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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 19.12.2003
Aktenzeichen: 4 Sa 977/03
Rechtsgebiete: ZPO, InsO


Vorschriften:

ZPO § 850 c
ZPO § 850 d
ZPO § 850 f
InsO § 21
InsO § 89
Unterhaltsgläubiger können während des Insolvenzverfahrens des Schuldners in die Differenz zwischen dem vom Insolvenzgericht festgesetzten pfändungsfreien Betrag nach §§ 850 c, 850 f ZPO und dem vom Vollstreckungsgericht festgesetzten pfändungsfreien Betrag nach § 850 d ZPO vollstrecken.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 19. Dezember 2003

In Sachen

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 19.12.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Backhaus als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Noppeney und die ehrenamtliche Richterin Klinkenberg

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.05.2003 - 12 Ca 2371/03 - abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.949,31 € gepfändeten nachehelichen Unterhalt zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, ab dem Monat November 2003 - auch künftig - für die Dauer der Beschäftigung des Streitverkündeten bei ihr monatlich 940,96 € an die Klägerin zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Wege der Drittschuldnerklage über gepfändetes Gehalt des geschiedenen Ehemannes der Klägerin und Streitverkündeten, der als Pilot bei der Beklagten beschäftigt ist.

Auf Grund der mit Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 17.03.2000 titulierten Unterhaltsansprüche erging am 10.04.2002 ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Dresden (Blatt 7 d. A.). Die Beklagte erkannte mit Schreiben vom 23.04.2002 die Forderung dem Grunde nach an und überwies den für Mai 2002 gepfändeten Betrag an die Klägerin.

Mit Beschluss vom 15.05.2003 hat das Amtsgericht Dresden als Insolvenzgericht in der Insolvenzsache gegen den Streitverkündeten unter anderem folgendes beschlossen:

1. Gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 3, 304 InsO werden gegen den Schuldner eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen eingestellt, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Neue Vollstreckungsmaßnahmen werden untersagt, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind.

2. Dem Schuldner wird verboten, über seine Einkünfte zu verfügen, soweit sie den pfändbaren Betrag nach §§ 850 c ZPO/ 54 Abs. 4 SGB I übersteigen."

Die Beklagte verweigert unter Berufung auf diesen Beschluss die weitere Abführung von gepfändetem Gehalt an die Klägerin. Sie hat mit Schreiben vom 20.05.2003 beim Insolvenzgericht beantragt, festzustellen, ob der erweiterte pfändbare Gehaltsteil des Insolvenzschuldners der Zwangsvollstreckung während des Eröffnungsverfahrens unterliegt (Blatt 32 a/32 b d. A.).

Die Klägerin hat beantragt,

1. an sie 5.185,47 EUR gepfändeten nachehelichen Unterhalt zu zahlen sowie

2. künftig für die Dauer der Beschäftigung des Streitverkündeten bei ihr 940,96 EUR monatlich, beginnend mit dem Monat März 2003 an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage am 21. 5. 2003 als unzulässig abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 08.09.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.09.2003 Berufung eingelegt und diese am 06.10.2003 begründet.

Am 29.08.2003 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Streitverkündeten eröffnet worden (Beschluss vom 28.08.2003 Blatt 71 f d. A.).

Mit Beschluss vom 01.07.2003 (Blatt 77 ff. d. A.) hatte das Insolvenzgericht den pfändungsfreien Betrag nach § 850 c, f ZPO auf 3.425,96 € festgesetzt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.05.2003 - 12 Ca 2371/03 - abzuändern und

1. an die Klägerin 8.949,31 EUR gepfändeten nachehelichen Unterhalt zu zahlen,

2. der Klägerin beginnend mit dem Monat November 2003 monatlich auch künftig über die Dauer der Beschäftigung des Streitverkündeten 940,96 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte weist - was als solches unstreitig ist - darauf hin, dass die Klägerin zwei weitere Unterhaltsberechtigte neben sich hat, nämlich das eheliche Kind D S , die einen Unterhaltsanspruch von 379,38 € monatlich hat und das nicht eheliche Kind J , das einen Unterhaltsanspruch von 311,00 € monatlich hat. Sie, die Beklagte prüfe zur Zeit, ob die Pfändung des zweiten Kindes vorrangig sei. Im Übrigen verweist die Beklagte darauf, dass sie in dem Parallelverfahren durch Urteil des LAG vom 01.08.2003 (11 Sa 420/03 - verurteilt sei, an die Klägerin D S 379,38 € monatlich zu zahlen.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hatte in der Sache Erfolg.

I. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist zuständig, dieses folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3a, § 3 ArbGG. Der Streitgegenstand betrifft Arbeitslohn eines Arbeitnehmers, der gegen den Arbeitgeber geltend gemacht wird. Mit der Zuständigkeit ist grundsätzlich auch die Vorfragenkompetenz gegeben (GK-ArbGG/Wenzel § 2 Rn. 19).

II. Wie schon die 11. Kammer in der den Parteien bekannten Entscheidung vom 01.08.2003 (11 Sa 430/03) ausgeführt hat, besteht auch kein Aussetzungsgrund.

a) Zunächst hat die 11. Kammer bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass in dem Schreiben der Beklagten an das Amtsgericht Dresden vom 20.05.2003 lediglich die Feststellung erbeten wird, "ob der erweiterte pfändbare Gehaltsteil des Insolvenzschuldners der Zwangsvollstreckung während des Eröffnungsverfahrens unterliegt". Dieses ist kein Rechtsbehelf, insbesondere keine Erinnerung gegen den Zwangsvollstreckungsbeschluss. Vielmehr wird das Insolvenzgericht um eine Rechtsauskunft gebeten.

b) Selbst wenn die Eingabe als eine Erinnerung (§ 766 ZPO), die im Falle des § 89 InsO an das Insolvenzgericht zu richten wäre, aufzufassen wäre, so hemmte sie nicht die Wirkungen des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Es wurde insbesondere keine einstweilige Anordnung gemäß § 766 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 732 ZPO beantragt oder erlassen.

c) Schließlich betrifft § 89 Abs. 3 InsO lediglich Einwendungen während der Dauer des Insolvenzverfahrens, wie sich aus § 89 Abs. 1 ergibt.

d) Letztendlich war im Rahmen des nach § 148 ZPO auszuübenden Ermessens zu berücksichtigen - darauf weist auch die 11. Kammer im dem zitierten Urteil ausdrücklich hin - dass laufende Unterhaltsansprüche kein Zuwarten auf unabsehbare Zeit dulden. Soweit ersichtlich, hat das Insolvenzgericht die Eingabe der Beklagten bis heute nicht einmal behandelt.

III. In der Sache war davon auszugehen, dass der Beschluss des Insolvenzgerichts vom 15.05.2002 die in § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO behandelten Teile der Bezüge des Schuldners nicht betraf. § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO nimmt von der in § 89 Abs. 1 angeordneten Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung die Zwangsvollstreckung wegen eines Unterhaltsanspruchs in den Teil der Bezüge aus, der für andere Gläubiger nicht pfändbar ist. Dieses ist der pfändungsfreie Betrag nach § 850c ZPO.

Diesen Teil betraf der Beschluss nicht. Das ergibt sich bereits aus einer Auslegung des Beschlusses, so dass letztlich die von der 11. Kammer geprüfte und nach Auffassung der erkennenden Kammer zu Recht verneinte Frage dahinstehen kann, ob das Insolvenzgericht bei einem Beschluss nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO Vollstreckungsmaßnahmen in diesen Teil der Bezüge zu Lasten von Unterhaltsgläubigern überhaupt einstellen dürfte.

Würde Nr. 1 des Beschlusses vom 15. 05. 2003 dahingehend ausgelegt, dass auch Vollstreckungsmaßnahmen entsprechend § 89 Abs. 2 Nr. 2 InsO erfasst wären, dann würde der Beschluss zu der absurden Situation führen, dass der Schuldner gemäß Nr. 2 des Beschlusses über den Teil seiner Einkünfte verfügen dürfte, der den Betrag nach § 850 c nicht übersteigt, dass aber für die Unterhaltsgläubiger die Vollstreckung in diesen Betrages nicht zulässig wäre. Der Schuldner hätte bei einer Auslegung in diesem Sinne nach dem Beschluss bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens seine Einkünfte insoweit frei ausgeben können, die Unterhaltsgläubiger wären schutzlos gewesen. Dieses nach Auffassung der erkennenden Kammer gemessen an dem Grundrechtsrechtsschutz des Art. 6 GG auch verfassungswidrige Ergebnis ist vom Insolvenzgericht offensichtlich nicht gewollt worden.

Das ergibt sich letztlich auch aus dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 01.07.2003, in dem es im letzten Absatz ausführt:

"Allerdings war klarstellend auszusprechen - in entsprechender Anwendung von § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO - dass von dem Vollstreckungsverbot des § 21 Abs. 1 Nr. 3 InsO in bewegliche Gegenstände diejenigen Gläubiger ausgenommen sind, die als Unterhaltsgläubiger oder Gläubiger einer vorsätzlich unerlaubten Handlung die Vollstreckung in den für andere Gläubiger nicht pfändbaren Teil des Einkommens des Schuldners, mithin in den oben genannten Differenzbetrag betreiben. Dass diese privilegiert sind, kann nicht auf das eröffnete Verfahren beschränkt sein, wie der Rechtsgedanke des § 850 d ZPO, 89 II 2 InsO zeigt."

Als Ergebnis ist damit festzuhalten, dass auf Grund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses während des gesamten Eröffnungsverfahrens und auch weiterhin während des am 29.08.2003 eröffneten Insolvenzverfahrens in den Teil der Bezüge des Schuldners vollstreckt werden konnte und kann, der zwischen der pfändungsfreien Grenze der § 850c und 850f ZPO und der gemäß § 850d ZPO im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss für die Unterhaltsgläubiger festgesetzten Freigrenze von 900,00 € liegt (vgl. dazu den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss 16.04.2002 Blatt 7 R d. A.).

IV. Das Insolvenzgericht hat - übrigens auf die Mitteilung des Schuldners in seinem Antragsschreiben vom 07.01.2003 (Blatt 12/13 d. A.) hin, dass er seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nachkommen möchte - den pfändungsfreien Betrag nach §§ 850 c, 850f ZPO auf 3.425,96 € festgesetzt. Es hat in diesem Beschluss vom 01.07.2003 (Blatt 73 ff. d. A.) selbst ausdrücklich und zu Recht festgestellt, dass die Zulässigkeit der Pfändung für Unterhaltsgläubiger in den für andere Gläubiger nicht pfändbaren Betrag (§ 850d ZPO ) nicht vom Insolvenzgericht auszusprechen sei. Hierfür sei das Vollstreckungsgericht zuständig. Die Festsetzung der Freigrenze durch das Insolvenzgericht ändert damit nichts an der vom Vollstreckungsgericht festgesetzten Freigrenze für die Vollstreckung der Unterhaltsgläubiger von 900,00 €. In die Differenz zwischen 3.425,96 € und 900,00 € können daher Unterhaltsgläubiger vollstrecken. Dieses bedeutet einen monatlich für die Vollstreckung der Unterhaltsgläubiger freien Betrag von 2.525,96 €.

Das Insolvenzgericht geht in dem genannten Beschluss vom 01.07.2003 von monatsdurchschnittlichen Nettoeinkünften des Schuldners in Höhe von 5.372,15 € aus (Blatt 77 d. A.).

Bei einer Unterhaltspflicht für drei Personen ist nach der Tabelle zu § 850 c ZPO für den Betrag bis 3.796,00 € nur ein Betrag von 420,30 € pfändbar. Der Mehrbetrag über 3.796,00 € ist voll pfändbar. Damit war bis zum Beschluss des Insolvenzgerichts vom 01.07.2003 bei dem genannten Nettogehalt die pfändungsfreie Grenze nach § 850c ZPO bei 3.375,70 € anzusetzen. Bis dahin verblieb eine für die Unterhaltsgläubiger freie Differenz von 2.475,70 €.

Bei einem Gesamtbetrag von monatlichen Unterhaltspflichten in Höhe von 1.631,34 € für die Klägerin, das Kind D S und das Kind J (940,96 € plus 379,38 € plus 311,00 €) waren in der Zeit von Juni 2002 bis zum heutigen Datum damit bei weitem ausreichende pfändungsfreie Bezüge für die Unterhaltsgläubiger vorhanden, deren Ansprüche sämtlich zu decken. Dies gilt auch einschließlich für die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten rückständigen Ansprüche.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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