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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 08.05.2009
Aktenzeichen: 4 Sa 1396/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
Ehrenrührige Äußerungen eines Arbeitnehmers über die Geschäftsführer der Arbeitgeberin können auch dann einen Kündigungsgrund "an sich" darstellen, wenn sie in einem Rechtsstreit und zur Rechtsverfolgung abgegeben werden. Die Prozesssituation kann jedoch im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 24.09.2008 - 6 Ca 2337/08 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger, der gemäß § 53 Abs. 3 BAT zum Zeitpunkt der Kündigung ordentlich unkündbar war.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Weitere notwendige Tatsachenfeststellungen werden in den Entscheidungsgründen getroffen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 24.09.2008 der Klage stattgegeben.

Gegen dieses ihr am 20.10.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.11.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.01.2009 am 19.01.2009 begründet.

Zweitinstanzlich verfolgen beide Parteien im Wesentlichen mit Rechtsausführungen und ohne neuen Tatsachenvortrag ihr Prozessziel weiter. Insoweit wird auf die Berufungsbegründung und die Berufungserwiderung Bezug genommen.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 24.09.2008 - 6 Ca 2337/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hatte in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigendem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Prüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund darstellt, vollzieht sich zweistufig (vgl. z. B. BAG 23.10.2008 - 2 AZR 483/07): Es ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund "an sich" geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.

A. Die Beklagte wirft dem Kläger vor, mit den streitgegenständlichen Äußerungen im Vorprozess 2 Ca 251/08 beim Arbeitsgericht Aachen in den Schriftsätzen vom 15.01.2008 und vom 07.05.2008 die Geschäftsführung der Beklagten bezichtigt zu haben

1. von den möglichen Straftaten des Mitarbeiters J G bereits zum Zeitpunkt der Enthebung als Abteilungsleiter Rechnungswegen (vor bzw. spätestens zum 31.07.2005) Kenntnis gehabt zu haben und

2. vor und seit dem 01.08.2005 durch systematische Maßnahmen ihm gegenüber die möglichen Straftaten des Mitarbeiters J G bewusst in Kauf genommen, vertuscht bzw. gedeckt zu haben.

Auch die Beklagte räumt ein, dass die Ausführungen des Klägers keine "ausdrückliche Äußerung" dieses Inhalts zum Gegenstand haben. Dies ist offensichtlich zutreffend. Die Beklagte meint jedoch, aus dem Gesamtzusammenhang ließen die genannten Äußerungen nur und ausschließlich diese Interpretation zu.

I. Dem kann die Kammer so nicht folgen. Sie kann der Beklagten auch nicht darin folgen, die Äußerungen des Klägers hätten die Geschäftsführung der Beklagten in einen "kollusiven Zusammenhang mit den Taten des Mitarbeiters G " gebracht, wie es die Beklagte erstinstanzlich ausgedrückt hat (Bl. 90 d. A.).

Der Kläger hat erstinstanzlich (Bl. 54 d. A.) - die Beklagte hat das nicht bestritten - vorgetragen, Hintergrund der Äußerungen seien seinerzeit Pressemeldungen gewesen. In der Zeitung sei die Anmerkung des Vorsitzenden der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Aachen im Verfahren gegen Herrn G gewesen: "Das Interesse der e an Aufklärung sei nicht besonders ausgeprägt, das habe er nicht zum ersten Mal festgestellt" oder "das H Versorgungsunternehmen e , Nachfolger der A -Energie, habe gemauert und sei den Ermittlungsbehörden nicht gerade hilfreich zur Seite gestanden". Auch seien Äußerungen des Ermittlungsbeamten zitiert worden "er habe das Gefühl gehabt, dass die e an der Aufklärung nicht interessiert sei".

Die Beklagte wirft dem Kläger zunächst den Satz aus der Klageschrift im genannten Verfahren vor: "Ob dies mit der zwischenzeitlich in der Presse berichteten Anklage gegen Herrn J G zusammenhängt, soll an dieser Stelle unerörtert bleiben."

"Dies" bezieht sich in diesem Satz darauf, dass der Kläger nicht mehr die gleichen Zugriffsmöglichkeiten in der EDV habe wie zuvor.

Dieser Satz behauptet keinen bestimmten Zusammenhang. Er stellt lediglich die Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs in den Raum. Er legt auch nicht die Interpretation nahe, der Kläger halte es für möglich, dass die Geschäftsführer der Beklagten an den Straftaten des Herrn G beteiligt gewesen seien bzw. mit diesem kollusiv zusammengearbeitet hätten. Erst recht beinhaltet er nicht, dass sie vor oder spätestens zum 31.07.2005 Kenntnis von möglichen Straftaten des Mitarbeiters G gehabt hätten bzw. zum damaligen Zeitpunkt durch systematische Maßnahmen gegenüber dem Kläger mögliche Straftaten des Mitarbeiters G vertuscht oder gedeckt hätten. Ihm kann allenfalls entnommen werden, dass der Kläger es für möglich halte, dass die Geschäftsführung nicht wünschte, dass der Kläger selbst Informationen zum Fall "G " gewinne.

Zu den Äußerungen im Schriftsatz des Klägers vom 07.05.2008 gilt Folgendes:

Hier stellt der Kläger einen deutlicheren Zusammenhang mit dem von ihm geschilderten "Hintergrund" dar, wenn es einleitend heißt:

"Die Absetzung des Klägers in seiner Eigenschaft als Leiter der Abteilung Rechnungswesen muss vor folgendem Hintergrund gesehen werden:"

Im Weiteren teilt der Kläger mit, dass er seinerzeit verhindert habe, dass Vorschussrechnungen der Firma D beglichen würden und dass "in unmittelbarer zeitlicher Koinzidenz" zur entsprechenden Weigerung des Klägers, die Leistungen der Firma D GmbH zu bevorschussen "die Enthebung des Klägers aus dem Amt als Leiter Rechnungswesen" gefallen sei.

In diesem Satz indes ist lediglich die durch unmittelbare zeitliche Koinzidenz angedeutete Möglichkeit enthalten, dass seine Weigerung, Rechnungen der Firma D zu bevorschussen, im Zusammenhang mit seiner "Amtsenthebung" stehe. Dieses kann nicht, jedenfalls nicht "nur und ausschließlich", wie die Beklagte es meint, dahingehend interpretiert werden, dass der Kläger der Geschäftsführung der Beklagten vorwerfe, mit der Förderung der Bevorschussung eine Straftat zu begehen.

Wie der Kläger im Weiteren "nachrichtlich" mitteilt, dass der Mitarbeiter G bis heute von der Beklagten nicht gekündigt worden sei, sondern bei vollen Bezügen freigestellt sei - was im Gegensatz zur Amtsenthebung des Klägers steht - so kann dem allenfalls der Vorwurf entnommen werden, den Mitarbeiter G zu milde zu behandeln. Ein Kollusionsvorwurf kann jedenfalls nicht naheliegende Interpretationsmöglichkeit in diesem Satz gefunden werden.

Ein Vorwurf, die Taten des Herrn G zu vertuschen, könnte am ehesten in folgendem Absatz enthalten sein:

"Auch nach Absetzung des Klägers wandten sich die Mitarbeiter der Abteilung Rechnungswesen nicht an den für sie maßgeblichen Vorgesetzten, sondern an den Kläger. Dies nahm dann die Beklagte zum Anlass, den Kläger systematisch zu isolieren, auch weil dann der Kläger keinen Zugriff mehr auf die Daten des korruptionsverdächtigen G hatte. Der Kläger wurde von allen für G belastenden Informationen ferngehalten."

In diesem Satz wird - das ist der Beklagten einzuräumen - ein eindeutiger Kausalzusammenhang der von ihm, dem Kläger, gesehenen "systematischen Isolierung" mit der von ihm gesehenen Tatsache hergestellt, dass "dann der Kläger keinen Zugriff mehr auf die Daten des korruptionsverdächtigen G hatte."

Auch in diesem Satz wird den Geschäftsführern der Beklagten aber nicht - zwingend - unterstellt, von möglichen Straftaten bereits Kenntnis gehabt zu haben und diese bewusst in Kauf genommen, vertuscht oder gedeckt zu haben.

Allerdings wird der Geschäftsführung wohl unterstellt, den Kläger von für Herrn G belastenden Informationen ferngehalten zu haben und insofern ein Interesse daran gehabt zu haben, dass der Kläger keine eigenen Ermittlungen in der Sache G anstelle.

In ihrer Gesamtheit legen die Ausführungen des Klägers jedenfalls nahe, dass die Geschäftsführung dem inzwischen korruptionsverdächtigen Herrn G wohlgesonnen sei und aus unsachlichen Gründen mit der "Isolierung" des Klägers habe verhindern wolle, dass der Kläger belastende Informationen über Herrn G herausfinde. Die Kammer ist auch der Auffassung, dass der Kläger diese naheliegende Interpretationsmöglichkeit erkannt hat.

Da der Kläger keine objektiven Tatsachen vorgetragen hat, die einen solchen Vorwurf rechtfertigen könnten, da insbesondere er dem Vortrag der Beklagten nichts Substantiiertes entgegengesetzt hat, dass es "erste Anhaltspunkte für mögliche Straftaten des Mitarbeiters G erst im Verlauf des Jahres 2006" gegeben habe und dass am 17.02.2006 eine Beschlagnahme von Akten im Hause der Beklagten im Rahmen eines Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Firma D stattgefunden habe, ist es auch subjektiv vorwerfbar, dass der Kläger vor Gericht eine solche Interpretationsweise nahegelegt hat. Ein solches Verhalten kann nach Auffassung der Kammer einen Kündigungsgrund "an sich" darstellen.

II. Die Kammer ist auch nicht der Auffassung, dass die Tatsache, dass diese Äußerung in einem Rechtsstreit fiel, es der Beklagten verwehrt, die Äußerung mit einer Kündigung zu sanktionieren.

Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. insbesondere 17.12.1991 - VI ZR 169/91) sind zwar ehrkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren dienen, in aller Regel nicht mit Ehrschutzklagen abzuwehren. Dieses begründet der Bundesgerichtshof damit, dass mit den schutzwürdigen Belangen der Betroffenen und mit den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens der Rechtspflege es nicht vereinbar wäre, wenn die Kompetenzen des Gerichts des Ausgangsverfahrens durch die Möglichkeit einer Geltendmachung von Abwehransprüchen in einem gesonderten Prozess vor einem anderen Gericht unterlaufen werden könnten. Es fehle deshalb grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis, da das Gericht des Ausgangsverfahrens zu prüfen habe, ob das Vorbringen wahr und erheblich sei.

Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass es für ehrkränkende Äußerungen in einem Gerichtsverfahren einen sonst nicht sanktionierbaren Freiraum gebe. Solche Äußerungen, die zur Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung gemacht werden, sollen nun nicht mit Abwehransprüchen in einem anderen Prozess dem Ursprungsprozess entzogen werden.

B. Die Interessenabwägung führt indes zu dem Ergebnis, dass die Beklagte nicht berechtigt war, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen.

1. Zu berücksichtigen ist dabei zunächst die sehr lange Zeit des Bestandes des Arbeitsverhältnisses. Gemäß § 20 BAT ist für den Arbeitsvertrag des Klägers der Beginn der Dienstzeit auf den 27.02.1979 festgesetzt. Damit bestand das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung 29 Jahre. Es kann dahinstehen, ob auch noch frühere Zeiten, die vom 01.08.1973 bis zum 30.09.1980 bei der A -AG verbrachte Zeit anzurechnen sind. Denn allein die 29 Jahre stellen eine außergewöhnlich lange Zeit dar, die den größten Teil des bisherigen Arbeitslebens des Klägers ausmacht.

2. Es handelt sich um einen einmaligen, in ähnlicher Weise im gesamten Arbeitsleben des Klägers bisher nie vorgekommenen Fall. Der Kläger ist auch im Übrigen nie abgemahnt worden.

3. Die Äußerung des Klägers fiel in einem Rechtsstreit.

Wenn auch eine Kündigung deshalb nicht ausgeschlossen ist, so kann gleichwohl die Tatsache, dass die Äußerung in einem Rechtsstreit gefallen ist und der Rechtsverfolgung diente, nicht unberücksichtigt bleiben. Gelangt ein Streit erst vor Gericht, so ist es nicht ungewöhnlich, dass die Parteien mit allen Mitteln versuchen, ihre Rechtspositionen durchzusetzen. Dieses ist typischerweise bedingt durch die emotionale Aufgeladenheit eines solchen Rechtsstreits. Auch im vorliegenden Fall fühlte sich der Kläger jedenfalls subjektiv gedemütigt durch die vorhergegangene "Absetzung" von seinem Amt als Abteilungsleiter des Rechnungswesens und die nachfolgende Zuweisung zunächst eines Arbeitsplatzes in einem Zimmer, in dem bereits zwei weitere Personen arbeiteten, sowie der nachfolgenden Zuweisung eines nur 11,2 m² großen Raumes, der zuvor jedenfalls zeitweilig als Kopierraum diente.

4. Wesentlich ist auch, dass die zur Rechtsverfolgung dienende Äußerung des Klägers eben auf den Prozess beschränkt war und nicht im Übrigen öffentlich fiel. Anders z. B. als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (a. a. O.) hat der Kläger seine Äußerung nicht zugleich über die Grenzen des Rechtsstreits hinaus öffentlich verbreitet.

5. Schließlich ist auch an dieser Stelle wiederum nicht der Zusammenhang zu verkennen, der mit seinerzeit aktuellen Zeitungsberichten bestand und der oben zitiert wurde. Durch die Äußerungen des Vorsitzenden in dem Strafverfahren gegen Herrn G und den Ermittlungsbeamten konnte der Kläger sich in seiner subjektiven Auffassung bestärkt sehen, dass die Beklagte kein besonderes Interesse an der Aufklärung gegenüber Herrn G habe.

6. Demgebenüber wiegen die Interessen der Beklagten nicht so schwer, dass gerade unter Berücksichtigung des Ultima-ratio-Prinzips ihr, bzw. ihren Geschäftsführern nicht mehr zuzumuten sei, weiter mit dem Kläger zusammenzuarbeiten.

Die Beklagte beruft sich im Wesentlichen darauf, dass der Kläger einem ihrer Geschäftsführer unmittelbar unterstellt sei.

Auch wenn dieses richtig ist, so ist doch nicht zu verkennen, dass der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung keine Führungsposition bei der Beklagten mehr besaß, nämlich längst seines Amtes als Leiter des Rechnungswesens enthoben war. Auch wenn es bei der unmittelbaren Unterstellung des Klägers unter einem der Geschäftsführer der Beklagten verblieb, so hatte der Kläger dort de facto keine Position mehr, bei der es auf ein besonders herausgehobenes Vertrauensverhältnis, auf eine besonderes persönliches Einvernehmen ankam.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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