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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 09.11.2005
Aktenzeichen: 4 Ta 346/05
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 114
ArbGG § 11 a
Zu den Begriffen "Erfolgsaussicht" i. S. d. § 114 ZPO und "offensichtliche Mutwilligkeit" i. S. d. § 11 a ArbGG.
Tenor:

Unter Zurückweisung der Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 16.08.2005 im Übrigen wird der Beschluss insoweit aufgehoben, als er den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes für die Rechtsverteidigung gem. § 11a ArbGG abgelehnt hat.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über eine Beiordnung nach § 11 a ArbGG an das Arbeitsgericht Köln mit der Maßgabe zurückverwiesen, dass die Beiordnung nicht aus den Gründen des § 11 Abs. 2 ArbGG unterbleiben kann.

Gründe: I. Bei der Entscheidung nach § 117 ZPO ist das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsschutzgleichheit zu beachten, so dass die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden dürfen (BVerfG 14.10.2003 - 1 BVL 901/03 - NVwZ 2004, 334). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dies an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, in dem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (BverfG 24.07.2002, NJW 2003, 576). Dementsprechend erfordert hinreichende Erfolgsaussicht nicht überwiegende Wahrscheinlichkeit des Erfolges (vgl. LAG Düsseldorf 29.11.1999 - 15 Ta 553/99 - LAGE § 114 ZPO Nr. 36). Grundsätzlich gilt auch das Verbot der Beweisantizipation im PKH-Prüfungsverfahren. Es darf grundsätzlich nicht das Ergebnis einer Beweisaufnahme vorweg genommen werden (vgl. Zöller/Philippi § 146 Rdn. 36). Auch mit diesen Maßstäben teilt die Kammer die Auffassung des Arbeitsgerichts insoweit, als es hinreichende Erfolgsaussicht verneint hat. Allerdings führt ein vorsätzlicher Pflichtverstoß nur dann zur vollen Haftung des Arbeitnehmers, wenn auch der Schaden vom Vorsatz erfasst ist. Soweit das Arbeitsgericht davon ausgegangen ist, dass voller Schadensersatz auch ohne Weiteres bei grober Fahrlässigkeit in Betracht kommt, so ist diese Auffassung im Grundsatz nicht zutreffend. Vielmehr sind auch bei grober Fahrlässigkeit Haftungserleichterungen zugunsten des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen, wenn der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Missverhältnis zum verwirklichten Schadensrisiko der Tätigkeit steht (BAG 12.11.1998 - 8 AZR 221/97 -). Dieses kann dann gegeben sein, wenn der zu ersetzende Schaden deutlich über drei Bruttomonatseinkommen des Arbeitnehmers liegt (vgl. BAG aaO). Gleichwohl teilt die Kammer die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass hinreichende Erfolgsaussicht nicht gegeben ist. Denn es liegen unstreitige Indizien dafür vor, die mit einer so erheblichen Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass die Beklagte auch mit zumindest bedingtem Vorsatz hinsichtlich des Schadens der Klägerin gehandelt hat, dass nach derzeitiger Aktenlage keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr bejaht werden kann: 1. So ist im Organisationshandbuch der Klägerin vorgeschrieben, dass bei der Bearbeitung von Geschäftsvorfällen, die den Mitarbeiter selbst oder einen Verwandten betreffen, der Mitarbeiter nicht mitwirken darf. Eine solche Befangenheitsregelung ist im Übrigen selbstverständlich und drängt sich jedem auf. Die Beklagte hat sich darüber hinweg gesetzt und ihrer Mutter die außergewöhnlich hohe Schecksumme sofort ausgezahlt. 2. Des weiteren ist geregelt, dass die Mitarbeiter darauf zu achten haben, dass sich Verfügungen von Kunden im normalen Rahmen der Umsätze auf den Konten bewegen. Darüber hinausgehende Verfügungen müssen vom Filialleiter oder einem von der Filialleitung schriftlich Beauftragten abgezeichnet werden. Angesichts der außergewöhnlichen Höhe des Schecks von 66.694,50 EUR musste es sich der Beklagten ebenso aufdrängen, dass sie nicht allein handeln durfte. Auch dass sie sich darüber hinweggesetzt hat ist ein gravierendes Indiz dafür, dass es ihr darauf ankam, ihrer Mutter den hohen Betrag sofort in bar zufließen zu lassen, und dass sie einen möglichen Schaden der Klägerin durch Nichtdeckung des Schecks billigend in Kauf genommen hat. 3. Ebenso gravierend ist die Tatsache, dass die Klägerin den Scheck, der bereits am 06.08.2002 ausgestellt war, sogleich nach Vorlage ihrer Mutter in bar ausgezahlt hat, ohne den Eingang des Scheckgegenwertes abzuwarten oder auch nur die geringsten Anstalten zu machen, die Deckung des Schecks zu überprüfen. Auch dieses spricht dafür, dass die Klägerin billigend in Kauf genommen hat, dass der Scheck nicht gedeckt war. 4. Für Vorsatz spricht schließlich, dass die Klägerin auf das Scheckeinreichungsformular den Namensstempel des Vertriebsleiters aufgedrückt hat, ohne mit diesem Rücksprache zu nehmen. Sofern die Klägerin sich dazu auf einen Irrtum beruft, ist dieser in keiner Weise nachvollziehbar. Im Gesamtzusammenhang ist die Tatsache des Aufdrückens des Namensstempels hingegen ein weiteres Indiz für zumindest bedingten Vorsatz, was den Schadenseintritt anbelangt. Es muss insgesamt als eher unwahrscheinlich angesehen werden, dass eine Kammer im Hauptverfahren zu einem anderen Schluss kommt. II. Indes kann nach Auffassung der Kammer eine Beiordnung nach § 11 a des ArbGG nicht abgelehnt werden. Nach § 11 a ArbGG kommt es auf die Erfolgsaussicht nicht an. Vielmehr bestimmt § 11 a Abs. 2: Die Beiordnung kann unterbleiben, wenn sie aus besonderen Gründen nicht erforderlich ist, oder wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich mutwillig ist. Angesichts der hohen Schadenssumme und angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung, mit § 11 a ArbGG Waffengleichheit unabhängig von der Erfolgsaussicht herzustellen, schließlich angesichts der komplizierten richterrechtlichen Grundsätze zur Schadenshaftung des Arbeitnehmers kann die anwaltliche Vertretung nicht "aus besonderen Gründen" als nicht erforderlich angesehen werden. Sie kann nach dem besonderen Maßstab des § 11 a ArbGG auch nicht als "offensichtlich mutwillig" angesehen werden. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Beklagte den Prozess nicht aktiv führt, sondern sich lediglich verteidigt. "Offensichtlich mutwillig" ist ein noch strengerer Maßstab als der Maßstab der Mutwilligkeit im Sinne des § 114 ZPO. Die Kammer hat erhebliche Zweifel, ob bei einer reinen Rechtsverteidigung überhaupt offensichtliche Mutwilligkeit in diesem Sinne angenommen werden kann. Nach in der Literatur vertretener Auffassung und Auffassung mehrerer Landesarbeitsgerichte (vgl. Germelmann, ArbGG 5. Auflage, § 11 a Rdn. 61) liegt offensichtliche Mutwilligkeit nur dann vor, wenn "auf den ersten Blick ohne nähere Prüfung" erkennbar ist, dass die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erfolglos sein muss. Nur in besonders klarliegenden Fällen aussichtsloser Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung kann der Beiordnungsantrag zurückgewiesen werden. Auch hier ist - unter dem sehr viel strengeren Maßstab zu beachten- , dass das Nebenverfahren nicht an die Stelle des Hauptverfahrens treten soll. Wie oben dargelegt bedarf es zur Annahme von Vorsatz einer näheren Prüfung und Würdigung von Indiztatsachen aus einem komplexen Tatsachenzusammenhang. Es kann weder das Kriterium des "ersten Blicks ohne nähere Prüfung", bejaht werden, noch die gegenüber der hinreichenden Erfolgsaussicht des § 114 ZPO sehr viel strengere umgekehrte Konsequenz, dass die Rechtsverteidigung erfolglos sein "muss". Das Arbeitsgericht hat - anders sind seine Erwägungen in dem angefochtenen Beschluss zu § 11 a ArbGG nicht zu verstehen - den Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten hilfsweise als Antrag auf Beiordnung nach § 11 a ArbGG ausgelegt. Diese Auslegung hält die Kammer für zutreffend. Sofern das Arbeitsgericht insofern noch Zweifel haben sollte, ist entsprechend der Belehrungspflicht nach § 11 a Abs. 1 S. 2 ArbGG und der Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO der Prozessbevollmächtigte der Beklagten entsprechend zu befragen. Die Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 11 a ArbGG, nämlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wird gemäß § 572 Abs. 3 ZPO dem Arbeitsgericht übertragen. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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