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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 07.09.2007
Aktenzeichen: 4 Sa 683/07
Rechtsgebiete: TVÜ-VKA, GG


Vorschriften:

TVÜ-VKA § 5 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
Es verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass § 5 Abs. 1 TVÜ-VKA für die Berechnung des Vergleichsentgelts nur auf die Situation der Bezüge im September 2005 abstellt.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.04.2007 - 5 Ca 7656/06 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Entgeltbestandteile, insbesondere darum, ob dem Kläger aufgrund eines nach seiner Auffassung um 106,90 € höher anzusetzenden Vergleichsentgelt i. S. d. § 5 TVÜ-VKA dieser Betrag für die Monate von November 2005 - Juli 2007 jeweils zusteht.

Der 1956 geborene Kläger ist seit dem 01.07.1991 bei der Beklagten als Sozialarbeiter beschäftigt (Arbeitsvertrag Bl. 14 d. A.).

Das Arbeitsverhältnis richtet sich gem. § 2 dieses Vertrages nach dem BAT und den diesen ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträgen.

Zum 01.10.2005 wurde der BAT-VKA durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ersetzt. Der Überleitungstarifvertrag (TVÜ-VKA) regelt in § 5 Abs. 1:

"Für die Zuordnung zu den Stufen der Entgelttabelle des TVöD wird für die Beschäftigten nach § 4 ein Vergleichsentgelt auf der Grundlage der im September 2005 erhaltenen Bezüge gemäß den Absätzen 2 bis 7 gebildet."

Der Kläger wurde entsprechend seiner Eingruppierung am 30.09.2005 zunächst nach § 4 TVÜ-VKA von der ehemals inne gehabten Vergütungsgruppe IV b des BAT in die Entgeltgruppe E 9 der neuen Entgelttabelle eingruppiert. Sodann wurde gemäß § 5 TVÜ-VKA das Vergleichsentgelt auf der Grundlage der dem Kläger im September 2005 zugeflossenen Bezüge gebildet. Dieses setzte sich wie folgt zusammen:

Grundvergütung IV b, Stufe 10 2.486,35 €

Ortzuschlag-Grundbetrag 502,36 €

Ortzuschlag-Ehegattenanteil 106,90 €

allgemeine Zulage 114,60 €

Vergleichsentgelt 3.210,21 €

Der Kläger wurde dementsprechend gemäß § 6 TVÜ-VKA in die Entwicklungsstufe 6+ der Entgeltgruppe 9 eingeordnet. Ferner erhielt er weitere Besitzstandsanteile in Höhe von 90,57 € und von 119,23 €. Nach Überleitung in den TVöD wurden dem Kläger dementsprechend als monatliches Gesamtbruttogehalt zunächst 3.420,01 € weitergezahlt.

Der in der Bildung des Vergleichsentgelts enthaltene Ortzuschlag/ Ehegattenanteil, d. h. der Ortszuschlag der Stufe 2, wurde dem Kläger, dessen Ehe am 14.10.1997 geschieden wurde, deshalb gezahlt, weil er das aus der Ehe hervorgegangene gemeinsame Kind N R , geboren am 22.06.1986, in seinen Haushalt aufgenommen hatte. Er erhielt deshalb unter der Geltung des BAT den Ortzuschlag nach § 29 b Abs. 4 BAT in Höhe von 106,90 €.

Mit Schreiben vom 10.01.2006 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass sein Sohn ab August 2005 ein entgeltliches Praktikum absolvierte. Das Praktikantenentgelt betrug im August 645,00 € und im September 1.370,00 € brutto. Damit überstieg es den Unterschiedsbetrag i. S. d. § 29 b Abs. 2 Nr. 4 BAT, der sich auf 641,41 € belief, so dass dem Kläger für die Monate August und September 2005 der Ortzuschlag der Stufe 2 nicht zustand.

Mit Schreiben vom 13.02.2006 berechnete die Beklagte das für die Überleitung in den TVöD maßgebliche Vergleichsentgelt neu und berücksichtigte dabei den Ortzuschlag der Stufe 2 nicht mehr. Nunmehr belief sich der Betrag des Vergleichsentgelt auf 3.103.31 €. Dieses macht die besagte Differenz von 106,90 € brutto monatlich aus. Gleichzeitig forderte die Beklagte den Kläger auf, den überzahlten Betrag für die Monate August bis Januar 2006 in Höhe von 106,90 € brutto monatlich zurückzuzahlen. Der Betrag wurde schließlich vom Gehalt des Klägers einbehalten.

Mit Schreiben vom 03.02.2006 hat der Kläger die Beklagte, nachdem er zuvor telefonisch über die beabsichtigte Kürzung informiert worden war, aufgefordert, die rückwirkende Aberkennung des Ehegattenanteils des Ortzuschlages zu unterlassen und den Ortszuschlag auch künftig an ihn auszuzahlen. Erneut machte der Kläger mit Schreiben des Prozessbevollmächtigen vom 23.08.2006 seine Forderung geltend.

Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass nach Abschluss des Praktikums, ab November 2005, die tariflichen Voraussetzungen für den Ortszuschlag wieder bestanden hätten. Der Kläger hält das Abstellen allein auf den Monat September 2005 für einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, an den auch die Tarifparteien gebunden seien.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.175,90 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus je 106,90 € seit dem 01.11.05, 01.12.05, 01.01.06, 01.02.06, 01.03.06, 01.04.06, 01.05.06, 01.06.06, 01.07.06, 01.08.06 und 01.09.06 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.04.2007 die Klage abgewiesen.

Gegen dieses ihm am 04.06.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.06.2007 Berufung eingelegt und diese am 30.07.2007 begründet.

Beide Parteien verfolgen in der Zweiten Instanz mit Rechtsausführungen ihr Prozessziel weiter.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 20.04.2007 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Köln - 5 Ca 7656/06 - die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.233,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus je 106,90 € seit dem 01.11.2005, 01.12.2005, 01.01.2006, 01.02.2006, 01.03.2006, 01.04.2006, 01.05.2006, 01.06.2006, 01.07.2006, 01.08.2006, 01.09.2006, 01.10.2006, 01.11.2006, 01.12.2006, 01.01.2007, 01.02.2007, 01.03.2007, 01.04.2007, 01.05.2007, 01.06.2007 und 01.07.2007 zu zahlen.

Die Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

A. Denn die Beklagte hat das Vergleichsentgelt gemäß § 5 TVÜ-VKA zutreffend errechnet.

Nach eindeutigem Wortlaut und Systematik der Vorschrift kommt es auf die "im September 2005 erhaltenen Bezüge" an.

Dem Wortlaut entspricht die Systematik. Auch an anderer Stelle der Vorschrift wird stets auf den Monat September 2005 abgestellt, so in Absatz 2 Satz 3 ("ferner fließen im September 2005 tarifvertraglich zustehende Funktionszulagen... in das Vergleichsentgelt ein...") oder Absatz 4, wonach Beschäftigte, die im Oktober 2005 bei Fortgeltung des bisherigen Rechts die Grundvergütung bzw. den Monatstabellenlohn der nächsthöheren Stufe erhalten hätten, bei der Bemessung des Vergleichsentgelts so behandelt werden, als wäre der Stufenaufstieg bereits im September 2005 erfolgt. Stets und eindeutig geht es um die Bezüge im Monat September 2005.

B. Das grundsätzliche Abstellen auf die im September 2005 erhaltenen Bezüge verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

I. Zwischen den Senaten des BAG ist bislang nicht geklärt, ob der Gleichheitssatz die Tarifparteien in gleicher Weise bindet wie den Gesetzgeber. Der 3. Senat hat mehrfach entschieden, dass die Tarifvertragsparteien bei ihrer Rechtsetzung an die zentrale Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden seien (insbesondere 04.04.2003 AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 2). Der 4. Senat hat demgegenüber Zweifel geäußert, ob die Tarifparteien überhaupt unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden seien (05.10.1999 AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 70).

Der 4. Senat hat indes zu Recht betont, dass auch bei unterstellter unmittelbarer Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG sich eine Begrenzung der richterlichen Kontrolle von Tarifverträgen auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ergibt. Insbesondere steht den Tarifvertragsparteien eine Einschätzungsprärogative zu, soweit es um die Beurteilung der tatsächlichen Regelungsprobleme und der Rechtsfolgen geht, und ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum, soweit es die inhaltliche Gestaltung der Regelungen betrifft (siehe hierzu und im Folgenden insbesondere BAG 25.06.2003 - 4 AZR 405/02). Es ist nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifparteien die gerechteste oder zweckmäßigste Lösung für das Regelungsproblem gefunden haben. Auch der Kompromisscharakter von Tarifverträgen als Verhandlungsergebnis divergierender Interessen muss in dem Sinne berücksichtigt werden, dass an die Systemgerechtigkeit der tariflichen Regelungen keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Im Übrigen können die Tarifvertragsparteien im Interesse praktikabler, verständlicher und übersichtlicher Regelungen typisierende Regeln schaffen, insbesondere Stichtagsregelungen treffen (BAG a. a. O.). Deshalb ist bei der Prüfung eines möglichen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nicht auf die Einzelfallgerechtigkeit abzustellen, sondern auf die generellen Auswirkungen der Regelung (BAG a. a. O.).

Hinzukommt, dass auch nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht der Gesetzgeber durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht daran gehindert ist, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl das unvermeidlich eine gewisse Härte mit sich bringt (Nachweise zur Rspr. des BVerfG bei BAG a. a. O.). Allerdings ist zu prüfen, ob die gefundene Lösung bei dem gegebenen Sachverhalt und nach dem System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist oder als willkürlich erscheint. Insbesondere muss sich die Wahl des Stichtages am gegebenen Sachverhalt orientieren und die Interessenlage der Betroffenen angemessen erfassen (Nachweise bei BAG a. a. O.).

II. Gemessen an diesen Maßstäben durfte der September 2005 als "Stichzeitraum" gewählt werden.

Dabei ist der Zweck der Regelung des § 5 TVÜ-VKA nicht allein - wie der Kläger meint - eine Sicherung der bisherigen Bezüge. Der primäre Zweck ist vielmehr die in § 3 ff. TVÜ-VKA geregelte Überleitung der bisherigen nach BAT bestimmten Bezüge in das neue System des TVöD, welches grundlegend vom BAT-System abweicht. Die Bestimmung des Vergleichsentgelts nach § 5 dient der neuen Stufenzuordnung nach § 6. Dabei haben sich die Tarifparteien dafür entschieden, nicht nur die Grundvergütung und die allgemeine Zulage, sondern auch ein Teil des Ortzuschlages, nämlich nur den Ortszuschlag der Stufen 1 und 2 in dieses Vergleichsentgelt einzubeziehen, obwohl die dadurch bestimmte Stufe der nach § 4 zunächst zu bestimmenden Entgeltgruppe solche Bestandteile nicht kennt. Den Tarifparteien war sichtlich daran gelegen, ein für die Masse der Fälle praktikabel zu handhabendes System zu finden, Angestellte aus dem bisherigen Vergütungssystem in das neue überzuleiten. Die Tarifparteien waren dabei gewissermaßen gezwungen "Äpfel mit Birnen zu vergleichen". Sie haben dieses Problem dadurch gelöst, dass sie klar zu definierende Teile des Entgelts aus einem bestimmten "Stichzeitraum", nämlich aus September 2005 insoweit erfasst haben.

Die Stichtagsregelung dient der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit sowohl für die personalführenden Stellen als auch für die betroffenen Arbeitnehmer. Dementsprechend bestehen Ausnahmen, in denen auf die Bezüge anderer Monate abgestellt wird, im TVÜ-VKA nicht.

Die Beklagte hat zu Recht auch darauf hingewiesen, dass der Ortzuschlag als familienbezogener Entgeltbestandteil typischerweise einem häufigen Wandel unterliegt. Dieses gerade, wenn es sich um ältere Kinder handelt, die in der Ausbildung sind. Dementsprechend sind die einzelnen Voraussetzungen des § 29 b Abs. 2 Nr. 4 BAT vielfältig und komplex. Nicht nur muss die Aufnahme in die Wohnung gegeben sein bzw. die häusliche Verbindung nicht aufgehoben sein, auch muss tatsächlich Unterhalt gewährt werden und darf bei einem Kind einschließlich des gewährten Kindergeldes und des kinderbezogenen Teils des Ortzuschlages das sechsfache des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages der Tarifklasse I c nicht übersteigen.

Gerade bei einer solch komplexen Regelung, deren tatsächlichen Voraussetzungen einem häufigen Wandel unterworfen sein können, entspricht es dem Zweck der Rechtsklarheit und Praktikabilität der Vorschrift, auf einen bestimmten Monat als "Stichzeitraum" abzustellen.

Der Kläger zeigt auch nicht auf, wie sonst eine praktikable Regelung gefunden werden könnte. Wenn der Kläger für eine "verfassungskonform ergänzende" Auslegung dahingehend plädiert, dass in das Vergleichsentgelt nach § 5 TVÜ-VKA der Ortzuschlag der Stufe 2 dann einfließen soll, sofern den Beschäftigten "dieses unter der Geltung des BAT zustand", so lässt dieses gerade die konkrete Antwort auf die entscheidende Frage vermissen, auf welchen Zeitpunkt oder Zeitraum es ankommen soll. Da die Geltung des BAT zum September 2005 endete, kann es auf einen späteren Zeitpunkt nicht ankommen. Wenn nicht auf den letzten Monat und - dieses muss der Kläger ebenfalls wollen - auch nicht auf den vorletzten Monat abgestellt werden soll, auf welchen dann? Wie sollte im Übrigen die Regelung aussehen, wenn für einzelne Monate eines Jahres der Ortzuschlag zustand und für andere nicht. Offensichtlich kann es nicht nach einer Art "Rosinentheorie" gehen.

Gerade die anders kaum zu lösenden Praktikabilitätsfragen lassen das Abstellen auf den Monat, der dem Tarifwechsel vorausging, als ausgesprochen sachgerecht erscheinen. Von Willkür kann keine Rede sein.

Dieses gilt erst Recht, wenn man berücksichtigt, dass der Vergütungsbestandteil, um den es vorliegend geht, wie die Beklagte unbestritten vorgetragen hat, im vorliegenden Fall nur 3,3 % des gesamten Brutto-Vergleichsentgelts beträgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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