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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 04.11.2002
Aktenzeichen: 4 (9) Sa 695/02
Rechtsgebiete: BetrAVG


Vorschriften:

BetrAVG § 2
BetrAVG § 6
Die in einer Versorgungsordnung eingeräumte Möglichkeit, gesetzliche und betriebliche Rente flexibel vorgezogen in Anspruch zu nehmen, enthält keine "feste Altersgrenze" i.S.d. § 2 I 1 BetrAVG (im Anschluss an BAG 23.01.2001 AP Nr. 35 zu § 2 BetrAVG).
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 4 (9) Sa 695/02

Verkündet am: 04.11.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 04.11.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Backhaus als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Weber und Kaulertz

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.02.2002 - 2 Ca 6108/01 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Berechnung einer Betriebsrente, nämlich darum, ob wegen des vorzeitigen Ausscheidens des Klägers der Quotient nach § 2 Abs. 1 BetrAVG mit 0,5108 zu berechnen sei, wie es die Beklagte getan hat, oder mit 0,6031, wie es der Kläger für richtig hält. Der Kläger vertritt dazu im Wesentlichen, dass es nicht richtig sei, dass 65. Lebensjahr bei der Berechnung zugrundezulegen, sondern ein früheres Jahr als sog. feste Altersgrenze berücksichtigt werden müsse.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge und der Prozessgeschichte wird gemäß § 69 Abs. 3 S. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen dieses ihm am 03.06.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.07.2002 Berufung eingelegt und diese am 02.08.2002 begründet.

Er trägt vor, während bis zum Rentenbeginn im Unternehmen tätige Mitarbeiter, insbesondere Mitarbeiterinnen der Jahrgänge vor 1952, denen auch der Kläger angehöre, eine nicht nach BetrAVG gekürzte Betriebsrente gemäß Versorgungsordnung vom 09.02.1969 erhielten, auch wenn sie vor Erreichen des 65. Lebensjahres Rente in Anspruch nähmen, sei bei der Berechnung der Anwartschaften des Klägers als vorzeitiger ausgeschiedener Mitarbeiter das 65. Lebensjahr als ausschließliche Bezugsgröße gewählt worden. Er meint, dass Arbeitsgericht habe die dafür angebotenen Beweise nicht übergehen dürfen. Es handele sich nicht um einen Ausforschungsbeweis.

Er, der Kläger, habe zunächst die in Rede stehende Betriebsvereinbarung, die als Broschüre mit Berechnungsbeispielen an die Mitarbeiter seitens der Rechtsvorgängerin der Beklagten ausgegeben worden sei, vorgelegt. In einem Berechnungsbeispiel werde die Betriebsrente eines fiktiven Mitarbeiters berechnet, der mit 63 Jahren aus dem Unternehmen ausscheide. Die Berechnung erfolge dabei ausgehend von dem nach der Vereinbarung sich ergebenden Einkommen unter Berücksichtigung einer Betriebszugehörigkeit nach § 6 der Vereinbarung ohne weitere Kürzung wegen Rentenbezugs und Ausscheidens vor dem 65. Lebensjahr.

Richtig sei, dass diesem Schriftstück keine anspruchsbegründende Qualität zukomme. Sie begründe aber ein Indiz dafür, dass der Sachverhalt, dass alle Unternehmensangehörigen, die Betriebsrente zu den in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Altersgrenzen in Anspruch nähmen, "eine Kürzung nach BetrAVG" nicht hätten hinnehmen müssen.

Ferner habe er die Betriebsvereinbarung vom 30.06.2000 vorgelegt. Diese sei zwar für ihn nicht unmittelbar anwendbar. Die Versorgungsordnung aus dem Jahr 1989 enthalte aber keinen Hinweis auf "mögliche Kürzungen nach BetrAVG" und bei Ausscheiden eines Mitarbeiters vor Erreichen des 65. Lebensjahres. Richtig sei, dass sie diese auch nicht enthalten müsse, damit das BetrAVG angewandt werden könne. Die Betriebsvereinbarung zum Jahr 2000 hingegen erwähne ausdrücklich eine zusätzliche Kürzung nach BetrAVG. Dies lasse Rückschlüsse auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Erläuterungen zur Betriebsvereinbarung von 1989 zu.

Dass tatsächlich entsprechend den Erläuterungen zur Betriebsvereinbarung in der Praxis verfahren worden sei, dass sowohl männlichen Mitarbeitern Betriebsrente ausschließlich nach den expliziten Bestimmungen der Betriebsvereinbarung gewährt worden sei, wenn diese mit 63 in den Ruhestand gingen, ohne zusätzliche Kürzung "gemäß BetrAVG", und weibliche Mitarbeiter der Jahrgänge vor 1952 bereits bei Renteneintritt mit dem 60. Lebensjahr ebenfalls eine ungekürzte, d.h. nicht nach BetrAVG zusätzlich gekürzte Rente erhalten hätten, sei Vernehmung des Zeugen H unter Beweis gestellt. Das reiche als Vortrag aus.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgericht Köln vom 02.02.2002 - 2 Ca 6108/01 - abzuändern und festzustellen, dass bei der Berechnung der Betriebsrentenanwartschaft des Klägers gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG ein Quotient von 0,6031 zugrunde zu legen ist.

Die Beklagte beantragte,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen ihres Berufungsvorbringens wird auf die Berufungserwiderung, Bl. 146 - 153 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat in allen Punkten zu Recht entschieden.

I. § 2 Abs. 1, Nr. 2 b der Versorgungsrichtlinien enthalten keine feste Altersgrenze. Dieses auch dann nicht, wenn man die Behauptung des Klägers als richtig unterstellt, dass die Beklagte in ihrer Praxis bei einem Ausscheiden von Arbeitnehmern aus der Beschäftigung im Unternehmen aufgrund der Inanspruchnahme der vorgezogenen oder flexiblen Altersrente, also nach § 6 BetrAVG, keine Kürzung vornimmt.

Dieses nämlich macht die Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 b der Versorgungsrichtlinien nicht zu einer festen Altersgrenze.

Eine vorgezogene feste Altersgrenze liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand treten soll und dann seine ungekürzte Betriebsrente in Anspruch nehmen kann. Nach Sprachgebrauch und Herkommen handelt es sich um die Grenze, bis zu der die Arbeitnehmer längstens einer Erwerbstätigkeit nachgehen sollen. Davon ist die flexible Altersgrenze zu unterscheiden. Sie bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem ein vorzeitiger Eintritt in den Ruhestand möglich ist (BAG 19. Dezember 1999 - 3 AZR 684/98 - AP Nr. 97 zu § 7 BetrAVG).

Demgegenüber hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 23. Januar 2001 (- 3 AZR 164/00 - AP Nr. 35 zu § 2 BetrAVG) ausdrücklich klargestellt, dass mit der Bezugnahme auf die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit, gesetzliche und betriebliche Rente vorgezogen in Anspruch zu nehmen, keine feste Altersgrenze angesprochen wird, weil der Zeitpunkt der vorgezogenen Inanspruchnahme allein vom Willen des Arbeitnehmers abhängt und nicht von vornherein feststeht (so wörtlich BAG a.a.O. unter I 2 der Entscheidungsgründe). Die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 b geregelte "Altersgrenze" ist eben keine "feste" wie es das Gesetz verlangt sondern eine "flexible". Darauf hat zu Recht auch schon das Arbeitsgericht abgehoben.

II. Das Arbeitsgericht ist auch zu Recht dem Beweisantritt des Klägers in Bezug auf seine Behauptung, weibliche Mitarbeiter der Jahrgänge 1952 erhielten bei Renteneintritt mit dem 60. Lebensjahr ebenfalls eine ungekürzte Rente, nicht nachgegangen.

1. Soweit nämlich Frauen, die mit 60 aufgrund einer vorgezogenen gesetzlichen Altersrente ausschieden und von der Möglichkeit des § 6 Abs. 1 BetrAVG Gebrauch machten, deshalb einen Abschlag nicht hinnehmen mussten, so ist darin, wie ausgeführt, eine feste Altersgrenze von 60 Jahren für Frauen nicht zu erblicken.

Der Kläger hat nichts Näheres zu den Umständen der von ihm behaupteten Praxis vorgetragen. Der Vortrag ist insgesamt so unsubstantiiert, dass ihm nicht die konkrete Behauptung entnommen werden kann, die Beklagte habe auch Frauen, die mit 60 ausschieden, ohne eine vorgezogene gesetzliche Rente in Anspruch zu nehmen, eine ungekürzte Betriebsrente gewährt.

2. Angesichts der Tatsache, dass die Richtlinie offensichtlich keine abweichende feste Altersgrenzenregelung für Frauen enthält, kann auch die Darstellung in der Zusammenfassung zu der vom Kläger vorgelegten Broschüre vom 21. April 1989 (Bl. 79 d.A.: "bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen - Erreichens des 65. (bei Frauen 60. Lebensjahres)") kein Indiz dafür hergeben, dass entgegen dem klaren und eindeutigen Inhalt der in der Broschüre mitabgedruckten Richtlinie eine solche (von der Inanspruchnahme vorgezogener gesetzlicher Rente unabhängige) Altersgrenze des 60. Lebensjahres für Frauen existierte.

Die genauen Autoren dieser Zusammenfassung sind aufgrund des Parteivortrages nicht bekannt. Da die Zusammenfassung in einer einheitlichen Broschüre mit der Richtlinie selbst enthalten ist, wie die Paginierung am unteren Rand der Seiten zeigt, ist davon auszugehen, dass es sich um ein schlichtes Missverständnis des oder der Autoren dieser Broschüre handelt. Ein solches Missverständnis könnte etwa daraus geboren sein, dass im Bereich des R zuvor eine andere Versorgungsregelung gegolten hätte. Ein ausreichendes Indiz dafür, dass auch nach Inkrafttreten der ersichtlich zunächst als Gesamtbetriebsvereinbarung im R verabschiedeten Richtlinie von 1989 unabhängig von der Inanspruchnahme der flexiblen gesetzlichen Altersrente für Frauen eine feste Altersgrenze von 60 Jahren praktiziert worden wäre, enthält diese Zusammenfassung nicht. Die Beklagte hat eine solche Praxis stets bestritten. Der Kläger hätte daher konkrete Fälle dartun müssen, in denen ohne Inanspruchnahme der flexiblen gesetzlichen Altersrente für Frauen eine feste Altersgrenze von 60 Jahren praktiziert worden wäre.

Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass - obwohl die Beklagte erstinstanzlich bereits ausdrücklich darauf hingewiesen hat - der Kläger die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Nachgang zum sog. Barber-Urteil des EUGH unberücksichtigt lässt. Danach gilt Folgendes (BAG, 3. Juni 1997 - 3 AZR 910/95 - AP Nr. 35 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung): Regelungen in Versorgungsverträgen, die für Männer und Frauen ein unterschiedliches Rentenzugangsalter (Männer 65 Jahre; Frauen 60 Jahre) vorsehen, verstoßen für eine Übergangszeit nicht gegen Artikel 3 Abs. 3 GG. Nach Artikel 3 Abs. 3 GG dürfen die bisher noch für Frauen bestehenden Nachteile im Berufungsleben durch die Festlegung eines früheren Rentenalters ausgeglichen werden. Solche Regelungen verstoßen jedoch gegen Artikel 119 EG-Vertrag. Auf Artikel 119 EG-Vertrag kann sich ein Mann aber nur mit Erfolg berufen, soweit bei der Berechnung der Betriebsrente und der Anwartschaft Zeiten nach dem 17. Mai 1990 (Urteil des EUGH - Rs C 262/88 - Barber) zu berücksichtigen sind. Der Unverfallbarkeitsfaktor nach § 2 Abs. 1 BetrAVG ist dann für Beschäftigungszeiten vor und nach dem 17. Mai 1990 unterschiedlich zu berechnen. Für Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 ist von einer möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum 65. Lebensjahr auszugehen, für die Zeit nach dem 17. Mai 1990 von einer möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum 60. Lebensjahr.

Da der weit größere Teil der Beschäftigungszeit des Klägers vor dem 17. Mai 1990 lag, hätte der Kläger ohnehin nur zu einem geringfügig veränderten Ergebnis gelangen können, wenn er substantiiert dargelegt und bewiesen hätte, dass bei der ursprünglichen Arbeitgeberin auch nach dem 17. Mai 1990 entgegen der Richtlinie von 1989 noch eine von der Inanspruchnahme vorgezogener gesetzlicher Rente unabhängige feste Altersgrenze für Frauen im Sinne des 60. Lebensjahres durch betriebliche Übung praktiziert worden wäre. Dabei können vereinzelte Fälle ohnehin nicht relevant sein, weil es für den Gleichbehandlungsgrundsatz auf eine generalisierende Regelung ankommt. Eine solche generalisierende Regelung ist in den Versorgungsrichtlinien eben nicht enthalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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