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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 17.12.2003
Aktenzeichen: 3 Ta 384/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 148
Die gerichtliche Entscheidung über die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits nach § 148 ZPO bedarf einer zweistufigen Prüfung. Zunächst ist die Vorgreiflichkeit festzustellen. Hierbei handelt es sich um die Klärung einer Rechtsfrage, bei der dem Gericht kein Ermessen zusteht. Sodann ist auf der zweiten Prüfungsebene unter Ausübung richterlichen Ermessens eine umfassende Abwägung der Vor- und Nachteile einer Aussetzung des Rechtsstreits vorzunehmen. Eine unterbliebene Ermessensausübung führt zur Unwirksamkeit des Aussetzungsbeschlusses.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 07.10.2003 - 6 Ca 8056/03 - aufgehoben.

Gründe:

I. Der Kläger ist bei der Beklagten zu 2) seit 1976 zuletzt als Leiter der Gebrauchtwagenniederlassung West in K beschäftigt. Mit Schreiben vom 10.07.2003 kündigte die Beklagte zu 1) das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise zum 31.01.2004. Gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung sowie gegen weitere fristlose bzw. hilfsweise fristgerechte Folgekündigungen wendet sich der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit. Bereits zuvor hatte die Beklagte zu 1) am 13.09.2002 gegenüber dem Kläger eine ordentliche Beendigungskündigung ausgesprochen. Wegen dieser Kündigung ist beim Arbeitsgericht Köln unter dem Aktenzeichen - 11 Ca 9647/02 - ein Rechtsstreit anhängig. In diesem Verfahren ist ein klagestattgebendes Urteil ergangen, das bislang nicht rechtskräftig ist. Im Hinblick auf dieses noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren hat die 6. Kammer des Arbeitsgerichts Köln mit Beschluss vom 07.10.2003 den vorliegenden Rechtsstreit wegen Vorgreiflichkeit des Verfahrens - 11 Ca 9647/02 - ausgesetzt.

Gegen diesen, dem Kläger am 07.10.2003 zugestellten Beschluss hat er am 08.10.2003 sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, im Hinblick auf die offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung vom 13.09.2002 sei eine Aussetzung ermessensfehlerhaft. Dies gelte um so mehr, als eine Aussetzung zu einer erheblichen Verzögerung des vorliegenden Rechtsstreits führe, die eine erhebliche finanzielle Belastung des Klägers zur Folge habe. An Stelle einer Aussetzung sei es eher angemessen, den vorliegenden Rechtsstreit bereits jetzt langfristig zu terminieren. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.

II. Die gemäß § 252 ZPO statthafte und im Übrigen auch form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Die angefochtene Aussetzungsentscheidung ist rechtsfehlerhaft, denn sie lässt die gesetzlich geforderte Ermessensausübung nicht erkennen.

Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Die gerichtliche Aussetzungsentscheidung verlangt damit zweierlei. Zunächst bedarf es der Feststellung einer Vorgreiflichkeit im Sinne des § 148 ZPO. Ist diese zu bejahen, folgt auf der zweiten Stufe eine umfassende Abwägung der Vor- und Nachteile einer Aussetzung des Rechtsstreits. Diese letztgenannte Ermessensentscheidung des Gerichts ist dabei deutlich von der Vorgreiflichkeitsprüfung zu unterscheiden. Da es sich hierbei um die Klärung einer Rechtsfrage handelt, steht dem Gericht insoweit kein Ermessen zu (LAG Nürnberg, Beschluss vom 14.05.2001 - 7 Ta 93/01 - NZA-RR 2001, 661).

Eine derartige Vorgreiflichkeit ist hier unstreitig gegeben. Die im vorliegenden Rechtsstreit zur Überprüfung anstehenden Kündigungen hängen von der Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der im Vorjahr am 13.09.2002 ausgesprochenen ordentlichen Beendigungskündigung ab. Nur wenn diese rechtsunwirksam ist, kann die fristlose Kündigung vom 10.07.2003 bzw. eine der Folgekündigungen überhaupt zum Tragen kommen. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

Fehlerhaft ist der erstinstanzliche Aussetzungsbeschluss jedoch insoweit, als es um die auf der zweiten Prüfungsebene vorzunehmende Ermessensentscheidung geht. Entgegen dem gesetzlichen Gebot hat das erstinstanzliche Gericht nämlich eine derartige Ermessensprüfung nicht vorgenommen. Dies ergibt sich aus der lediglich rudimentären, schlagwortartigen Begründung des angefochtenen Aussetzungsbeschlusses sowie des Nichtabhilfevermerks vom 21.10.2003. Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung lassen sich dem im Gütetermin vom 07.10.2003 getroffenen Aussetzungsbeschluss nicht entnehmen. Vielmehr hat die Vorsitzende die Aussetzung des Rechtsstreits lediglich mit dessen Vorgreiflichkeit begründet. Eine weitergehende Interessensabwägung ist nicht erfolgt.

Noch deutlicher wird der Ermessensnichtgebrauch aus der Formulierung des Nichtabhilfevermerks bezüglich der sofortigen Beschwerde. Der Kläger hat in der Beschwerdebegründung die Vorgreiflichkeit des anderen Rechtsstreits nicht in Frage gestellt, sondern die Beschwerde auf fehlende bzw. fehlerhafte Ermessenserwägungen des Gerichts gestützt, indem er auf die aus seiner Sicht offensichtliche Rechtsunwirksamkeit der vorgreiflichen Kündigung hingewiesen und die besondere Belastung auf Grund der bei einer Aussetzungsentscheidung entstehenden langen Prozessdauer hervorgehoben hat. Zur Begründung ihrer Nichtabhilfeentscheidung hat die Vorsitzende der 6. Kammer des Arbeitsgerichts Köln demgegenüber jedoch lediglich auf die unstreitig gegebene Vorgreiflichkeit abgestellt. Offensichtlich hat damit keine Ermessensausübung stattgefunden. Eine solche ist aber nach § 148 ZPO zwingende gesetzliche Voraussetzung für einen wirksamen Aussetzungsbeschluss (vgl. MüKo-Peters, ZPO, 2. Auflage, § 148, Rz. 14 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Auflage, § 148, Rz. 32 ff.; Mosielak/Stadler, ZPO, 2. Auflage, § 148, Rz. 8; Dahlem/Wiesner, NZA-RR 2001, 169, 170 jeweils m. w. N.).

Da das Beschwerdegericht lediglich eine Kontrolle der erstinstanzlichen Ermessensausübung vornehmen und nicht seine eigene Ermessensentscheidung an dessen Stelle setzen kann, ist der erstinstanzliche Aussetzungsbeschluss allein wegen der offensichtlich unterbliebenen Ermessensausübung aufzuheben.

III. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da die entstandenen Kosten als Teil der Prozesskosten ggf. bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen sind (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., § 252, Rz. 3 m. w. N.). Veranlassung für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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