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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 17.09.2009
Aktenzeichen: 4 SaGa 10/09
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 2 b
ZPO § 929
ZPO § 945
1) Erledigt sich die Hauptsache vor der Berufungseinlegung, so ist diese gleichwohl zulässig, wenn der Beschwerdewert (hier § 64 Abs. 2 b ArbGG) aufgrund der erstinstanzlichen Kosten oder durch die fortbestehenden materiellen Rechtskraftwirkungen des angefochtenen Urteils erreicht wird.

2) Bei einer einstweiligen Verfügung ist dabei zu beachten, dass sie keine materiellen Rechtskraftwirkungen für den Hauptsacheprozess entfaltet.

3) Zu der Frage, ob ein Schadensersatzanspruch gem. § 945 ZPO insoweit den erforderlichen Beschwerdewert für die Berufung gegen eine durch Urteil erlassene einstweilige Verfügung begründen kann.


Tenor:

Die Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 07.04.2009 - 8 Ga 40/09 - wird auf Kosten des Verfügungsbeklagten als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Das Arbeitsgericht hat durch das angefochtene Urteil den Verfügungsbeklagten verurteilt, den Verfügungskläger vom 09.04.2009 bis zum 19.04.2009 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen. Die weitergehende Verfügungsklage, mit der der Verfügungskläger beantragt hatte, dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, ihm, dem Verfügungskläger, in dem genannten Zeitraum fünf Arbeitstage Erholungsurlaub zu gewähren, hat das Arbeitsgericht abgewiesen.

Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Verfügungsbeklagten von Amts wegen am 21.04.2009 und durch den Gerichtsvollzieher am 23.04.2009, also nach dem 19.04.2009 zugestellt. Der Verfügungskläger erschien in dem im Urteil bezeichneten Zeitraum nicht zur Arbeit.

Mit Antrag vom 30.04.2009, beim Arbeitsgericht am 07.05.2009 eingegangen, hat der Verfügungsbeklagte zunächst beantragt, das Urteil vom 07.04.2009 gemäß § 927 ZPO aufzuheben und hilfsweise gemäß § 926 Abs. 1 ZPO einen Antrag auf Anordnung der Hauptsacheklage gestellt. Zu diesem Hauptantrag beruft sich der Verfügungsbeklagte darauf, dass der Verfügungskläger die Wochenfrist gemäß § 929 Abs. 3 ZPO versäumt habe, die nach seiner Auffassung ab dem 09.04.2009 zu laufen begonnen habe.

Gegen das erstinstanzliche Urteil hat der Verfügungsbeklagte am 20.05.2009 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 22.07.2009 am 21.07.2009 begründet.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 05.08.2009 wurde der Verfügungsbeklagte auf die Bedenken der Kammer hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung hingewiesen. Auf dieses Schreiben (Bl. 158 d. A.) wird Bezug genommen.

Dagegen wendet sich der Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 31.08.2009, auf das ebenfalls Bezug genommen wird (Bl. 163 ff. d. A.).

II.

Die Entscheidung ergeht nach § 522 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 66 Abs. 2 S. 2 ArbGG.

Die Berufung ist unzulässig, da der Beschwerdewert des § 64 Abs. 2 b ArbGG durch eine materielle Beschwer des Beklagten, für die eine wirtschaftliche Bewertung der Rechtskraftwirkungen der angefochtenen Entscheidungen maßgeblich ist, nicht erreicht wird.

1. Der Verfügungsanspruch ist durch Zeitablauf erledigt. Die einstweilige Verfügung entfaltet auch keine materiellen Rechtskraftwirkungen für den Hauptsacheprozess (vgl. z. B. Baumbach, 67. Aufl., § 322 ZPO Rn. 30). Erst recht entfaltet sie keine materiellen Rechtskraftwirkungen für einen Prozess um die Urlaubsvergütung.

Allenfalls käme eine Beschwer durch die Kosten in Betracht (vgl. dazu für den hier gegebenen Ausnahmefall der Erledigung der Hauptsache vor Berufungseinlegung: BGH NJW 1992, 1514). Diese können den Beschwerdewert für die Berufung nach § 64 Abs. 2 b ArbGG jedoch offensichtlich nicht erreichen. Der erstinstanzliche Streitwert wurde auf 770,00 € festgesetzt. Der Beklagte hatte aufgrund der erstinstanzlichen Kostenentscheidung nur die Hälfte der Kosten zu tragen. Eine Entschädigung wegen Zeitversäumnis und eine Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten kommt wegen § 12 ArbGG ohnehin nicht in Frage. Die Gerichtsgebühren für einen Streitwert von 770,00 € liegen weit unterhalb der Grenze des § 64 Abs. 2 b ArbGG.

2. Der Verfügungsbeklagte hat auch mit seinem Schriftsatz vom 31.08.2009 nicht dargelegt, dass eine materielle Beschwer gegeben ist, die den Beschwerdewert erreicht.

a. Der Beklagte meint zunächst, der Verfügungsanspruch habe sich nicht durch Zeitablauf erledigt, sondern der Verfügungsgrund sei wegen Versäumung der Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 3 ZPO durch den Kläger erledigt worden.

Es kann hier dahinstehen, ob überhaupt eine Vollziehung der einstweiligen Verfügung vorlag. Selbst wenn man eine Vollziehung durch das Fernbleiben annähme und weiter unterstellte, dass die Wochenfrist des § 929 Abs. 3 ZPO bereits mit dem 09.04.2009 zu laufen begonnen hätte, so hätte dieses an sich weder den Verfügungsanspruch noch den Verfügungsgrund erledigt. Auch die Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung wird durch die Fristversäumnis nach § 929 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht berührt. Der Gläubiger kann vielmehr innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO den Arrest oder die einstweilige Verfügung erneut vollziehen (vgl. Zöller/Vollkommer § 929 ZPO Rn. 25). Die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO aber war noch nicht verstrichen, als sich der Verfügungsanspruch durch Zeitablauf, d. h. mit Ablauf des 19.04.2009 erledigte.

b. Der Verfügungsbeklagte wendet ferner ein, der Kläger habe noch nicht einmal ein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht. Der materielle Verfügungsanspruch habe sich auf die Gewährung von Urlaub bezogen.

Es nicht ersichtlich ist, inwieweit damit das Fortbestehen einer materiellen Beschwer begründet werden soll. Der Verfügungsbeklagte erkennt in diesem Zusammenhang auch selbst, dass das angefochtene Verfügungsurteil keine materielle Rechtskraft für ein eventuelles Hauptsacheverfahren entfaltet.

c. Auch die Ausführungen des Verfügungsbeklagten dazu, dass der vom Verfügungskläger inzwischen angestrengte Prozess um die Vergütung für die fragliche Zeit keine Hauptsacheklage zum hiesigen Verfügungsverfahren sei, vermag eine materielle Beschwer nicht zu begründen. Der Verfügungsbeklagte erläutert nicht, woraus sich diese in diesem Zusammenhang ergeben soll. Die angefochtene einstweilige Verfügung entfaltet - wie gesagt und wie auch der Verfügungsbeklagte erkennt - keine materielle Rechtskraft für den Rechtsstreit um die Vergütung, in welchem das Gericht selbständig und ohne eine Rechtskraftbindung an die einstweilige Verfügung zu prüfen hat, ob der Urlaubsanspruch bestand. Dabei kann dahinstehen, dass das angefochtene Urteil sich ausdrücklich auch selbst keine Bindungswirkung für einen Rechtsstreit über die Urlaubsvergütung zuspricht.

d. Schließlich argumentiert der Verfügungsbeklagte dahin, das angefochtene Verfügungsurteil stelle "bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache" einen Hinderungsgrund für den ihn dar, die aus seiner Sicht möglichen Schadensersatzansprüche gemäß § 945 ZPO mit Aussicht auf Erfolg geltend zu machen.

Auch diese Argumentation ist schon aus Rechtsgründen nicht überzeugend.

Dabei kann wiederum dahinstehen, ob die einstweilige Verfügung überhaupt vollzogen wurde und ob deshalb § 945 ZPO überhaupt eingreift.

Denn der "Schadensersatzrichter" im Verfahren nach § 945 ZPO, das kein einstweiliges Verfügungsverfahren ist, in der Beurteilung der ursprünglichen Rechtfertigung der einstweiligen Verfügung grundsätzlich frei. Es besteht keinerlei Bindung selbst an eine rechtskräftige Entscheidung im Arrestverfahren bzw. einstweiligen Verfügungsverfahren (vgl. zu dieser zutreffenden Ansicht Zöller/Vollkommer § 945 ZPO Rn. 9). Die davon abweichende Meinung einzelner Senate des BGH (vgl. Nachweise bei Zöller/Vollkommer a. a. O. Rn. 10), nach welcher der Schadensersatzrichter nur dann frei in seiner Beurteilung sein soll, wenn der Arrestbefehl (bzw. die einstweilige Verfügung) nicht angefochten worden ist, und umgekehrt eine Bindung nur dann bestehen soll, wenn die Entscheidung im Arrest- bzw. einstweiligen Verfügungsverfahren auf Widerspruch oder Berufung hin ergangen ist und der Arrest oder die einstweilige Verfügung rechtskräftig in diesem Verfahren aufgehoben wurden, hindert den Verfügungsbeklagten ebenfalls nicht, einen Schadensersatzprozess anzustrengen. Denn erstens kann ein unzulässiges Rechtsmittel - wie hier -auch nach dieser Auffassung nicht zu einer Bindungswirkung für das Schadensersatzverfahren führen, da es nicht zu einer Aufhebung der einstweiligen Verfügung führen kann, und zweitens besagt auch diese Meinung nicht, dass eine Anfechtung und eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung auf Widerspruch oder Berufung hin Voraussetzung des Schadensersatzverfahrens wäre.

Aber selbst dann, wenn man einen nach § 945 ZPO geltend zu machenden Schaden als fortbestehende materielle Beschwer durch einen in der Hauptsache erledigten Verfügungsanspruch anerkennen wollte, ist nicht festzustellen, dass dieser hier den Beschwerdewert des § 64 Abs. 2 b ArbGG erreicht. Denn der Beklagte hat überhaupt keinen Schaden konkret vorgetragen. Sofern er (Bl. 165 d. A.) der Auffassung ist, dass sich für den Freistellungszeitraum ein "Schadensersatzanspruch" jedenfalls in Höhe von 833,33 € (entsprechend der Vergütung für den streitigen Zeitraum) ergebe, so ist dies nicht nachvollziehbar. Denn der Beklagte war aufgrund der einstweiligen Verfügung - ausdrücklich - nicht zur Vergütungsleistung verurteilt. Dementsprechend kann erst recht nicht der Streitwert der Klageerweiterung im Parallelverfahren (vom Verfügungsbeklagten hier mit 1.222,21 € angegeben) von Relevanz sein. Wie bereits gesagt, entfaltet die einstweilige Verfügung für den Rechtsstreit um die Vergütung keine materielle Rechtskraft.

3. Schließlich aber ist der Beschwerdewert selbst dann nicht erreicht, wenn man die Erledigung des Verfügungsanspruchs durch Zeitablauf außer Betracht lässt.

Das Arbeitsgericht hat den Streitwert für das Urteils insgesamt, d. h. für den zusprechenden und den abweisenden Teil, auf 770,00 € festgesetzt. Dieses entspricht ersichtlich der wohl herrschenden Meinung, dass ein Urlaubsanspruch regelmäßig mit dem Betrag des Urlaubsentgelts zu bewerten ist und bei einer einstweiligen Verfügung hiervon nur wenige Abstriche zu machen sind (vgl. GK/Wenzel § 12 ArbGG Rn. 322). Der Verfügungsbeklagte berechnet den Wert des für den streitigen Zeitraum zu zahlenden Urlaubsentgelts auf 833,33 € (Bl. 165 d. A.). Das Arbeitsgericht hat davon wegen der einstweiligen Verfügung ersichtlich einen geringfügigen Abschlag gemacht.

Der vom Arbeitsgericht festgesetzte Streitwert bezieht sich indes auf den Verfügungsantrag, dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, dem Antragsteller in dem Zeitraum vom 09.04.2009 bis zum 19.04.2009 (= 5 Arbeitstage) Erholungsurlaub zu gewähren. Das Arbeitsgericht hat stattdessen dem Verfügungsbeklagten nur aufgegeben, den Verfügungskläger von der Pflicht zur Arbeitsleistung freizustellen und im Übrigen die Verfügungsklage abgewiesen. Dies hat es damit begründet, dass wegen des einstweiligen Charakters des Verfügungsverfahrens der Beklagte nicht zur Gewährung von "Urlaub" verurteilt werden könne, damit nicht zugleich eine Entscheidung über einen vergüteten Urlaub getroffen werde.

Das Arbeitsgericht hat sodann die Kosten den Parteien je zur Hälfte auferlegt und ist damit offensichtlich davon ausgegangen, dass der dem Verfügungskläger zugesprochene Teil die Hälfte des Gesamtstreitwerts, d. h. die Hälfte von 770,00 € wert ist.

Der so ermittelte Wert der Beschwer des Beklagten liegt unter 600,00 € und erreicht damit nicht den Beschwerdewert des § 64 Abs. 2 b ArbGG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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