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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 13.02.2004
Aktenzeichen: 4 Sa 1163/03
Rechtsgebiete: TVG
Vorschriften:
TVG § 1 |
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 13. Februar 2004
In Sachen
hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 13.02.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Backhaus als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Eubel und Dujardin
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerinnen und Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.04.2003 - 20 Ca 906/03 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger je zu 1/54 zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerinnen und Kläger sind bei der Beklagten in der Niederlassung F beschäftigt. Am 12. und 13.06.2002 fand dort ein Streik für den Abschluss eines neuen Lohn- und Gehaltstarifvertrages im Bereich des Groß- und Außenhandels NRW statt. An diesem Streik beteiligten sich ca. 85 % der an diesen Tagen im Betrieb anwesenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, darunter sämtliche Klägerinnen und Kläger.
Diejenigen Arbeitnehmer, die nicht streikten, sondern arbeiteten, unterlagen besonderen Erschwernissen. So wurden diese bei der Einfahrt in den Betrieb von streikenden Mitarbeitern bedrängt, indem diese den Pkw's der Nichtstreikenden hinterherliefen. Auch sahen sich arbeitende Arbeitnehmer Beschwerden von Kunden ausgesetzt. So sagte ein Kunde zu einer Arbeitnehmerin: "Blöde Kuh, Ihre Entschuldigungen interessieren mich nicht. Ich will meine Ware haben." Zudem standen diejenigen Arbeitnehmer, die arbeiteten, wegen des Ausfalls zahlreicher anderer unter starkem Arbeitsdruck.
Die Beklagte gewährte am zweiten Streiktage denjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die arbeiteten, Wertgutscheine des Juweliergeschäfts W /C im Wert von 51,13 €, d. h. in einem umgerechneten Wert von 50,00 DM pro Tag.
Am 29.07.2002 wurde ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen (Text Blatt 15/16 d. A.). Dieser verweist auf das Maßregelungsverbot zu einem früheren Tarifvertrag von 1997. Dort heißt es:
"Aus der Beteiligung an Streikaktionen der Gewerkschaften darf den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern keinerlei Nachteile entstehen. Dies schließt für die am Streik Beteiligten die Gewährung arbeitskampfveranlasster Leistungen an solche Beschäftigte ein, die sich nicht am Streik beteiligt haben. Dies gilt nicht für Naturalleistungen im Wert bis zu 50,00 DM täglich."
Die Klägerinnen und Kläger sind der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet, auch ihnen die an die arbeitenden Arbeitnehmer ausgegebenen Wertgutscheine zukommen zu lassen. Hilfsweise, für den Fall der Unmöglichkeit der Herausgabe entsprechender Wertgutscheine, begehren sie Schadensersatz in Geld.
Sie haben ihre Ansprüche mit Anwaltsschreiben vom 29.10.2002 (Blatt 11/12 d. A.) geltend gemacht, welches am selben Tage vom Betriebsratsvorsitzenden als Boten der Niederlassungsleitung, Herrn A J , übergeben wurde.
Die Klägerinnen und Kläger haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger/innen zu 1 - 54 jeweils Wertgutscheine des Juweliergeschäfts W /C im Wert von 51,13 € zu übergeben,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger/innen zu 1 - 54 jeweils 51,13 € netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Wertgutscheine als "Naturalleistungen" im Sinne des tarifvertraglichen Maßregelungsverbotes anzusehen seien.
Gegen dieses ihnen am 18.09.2003 zugestellte Urteil haben die Kläger am Montag, dem 20.10.2003, Berufung eingelegt und diese am 17.11.2003 begründet. Sie wenden sich gegen die Auslegung des Arbeitsgerichts und meinen, der Begriff "Naturalleistung" könne nicht mit dem Begriff "Naturalvergütung" gleichgesetzt werden. Sie beziehen sich unter anderem auf das Deutsche Wörterbuch von Wahrig, in dem die Naturalleistung als die "Bezahlung in Naturalien oder Dienstleistungen" definiert ist. Darüber hinaus meinen sie, es handele sich bei Wertgutscheinen um Wertpapiere. Unter Wertpapieren verstehe der allgemeine Sprachgebrauch, wie das Wahrigsche Wörterbuch ergebe, sogar Geldscheine. Auch in dem steuerrechtlichen Kommentar von Overhaus sei zu dem Begriff "Naturalleistung" in § 4 Nr. 23 UStG der Wertgutschein nicht erwähnt.
Die Klägerinnen und Kläger beantragen,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.04.2003 - 20 Ca 906/03 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger/innen zu 1 bis 54 jeweils Wertgutscheine des Juweliergeschäfts W /C im Wert von 51.13 € zu übergeben.
hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger/innen jeweils 51,13 € netto zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie weist unter anderem darauf hin, dass in der Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbranche die Leistung von Wertpapieren ausdrücklich auch als Naturalleistung verstanden werde und bezieht sich dazu auf eine Internetveröffentlichung des Finanzdienstleistungsunternehmens B & P . Auch die allgemeinen Bedingungen für fondsgebundene Lebensversicherungen der B L AG unterschieden in § 1 Abs. 2 zwischen "Geldleistung" und "Naturalleistung", wobei unter Naturalleistung auch die Übertragung der angesammelten Fondsanteile definiert werde.
Schließlich meint die Beklagte, die Ansprüche seien gemäß § 15 des Manteltarifvertrages für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel NRW verfallen. Die Warengutscheine seien am 13.06.2002 übergeben worden, so dass bis zur Geltendmachung mehr als drei Monate vergangen seien.
Die jeweiligen Parteien behaupten schließlich, dass die von ihnen vertretene Auslegung der wirkliche Wille der Tarifparteien gewesen sei und beziehen sich dazu auf das Zeugnis der Unterzeichner des Tarifabschlusses bzw. auf Auskunft der tarifvertragsschließenden Parteien.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerinnen und Kläger hatte in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Begriff "Naturalleistungen" dahingehend ausgelegt, dass dieser auch die Gutscheine zum Bezug von Waren des Juweliergeschäftes W /C umfassen.
Im vorliegenden Falle geht es um die Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages. Dort gilt die objektive Auslegungstheorie (vgl. z. B. BAG 30.09.1971 AP TVG § 1 Auslegung Nr. 121). Nach den dafür geltenden Auslegungsgrundsätzen (vgl. z. B. BAG 12.09.1984 AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; 23.02.1994 AP Nr. 151 zu § 1 TVG Auslegung) ist zunächst der Wortlaut des Tarifvertrages maßgebend. Soweit die Tarifvertragsparteien sich der Terminologie der juristischen Fachsprache bedienen, ist davon auszugehen, dass sie diese im Sinne der Fachsprache verwenden (ErfK/Schaub § 1 TVG Rn. 16; vgl. auch BAG 19.08.1987 AP TVG § 1 Tarifverträge: Fernverkehr Nr. 3). Sofern der Wortlaut des Tarifvertrages mehrdeutig ist, kommt es auf den tariflichen Zusammenhang (Systematik der Tarifnormen) an. Sofern Wortlaut und Systematik eine Auslegung nur begrenzt zulassen, sind die tarifliche Zwecksetzung, die Tarifgeschichte, frühere Auslegungen und die tarifliche Übung ergänzend heranzuziehen. Die Prüfungsreihenfolge ist für die Gerichte nicht bindend.
1. Der Begriff "Naturalleistungen" wird in der allgemeinen Sprache kaum verwendet. Es ist ein typisch juristischer Begriff. Begriffe wie "Naturallohn", "Naturalvergütung" oder "Sachbezüge" werden im Arbeitsrecht ausnahmslos in dem Sinne verstanden, dass damit diejenigen Teile der Leistungen des Arbeitgebers gemeint sind, die nicht in Geld bestehen:
So definiert Palandt/Putzo: "Naturallohn ist jeder Lohn, der nicht Geldlohn ist ..." (§ 611 BGB Rn. 56).
Bei Staudinger/Richardi (13. Auflage, § 611 Rn. 569) heißt es:
"Die Arbeitsvergütung braucht nicht in Geld zu bestehen, sie kann auch in der Gewährung sonstiger Werte liegen. Entsprechend unterscheidet man deshalb vom Geldlohn den Naturallohn, zu dem jede Entgeltleistung gehört, die nicht in Geld besteht. Es braucht sich also keineswegs um Lieferungen von Naturalien im engeren Sinne zu handeln, wie die Lieferung von Waren jeglicher Art, insbesondere Nahrungsmittel, Kleidung, Heiz- und Beleuchtungsmittel, weiterhin die Gewährung von Wohnung und Kost, sondern der Naturallohn kann auch in der Gewährung von Erwerbsgelegenheit bestehen, so bei der Beschäftigung von Kellnern die Möglichkeit zum Erwerb von Trinkgeldern."
Schaub (9. Auflage, Seite 562) definiert die "Naturalvergütung" als "jede Vergütung, die zur Abgeltung der geleisteten Dienste des Arbeitnehmers nicht in Geld gewährt wird. Zur Geld- oder Barvergütung gehört die bargeldlose Lohnzahlung, die Hingabe von Scheck oder Wechsel."
Schließlich definiert Preis (ErfK § 107 GewO Rn. 4) den in § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO enthaltenen gleichbedeutenden Begriff der "Sachbezüge" so:
"Zu Sachbezügen gehört jede Vergütung, die nicht in Geld oder durch bargeldlose Leistung (einschließlich Wechsel und Scheck) gewährt wird. Hierunter fällt die Gewährung von Sachbezügen, Deputaten in der Landwirtschaft, Kohle im Bergbau (Hausbrand), Kost, Wohnung, Heizung, Beleuchtung, Haustrunk der Brauereien, Einräumung der Möglichkeit zum verbilligten Bezug einzelner Gebrauchsgegenstände ..."
Ebenso fasst er darunter die Gewährung von Krankenfürsorge nach § 39 ff. Seemannsgesetz sowie den Bezug von Aktien oder Aktienoptionen.
Gemeinsam ist diesen Definitionen, dass unter die Begriffe alles das gefasst wird, was nicht Geldleistung oder die Verbriefung einer Geldforderung (Scheck, Wechsel) ist.
2. Zu Unrecht meint die Klägerseite, dass der Begriff "Naturalleistungen" sich von den oben genannten Begriffen wie "Naturallohn" und "Naturalvergütung" unterscheide.
In der juristischen Sprache wird - das zeigt auch obige Zitat von Richardi - der Begriff "Leistung" synonym mit den Begriffen "Lohn", "Vergütung" oder "Bezüge" gebraucht.
Dieses entspricht der Systematik des BGB. Nach § 241 BGB nämlich ist die "Leistung" das, was der Gläubiger auf Grund des Schuldverhältnisses vom Schuldner zu fordern berechtigt ist. Aus § 611 BGB ergibt sich, dass diese Leistung im Dienstvertrag "Vergütung" genannt wird. Der Begriff "Lohn" ist der in der früheren Gewerbeordnung (§ 115 GewO a. F.) gebrauchte Terminus für die Vergütung der Arbeiter.
Dementsprechend ist das Wort "Naturalleistungen" als die Zuwendung eines Vorteils zu definieren, der nicht in Geld oder der Zuwendung einer - auch verbrieften - Geldforderung besteht.
Damit fällt auch die Möglichkeit der Einräumung zum Bezug von Waren unter den Begriff der "Naturalleistung", gleich ob der Bezug der Waren verbilligt wird (s. o. das Zitat von Preis) oder kostenlos ist.
2. Gegen dieses eindeutige Wortlautergebnis lässt sich der Systematik des Tarifvertrages nichts entnehmen. Der Begriff der Naturalleistungen ist nur in dem zitierten Passus gebraucht.
3. Für das nach dem Wortlaut gefundene Auslegungsergebnis sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung. Es sollen Leistungen erlaubt sein, die sich wesentlich von der üblichen Vergütung in Geld abgrenzen. So erschiene etwa die Gewährung eines Warengutscheines für eine sehr große Vielfalt von Waren, etwa eines Warengutscheines zum Bezug von beliebigen Waren einer großen Kaufhauskette oder eines großen Versandhauses wegen der Annäherung eines solchen Gutscheines an die Funktion des Geldes als kaum mehr dem Sinn und Zweck der Regelung entsprechend. Demgegenüber aber ist im vorliegenden Fall der Gutschein ausschließlich auf das Schmuck- und Juweliergeschäft W /C bezogen. Der Gutschein verbrieft eine sehr beschränkte Auswahl an Waren, nämlich im Wesentlichen Schmuck. Gerade bei Schmuck macht es Sinn, nicht den einzelnen Arbeitnehmern ein vom Arbeitgeber ausgewähltes Schmuckstück zu schenken, sondern wegen der Bedeutung des individuellen Geschmacks bei Schmuckstücken dem Arbeitnehmer eine gewisse Auswahl unter den Waren zu überlassen. Nichts anderes bewirkt der Gutschein.
4. Soweit sich schließlich die Klägerseite auf eine Auskunft der Tarifparteien bezogen hat, so brauchte diese nicht eingeholt zu werden. Das Auslegungsergebnis nach Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung ist eindeutig. Ein möglicher abweichender Wille der Tarifparteien hat in der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden. Davon abgesehen aber behauptet die Klägerseite selbst nicht, dass die Tarifparteien expressis verbis über Wertgutscheine gesprochen hätten. Die Klägerseite schlussfolgert ("mithin" - Bl. 89 d. A.) lediglich einen entsprechenden übereinstimmenden Willen aus ihrer Behauptung, unter "Naturalleistungen" hätten die Tarifparteien "die Gewährung eines Mittag- oder Abendessens, einer Flasche Sekt o. ä. Leistungen in Natur" verstanden. Ein solches Verständnis kann unterstellt werden. Bei dem Wertgutschein handelte es sich - wie oben dargelegt - um eine "ähnliche Leistung in Natur".
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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