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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 19.06.2006
Aktenzeichen: 3 Ta 60/06
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 148
ArbGG § 9 Abs. 1
ArbGG § 61 a Abs. 1
Der Folgerechtsstreit über die Klage auf Arbeitsentgelt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs ist bei noch anhängigem Kündigungsschutzverfahren regelmäßig nicht nach § 148 ZPO auszusetzen. Das folgt aus der besonderen Bedeutung des Beschleunigungsgrundsatzes im arbeitsgerichtlichen Verfahren.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 31.01.2006 - 6 Ca 10909/05 - aufgehoben.

Gründe:

I. Die Parteien streiten im vorliegenden Rechtsstreit über Vergütungsansprüche des Klägers. Diese betreffen den Zeitraum von Juli 2004 bis einschließlich Oktober 2005. Zuvor hatte die Beklagte das langjährig bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 17.11.2003 zum 30.06.2004 aus betriebsbedingten Gründen außerordentlich mit sozialer Auslauffrist gekündigt. Die vom Kläger gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht Köln als unbegründet abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Köln das erstinstanzliche Urteil abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision eingelegt. Das Verfahren ist derzeit beim Bundesarbeitsgericht anhängig. Ein Termin ist noch nicht bestimmt.

Das Arbeitsgericht Köln hat mit dem im Gütetermin vom 31.01.2006 verkündeten Beschluss das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Kündigungsschutzverfahrens gemäß § 148 ZPO ausgesetzt und dabei zur Begründung die Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzverfahrens angeführt. Gegen diesen ihm am 03.02.2006 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Schriftsatz vom 03.02.2006 sofortige Beschwerde eingelegt und die Aussetzungsentscheidung als ermessensfehlerhaft gerügt. Nach seiner Auffassung ist insbesondere der Beschleunigungsgrundsatz der §§ 9 Abs. 1 S. 1 und 61a Abs. 1 ArbGG nicht hinreichend berücksichtigt worden. Von der Aussetzungsmöglichkeit des § 148 ZPO sei daher in Fällen wie dem Vorliegenden nur ganz ausnahmsweise und in besonders begründeten Ausnahmen Gebrauch zu machen.

Die Beklagte verteidigt demgegenüber die erstinstanzliche Aussetzungsentscheidung und sieht in der Rechtsauffassung des Klägers eine ungerechtfertigte Privilegierung der Lohninteressen der Arbeitnehmer. Sie meint, hier müsse jedenfalls die von § 148 ZPO bezweckte Vermeidung doppelter Prozessführung vorgehen. Dies gelte umso mehr, als es sich hier um einen komplizierten Rechtsstreit handele, der mittlerweile seit mehreren Jahren die Gerichte in mehreren Instanzen beschäftige. Im Übrigen sei es dem Kläger unbenommen gewesen, seine Vergütung sofort einzuklagen.

Im Rahmen der ihm vom Landesarbeitsgericht eingeräumten Gelegenheit zur begründeten Abhilfeprüfung hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 20.04.2006 nicht abgeholfen und es als es der Prozessökonomie entsprechend angesehen, den Kündigungsrechtsstreit gerade angesichts der divergierenden Entscheidungen von erster und zweiter Instanz zunächst rechtskräftig entscheiden zu lassen, bevor über den Annahmeverzugsanspruch des Klägers entschieden werde.

II. Die gemäß §§ 252, 567 Abs. 1 ZPO zulässige, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers hat auch in der Sache Erfolg.

Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits ausgesetzt wird. Eine derartige Abhängigkeit liegt vor, wenn das Rechtsverhältnis als Vorfrage über die Entscheidung über den Klagegrund in dem auszusetzenden Prozess in Betracht kommt. Eine solche Vorgreiflichkeit des in der Revisionsinstanz anhängigen Kündigungsschutzverfahrens gegenüber dem hier vorliegenden Annahmeverzugsprozess des Klägers ist unstreitig gegeben.

Über die Feststellung dieser Vorgreiflichkeit hinaus erfordert die gerichtliche Aussetzungsentscheidung im Sinne von § 148 ZPO des Weiteren eine umfassende Abwägung der Vor- und Nachteile einer Aussetzung des Rechtsstreits (vgl. Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 17.12.2003 - 3 Ta 384/03 -). Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts, die sich an dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift auszurichten hat.

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht mit der Aussetzung des Rechtsstreits in einer dem Zweck der Aussetzungsnorm des § 148 ZPO nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Zwar dient diese Vorschrift - wie das Arbeitsgericht allein zur Begründung anführt - auch der Prozessökonomie und der Vermeidung einer doppelten Prüfung derselben Streitfragen in verschiedenen Prozessen. Andererseits muss aber bei der Ausübung des Ermessens im Rahmen des § 148 ZPO gerade in arbeitsgerichtlichen Verfahren insbesondere der Beschleunigungsgrundsatz berücksichtigt werden. Dies gilt sowohl für die allgemeine Vorschrift des § 9 Abs. 1 S. 1 ArbGG, wonach das Verfahren in allen Rechtszügen zu beschleunigen ist, als auch für die besondere Vorschrift des § 61a Abs. 1 ArbGG, nach der Verfahren in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses vorrangig zu erledigen sind. Gerade auch mit der letztgenannten Beschleunigungsnorm soll dem regelmäßig bestehenden besonderen Interesse des Arbeitnehmers an einer möglichst schnellen Klärung der Frage eines streitigen Bestandes seines Arbeitsverhältnisses Rechnung getragen werden. Denn die Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Kündigung stellt die Grundlage der für den Arbeitnehmer typischerweise existenznotwendigen, regelmäßigen Lohnzahlungen dar. Von daher wird in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung der Beschleunigungsgrundsatz gegenüber der Aussetzungsmöglichkeit des § 148 ZPO grundsätzlich überwiegend der Vorrang eingeräumt und nur ganz ausnahmsweise und in besonders begründeten Ausnahmefällen von der Aussetzungsmöglichkeit Gebrauch gemacht (vgl. Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 23.12.1982 - 7 Ta 299/82 - EzA § 148 ZPO, Nr. 13; Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 18.04.1985 - 8 Ta 96/85 - LAGE § 148 ZPO Nr. 14; Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 22.02.1989 - 7 Ta 25/89 - LAGE § 148 ZPO Nr. 20; Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 14.12.1992 - 11 Ta 234/92 - LAGE § 148 ZPO Nr. 26; Landesarbeitsgericht Nürnberg, Beschluss vom 09.07.1986, NZA 1987, 211; Landesarbeitsgericht Hessen, Beschluss vom 07.08.2003 - 11 Ta 267/03 - NZA-RR 2004, 264; Landesarbeitsgericht Thüringen, Beschluss vom 27.06.2001 - 6/9 Ta 160/00 -).

Die Beschwerdekammer geht mit der vorgenannten Instanzrechtsprechung von einem grundsätzlichen Vorrang des Beschleunigungsgrundsatzes aus. Besondere, dem entgegenstehende, gewichtige Einzelfallumstände sind nicht ersichtlich. Insbesondere steht die möglicherweise rechtliche Schwierigkeit der im Kündigungsschutzrechtsstreit zu entscheidenden Rechtsfragen einer Fortführung des Annahmeverzugsprozesses nicht entgegen. Allein der Umstand, dass die sich im Kündigungsschutzverfahren möglicherweise stellende Rechtsfrage komplexer Natur ist, vermag die deutlichen Beeinträchtigungen, die eine Aussetzung des Verfahrens für den Kläger hervorruft, nicht zu relativieren. Allein die mittlerweile lange Verfahrensdauer macht deutlich, dass der Kläger in ganz existentieller Weise auf die Befriedigung der von ihm geltend gemachten Vergütungsansprüche angewiesen ist. Dem vermag die Beklagte auch nicht entgegen zu halten, dass der Kläger seine Vergütungsansprüche bereits im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens mit hätte einklagen können. Denn der Kläger durfte bei der Beklagten als konzernangehöriges Unternehmen eines großen Luftfahrtkonzerns darauf vertrauen, dass nach entsprechender gerichtlicher Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren auch von ihm geltend gemachte hieraus resultierende Vergütungsansprüche ohne Einleitung eines weiteren rechtlichen Verfahrens befriedigt werden würden.

Da nach allem keine tragfähigen Anhaltspunkte für ein zugunsten der Beklagten auszuübendes gerichtliches Ermessen im Rahmen der Aussetzungsprüfung des § 148 ZPO erkennbar sind, war der erstinstanzliche Aussetzungsbeschluss aufzuheben.

III. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da die entstandenen Kosten als Teil der Prozesskosten ggf. bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen sind (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 252 Rz. 3). Veranlassung für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO besteht nicht.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.



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