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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 31.03.2004
Aktenzeichen: 3 TaBV 12/03
Rechtsgebiete: GG, BetrVG, WahlO, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 38 Abs. 1
GG Art. 100 Abs. 1
BetrVG § 15 Abs. 2
WahlO § 15 Abs. 5 Nr. 2
ZPO § 148
1. Die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG gelten auch für Betriebsratswahlen.

2. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO zum BetrVG stellt einen sachlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG dar.

3. Die gesetzliche Vorgabe des § 15 Abs. 2 BetrVG zur Förderung des Minderheitsgeschlechts ist für sich betrachtet verfassungsgemäß, denn im Wege der Verfassungskonformen Auslegung sind weniger einschneidende Korrekturen als der Listensprung i. S. v. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO zum BetrVG möglich (aA LAG Köln, Beschluss vom 13.10.2003 - 2 TaBV 1/03.

4. Hält das Gericht eine Vorschrift für verfassungsgemäß, muss es sie auch anwenden und kann den Rechtsstreit nicht ohne eingehende eigene Prüfung im Hinblick auf ein anderweitig anhängiges Normenkontrollverfahren aussetzen.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

3 TaBV 12/03

In dem Beschlussverfahren

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Anhörung vom 31.03.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kreitner als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Herr Dumm und die ehrenamtliche Richterin Frau Zensen

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 18.12.2002 - 5 BV 52/02 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das in der Wahlniederschrift vom 29.05.2002 festgestellte Wahlergebnis der Wahl der Vertreter der Beamtengruppe für den Betriebsrat bei der D T , T C , fehlerhaft ist.

Es wird weiter festgestellt, dass an Stelle der Frau S D (Platz 8 Liste ver.di) Herr W H (Platz 3 Liste DPVKOM) in den Betriebsrat gewählt worden ist.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl im Hinblick auf die Anwendung der §§ 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO.

Im Betrieb der Beteiligten zu 3) fanden vom 27. bis 29.05.2002 Betriebsratswahlen statt. Die Wahl wurde als Gruppenwahl mit den Gruppen der Beamten und der Arbeitnehmer durchgeführt. In der Beamtengruppe konkurrierte die Wahlvorschlagsliste der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft unter dem Kennwort "ver.di" mit der Liste der Antragstellerin unter dem Kennwort "Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM)". Insgesamt waren 17 Betriebsratsmitglieder zu wählen. Davon entfielen auf die Gruppe der Beamten neun und auf die Gruppe der Arbeitnehmer acht Sitze. Drei von den der Beamtengruppe zustehenden Sitze entfielen nach den nicht angefochtenen Berechnungen des Wahlvorstands auf Frauen als Minderheitsgeschlecht.

Ausweislich der Wahlniederschrift wurden in der Gruppe der Beamten insgesamt 458 gültige Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf die Liste "ver.di" 366 Stimmen und auf die Liste der Antragstellerin 92 Stimmen. Das führte zu folgenden Höchstzahlen:

 ver.diHöchstzahlListenplatzbelegt mit:DPVKOMHöchstzahlListenplatzbelegt mit:
: 1366(1)M92(4)M
:2183(2)M46(9)M
:3122(3)M30,6 M
:491,5(5)M   
:573,2(6)W   
:661(7)W   
:752,2(8)M   
:845,7 W   
:940,6 W  

Nach dem angewandten Höchstzahlverfahren hätten der Liste "ver.di" sieben Sitze und der Liste der Antragstellerin zwei Sitze in der Gruppe der Beamten zugestanden. Da auf der Liste der Antragstellerin keine Frauen aufgestellt waren und nach der oben genannten Sitzverteilung nur zwei Frauen Sitze erhalten hätten, den Frauen als Minderheitsgeschlecht in der Gruppe der Beamten aber drei Sitze zustanden, zog der Wahlvorstand der Liste der Antragstellerin einen Sitz ab und schlug diesen der Liste "ver.di" zu. Der abgezogene Sitz entfiel auf Herrn W , der zugeschlagene auf Frau S D , die Beteiligte zu 5). Für den im Laufe des vorliegenden Beschlussverfahrens aus dem Betrieb ausgeschiedenen Herrn W ist Herr W H , der Beteiligte zu 6), auf der Liste der Antragstellerin nachgerückt. Der weitere Beteiligte zu 4), Herr R , stand auf Platz sieben der Liste "ver.di".

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, sowohl § 15 Abs. 2 BetrVG als auch der vom Wahlvorstand angewandte § 15 Abs. 5 Nr. 2 der Wahlordnung (WahlO) seien verfassungswidrig. Die in Art. 38 Abs. 1 GG niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze hätten auch für Betriebsratswahlen Gültigkeit. Insbesondere der Grundsatz der Wahlgleichheit werde durch den in § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO angeordneten Listensprung verletzt. Die entstehende Ungleichheit sei nicht durch zwingende sachliche Gründe gerechtfertigt. Vielmehr müsse es bei dem Grundsatz "Listenschutz und Respekt vor dem Wählerwillen vor Geschlechterproporz" bleiben. Jedenfalls habe der Gesetzgeber nicht das mildeste Mittel gewählt, um eine angemessene Vertretung des Minderheitsgeschlechts sicherzustellen. Ein listeninterner Geschlechtertausch wäre als geringerer Eingriff vorzugswürdig gewesen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das in der Wahlniederschrift vom 29.05.2002 festgestellte Wahlergebnis der Wahl der Vertreter der Beamtengruppe für den Betriebsrat der D T , T T C , fehlerhaft und daher zu berichtigen ist;

2. festzustellen, dass anstelle von Herrn G R (Platz 7 Liste ver.di) Herr H W (Platz 2 Liste DPVKOM) in den Betriebsrat gewählt worden ist.

Der Beteiligte zu 2) hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 2) hat die Auffassung vertreten, die für politische Wahlen geltenden Wahlgrundsätze des Art. 38 GG seien auf die Betriebsratswahl nicht übertragbar. Der Betriebsrat stelle eine einheitliche Vertretung der Belegschaft dar, die mit dem aus politischen Wahlen hervorgehenden Parlament nicht vergleichbar sei. Im übrigen sei die Abweichung vom gleichen Erfolgswert der Stimmen durch die in Art. 3 Abs. 2 GG festgeschriebene Förderungspflicht des Staates legitimiert. Dem Gesetzgeber stehe bei der Schaffung von Regelungen, die eine Repräsentanz von Frauen im Betriebsrat verbessern sollen, ein weites Ermessen zu.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 18.12.2002 die Anträge zurückgewiesen und sich in der Begründung im wesentlichen der Argumentation des Beteiligten zu 2) angeschlossen.

Gegen diesen ihr am 31.01.2003 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 25.02.2003 Beschwerde eingelegt, die sie am 27.03 2003 begründet hat. Sie hält die Argumentation des Arbeitsgerichts für unzutreffend und wiederholt und vertieft die erstinstanzlichen Argumente. Sie meint weiterhin, von einem unzumutbaren Eingriff könne insbesondere nicht erst dann ausgegangen werden, wenn die geschlechtsbedingte Sitzverschiebung eine Umkehr der Mehrheitsverhältnisse bewirke. Schließlich lade die Listensprungregelung zum gezielten Manipulieren bei der Listenaufstellung ein.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 18.12.2002 - 5 BV 52/02 - wie folgt abzuändern:

Es wird festgestellt:

1. Das in der Wahlniederschrift vom 29.05.2002 festgestellte Wahlergebnis der Wahl der Vertreter der Beamtengruppe für den Betriebsrat der D T , T C ist fehlerhaft.

2. An Stelle des Herrn G R (Platz 7 Liste ver.di) ist Herr W H (Platz 3 Liste DPVKOM) in den Betriebsrat gewählt worden.

3. Hilfweise zu Antrag 2:

An Stelle von Frau S D (Platz 8 Liste ver.di) ist Herr W H (Platz 3 Liste DPVKOM) in den Betriebsrat gewählt worden.

Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung und halten an ihrer Auffassung fest, die vom Wahlvorstand angewandten Regelungen des § 15 Abs. 2 BetrVG i.V.m. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nicht zuletzt die nach Inkrafttreten der Neuregelung tatsächlich eingetretenen Verbesserungen im Bereich der Repräsentation von Frauen in Betriebsräten machten die Effektivität der Regelung deutlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

1. Die Anträge sind zulässig. Die Antragstellerin ist als im Betrieb der Beteiligten zu 3) vertretene Gewerkschaft gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG antragsbefugt. Die zweiwöchige Antragsfrist des § 19 Abs.2 Satz 2 BetrVG ist eingehalten. Das Wahlergebnis ist am 31.05.2002 bekannt gemacht worden; die vorliegende Antragsschrift ist am 13.06.2002 beim Arbeitsgericht eingegangen.

2. Der erste Hauptantrag sowie der Hilfsantrag sind begründet, der zweite Hauptantrag ist unbegründet.

a) Das in der Wahlniederschrift vom 29.05.2002 festgestellte Wahlergebnis der Vertreter der Beamtengruppe ist fehlerhaft. Zwar hat der Wahlvorstand bei der Ermittlung des Wahlergebnisses die Vorschriften der §§ 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO zutreffend angewandt. Gleichwohl ist das Wahlergebnis fehlerhaft, da § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO wegen Verstoßes gegen die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist und diese Rechtsnorm daher nicht angewendet werden darf.

aa) Die im Streit befindliche Betriebsratswahl war gemäß den Vorschriften des BetrVG durchzuführen, so dass insbesondere die Bestimmungen der §§ 15 Abs. 2 BetrVG und 15 WahlO zur Anwendung gelangen. Dies folgt aus §§ 24, 26, 34 PostPersRG, § 1 WahlO Post vom 22.02.2002.

bb) Die auf Grund der Ermächtigungsnorm des § 126 BetrVG erlassene Wahlordnung zum BetrVG ist in § 15 Abs. 5 Nr. 2 verfassungswidrig, denn diese Bestimmung verstößt gegen Art. 38 Abs. 1 GG. Dort ist für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages vorgeschrieben, dass diese in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Das Wahlverfahren muss eine selbstbestimmte und rationale Entscheidung des Wählers ermöglichen (BVerfG, Urteil vom 10.04.1997 - 2 BvF 1/95, NJW 1997, 1553).

(1) Den Grundsatz der Wahlgleichheit hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung konkretisiert. Danach soll jedermann seine staatsbürgerlichen Rechte und insbesondere sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können (BVerfG, Beschluss vom 23.03.1982 - 2 BvL 1/81, AP Nr. 118 zu Art. 3 GG; BVerfG, Beschluss vom 22.10.1985, BVerfGE 71, 81 ff.; BVerfG, Urteil vom 10.04.1997 - 2 BvC 3/96, NJW 1997, 1568; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2001 - 2 BvR 1252/99, NVwZ 2002, 71). Der Grundsatz der Wahlgleichheit verlangt, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten den gleichen Zählwert - und im Rahmen des festzulegenden Wahlsystem - die gleiche rechtliche Erfolgschance hat. Bei der Verhältniswahl hat jeder Wähler nur dann die gleiche rechtliche Möglichkeit der Einflussnahme auf die Zuteilung der Sitze, wenn jeder Stimme grundsätzlich der gleiche Erfolgswert zukommt (BVerfG, Beschluss vom 31.05.1995 - 2 BvR 635/95, NJW 1995, 2216; BVerfG, Urteil vom 10.04.1997 - 2 BvC 3/96, NJW 1997, 1568; von Münch/Trute, GG, 5. Aufl., Art. 38 Rz 52; Sachs/Magiera, GG, 3. Aufl., Art. 38 Rz. 90 ff.). Gleiches gilt auf seiten der Wahlbewerber. Auch für sie folgt aus dem oben genannten Wahlgrundsatz ein Gebot der Chancengleichheit (BVerfG, Beschluss vom 22.10.1985, BVerfGE 71, 81 ff.), da Art. 38 Abs. 1 GG in gleicher Weise das passive Wahlrecht betrifft.

Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl soll darüber hinaus ein Wahlverfahren sicherstellen, bei dem der einzelne Wähler vor dem Wahlakt erkennen kann, welche Personen sich um ein Mandat bewerben und wie sich die eigene Stimmabgabe auf Erfolg oder Misserfolg der Wahlbewerber auswirken kann (BVerfG, Urteil vom 10.04.1997 - 2 BvF 1/95, NJW 1997, 1553). Die Reihenfolge der Listenbewerber muss im vorhinein festgelegt sein und es darf keine nachträgliche Änderung der Riehenfolge oder Streichung einzelner Listenbewerber stattfinden (von Münch/Trute, GG, 5. Aufl., Art. 38 Rz 29; Sachs/Magiera, GG, 3. Aufl., Art. 38 Rz. 84; Achterberg/Schulte in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 38 Rz 125 jeweils m.w.Nachw.).

(2) Diese Grundsätze der formalen Wahlgleichheit gelten über ihren direkten Anwendungsbereich der Parlamentswahl hinaus auch für Betriebsratswahlen nach dem BetrVG.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage bislang ausdrücklich offen gelassen (BVerfG, Beschluss vom 22.10.1985, BVerfGE 71, 81 ff.), nachdem es zuvor bereits für Personalratswahlen eine entsprechende Anwendung bejaht hatte (BVerfG, Beschluss vom 23.03.1982 - 2 BvL 1/81, AP Nr. 118 zu Art. 3 GG). Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt - soweit ersichtlich - ebenfalls noch nicht vor. Lediglich für die Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat hat der 7. Senat des BAG in seinem Beschluss vom 13.05.1998 (7 ABR 5/97, NZA 158, 159) eine Geltung der Grundsätze verneint. Die 2. Kammer des LAG Köln hat mit Vorlagebeschluss vom 13.10.2003 (2 TaBV 1/03, NZA-RR 1004, 247) demgegenüber die Geltung der Wahlgrundsätze mit insgesamt zutreffender und überzeugender Argumentation bejaht (insoweit zustimmend Brors, juris PraxisReport Arbeitsrecht 10/04; Hänlein ArbuR 2004, 112; ebenso zuvor ArbG Ludwigshafen, Beschluss vom 19.06.2002 - 8 BV 820/02, BB 2002, 2016). Die Kammer hat dabei das Erfordernis einer demokratischen Legitimation des Betriebsrats hervorgehoben (ebenso Dütz, DB 2001, 1306, 1308), das sich unter anderem aus seiner Gestaltungsbefugnis zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen ergebe, durch die Grundrechte der Arbeitnehmer eingeschränkt werden könnten (grundlegend Hänlein, RdA 2003, 26, 30f.).

Dem schließt sich die erkennende Kammer an. Wie insbesondere Hanau (RdA 2001, 65, 70) in diesem Zusammenhang zutreffend herausgestellt hat, geht es bei der Geschlechterquote nicht um Besonderheiten der Betriebsverfassung, sondern um eine grundsätzliche Umgestaltung der Wahlgleichheit von Chancengleichheit zu Ergebnisgleichheit. Insofern bestehen keine Unterschiede zwischen Parlaments- und Betriebsratswahlen, so dass die verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze uneingeschränkte Beachtung verlangen.

Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2) steht dem auch die Entscheidung des 7. Senats des BAG vom13.05.1998 (7 ABR 5/97, NZA 158, 159) nicht entgegen. Soweit das BAG dort die Geltung der verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze verneint hat, beruht dies auf den Besonderheiten des konkreten Falles. Gegenstand der Entscheidung war keine Betriebsratswahl sondern die Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat. Es ging also - wie das BAG ausdrücklich herausgestellt hat - nicht um die Bildung eines Repräsentationsorgangs der gesamten Arbeitnehmerschaft eines Betriebes oder Unternehmens, sondern nur um die Besetzung der sog. Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat, die rechtlich nicht zur Bildung eines eigenen einheitlichen Willens berufen ist. Konsequenterweise hat der 7. Senat des BAG in der vorgenannten Entscheidung im wesentlichen auf diesen Unterschied abgestellt. Gleichzeitig hat das Gericht seine Auffassung zur Geltung der Wahlgrundsätze bei der Betriebsratswahl angedeutet, indem es den Einwand des Wahlrechtsverstoßes nur dann als berechtigt bezeichnet hat, wenn ein Repräsentationsorgan zu wählen gewesen wäre, das seinen Willen nach demokratischen Regeln mit Mehrheit bildet (BAG aaO.). Letzteres ist beim Betriebsrat der Fall. Im Gegenschluss liegt also nahe, dass auch das Bundesarbeitsgericht bei einer Betriebsratswahl eine Geltung des Art. 38 Abs. 1 GG befürworten würde.

(3) Der in § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO vorgeschriebene Listensprung stellt einen doppelten Eingriff in die Wahlgrundsätze dar. Er verletzt sowohl den Grundsatz der Wahlgleichheit als auch den der Unmittelbarkeit der Wahl, denn es findet eine nachträgliche Veränderung des stimmenmäßigen Wahlergebnisses statt. Die Sitzverteilung auf die einzelnen Listen entspricht nicht dem Verhältnis, wie es sich nach der Stimmenverteilung darstellt, sondern die vorrangig zu berücksichtigende Geschlechterquote durchbricht das Verhältniswahlrechtssystem (im Ergebnis ebenso Berger-Delhey, ZTR 2002, 113, 115; Schiefer/Korte, NZA 2002, 113, 116; Will, FA Arbeitsrecht 2002, 73, 78).

Beide Eingriffe sind offensichtlich und werden auch von den Beteiligten grundsätzlich nicht in Abrede gestellt. So bedeutet die Verlagerung des zweiten Sitzes der Antragstellerin auf die Liste "ver.di", dass bei dieser für die Erlangung eines Sitzes 45,7 Stimmen erforderlich waren, wohingegen die Antragstellerin nahezu die doppelte Anzahl, nämlich 92 Stimmen für einen Sitz benötigte. Ohne den Listensprung lag das Verhältnis bei 52,2 zu 46 Stimmen. Gleichzeitig bewirkt die Verlagerung von Mandaten zwischen den Listen, dass der Wähler die Auswirkungen seiner Stimmabgabe auf das Wahlergebnis nicht prognostizieren kann. Denn ob die von jedem einzelnen Wähler für eine bestimmte Liste abgegebene Stimme letztlich die Verteilung der Sitze auf die Listen beeinflusst, hängt entscheidend vom jeweiligen Wahlergebnis und damit der Frage ab, ob bei einem oder sogar bei mehreren Betriebsratsmitgliedern ein Listensprung vorzunehmen ist.

(4) Die durch § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO entstehenden Eingriffe in die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG sind auch nicht gerechtfertigt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bleibt dem Gesetzgeber auch im Bereich der Wahlgrundsätze ein gewisser Spielraum bei der Ausgestaltung der Normen. Die gesetzlichen Anforderungen fasst das Bundesverfassungsgericht insoweit seit einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1952 (Urteil vom 05.04.1952 - 2 BvH 1/52, BVerfGE 1, 208, 248f.; Achterberg/Schulte in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 38 Rz 131 m. umfassenden weiteren Nachw.) in der Formel eines "zwingenden Grundes" zusammen. Danach richtet sich der Grad der zulässigen Differenzierungen in erster Linie nach der Struktur des zu regelnden Sachbereichs, dem Aufgabenkreis des zu wählenden Repräsentativorgans sowie danach, auf welcher Stufe des Wahlverfahrens mit welcher Intensität eingegriffen wird. Dieser Rechtsprechung ist auch das Bundesarbeitsgericht gefolgt (BAG, Beschluss vom 13.05.1998 - 7 ABR 5/97, NZA 158, 160 mit weiteren Nachweisen aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung). Dementsprechend müssen differenzierende Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke gleichermaßen geeignet und erforderlich sein (BVerfG, Urteil vom 10.04.1997 - 2 BvC 3/96, NJW 1997, 1568; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2001 - 2 BvR 1252/99, NVwZ 2002, 71; Sachs/Magiera, GG, 3. Aufl., Art. 38 Rz 93). Das bedeutet für den Verordnungsgeber im vorliegenden Fall, dass jeglicher Eingriff in die Wahlrechtsgrundsätze insbesondere auf seine Verhältnismäßigkeit zu überprüfen ist.

Diese Verhältnismäßigkeit ist nach Auffassung der erkennenden Kammer bei dem durch § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO angeordneten Listensprung nicht mehr gewahrt (im Ergebnis ebenso Hänlein, ArbuR 2004, 112, 114).

Zwar streitet für die Berücksichtigung des Minderheitsgeschlechts mit Art. 3 Abs. 2 GG und der dort geregelten Förderungspflicht des Staates ein eigenes Verfassungsgebot. Ferner belegen die von dem Beteiligten zu 2) vorgelegten statistischen Angaben, dass der Anteil der weiblichen Betriebsratsmitglieder nach Einführung der betriebsverfassungsrechtlichen Neuregelungen zugenommen hat. Von daher hat die erkennende Kammer an der grundsätzlichen Sachgerechtigkeit einer Förderung des Minderheitsgeschlechts auch bei Wahlen im Bereich der Betriebsverfassung keine Zweifel.

Gleichwohl ist § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO nicht (mehr) verfassungsgemäß, weil der vorgenommene Eingriff nicht erforderlich ist. Der Verordnungsgeber hätte die verfassungmäßige Vorgabe des Art. 3 Abs. 2 GG auch mit weniger einschneidenden Korrekturen zur Geltung bringen können. Der oben genannte unterschiedliche Stimmenwert für einen Betriebsratssitz in den beiden Listen macht besonders deutlich, wie weitreichend die Auswirkungen des Listensprungs sind. Statt eines solchen Listensprungs erscheint es naheliegend, einen Geschlechtertausch ausschließlich listenintern vorzunehmen. Das entspricht zunächst auch der Regelung in § 15 Abs. 5 Nr. 1 WahlO. Das dort nur für die Liste mit der mit der niedrigsten Höchstzahl benannten Person vorgesehene Prinzip könnte in einem zweiten Schritt auf die übrigen Listen ausgedehnt werden. Dies hätte zwar bezogen auf die stimmenmäßig gewählten Listenmitglieder ebenfalls eine Veränderung des Wahlergebnisses zur Folge. Die weiterreichende Beeinflussung des Wahlergebnisses durch ein geändertes Stimmenverhältnis der Listen zueinander würde jedoch vermieden. Gerade bei der Listenwahl würde dieses Modell nur einen geringeren Eingriff und damit ein milderes Korrekturmittel bedeuten. Denn die Belegschaft wählt hier bestimmte Listen und das durch sie repräsentierte Programm. Die Bedeutung der einzelnen auf den Listen kandidierenden Personen tritt demgegenüber in Hintergrund. Das gilt umso mehr, je höher die Listenplatzzahl der Kandidaten ist.

Demgegenüber überzeugen die zuletzt von Brors (NZA 2004, 472, 475) geäußerten Bedenken nicht. Soweit sie einwendet, auch der listeneigene Tausch verkürze ebenso wie eine Beschränkung der Quote auf die Wahlvorschläge "immerhin auch" die Chancen der Angehörigen des Mehrheitsgeschlechts in erheblichem Ausmaß, ist dem grundsätzlich zuzustimmen. Dies ändert aber nichts daran, dass dieser Eingriff deutlich geringere Auswirkungen als der Wechsel von Sitzen zwischen den Listen hat. Schließlich geht es nicht um die Frage, ob ein Eingriff überhaupt erfolgen darf, sondern allein darum, wie weitreichend er sein darf und ob weniger gravierende Eingriffe in ähnlich effektiver Weise eine Förderung des Minderheitsgeschlechts bewirken können. Genau dies ist aber - wie oben geschildert - möglich, ohne die Stimmengleichheit grundsätzlich aufzugeben.

Ebenfalls als milderes, einem Listensprung vorzugswürdiges Korrekturmittel kommt nach Auffassung der Kammer die Festschreibung einer Geschlechterquote bei der Listenaufstellung in Betracht. Der Eingriff würde dann in einem relativ frühen Stadium der Wahl erfolgen. Anders als bei der jetzigen Regelung des § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO müsste also nicht ein vorliegendes Wahlergebnis korrigiert werden, sondern die Reglementierung würde bereits vor der Stimmabgabe erfolgen. Dabei läge es im gesetzgeberischen Ermessen des Verordnungsgebers, ob dies mit einer zwingenden Vorgabe oder lediglich im Wege einer Sollvorschrift geschehen sollte.

Bereits diese beiden beispielhaften Regelungsvorschläge zeigen, dass der gleiche Eingriffserfolg auch mit deutlich milderen Mitteln erreichbar ist.

b) Das Wahlergebnis wird durch die Anwendung dieser Norm im konkreten Fall beeinflusst. Durch den vom Wahlvorstand angewandten § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO hat die Liste der Antragstellerin einen der beiden Sitze zugunsten der Liste "ver.di" verloren.

c) Eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens hat nicht zu erfolgen.

Das gilt zunächst soweit es um die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO geht. Da es sich hierbei um eine untergesetzliche Norm handelt, kommt das in Art. 100 GG festgeschriebene Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nicht zum tragen (Sachs/Sturm, GG, 3. Aufl., Art. 100 Rz. 9). Das jeweilige Fachgericht hat eigenständig über die Verfassungskonformität der Norm zu entscheiden.

Eine Aussetzung ist auch entbehrlich soweit die Klärung einer möglichen Verfassungswidrigkeit von § 15 Abs. 2 BetrVG in Rede steht. Anders als die 2. Kammer des LAG Köln in ihrem Beschluss vom 13.10.2003 (2 TaBV 1/03, NZA-RR 1004, 247) entscheiden hat, ist nach Auffassung der erkennenden Kammer § 15 Abs. 2 BetrVG mit der Verfassung vereinbar, denn die Vorschrift kann jedenfalls verfassungskonform ausgelegt werden. Dies machen die oben aufgezeigten Regelungsalternativen zu § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO deutlich.

Die gesetzliche Vorgabe des § 15 Abs. 2 BetrVG zur Förderung des Minderheitsgeschlechts bei der Betriebsratswahl ist nach Auffassung der erkennenden Kammer für sich betrachtet nicht verfassungswidrig. Zum einen zeigt bereits § 15 Abs. 5 Nr. 5 WahlO, dass ein endgültiger, einschränkungsloser Zwang zur mindestens anteiligen Besetzung des Betriebsrats nicht durchsetzbar ist. Auch die bislang geltende Wahlordnung geht davon aus, dass in letzter Konsequenz ggf. ein nicht quotenentsprechend besetzter Betriebsrat gewählt ist. Zum anderen wird zwar zu Recht geltend gemacht, § 15 Abs. 2 BetrVG schränke die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG deutlich ein. Da aber diese Wahlgrundsätze nicht absolut betrachtet werden dürfen, sondern gerade in Abwägung mit dem gleichermaßen zu berücksichtigenden Grundrecht aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG eine praktische Konkordanz herzustellen ist, kommt es entscheidend auf die Ausgestaltung des gesetzlichen Gebots durch die Wahlordnung an.

Schließlich ist eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens auch wegen der Vorlageentscheidung der 2. Kammer des LAG Köln vom 13.10.2003 nicht geboten. Ein Aussetzungs- und Vorlagezwang besteht bei Bedenken im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit nachkonstitutioneller Gesetze nur im konkreten Verfahren selbst. Das Gericht kann ein anderes Verfahren nicht mit der Begründung aussetzen, dass eine zur Anwendung kommende Vorschrift Gegenstand einer anhängigen verfassungsgerichtlichen Prüfung sei. Nur wenn das Gericht die Norm seinerseits für verfassungswidrig hält, muss es das Verfahren aussetzen und ggf. auch dieses Verfahren gemäß Art. 100 GG vorlegen. Hält es die Vorschrift für verfassungsgemäß, muss es sie anwenden (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 148 Rz. 3 m.w.Nachw.). Soweit der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 die gegenteilige Auffassung vertreten hat, dass ein Gericht auch ohne eingehendere eigene Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm das Verfahren im Hinblick auf ein anderweitig anhängiges Normenkontrollverfahren aussetzen kann, beruhte die dort getroffene Ermessensentscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls (BGH, Beschluss vom 25.03.1998 - VIII ZR 337/97, NJW 1998, 1957 - anderenfalls erforderliche Anrufung des Großen Senats). Solche Besonderheiten liegen hier nicht vor.

d) Rechtsfolge des oben festgestellten Verfassungsverstoßes ist die Unanwendbarkeit des § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO bei der Ermittlung des Wahlergebnisses. Die gesetzliche Vorgabe aus § 15 Abs. 2 BetrVG wird demgemäß unter Außerachtlassung des § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO allein durch § 15 Abs. 5 Nr. 1 WahlO ausgefüllt. Ein geschlechtsbezogener Sitztausch kann daher nur in der Liste der mit der niedrigsten Höchstzahl benannten Person stattfinden. Führt dies nicht zum Erfolg, bleibt es gemäß § 15 Abs. 5 Nr. 5 WahlO bei dem ohne die Anwendung von § 15 Abs. 5 WahlO festgestellten Wahlergebnis.

Im vorliegenden Streitfall bedeutet dies, dass ein Sitztausch nur in der Liste der Antragstellerin möglich wäre, da sie mit Herrn W auf Listenplatz 2 die Person mit der geringsten Höchstzahl aufweist. Wegen fehlender weiblicher Kandidaten scheidet auf dieser Liste ein Platztausch jedoch von vornherein aus. Es bleibt somit beim festgestellten Ergebnis. Die oben aufgezeigten weiteren Möglichkeiten einer Förderung des Minderheitsgeschlechts bei der Betriebsratswahl mit weniger weitreichenden Eingriffen in die Wahlgrundsätze können vom Gericht nicht zugrunde gelegt werden, da es insoweit zunächst einer entsprechenden Umsetzung durch den Verordnungsgeber bedarf.

Das ursprüngliche Wahlergebnis ohne Geschlechterkorrektur ergab eine Sitzverteilung von sieben zu zwei Sitzen, wobei der zweite Sitz auf der Liste der Antragstellerin von Herrn W und der siebte Sitz auf der Liste "ver.di" von Herrn R eingenommen wurde. Diese Ergebnis ist lediglich aufgrund des zwischenzeitlichen Ausscheidens von Herrn W und des damit nachrückenden Herrn H von Platz drei der Liste der Antragstellerin zu aktualisieren. Dementsprechend war der zweite Hauptantrag, der einen Wechsel des letzten von einem männlichen Bewerber besetzten Listenplatzes der Liste "ver.di" zur Liste der Antragstellerin zugunsten von Herrn H beinhaltet, abzuweisen. Hierfür ist eine rechtliche Grundlage nicht ersichtlich. Stattzugeben war allein dem Hilfsantrag, denn ohne Vornahme des Listensprungs fehlt die Grundlage für das Nachrücken von Frau D und Herr H bleibt als Nachrücker für Herrn W im Betriebsrat.

3. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Kammer die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Ende der Entscheidung

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