ErfK/Koch, 3. Aufl., § 9 ArbGG Rz. 14; ArbGV/Krönig/Lipke, § 9 Rz. 47; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, aaO.,§ 9 Rz. 43; a.A. nunmehr lediglich GK-ArbGG/Bader, § 9 Rz. 89, der wegen der einheitlich gestalteten Einlegungs- und Begründungsfrist nach neuem Recht eine umfassende Belehrung verlangt). Eine kürzere Begründungs- als Einlegungsfrist ist aber offensichtlich widersinnig.

Hinzu kommt, dass eine Beschleunigung gerade auch der arbeitsgerichtlichen Verfahren der Intention des Gesetzgebers entspricht, wie bereits das sog. Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetz vom 30.04.2000 (BGBl. I, 333) zeigt. § 9 Abs. 1 ArbGG bringt diesen allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz seit jeher zum Ausdruck. Speziell für das erstinstanzliche Urteil ist in § 60 Abs. 4 Satz 3 ArbGG geregelt, dass dieses regelmäßig innerhalb von drei Wochen nach Verkündung vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übergeben ist. Die Beurkundungsfunktion ist wegen des "abnehmenden richterlichen Erinnerungsvermögens" spätestens nach Ablauf der Fünfmonatsfrist nicht mehr gewahrt. Hierauf hat das Bundesarbeitsgericht schon in seiner bisherigen Rechtsprechung zutreffend hingewiesen (vgl. BAG, Urteil vom 8.6.2000 - 2 AZR 584/99 - EzA § 9 ArbGG 1979 Nr. 15). Die Festschreibung der Fünfmonatsfrist in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG trägt auch diesem Umstand Rechnung. Letztlich wird das Ergebnis auch von den Vertretern der Gegenmeinung als rechtspolitisch uneingeschränkt wünschenswert angesehen (vgl. Holthaus/Koch, RdA 2002, 140, 150).

Schließlich bedarf es auch in formeller Hinsicht für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung nicht der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe. Denn in einem solchen Fall reicht die Auseinandersetzung mit den hypothetischen Entscheidungsgründen aus, um den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO zu genügen (vgl. BAG, Urteil vom 06.03.2002 - 2 AZR 596/02, NZA 2003, 814).

Richtigerweise stellt daher §§ 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG eine Spezialvorschrift zu § 9 Abs. 5 ArbGG dar (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a. a. O., § 66 Rz. 15a; Schmidt/Schwab/Wildschütz, NZA 2001, 1217, 1218; Luczak, in: Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch Arbeitsrecht, 3. Aufl., Teil L Rz. 474; Ostrowicz/Künzl/Schäfer, Der Arbeitsgerichtsprozess, 2. Aufl., Rz. 189a; LAG Nürnberg, Beschluss vom 28.10.2002 - 2 SHa 5/02, LAGE § 66 ArbGG Nr. 18). Die 12-Monatsfrist des § 9 Abs. 5 ArbGG ist mithin im Rahmen der Berufungsfrist nicht mehr anwendbar.

Die fristgerechte Berufungseinlegung ergibt sich auch nicht aus Vertrauensschutzerwägungen im Hinblick auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts. Zwar kann sich die unterlegene Partei grundsätzlich auf eine Rechtsmittelbelehrung, in der eine längere als die gesetzliche Frist zur Berufungseinlegung angegeben ist, verlassen. Es ist Sinn und Zweck der gesetzlichen Belehrungsvorschrift, dass eine Partei ein Rechtsmittel nicht deswegen verliert, weil sie über das zuständige Gericht sowie die einzuhaltende Form und Frist nicht richtig unterrichtet war (BAG Urteil vom 23.11.1994 - 4 AZR 743/93 - EzA § 9 ArbGG Nr. 9). Dies führt jedoch nach Auffassung der Kammer nicht zu einer Verlängerung der gesetzlichen Berufungseinlegungsfrist. Diese kann durch eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung nicht verändert werden, denn Rechtsfehler des Gerichts können für sich betrachtet nicht rechtsbegründend wirken. Das Bundesarbeitsgericht hat dies in einer anderen, nur wenige Tage später ergangenen Entscheidung zur mehrfach verlängerten Berufungsbegründungsfrist zutreffend entschieden (BAG, Beschluss vom 6.12.1994 - 1 ABR 34/94, EzA § 66 ArbGG 1979 Nr. 20; ebenso BAG, Urteil vom 18.09.1997 - 2 AZR 37/97). Vielmehr besteht insoweit regelmäßig ein Grund für eine Wiedereinsetzung im Sinne von § 233 ZPO (so im Ergebnis auch LAG Nürnberg, Beschluss vom 28.10.2002 - 2 SHa 5/02, LAGE § 66 ArbGG Nr. 18). Eine solche Wiedereinsetzung scheitert vorliegend jedoch an der fehlenden Antragstellung im Sinne von § 234 Abs. 1 ZPO bzw. der Nichteinhaltung der Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO soweit eine amtswegige Wiedereinsetzung zu erwägen wäre.

Der Kläger hat die Berufung auch nicht fristgerecht begründet. Die am 19.03.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufungsbegründung ist verfristet, denn die Berufungsbegründungsfrist lief am 07.03.2003 ab. Dies ergibt sich gleichermaßen aus § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Bezüglich der Wiedereinsetzung gilt das oben Gesagte entsprechend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Kammer die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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